Vollstreckung Finanzamt im laufenden Insoverfahren

  • MünchKomm-InsO/Breuer, 3. Auflage 2013, § 89 Rn. 16:

    "Gläubiger, die erst nach der Verfahrenseröffnung einen Vermögensanspruch gegen den Schuldner (nicht: gegenüber der Masse) erlangt haben, sind keine Insolvenzgläubiger, sondern „Neugläubiger“ oder „Nachinsolvenzgläubiger“. (...) Die Zwangsvollstreckung kann hier nur in das insolvenzfreie und (soweit überhaupt) pfändbare Vermögen des Schuldners erfolgen. Da aber auch der Neuerwerb zur Masse zählt (§ 35), wird allerdings idR kaum insolvenzfreies Vermögen vorhanden sein, in welches der Neugläubiger erfolgreich wird vollstrecken können. In Betracht kommen hier in der Hauptsache nur noch die vom Insolvenzverwalter aus der Insolvenzmasse freigegebenen Gegenstände sowie die Differenz zwischen dem nach § 850c ZPO und den nach §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO pfändbaren Teil der Bezüge des Schuldners, soweit der Neugläubiger Unterhaltsansprüche oder deliktische Forderungen geltend macht."


    Verbot der Zwangsvollstreckung auch in durch den Insolvenzverwalter freigegebene Gegenstände
    BGH,Beschl. v. 12. 2. 2009 – IX ZB 112/06
    Leitsatz des Gerichts:
    Gibt ein Insolvenzverwalter oder Treuhänder einen dem Schuldner gehörenden Gegenstand aus der Insolvenzmasse frei, unterliegt dieser als sonstiges Vermögen des Schuldners dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO…………….
    Es ist daher in Rechtsprechung und Schrifttum fast einhellige Meinung, dass das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO auch für vom Insolvenzverwalter oder Treuhänder aus der Insolvenzmasse freigegebene Gegenstände gilt, weil sie zum sonstigen Vermögen des Schuldners gehören (BGHZ166, 74, 83 = ZIP 2006, 479 (m. Bespr. Keller, S. 1174) = ZVI 2006, 210 =ZfIR 2006, 437 (m. Anm. Volmer), Rz. 26, dazu EWiR 2006, 317(Gundlach/Frenzel); LG Berlin ZMR 2005, 910; OLG Hamm Rpfleger 1971, 109 (zu§ 14 KO); Jaeger/Eckardt, InsO, § 89 Rz. 29 und 7;MünchKomm-Breuer, a.a.O., § 89 Rz. 18; Kayser, a.a.O., § 89Rz. 16; Uhlenbruck, a.a.O., § 89 Rz. 15; KPB/Lüke, InsO,§ 89 Rz. 14; HambKomm-InsO/Kuleisa, 2. Aufl., § 89Rz. 9; Gerhardt, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl.,§ 33 Rz. 12; BK-InsO/Blersch/v. Olshausen, § 89 Rz. 12; Wittkowski,in: Nerlich/Römermann, InsO, § 89 Rz. 4; a.A. Schmidberger, Rpfleger2006, 431 f.).
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    Was ist denn dann mit § 91 InsO, der ja auch für Neugläubiger gilt (mit Ausnahme von § 89 Abs. 2 S. 2 InsO). Wie also sollte ein Neugläubiger das Konto pfänden können, wenn er kein Pfandrecht daran erwerben kann?

    Endgültig werden wir diese streitige Frage hier im Forum ohnehin nicht klären können.

  • Das ist überhaupt nicht streitig. Das BGH-Urteil tut hier auch nichts zur Sache, da es dort um Insolvenzgläubiger geht und nicht um Neugläubiger. Einfach mal lesen und nicht nur blind zitieren.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Das Zitat im Uhlenbruck betrifft eben nicht (nur) § 89 Abs. 2 S. 2 InsO, sondern steht thematisch unter der Überschrift "(vom Vollstreckungsverbot) Betroffene Gläubiger".

    Hier dürfte im Übrigen ein Missverständnis vorliegen: § 89 Abs. 1 InsO gilt dem Wortlaut nach nur für Insolvenzgläubiger. Er wird aber erweiternd dahingehend ausgelegt, dass auch die Vollstreckung durch Neugläubiger eingeschränkt wird. Diese sollen nicht das angreifen dürfen, was dem Verwalter zur Masseanreicherung zusteht. Aber auch nur das. Was hingegen der Masse nicht mehr zugute kommt (sei es durch Freigabe, sei es durch Unpfändbarkeitsregelungen), also das insolvenzfreie Vermögen, kann von Neugläubigern beigetrieben werden.

    Dass der BGH bei Freigabe von Vermögen dieses dem sonstigen Vermögen im Sinne des § 89 InsO zuordnet, ändert daran nichts. Es ist zwar "sonstiges", aber hier zugleich "insolvenzfreies" Vermögen. Folge: Insolvenzgläubiger dürfen nicht, Neugläubiger dürfen schon darauf zugreifen.

    Nichts gegen das AG Bonn, aber vielleicht hilft hier noch eine Entscheidung des AG Göttingen (Beschl. v. 02.10.2007 - 71 IN 227/03) weiter:


    "1. Beruft sich ein Schuldner auf die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung im Hinblick auf ein über sein Vermögen eröffnetes Insolvenzverfahren, so ist das Insolvenzgericht zur Entscheidung gem. § 89 III InsO zuständig unabhängig davon, ob der Vollstreckungsgläubiger Insolvenzgläubiger oder Neugläubiger ist.


    2. Zu überprüfen sind nicht nur "insolvenzspezifische" Einwendungen, sondern alle Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung.


    3. Neugläubiger sind gem. § 89 Abs. 1 InsO nicht in jedem Fall an der Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners gehindert, sie können in das insolvenzfreie pfändbare Vermögen des Schuldners vollstrecken.


    4. Nähere Angaben können von den Neugläubigern nicht verlangt werden, da diese anderenfalls unbillig benachteiligt würden. Vielmehr ist es Aufgabe des Insolvenzverwalters bzw. Schuldners, sich im Wege der Vollstreckungserinnerung gem. § 766 ZPO zu wehren.


    5. Neugläubiger können daher den Gerichtsvollzieher in das bewegliche Vermögen des Schuldners vollstrecken lassen und die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verlangen durch die Vollstreckungsrechtspfleger Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse erwirken."

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Nun hat jeder von uns je eine Amtsgerichtsentscheidung, die für die jeweils von ihm vertretene Rechtsansicht spricht.

    Was aber sollte an "Deinem" Beschluss des AG Göttingen besser oder richtiger sein, als an "meinem" vom AG Bonn? :gruebel::wechlach::wechlach:

  • :hetti: vgl. Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 13. Aufl. Rnr. 19 zu § 89: "Neugläubiger sind aber nicht gehindert, in das insolvenzfreie pfändbare Vermögen des Schuldners zu vollstrecken."

    ;)

    Das betrifft aber doch § 89 Abs. 2 S. 2 InsO und das haben wir ja alle für zulässig angesehen. So steht's ja auch im Gesetz. :)

    § 89 Abs. 2 InsO betrifft nur das Einkommen, des Schuldners, das dieser an den späteren Treuhänder abtreten musste. Der Absatz 2 ist mittlerweile so überflüssig wie eine Kropf.

  • Nun ja, die Quintessenz ist eigentlich, dass du gar nichts machen kannst, weil du nicht weißt, ob es sich um eine Insolvenzforderung oder um eine Neuforderung handelt.

    Ganz klar ist, dass § 89 Abs. 2 InsO bei dir überhaupt gar keine Rolle spielt, weil es sich ja definitiv nicht um eine Pfändung in das Arbeitseinkommen, sondern um eine Pfändung in eine Forderung des Schuldners gegen die Bank handelt.

    Ob § 89 Abs. 1 InsO greift, weißt du nicht. Damit müssen sich Schuldner und Verwalter befassen - für dich ist die Pfändung solange wirksam, bis dir Gegenteiliges belegt wird.

  • Doch, dass es eine Neuforderung ist, weiß ich. Das hat mir das FA gerade bestätigt.
    Ich habe jetzt mal einfach die DSE erstellt, hierin aufgenommen, dass über das Vermögen des SU das Insoverfahren eröffnet wurde und dass der IV über den Eingang der Pfändung informiert wird.

    Jetzt muss ich nur noch das Schreiben an den IV verfassen. Werde dann wohl auch gleich mit aufnehmen, dass er sich um die Aufhebung der ersten Pfändung kümmern sollte.............


  • Ob § 89 Abs. 1 InsO greift, weißt du nicht. Damit müssen sich Schuldner und Verwalter befassen - für dich ist die Pfändung solange wirksam, bis dir Gegenteiliges belegt wird.

    Sehr richtig. Verstrickung ist in jedem Fall eingetreten. Daher Vorgehen wie im "Leitfaden der Deutschen Kreditwirtschaft zum P-Konto" bei Vollstreckung in das P-Konto während des laufenden Insolvenzverfahrens durch Neugläubiger beschrieben, siehe auch post #6.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Wie ich die Bank kenne (Nichts für ungut) wird diese nun das Konto dichtmachen.

    Ich könnte mir dann vorstellen, dass dann § 766 ZPO- bzw. § 850k ZPO-Anträge kommen werden.

    Das könnte ja auch richtig sein (z.B. lfd. Verfahren, bisher keine Pfändung, vom IV freigegebenes Konto.

    Im übrigen BGH IX ZR 40/17 vom 21.09.2017


    Die genannte Entscheidung behandelt bei Insolvenzeröffnung bereits bestehende Pfändungen und trifft für Neugläubiger damit überhaupt nicht zu.

    Deinen zweiten Satz verstehe ich nicht so recht. :gruebel: Sind die Beispiele nach der Klammer Konstellationen, in denen du § 766 ZPO für begründet halten würdest? Aus meiner Sicht sind sie dies jeweils nicht, da die Pfändung für einen Neugläubiger erfolgen soll.

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