Kongruent oder inkongruent (wer hat hier Recht)

  • Der Insolvenzschuldner, der nach seinem Profil Dienstleistungen für Haus und Hof erbringt, hat mit dem Anfechtungsgegner im Jahr 2006 einen Vertrag geschlossen, nach welchem er für diesen Winterdienst "zu schieben" hat. Gleichzeitig kauft er bei diesem Anfechtungsgegner all diejenigen Waren, die er für seinen Geschäftsbetrieb benötigt. Nachdem im Jahr 2008 aus den Warenkäufen ein offener Betrag von zirka EUR 25.000,00 besteht, schließen die Beteiligten einen weiteren Vertrag aus dem hervorgeht, dass die gegenseitigen Forderungen nunmehr verrechnet werden, so dass in 3 - 4 Jahren (Wintern) die Forderungen de facto "abgearbeitet" sind. Für diesen Zeitraum werden die Forderungen gestundet. Die Vereinbarung wurde dann mehrere Winter in die Tat umgesetzt.

    Ich war der felsenfesten Überzeugung, dass es sich damit um eine inkongruente Deckung handelt.

    Der erstinstanzliche Richter ist aber der Meinung, dass die Vereinbarung eine kongruente Deckung begründet. Immerhin würde der Anspruch des Anfechtungsgegners auf Erbringung der Winterdienstleistungen bereits seit dem Jahr 2006 bestand.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Da bin ich ganz bei Dir und schlage mich auf die Seite der Inkongruenz.

    Entscheidend ist doch der Zeitpunkt, in dem die künftigen Verrechnungen vereinbart wurden. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Gegenseite nur Bezahlung ihrer offenen Rechnungen fordern; ein Anspruch auf das künftige "Abarbeiten" und damit Entstehen aufrechenbarerer Gegenforderungen bestand indes nicht. Daher: inkongruent.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • ....das ist doch ein 96 3er. Die Aufrechnungslage hat ja - wenn ich es richtig verstehe - bereits vor dem 3-Monats-Zeitraum begonnen. Also erstmal kongruent - aufrechnen kann er ja. Aber hier ist ja klar, dass die höhe der Schuld und die Länge des Aufrechnungszeitraumes klar die Kenntnis der ZU indiziert.

  • ....das ist doch ein 96 3er. Die Aufrechnungslage hat ja - wenn ich es richtig verstehe - bereits vor dem 3-Monats-Zeitraum begonnen. Also erstmal kongruent - aufrechnen kann er ja. Aber hier ist ja klar, dass die höhe der Schuld und die Länge des Aufrechnungszeitraumes klar die Kenntnis der ZU indiziert.

    :daumenrau

    Wenn ich das Ausgangsproblem recht verstehe, dann verlangt Gegs ja nicht von dem Lieferanten der Waren = Gläubiger der Schneeräumleistung, dass diese Waren zu bezahlen sind. Wäre ja wohl auch Unsinn, das wären ggf. Insolvenzforderungen. Vielmehr verlangt Gegs von dem Gläubiger der Schneeräumleistungen, dass dieser die in den vergangenen Jahren - nämlich erst nach Abschluss der Verrechnungsabrede - erbrachten Schneeräumleistungen des Schuldners bezahlt.

    Damit ist m.E. kongruent oder inkongruent nicht die zutreffende Kategorie, vielmehr spielt die Musik, worauf auch schon james zutreffend hinwies, bei der Frage, ob der Lieferant der Waren = Gläubiger der Schneeräumleistung sich auf die Verrechnungsabrede berufen kann oder nicht, also § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Da dürfte man dann mit Entstehung der Verrechnungslage, Werthaltigmachen der Verrechnungslage erst durch künftige Leistungen des Schuldners, Kenntnis des Gläubigers von schwacher finanzieller Lage bei einer über mehrere Jahre gestreckten Abrede etc. argumentieren können.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Ich meine, die Inkongruenz ist auch hier ein maßgebliches Kriterium. Über die Frage im Hinblick auf § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, ob die Aufrechnungslage in anfechtbarer Weise erlangt wurde, sind wir bei der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO. Und in dessen Rahmen stellt die Inkongruenz - hier: Leistungserbringung durch den Schuldner statt Barzahlung - ein wesentliches Beweisanzeichen sowohl für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz als auch dessen Kenntnis auf Seiten des Anfechtungsgegners dar. Wenn der Schuldner schon nicht mehr in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten bar zu begleichen, sondern darauf angewiesen ist, dass ihm ein Gläubiger quasi erfüllungshalber Leistungen abnimmt, dürfte genügend Spielraum für die Anfechtbarkeit und damit die Unzulässigkeit der Aufrechnung sein.

    Gegs: Die Sache geht doch hoffentlich nicht zu AndreasHs Senat...;)

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Fälle dieser Art sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der Gläubiger durch die mit dem Schuldner getroffene Vereinbarung und die Herbeiführung der Aufrechnungslage nebst Aufrechnung in der Krise des Schuldners volle Befriedigung für eine Forderung verschafft, die ansonsten nur als Insolvenzforderung hätte geltend gemacht werden können. Der künftigen Insolvenzmasse entgeht dadurch die Differenz zwischen dem Nennbetrag der gegen den Insolvenzgläubiger gerichteten Forderung und der auf dessen befriedigte Forderung entfallenden Quote. Eine vor der Insolvenzeröffnung erklärte Aufrechnung wird ex tunc unwirksam; einer besonderen Geltendmachung der Anfechtung bedarf es gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht.

  • Meiner Meinung nach noch schöner:

    Da die Verrechnungsabrede jeweils erst mit Werthaltigkeit der einzelnen Winterdienstleistungen des Schuldners zum Tragen kommt (denn vorher besteht mangels Werthaltigkeit des Gegenanspruchs des Schuldners schlicht keine Aufrechnungslage), nach Angaben von Gegs die Abarbeitung aber mehrere Jahre dauerte, ist es vorstellbar, dass die Verrechnung z.B. im ersten Jahr/den ersten Jahren wirksam ist und erst ab einem bestimmten Zeitpunkt x unwirksam ist. M.E. ein wunderbarer Fall in dem sich für die richterliche Überzeugungsbildung enorme Spielräume erschließen :D (und das Ergebnis daher entsprechend offen ist). Böse Stimmen könnten dazu neigen, das Teilunterliegen/-obsiegen hier so zu gestalten, dass keine Partei die Streitwertgrenze für eine Nichtzulassungsbeschwerde erreicht - was natürlich ein sorgfältig arbeitender Richter nie tun würde ;).

    Höre ich da leise Verzweiflungsrufe der Parteien? Wer hat hier im Forum gleich nochmal die wunderbare Signatur mit der Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch und deren Liedzeile "hab Vertrauen"?

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Richterliche Überzeugungsbildung gut und schön. Wir haben doch alle unsere Erfahrungen mit Amtsrichtern und mit Landrichtern ohne insolvenzrechtliche Spezialkammerzuständigkeit.:eek:

    Im Prinzip sind wir auch inhaltlich nicht weit auseinander. Aber ich meine, man kann für die Frage, ob das Entstehen der jeweiligen Aufrechnungslage anfechtbar und die Aufrechnung damit unwirksam ist, (auch) schon auf die frühere Vereinbarung abstellen. Dass der Schuldner nur noch dienstleistet, um alte Schulden abzuarbeiten, halte ich per se für inkongruent.

    ...Böse Stimmen könnten dazu neigen, das Teilunterliegen/-obsiegen hier so zu gestalten, dass keine Partei die Streitwertgrenze für eine Nichtzulassungsbeschwerde erreicht - was natürlich ein sorgfältig arbeitender Richter nie tun würde ;).

    Das lässt mich so manches Berufungsurteil in neuem Licht betrachten. Danke & noch ein schönes Restwochenende!

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Auf Grund des Sachverhaltes sehe ich es genauso....ursprüngliche Vereinbarung ist anfechtbar erlangt...alles andere muss nicht mehr angefochten werden 96.3....

  • Ich :2danke Euch. Ich habe die letzten Tage hier fleißig gelesen und manchmal auch etwas geschmunzelt. Geäußert habe ich mich bewußt nicht, weil ich unvoreingenommene 2. - 5. Meinungen haben wollte. Die habe ich nun bekommen und weiß auch, wohin die Sache gehen wird. Jedenfalls für mich; der Richter wird sich nach der mündlichen Verhandlung wahrscheinlich nicht mehr umstimmen lassen. Was ihn nicht daran gehindert hat, im Prozesskostenhilfeprüfungverfahren die Erfolgsaussichten noch zu bejahen; jetzt aber bei unveränderter Sachlage abzulehnen :eek:.


    Gegs: Die Sache geht doch hoffentlich nicht zu AndreasHs Senat...

    Nein - Nachbargerichtsbezirk. Aber eine Sache von mir ist jetzt bei ihm gelandet. Allerdings muss da der Berufungskläger erst einmal vorlegen. Ich bin gespannt. Sehr interessante Sache, wo man (natürlich nur als Richter :D, wir müssen ja ergebnisorientiert arbeiten) jede Meinung vertreten kann. In den Vergleichsverhandlungen wurde schon damit gearbeitet, dass der Senat von AndreasH hier wohl eher nicht auf Seiten des Insolvenzverwalters stehen würde (keine Ahnung, woher die Partei das wissen will - vielleicht weil wir schon eine sinnlose Runde über das Oberlandesgericht gegangen sind :nixweiss:) und der Gegner sich deshalb besser vergleichen würde. Hat er nüsch un nu had' dr erst einmal verloren.

    dass keine Partei die Streitwertgrenze für eine Nichtzulassungsbeschwerde erreicht - was natürlich ein sorgfältig arbeitender Richter nie tun würde

    Würde er nie :D; ist wegen § 26 Nr. 8 ZPO im vorliegenden Fall auch gar nicht notwendig. Wobei ich mich immer frage, warum die Oberlandesgerichte so einen Schxxx vor dem Bundesgerichtshof haben. Vielleicht kann mir das AndreasH mal erklären.

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  • an sich müsstest Du sogar noch über die Absichtsanfechtung für bestimmte Zeiträume rannkommen (aber was sag ich Dir das..... als Anfechtungsspezialistin). Das Prob ist halt nur, einem Richter Arbeit zu machen, sei es Anfechtungsrecht, sei es Wirtschaftskriminaität. Kenne mir net, fott damit, watt soll der driss, frau und geliebte warten und der Partner beim Tennis oder auf dem Golfplatz......

    herrschendes Recht ist das Recht der herrschenden
    Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern! (K.M.)
    Ich weiß, dass ich nicht weiß (Sokrates zugeschrieben); jeder der mein Wissen erfolgreich erweitert, verbreitert mein Haftungsrisiko (nicht sokrates, nur ich)
    legalize erdbeereis
    :daumenrau

  • ... Wobei ich mich immer frage, warum die Oberlandesgerichte so einen Schxxx vor dem Bundesgerichtshof haben. Vielleicht kann mir das AndreasH mal erklären.


    So, da habe ich jetzt erst ein paar Tage drüber nachdenken müssen, was ich darauf antworten kann:

    Zunächst muss ich den Schxxx natürlich auf das schärfste zurückweisen :D

    Das folgende ist mal so etwas wie eine Sammlung unterschiedlicher Gründe, wobei nicht jeder Schuh passen muss - und natürlich schreibe ich nur für mich, ohne Geltung für irgendwelche Kollegen/innen:

    -) Eine NZB-fähige Entscheidung macht - zumindest mir - gut 50% mehr Arbeit als eine nicht NZB-fähige Entscheidung. Bei einer nicht anfechtbaren Entscheidung suche ich heraus, wie es m.E. geht. Bei einer Anfechtbaren muss der gesamte Nachweisapparat in ansprechender Form zu Papier gebracht werden.
    Nebenbei: Eine zur Veröffentlichung bestimmte Entscheidung macht weitere 50% Mehrarbeit, weil dort nicht nur die richtigen Auffassungen, sondern auch noch die abweichenden Meinungen nachgewiesen werden sollten.

    -) Es gibt BGH-Senate, die sind sehr gut kalkulierbar und andere, bei denen die, nennen wir es mal Unstimmigkeiten zwischen den einzelnen Spruchgruppen ziemlich deutlich sind. Wenn ein Senat gut kalkulierbar ist, dann weiß ich auch, ob ich mich ihm anschließe oder warum (und mit welcher Erfolgschance) ich dagegen opponiere. Wenn ein Senat schlechter vorhersehbar ist, dann meine ich vielleicht, auf dem richtigen - und von mir für richtig gehaltenen - Weg zu sein, und lande dann doch im Off. Darauf geht dann das Grübeln los, wie das nun zu jenem passt ...

    -) Dann gibt es natürlich die psychologische Komponente: Als Richter bin ich es natürlich gewöhnt, Recht und das letzte Wort zu haben;) Das klappt nicht mehr, wenn noch eine weitere Instanz im Spiel ist. Wenn man als Tatsachengericht von einem Tatsachengericht aufgehoben wird, dann kann man noch sagen, die haben das eben anders gesehen. Wird man von einer Rechtsinstanz aufgehoben, dann steht damit immer ein Rechtsfehler in der Begründung. Am schlimmsten ist die Aufhebung durch ein Verfassungsgericht, denn da wird man automatisch zum Verfassungsfeind gestempelt.:oops:

    -) Dann gibt es noch die berufliche Komponente: Ob und wie oft man aufgehoben wird, wird registriert und mit der nächsten Beurteilung serviert.

    Es gibt sicher noch mehr, das war halt jetzt mal mein erster Zugriff.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • ein ehrliches und wirklich klasse statement. Hochachtung !

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  • hab i.Ü. heute eine Akte über LG vom BGH zurückbekommen (oki, dessen Entscheidung konnte ich dann schon vorher in der ZVI lesen (der Fall kam mir dann doch bekannt vor :D ; der BGH warte auf die Gehörsrüge !) Über ein wesentliches Argument meienr Ausgangsentscheidung und noch viel besser vorgetragen durch den BGH-zugelassenen Anwalt hat sich der Senat dann wortlos ! hinweggehoben (ähnlich der sich der Welt enthebenden Göttern in Brecht's Der Gute Man von Sezuan").
    Das Judiz steht, ich nehm das sportlich. Hab aber schon das nächste rechtsbeschwerdefähige Teil auf dem Tisch !

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  • Ganz klar: Ja, und zwar Ihre Offenheit. Die mir bekannten Richter halten sich gern mehr als bedeckt und lassen nicht einmal ansatzweise Einblick in ihre Denkprozesse zu. Daher: Vielen Dank!

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Ich hatte schon gar nicht mehr darauf gehofft, eine Antwort zu bekommen. Eben weil nicht viele Richter in dieser Offenheit antworten würden.

    Ich kann nur sagen: :wow und :respekt.

    Ich bin sehr dafür, dass sich Anwälte und Richter gelegentlich über ihre verschiedenen Arbeitsweisen, Denkmodelle etc. austauschen. Das verhindert eine Menge Frust, Ärger und Vorurteile. Bei den hiesigen Richter- und Anwaltsverein sind wir da schon auf einem guten Weg.

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