Doppelte Inanspruchnahme des Bürgen / Gesellschafters?

  • Ein Kollege hat folgende Frage, bei der ich erst einen Denkfehler vermutet hatte, an mich herangetragen. Bei näherem Hinsehen kann ich aber keinen Denkfehler finden.

    Der Gläubiger hat gegenüber dem Insolvenzschuldner (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) eine Forderung von EUR 100.000,00. Für diese verbürgt sich der Gesellschafter in Höhe von EUR 20.000,00. Die Forderung wird gegenüber dem Gläubiger im letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung in Höhe von EUR 20.000,00 getilgt.

    Kommt es jetzt zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass der Insolvenzverwalter den Gesellschafter aus § 135 InsO und die Bank den Gesellschafter aus der Bürgschaftserklärung in Anspruch nimmt, sodass es letztlich zu einer Verdoppelung der Bürgschaftsverpflichtung kommt :gruebel:.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • hm, vlt. hab ich das prob nicht verstanden...

    Stammt die Tilgung aus Gesellschaftsmitteln, ist es anfechtbar, aber keine Doppel-Inanspruchnahme. Stammt die Tilgung aus den Mitteln des Gesellschafters, fehlt es an der Gläubigerbenachteiligung.

    greez
    Def

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    legalize erdbeereis
    :daumenrau

  • Exakt. Erst wenn die Hauptforderung (100 T€) unter den Betrag der Bürgschaft (20 T€) zurückgeführt wird, wird der Bürge teilweise von seiner Haftung frei. Erfolgt also bspw. eine Tilgung i.H.v. 90 T€, so beträgt die Hauptforderung nur noch 10 T€. Der Verwalter kann aus § 135 Abs. 2 InsO in Höhe von 10 T€ gegen den Bürgen vorgehen, da dieser in dieser Höhe freigeworden ist. Und die Bank kann den Bürgen noch in Höhe ihrer Restforderung von 10 T€ aus der Bürgschaft in Anspruch nehmen. Also keine doppelte Inanspruchnahme.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Die doppelte Inanspruchnahme kann aber tatsächlich auftreten, Dank Urteil des BGH vom 04.07.2013 - IX ZR 229/12:

    (Etwas verkürzt):
    Gesellschafter hebt Geld von einem Gesellschaftskonto ab, für das er selbst bürgt und reicht es an sich als Gesellschafter weiter (Gesellschaferdarlehen, in Praxis: Überweisung vom Gesellschaftskonto auf das Gesellschafterkonto). Kurz vor Insolvenzeröffnung zahlt er es zurück, wodurch das Gesellschafterdarlehen getilgt wird und auch seine Bürgschaftsverpflichtung wieder entsprechend reduziert wird. Nach BGH besteht im Kern nur dann - kein - Anfechtungsanspruch nach § 135 InsO, wenn die Bürgschaftsverpflichtung gegenüber der Bank trotzdem noch die dortigen Verbindlichkeiten abdeckt. Wenn er aber weniger an die Bank bezahlen müsste, als zum Zeitpunkt vor der Rückzahlung, dann schuldet er dem Insolvenzverwalter Geld.

    Also: Einmal Geld entnommen, zweimal zurückzahlen.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Eine doppelte Inanspruchnahme des Gesellschafters sehe ich da nicht. Denn die Verdoppelung der Haftungssumme des Gesellschafters beruhte doch auf zwei unterschiedlichen Rechtsgründen. Hierzu die Ausgangslage der BGH-Entscheidung: Der Gesellschafter hatte der Schuldnerin ein Darlehen gewährt und zusätzlich für eine Bankforderung eine Bürgschaft gewährt. Für sein Gesellschafterdarlehen hat er eine anfechtbare Rückzahlung erhalten, die er im Insolvenzfall ohnehin hätte zurückzahlen müssen. Diese Rückzahlung hat er freiwillig kurz vor dem Insolvenzantrag vorgenommen. Der BGH erteilte dann diesem Versuch des Gesellschafters, mit ein- und derselben Zahlung gleich "zwei Fliegen mit einer Klappe" zu schlagen, eine deutliche Absage.

    Also: keine doppelte Inanspruchnahme, sondern nur Haftung für das, was er ohnehin hätte zahlen müssen.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Ich schon.

    a) Der Gesellschafter hat einmal einen Betrag X vom Konto der Gesellschaft erhalten. Dadurch hat er zugleich zwei Haftungen ausgelöst, einmal gegenüber der Gesellschaft (anfechtbare Rückführung eines GS-Darlehens) einmal gegenüber der Bank (Haftung aus Bürgschaft).

    b) Der Gesellschafter genau den gleichen Betrag dann genau so zurückbezahlt, wie er ihn erhalten hat, nämlich durch Überweisung auf das Gesellschaftskonto, von dem er ursprünglich kam. Dadurch hat er einerseits sein (sonst) anfechtbares GS-Darlehen zurückgeführt, andererseits zugleich seine Bürgschaft gegenüber der Bank zurückgefahren - dachte ich zumindest.

    Bis zur BGH-Entscheidung hätte ich erwartet, dass damit auch beide Haftungen wieder aufgelöst werden. Dem hat der BGH ausdrücklich die Anerkennung versagt, indem er judiziert hat, eine einheitliche Rückführung beider Haftungen durch den gleichen Vorgang komme nicht in Betracht.
    (Ob das Argument zwingend ist, wenn durch einen einheitlichen Vorgang zwei Haftungen begründet werden, lasse ich mal dahingestellt - als ich Herrn RiBGH Vill auf diese Frage angesprochen habe, meinte er, man hätte unter diesem Aspekt möglicherweise auch anders entscheiden können).

    Fazit: Gesellschafter hatte einmal den Betrag X erhalten, muss jetzt aber zweimal den Betrag X zurückzahlen.

    Wenn ich auf einer Bananenschale im Laden ausrutsche, dann kann ich einen möglichen Schadensersatzanspruch aus cic aber auch aus 831 BGB gegen den Geschäftsinhaber haben. Sind auch zwei verschieden Rechtsgründe, der Schaden bleibt aber der gleiche und ist nur einmal zu ersetzen.


    Verständlich wird die Entscheidung des BGH m.E. nur, wenn man folgende theoretische Konstruktion zugrunde legt: Dadurch, dass der Gesellschafter eine höhere Haftung aus der Bürgschaft gegenüber seiner Bank eingegangen ist, hat er der Gesellschaft zugleich auch etwas verschafft, er hat ihr quasi Liquidität zugefüht. Die Gesellschaft hatte zwar faktisch nichts davon, weil das Geld sogleich abgeflossen ist, aber sie hätte theoretisch etwas davon haben können. Und weil der GS nun diese Mittelzuführung wieder zurücknimmt, haftet er erneut.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Vielleicht habe ich den Sachverhalt der Entscheidung nicht so ganz durchdrungen. So wie ich zumindest das Vorbringen der Berufung (OLG München, Urt. v. 17.04.2012 - 5 U 2663/11) verstanden habe war der Kontokorrent bei Verfahrenseröffnung in voller Höhe von 140 T€ in Anspruch genommen, also genau in der Höhe der vom Gesellschafter gestellten Sicherheiten. Der Gesellschafter würde also weiterhin in voller Höhe gegenüber der Bank haften. Das hätte aber doch bedeutet, dass der Insolvenzverwalter gerade keinen Anspruch nach § 135 Abs. 2 InsO mehr hätte geltend machen können, da die Haftung nach BGH (Rn. 22) auf diesen Höchstbetrag (140 T€) gedeckelt wäre. Dann hätte doch das Berufungsgericht die Klage nach der Zurückverweisung abweisen müssen, wenn sich das Vorbringen des Gesellschafters als zutreffend erwiesen hätte, oder?

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Tatsächlich hat sich nach Berufungszurückverweisung und Abarbeitung der vom BGH gemachten Vorgaben genau dieses herausgestellt. Hätte aber auch genau anders sein können: Wäre der Kontokorrent nicht (zufällig) komplett ausgeschöpft gewesen, hätte der Gesellschafter in Höhe der Differenz, bis maximal zu dem Betrag der Rückzahlung seines Gesellschafterdarlehens, auf die Anfechtung des InsVw nach 135 InsO nochmals zur Masse zahlen müssen - obwohl er ja bereits vor Eröffnung den Betrag, den er ehemals an sich ausbezahlt hat, schon zurückgeführt hatte.


    Zu einem ähnlichen Ergebnis hätte es geführt, wenn das Kontokorrent von vorne herein niedriger gewesen wäre, als der Nominalbetrag der Bürgschaft war. Auch hier wäre der GS nicht in voller Höhe von der Bank in Anspruch genommen worden, hätte dafür aber nochmal zur Masse zahlen müssen. Wiederum obwohl er bereits zuvor das, was er aus der Masse vor Eröffnung entnommen zurückgeführt hatte, ebenfalls bereits vor Eröffnung zurückgeführt hatte.


    Tatsächlich verhindert die BGH-Rechtsprechung m.E. nur eine dreifache Inanspruchnahme:
    Dazu nochmals den Fall in allen Variationen: GSer hebt einmal z.B. vom Konto der Gesellschaft 10.000,- Euro ab, bezahlt damit an sich selbst ein zuvor gewährtes Darlehen zurück.


    a) Er bürgt nicht für das Konto. Er zahlt nicht vor Eröffnung zurück. InsVw erhebt Anfechtungsklage nach 135 InsO und erhält zu Recht den Betrag zur Masse zurück - Fallgruppe erlangte Befriedigung eines Gesellschafterdarlehens.


    b) Wie a) aber Gesellschafter zahlt noch vor der Eröffnung die 10.000 zurück. InsVw kann nicht mehr anfechten, weil durch die Rückzahlung keine Gläubigerbenachteiligung mehr vorliegt. Bank hat keine Möglichkeit etwas vom Gesellschafter zu fordern, weil dieser nicht bürgte.


    c) wie a) aber GSer bürgt für das Konto, das durch die Abhebung entsprechend ins Soll gerät. InsVw holt sich nach 135 InsO 10.000 (Fallgruppe erlangte Befriedigung eines Gesellschafterdarlehens) und die Bank holt sich 10.000 aus der Bürgschaft.


    d) wie b), aber Gesellschafter bürgt für Konto. Durch die Auszahlung entsteht zunächst ein Sollsaldo auf dem Konto, für das der GSer kraft seiner Bürgschaft gerade stehen müsste. Durch die vor Eröffnung bewirkte Rückzahlung erlischt dieser Sollsaldo in voller Höhe. Der Insolvenzverwalter kann nach 135 InsO, Fallgruppe erlangte Befriedigung für Gesellschafterdarlehen, nichts mehr erhalten, denn das Gesellschafterdarlehen ist ja nicht mehr befriedigt, sondern wieder offen. Die Bank kann nichts holen, weil kein offener KK mehr vorhanden ist. Der InsVw kann aber nach BGH nun nach 135 InsO, Fallgruppe freigewordene Sicherung, die 10.000 nochmals zur Masse ziehen. Obwohl durch die vor Eröffnung geleistete Rückzahlung die inkriminierte Wirkung der Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens wieder beseitigt wurde und im Außenverhältnis die Gesamtverschuldung der Gesellschaft auch bereits um 10.000 Euro zurückgeführt wurde (die Bank meldet ja nichts mehr an).


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Volle Zustimmung.

    Es bleibt nur noch die hier eingetretene Variante e): Der Kontokorrent wird - wie üblich bei Unternehmen in der Kirse - anderweitig wieder ins Soll gezogen. Dann hat der Insolvenzverwalter das Nachsehen, wenn die Bank wieder voll aus ihrer Bürgschaft vorgehen kann...

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Stimmt. Wäre es anders müsste der Gesellschafter dafür, dass er ursprünglich einmal (!) 10.000,- Euro erhalten hat, auch dreimal (!) 10.000.- Euro zurückbezahlen (einmal vor Eröffnung an die spätere Schuldnerin, einmal nach Eröffnung an die Masse wegen der Anfechtung und einmal an die Bank wegen der Bürgschaft).

    Ich halte schon die zweimalige Bezahlung bei d) und e) für wirtschaftlich primär schwer verständlich, auch vom Gesetzeszweck der Anfechtung her: Mit der Anfechtung soll doch eine Vermögensverlagerung ausgeglichen und die Masse um den verlagerten Betrag wieder aufgefüllt werden. Wenn aber die Vermögensverlagerung schon rückgängig gemacht wurde, warum dann eine erneute Anfechtung aus einer anderen Fallgruppe des 135 InsO?

    So war es nämlich auch im BGH-Fall: Der Steuerberater des Gesellschafters hatte auf die Bedenklichkeit der früheren Überweisung zu Lasten von Gesellschaft und Kontokorrent unter Anfechtungsgesichtspunkten hingewiesen. Daraufhin wurde der Gesellschafter reuig und zahlte das Geld zurück, auf eben die gleiche Weise, auf die er es sich ursprünglich geholt hatte, nämlich von seinem Privatkonto auf das von ihm verbürgte Gesellschaftskonto.

    Hätte den Gesellschafter die Reue nicht gepackt, was wäre passiert? Der Insolvenzverwalter hätte erfolgreich nach 135 InsO angefochten und der Gesellschafter hätte einmal (!) das Geld an die Masse zurückbezahlt. An die Bank hätte er das gleiche bezahlt wie im Ausgangsfall, denn zwar wäre der Kontokorrent nun höher gewesen, aber er haftete ja nur für einen Höchstbetrag, der tiefer lag (denn auch nach der Rückführung wurde der Höchstbetrag ja noch voll ausgeschöpft).

    Im Ergebnis wird der Gesellschafter also dafür "bestraft", dass er reuig war und die inkriminierte Zahlung vor Erlffnung freiwillig zurückgeführt hat. Hätte er mal gewartet, bis der Insolvenzverwalter auf ihn zukommt und anficht, hätte er insgesamt weniger bezahlen müssen.

    Für die beratende Praxis der Insolvenzberater ergibt sich daraus m.E. nur ein Ergebnis: Ist die Haftung gegenüber der Bank der Höhe nach begrenzt und dieser Höchstbetrag bereits ausgeschöpft, dann niemals zur freiwilligen vorinsolvenzlichen Rückzahlung raten, sondern immer erst die Anfechtung des Insolvenzberaters abwarten, dann fließt im Ergebnis weniger. Ob das ein sinnvolles Ergebnis ist?

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Für die beratende Praxis der Insolvenzberater ergibt sich daraus m.E. nur ein Ergebnis: Ist die Haftung gegenüber der Bank der Höhe nach begrenzt und dieser Höchstbetrag bereits ausgeschöpft, dann niemals zur freiwilligen vorinsolvenzlichen Rückzahlung raten, sondern immer erst die Anfechtung des Insolvenzberaters abwarten, dann fließt im Ergebnis weniger.

    Oder: Rückzahlung des entnommenen Betrages nur auf ein anderes, möglichst im Haben geführtes Konto der Schuldnerin, so dass durch die Rückzahlung keine persönliche Sicherheit betroffen wird.

    Aber das Ergebnis ist - wie Du schon festgestellt hast - so oder so letztlich unbefriedigend für den Gesellschafter.

    btw: Was sind eigentlich...

    ...Unternehmen in der Kirse...


    ?

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

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