Zahlungsunfähigkeit

  • Folgende Konstellation.

    Im Insolvenzeröffnungsverfahren (Fremdantrag) aufgrund einer fälligen Forderung in Höhe von EUR 10.000,00 zahlt der Schuldner innerhalb von 2 Wochen EUR 2.000,00. Nach weiteren 2 Wochen EUR 2.000,00 usw. bis er in der zehnten Woche EUR 1.9000,00 zahlt und nur noch EUR 100,00 offen sind von den ursprünglichen EUR 10.000,00. Diese zahlt er trotz mehreren Aufforderungen nicht. Im Sachverständigengutachten muss bekanntlich zu der Position Stellung genommen werden, ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt…Dies zu bejahen ist doch bei EUR 100,00 schwierig??… Der Antragsteller beharrt auf seinem Antrag. Aus meiner Sicht sind aber hier die Voraussetzungen der Legaldefinition der Zahlungsunfähigkeit nicht erfüllt. Andere Verdindlichkeiten des Schuldners sind nicht bekannt.

  • Wenn ich von der Definition des BGH ausgehe, dann läge ZU wohl vor. Nach BGH (z.B. BGH, Urteil vom 24.05.2005 - IX ZR 123/04) liegt ZU vor wenn nicht innerhalb von 3 Wochen 90% der fälligen Ansprüche befriedigt werden können.

    Wenn ich Deinen Ausgangssachverhalt richtig lese, dann gibt es eine einzige offene Forderung, nämlich 10.000,- Euro. Diese wird nicht innerhalb von 3 Wochen, sondern - streng genommen - überhaupt nicht, befriedigt, da ja 100,- Euro offen bleiben. Selbst wenn man das wirtschaftlich betrachtet, dann werden innerhalb von 3 Wochen nur 20% (nämlich 2.000,- von 10.000,- Euro), maximal 30% (wenn man auf die verbleibende Woche einen Anteil von 1.000,- Euro aus der nächsten Rate herunterrechnet) bezahlt. Auch die Wesentlichkeitsschwelle wird dabei offensichtlich gerissen.

    Allerdings erscheint mir, bei allem Verlaub, der Sachverhalt stark verkürzt zu sein. Ich kann mir wirklich keine Person vorstellen, die innerhalb von 10 Wochen nur eine einzige Forderung bezahlen muss (und dann gleich 10.000,- Euro). Wie steht es denn mit Kosten für Lebenshaltung, Miete, Strom, Wasser etc.? Oder ist das alles vorausbezahlt gewesen, so dass in den 10 Wochen nichts sonst anfällt?

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Es dürfte sich dabei doch um einen Selbständigen oder ein Unternehmen handeln. Da kann man in 10 Wochen schon 10.000 Euronen abzahlen. Ich sehe da kein Problem.

  • AndreasH: Ich bin bei Dir, dass ZU vorlag. Wenn es tatsächlich keine weiteren Gläubiger gibt, stellt sich aber die Frage, ob sie immer noch vorliegt. Meiner Auffassung nach ist das nicht der Fall, wenn der Schuldner über liquide Mittel iHv EUR 100,00 verfügt.

    @fresh: Es würde also reichen, wenn Du kurzfristig liquidierbare Aktiva (Bargeld, Kontogutghaben, Kontokorrentlinie, Münzsammlung, Pfandflaschen o.ä.) in Höhe von EUR 100,00 ins Gutachten schreibst und den Antrag zurückweisen lässt. Irgendwas wird der Schuldner doch haben.

  • :daumenrau, ein vernünftiges Ergebnis

    Aber:
    Nach der Schilderung von Fresh wäre nun die einzige noch offene Forderung die über 100,- Euro. Diese einzige Forderung wird nicht bezahlt. Wenn man den BGH strikt formell anwendet, dann besteht ZU deswegen auch gegenwärtig noch, weil 100% der offenen Forderungen nicht binnen 3 Wochen bezahlt werden. Und die Darlegungs-und Beweislast für eine Zahlungsunwilligkeit liegt nach der Rechtsprechung des BGH (im Anfechtungsprozess) beim (Anfechtungs-)Gegner.

    Natürlich zeigt das gleich, dass es so streng nicht gehen kann. Aber es bleibt die Frage offen, ob hier der Sachverhalt schon hinreichend erforscht wurde, um auf dieser Basis eine abschließende Einschätzung geben zu können.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Nach der Schilderung von Fresh wäre nun die einzige noch offene Forderung die über 100,- Euro. Diese einzige Forderung wird nicht bezahlt.

    Das sehe ich genauso. Auf diese Falle wird im Hinblick auf eine Tätigkeit als Sanierungsberater fast in jedem Seminar / Fachanwaltsleergang hingewiesen.

    Wäre der Insolvenzschuldner vernünftig beraten gewesen, hätte er die ursprüngliche Forderung von EUR 10.000,00 bestehen lassen. Ausweislich der dann noch vorhandenen liquiden Mittel von EUR 9.900,00 hätte nach der Definition des Bundesgerichtshofs keine Zahlungsunfähigkeit bestanden.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • :daumenrau, ein vernünftiges Ergebnis

    Aber:
    Nach der Schilderung von Fresh wäre nun die einzige noch offene Forderung die über 100,- Euro. Diese einzige Forderung wird nicht bezahlt. Wenn man den BGH strikt formell anwendet, dann besteht ZU deswegen auch gegenwärtig noch, weil 100% der offenen Forderungen nicht binnen 3 Wochen bezahlt werden. Und die Darlegungs-und Beweislast für eine Zahlungsunwilligkeit liegt nach der Rechtsprechung des BGH (im Anfechtungsprozess) beim (Anfechtungs-)Gegner.

    Natürlich zeigt das gleich, dass es so streng nicht gehen kann. Aber es bleibt die Frage offen, ob hier der Sachverhalt schon hinreichend erforscht wurde, um auf dieser Basis eine abschließende Einschätzung geben zu können.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

    Nach dem IX. Senat geht es darum, dass die offenen Verbindlichkeiten (oder 90 % davon) nicht binnen angemessener Zeit bezahlt werden können. Wenn das hier der Fall sein sollte und der Schuldner tatsächlich über keine liquiden Mittel verfügt, wäre er in der Tat zahlungsunfähig.

    Wenn er allerdings Liquidität in Höhe von EUR 100,00 oder mehr zur Verfügung hätte (was eigentlich bei fast jedem der Fall sein dürfte) und lediglich zahlungsunwillig wäre, könnte er seiner Beweislast durch einen positiven Liquiditätsstatus problemlos nachkommen. Wenn ich es recht verstehe, ist er hier aber nicht in Beweisnot sondern der Gutachter muss dem Insolvenzgericht was schreiben, oder?

  • Ja, das ist die Frage: Kann er oder kann er nicht? Das bleibt im Ausgangssachverhalt unklar. Und es gibt auch Leute, die auch bei 100,- Euro nicht können - wenn auch kaum aus der Gruppe derjenigen, die vorher in 10 Wochen 9.900,- Euro abstottern.

    Als Gutachter hätte ich gleichwohl ein ungutes Gefühl, wenn ich bei einer so noch nicht hinreichend aufgeklärten Sachlage etwas schreiben soll. Wenn es sich also nicht nur um einen erkennbar querulatorischen Gläubigerantrag handelt, dann sollte man dem Schuldner m.E. unter Verwendung der Möglichkeiten des § 20 InsO etwas mehr auf den Zahn fühlen, um dann das Gutachten auf besserer Tatsachengrundlage erstatten zu können.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • oki, wenn denn schon ein Gutachter eingesetz ist, sollte hier einfach mal nachgefragt werden, warum die 100,-- EUR nicht gezahlt werden (beseht die Forderung überhaupt in der Höhe ?). Wenn sonst wirklich keine Verbindlichkeiten bestehen, sollte die Vermögenslage des Gläubigers hinsichtlich der wirtschaftlichen Durchsetzbarkeit des Anfechtungsanspruchs gleich mit gutachterllich geprüft werden. Das Gericht wäre jedoch dann auf die Frage des Übermaßverbotes zurückgeworfen, ob wg. 100,-- EUR das Verfahren zu eröffnen wäre.

    Eigentlich ein unglaublicher Fall, aber wenn da sonst echt total krass sonst nix auf der Uhr wäre.... oki, mach das noch nicht so lange, aber kaum zu glauben....

    herrschendes Recht ist das Recht der herrschenden
    Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern! (K.M.)
    Ich weiß, dass ich nicht weiß (Sokrates zugeschrieben); jeder der mein Wissen erfolgreich erweitert, verbreitert mein Haftungsrisiko (nicht sokrates, nur ich)
    legalize erdbeereis
    :daumenrau

  • Im Übrigen sollte die Zwangsvollstreckung in der Vergangenheit nicht viel gebracht haben --> Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit durch fruchtlose Vollstreckung

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

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