Listing und Delisting, Kontrolltiefe und Kommunikation zwischen Rpfl und Richter

  • ...Es gibt mehr vernünftige Insolvenzverwalter, als mir das zweitinstanzlich bewusst geworden ist. Einige davon sieht man da praktisch nicht, weil sie auf der Basis sehr gründlichen Vortrags und vernünftiger Prozessführung offenbar fast alles in erster Instanz geregelt bekommen (mal von ganz unbekehrbaren Beklagten auf der Gegenseite abgesehen).

    Vielen Dank für die sicher nicht leicht gefallene Rückmeldung.;)

    Deine neuen Erfahrungen kann ich auch von meiner Warte aus bestätigen: In die II. Instanz gehen meist nur die unbe(k/l)ehrbaren Anfechtungsgegner oder Rechtsstreite mit zweifelhaften Rechtsfragen. Ansonsten gibt es bei gut vorbereiteten und argumentierenden Richtern ("Hoch lebe die Spezialzuständigkeit!") in der Regel einen Vergleich, der die Erfolgsaussichten je nach Sichtweise angemessen widerspiegelt. Der Vergleichsanteil bei Anfechtungsansprüchen liegt nach meiner Erfahrung derzeit außergerichtlich bei etwa 75 % der Fälle, vor Gericht immer noch bei ca. 50 %.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Danke und Respekt für die Rückmeldung :daumenrau.

    @ Silberkotelett:
    Deine Aussage, die ich im Wesentlichen bestätigen kann, beruhigt mich. Ich dachte immer, ich hätte eine unrealistische Vergleichsquote. Meine gerichtliche Vergleichsquote - ich habe zwei besondere (Dauer-)Gläubiger, denen die Einsicht in der Regel erst mit der mdl. Verhandlung! kommen will - liegt derzeit auch bei 75 Prozent.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • ... - ich habe zwei besondere (Dauer-)Gläubiger, denen die Einsicht in der Regel erst mit der mdl. Verhandlung! kommen will - ...


    Eine Gläubigerin davon beim LG Hamburg? :D

    Ich denke, meine Vergleichsquote liegt deutlich unter 75 %, wobei ich außergerichtlich nicht tätig werde.

  • ...

    Vielen Dank für die sicher nicht leicht gefallene Rückmeldung.;)

    ...

    Ich kann Dich beruhigen:
    Das "Sich trennen" von Einschätzungen, die durch neuere Erkenntnisse überholt sind, ist ständiger Teil richterlicher Tätigkeit, daher habe ich etwas Übung darin und es fällt nicht mehr so (!) schwer;)

    (Auch wenn manches Vorurteil natürlich hartnäckiger am Leben festhält als andere. Ein von mir sehr geschätzter Vorsitzender hat auf die Frage eines Verteidigers mal gesagt: "Vorurteile? Natrlich haben wir die, schließlich haben wir die Akten gelesen. Wir sind nur bereit, die zu überprüfen."
    Wenn man das hinbekommt, dann hat man einen wesentlichen Teil der Arbeitsethik eines sog. höheren Justizjuristen verinnerlicht. Gelingt natürlich nicht immer.)

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH


  • Ich kann Dich beruhigen:
    Das "Sich trennen" von Einschätzungen, die durch neuere Erkenntnisse überholt sind, ist ständiger Teil richterlicher Tätigkeit, daher habe ich etwas Übung darin und es fällt nicht mehr so (!) schwer;)

    (Auch wenn manches Vorurteil natürlich hartnäckiger am Leben festhält als andere. Ein von mir sehr geschätzter Vorsitzender hat auf die Frage eines Verteidigers mal gesagt: "Vorurteile? Natrlich haben wir die, schließlich haben wir die Akten gelesen. Wir sind nur bereit, die zu überprüfen."
    Wenn man das hinbekommt, dann hat man einen wesentlichen Teil der Arbeitsethik eines sog. höheren Justizjuristen verinnerlicht. Gelingt natürlich nicht immer.)

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

    Wenn das wirklich ein erheblicher Teil (nicht nur der höheren Justizjuristen) hinbekommen sollte, würde wahrscheinlich der Spruch vom Gericht und der hohen See schnell aus der Mode kommen...

    Irgendwie habe ich aber die Befürchtung, dass Du mit Deiner sehr offenen Einstellung und der Bereitschaft, Dich auf Diskussionen einzulassen, dann doch (zumindest in dieser Ausprägung) eine Ausnahme bildest.:daumenrau

  • Da muss ich doch noch etwas ausholen:

    Nach meiner Erfahrung ist unter Richtern (und Staatsanwälten), die an einem konkreten Problem arbeiten, die Lösung durch folgende Variablen determiniert:
    a) die zur Verfügung stehende Zeit zur Fallbearbeitung (trivial, aber mit zu wenig Zeit bekommt man halt manches nicht auf die Reihe)
    b) juristische Leistungsfähigkeit und Erfahrung (nicht alle sind gleich gut, aber mit einschlägiger Erfahrung wird man tatsählich besser)
    c) persönliche Einstellungen zu Gerechtigkeits-, Verhältnismäßigkeits- und Angemessenheitsfragen.
    (d): Die Frage der Erkenntnisfähigkeit, wie der Sachverhalt tatsächlich war, lasse ich mal ganz außen vor)

    Jeder hat sein ganz persönliches Koordinatennetz, geprägt durch Herkunft, Erziehung, Lebenserfahrung etc. wo er die Details solcher Fragen unter c einordnet. Während z.B. dem einen die Freiheit, sich in jeder Richtung zu betätigen eminent wichtig ist und er deswegen auch das Risiko des persönlichen Scheiterns bis zum Untergang in Kauf nimmt, ist dem anderen ein gewisses Netz zur Absicherung vor dem Untergang wichtig, dafür nimmt er gewisse Einschränkungen seiner Freiheit hin. Die Liste solcher Grenzziehungen zwischen den üblichen Wertenantonymen lässt sich fast beliebig fortsetzen.

    Da geht es um "Lebensüberzeugungen", die man mit viel argumentativem Aufwand zwar erkennen oder erkennbar machen, nicht aber überwinden kann. Sie sind integraler Bestandteil der jeweiligen Persönlichkeit sind. Im besten Fall kann man einsehen, dass der andere auch eine vernünftige und abgewogene Position hat, aber diese teilen? Das geht gegen die eigenen Grundüberzeugungen. Und je nachdem, wie dieses persönliche Koordinatennetz eingenordet ist, findet man dann Lösungen zu juristischen Problemen eher auf der einen oder anderen Seite, teils in Nuancen unterschiedlich, teils mit Abgründen dazwischen. Und weil man dieses Grundsatzproblem nicht ausschalten kann, wird es, solange Menschen als Juristen tätig sind, immer ein weites Feld für Beurteilungen geben. Daher wird auch die "Hohe See" vor Gericht m.E. auch unter sonst guten Bedingungen von a, b und d (die nicht immer vorliegen) nichts von ihrer ständigen Präsenz verlieren.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • hm, mla zynisch gewendet:

    die einen sind pünktlich auf dem Tennisplatz, die anderen irgendwann mal vor dem Scheidungsrichter :D

    herrschendes Recht ist das Recht der herrschenden
    Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern! (K.M.)
    Ich weiß, dass ich nicht weiß (Sokrates zugeschrieben); jeder der mein Wissen erfolgreich erweitert, verbreitert mein Haftungsrisiko (nicht sokrates, nur ich)
    legalize erdbeereis
    :daumenrau

  • Das wäre die Grundentscheidung zwischen dem Antonympaar Freizeit und Arbeitszeit, die es natürlich auch gibt :D


    Aber auch dazu gibt es eine Anekdote mit ernstem Hintergrund:
    In meinem Ausbildungslehrgang "Junge Richter 1" hat ein damaliger Referent uns gefragt, was wir uns als Ergebnis unserer Tätigkeit so vorstellen. Es kamen dann so hehre Werte wie Gerechtigkeit, gründliche Entscheidungen, schnelle Entscheidungen, interessensgerechte Abwägungen ... Der Referent schrieb das alles brav an die Tafel. Nach mehreren Minuten Brainstorming, nachdem die Zahl der ins Spiel gebrachten Begriffe zum Versiegen gekommen war, wandte er sich wieder zu uns um und sagte (ich verkürze jetzt etwas): Vergessen wir doch mal diese ganzen schönen Werte. Worum es doch eigentlich geht, ist, dass Sie selbst mit ihrem Beruf zufrieden sind (großes Gelächter und teils Unverständnis im Saal). Sie sind zufrieden, solange Sie sich in einem für sie erträglichen Gleichgewicht zwischen ihrer Arbeitszeit, ihren Arbeitsergebnissen und ihrer Freizeit befinden. Wo dieser Zufriedenheitspunkt liegt, ist bei jedem unterschiedlich, einer möchte bessere Arbeitsergebnisse und ist dafür bereit 60 Stunden pro Woche zu leisten, andere nehmen für mehr Freizeit Abstriche am Arbeitsergebnis in Kauf. Aber wo auch immer Ihr persönlicher Punkt liegt, wenn Sie dauerhaft darüber hinaus arbeiten, dann werden Sie unzufrieden mit dem Beruf und dann leiden die Arbeitsergebnisse alleine aus diesem Grund, denn mehr Geld als Kompensation gibt es nicht. Und da man als Richter immer alles auf mehrere Arten mit unterschiedlichem Arbeitsaufwand machen kann, bedeutet das für Sie: Probieren Sie sich aus, wie Sie am effektivsten sind. Wenn Sie den effektivsten Arbeitsmodus gefunden haben, gewinnen Sie Zeit für die Bearbeitung der Fälle und können so innerhalb Ihres persönlichen Arbeitszeitpensums bis zum Zufriedenheitspunkt bessere Arbeitsergebnisse produzieren und so Ihre eigene Zufriedenheit wieder steigern.

    Spätestens an diesem Punkt war jeder nachdenklich geworden.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Sehr kluge Worte, Zufriedenheit als Weg und Ziel. Oder mit den Worten Shakespeares (in: Kaufmann von Venedig): "He is well paid that is well satisfied." ("Wer wohl zufrieden ist, ist wohl bezahlt.").

    Bei der Umsetzung kommt leider oft etwas dazwischen. Aber wenn man sich gelegentlich Deine Anekdote in Erinnerung ruft, ist ein erster wichtiger Schritt gemacht.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Eine klasse Anekdote.
    Das Statement Deines Referenten im Richterkindergarten (das ist keinesfalls despektierlich gemeint) bringt auch mich mal wieder zum Nachdenken, in dem Bewußtsein, dass er Recht hat.
    Er bringt auf den Punkt, dass mensch fachlich nur so gut sein kann, wie seine allgemeine (nichtberufliche Lebens-) Grundlage stimmt. Klingt so ein wenig nach work-life-balance …

    Mein Blick wird doch wieder auf #107 gelenkt. Meine Anmerkung dazu war ja kurz und nicht ganz ernst gemeint...

    Soweit das Thema "Zeit" zur Fallbearbeitung angesprochen wird, meine ich, dass zwei Dinge von Belang sind: eine tatsächliche Überlastung im Pensum oder wenn diese nicht gegeben ist, eine Setzung dienstferner Präferenzen.
    Ich geh aber von einer generellen Überlastung von Richtern und Staatsanwälten aus (mal abgesehen von irgendwelchen Erbhöfen, die es mit Sicherheit auch noch gibt). Wie war nochmal der gag unter Strafrechtlern: bis ner Mio gibt's ein Jahr, darüber 153a...

    Die juristische Leistungsfähigkeit steigt mit Erfahrung, da gehe ich mit Dir konform, aber dies geht nur dann, wenn die Grundeinstellung stimmt - dazu noch sogleich -.
    Soweit Du die persönliche Einstellungen zu Gerechtigkeits-, Verhältnismäßigkeits- und Angemessenheitsfragen ansprichst, hat dies auch mit der Grundeinstellung zu tun.

    Die Grundeinstellung eines Richters sollte sich daran orientieren, Gerechtigkeit obwalten zu lassen. Gerechtigkeit als absoluter Wert ist allerdings „nur“ ein Zentralpunkt eines idealistischen Systems. Eine absolute Gerechtigkeit kann es nicht geben, gesetztes Recht ist von Menschenhand gemacht. Die gerechte Anwendung gesetzten Rechts ist nunmal richterliche Aufgabe (und i.Ü. ist dies Bestandteil des Diensteides nach § 38 DRiG). Ich persönlich habe Gerechtigkeit immer als einen Näherungswert verstanden, oder anders gewendet: eine Punktlandung gibt es selten. Das Streben hat aber zum Ideal hin zu erfolgen.
    Die Punktlandung ist aber weniger eine Frage der rechtlichen sondern der tatsächlichen Ebene des Falles.
    Und da kommen wir zum Thema der „Angemessenheit“: die Sinnsuche und die Suche nach der Gerechtigkeit wird zur Farce, wenn es in einem teilerledigten Rechtsstreit noch um 15 EUR geht (sofern nicht eine Frage rechtsgrundsätzlicher Art berührt ist).
    Höre ich aber von Fällen, in denen es Richter/innen es nicht so prickelnd finden, drei Zeugen im Strafprozess vernehmen müssen, weil sich die Anklage auf deren Aussagen stützt, bleibt bei mir nur: Studium i.O., aber dann Beruf in Bezug auf die Gemeinschaft der Rechtsunterworfenen verfehlt ! (GolflehrerIn, TennislehrerIn oder KinderbetreuerIn wäre wohl besser für den Rechtsstaat und die Gerechtigkeit).
    Nun mag ich ja leicht Reden haben, in meinem Pensum ist nun selten wirklich was zu entscheiden (aber wehe wenn !).
    Ab und an erfordert aber der Drang nach „richtigem Recht“ ein Zurückstellen dessen, was mensch im privaten vlt. lieber täte.
    Der Richterberuf gibt hierzu zum Glück ja die Möglichkeit, die Anwesenheitszeiten weitgehend frei zu gestalten. Subalternen leuz wie mir ist dies nicht gegeben, meine Ideale bleiben aber dennoch, die Systemkritik natürlich auch :D

    So mag sich ein jeder zwischen Anspruch und Wirklichkeit finden, wie er mag, aber das Ziel dessen, was das Amt erfordert, stets vor Augen haben.

    Glückauf

    herrschendes Recht ist das Recht der herrschenden
    Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern! (K.M.)
    Ich weiß, dass ich nicht weiß (Sokrates zugeschrieben); jeder der mein Wissen erfolgreich erweitert, verbreitert mein Haftungsrisiko (nicht sokrates, nur ich)
    legalize erdbeereis
    :daumenrau

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