fiktive Reisekosten der weitesten Entfernung im Gerichtsbezirk

  • Hallo zusammen,

    seit paar Tagen bereitet mir eine Akte Kopfzerbrechen.
    Folgender Fall:
    Rechtsanwalt meldet Reisekosten im KFA an von Ort X zum Prozessgericht. Ort X liegt außerhalb des Gerichtsbezirks; die Partei wohnt am Ort des Gerichts (dieselbe Gemeinde). Es erfolgte eine Beanstandung, dass Reisekosten eines Anwalts am dritten Ort nicht erstattungsfähig sind (höchstens fiktive Reisekosten, aber die gibt es ja in dem Fall nicht meines Erachtens). Dann kam der Rechtsanwalt mit der Entscheidung um die Ecke: "Die tatsächlichen Reisekosten eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen oder am Gerichtsort wohnhaften Rechtsanwalts sind bis zu der Höhe zu erstatten, die sich für einen im Bezirk des jeweiligen Prozessgerichts niedergelassenen oder wohnhaften Rechtsanwalt bei der weitesten Entfernung innerhalb des Bezirks errechnet (OLG Schleswig, Beschl. v. 24.7.2015 – 9 W 26/15)" und wollte nun zumindest die fiktiven Reisekosten von der weitesten Entfernung im Gerichtsbezirk aus haben. Habe die Reisekosten, dann ganz abgesetzt, da diese Auffassung m.E. nicht mit der BGH-Entscheidung vom 16.10.2002 (VII ZB 30/02) vereinbar ist.
    Daraufhin hat der Gegner Erinnerung eingelegt (Wert unter 200,00 €). Habe nicht abgeholfen und die Sache dem Abteilungsrichter vorgelegt. Dieser hat meinen KFB aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung an mich zurückverwiesen. (Rechtsmittel (hier: sof. Beschwerde) des Gegners gegen diesen Beschluss kann ich leider nicht erwarten, da dieser zuvor schon geäußert hat, dass er die Reisekosten aufgrund des Gebotes der freien Anwaltswahl für erstattungsfähig hält, auch wenn es echt mal interessant wäre, wie dann die höhere Instanz entscheiden würde).

    Nun stelle ich mir folgende Frage:
    1. Durfte der Richter die Sache überhaupt derart zurückverweisen? Auch wenn die Sache unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zurückverwiesen wurde, bin ich doch nicht verpflichtet, die Meinung des Richters auch in dem KFB zu teilen, den ich dann neu erlasse. Mir widerstrebt es unter einen KFB meinen Namen zu setzen, wenn ich diese Meinung absolut nicht teile.

    2. Ich frage mich, wo das dann endet. Wenn nach der Entscheidung des OLG Schleswig verfahren wird, kann demnächst jeder auswärtige Anwalt Reisekosten verlangen (also immer vom am weitesten im Bezirk entferntesten Ort bis zum Gericht). Das ist doch nicht tragbar... Wie ist eure Meinung dazu?
    Vielen Dank schon mal
    Pyrelli
    38

  • Ich verstehe nicht, warum der Richter die Sache zurückverwiesen hat. Aus meiner Sicht hätte er den Kfb abändern müssen. Er hätte Dich maximal wegen der Höhe der fikt. RK (am weitesten entfernten Ort) fragen und um eine entsprechende Mitteilung bitten können. Aber die Entscheidung hätte er treffen müssen.
    Am besten, Du sprichst mit dem Richter darüber - klappt bei mir in solchen Fällen gut.

  • Empfehlenswerter Lesestoff zum Thema:

    Zitat

    [FONT=&amp]RA Norbert Schneider – AGS 2015, 549 ff.[/FONT]

  • Unabhängig davon, ob der Richter zurückverweisen durfte (durfte er nicht) bist Du an diese Auffassung gebunden. Wenn Dir dies widerstrebt, dann formuliere doch: Die nach Auffassung des AG, Beschluss vom ... anzusetzenden fiktiven Reisekosten betragen ..." und rechne von da aus weiter.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Da wollte sich wohl jemand mit dem Disput OLG Celle ./. OLG Schleswig nicht befassen... :teufel:

  • 2. Ich frage mich, wo das dann endet. Wenn nach der Entscheidung des OLG Schleswig verfahren wird, kann demnächst jeder auswärtige Anwalt Reisekosten verlangen (also immer vom am weitesten im Bezirk entferntesten Ort bis zum Gericht). Das ist doch nicht tragbar...

    Wieso nicht?

    Unabhängig davon, ob der Richter zurückverweisen durfte (durfte er nicht) [...]

    §§ 572 Abs. 3, 573 Abs. 1 S. 3 ZPO?

  • 2. Ich frage mich, wo das dann endet. Wenn nach der Entscheidung des OLG Schleswig verfahren wird, kann demnächst jeder auswärtige Anwalt Reisekosten verlangen (also immer vom am weitesten im Bezirk entferntesten Ort bis zum Gericht). Das ist doch nicht tragbar...

    Wieso nicht?


    Zumindest ist es aus Sicht des Festsetzungsgegners nicht so recht nachvollziehbar, weshalb die Partei mit Sitz am Ort des Gerichtes (und dort vorhandenen Rechtsanwälten) sich einen RA irgendwo in Deutschland nehmen und einen Teil der Reisekosten der Gegenseite aufdrücken kann.

  • Nimms sportlich, das wird dir noch öfter passieren, dass deine Meinung nicht geteilt wird. Bist bei Zurückverweisung immer gebunden, egal wie falsch die sein möge. Mache dir da nicht zu viele Gedanken. Dass dein Name drunter steht, interessiert niemanden, die RAe wissen, dass du gebunden bist und die Parteien denken, der Unterzeichnende, also der UdG ist der Entscheider.

    (Hier halte ich die ZV für gut vertretbar, da Höhe der weitesten Entferung, SV-ermittlung/-feststellung ist und daher Rpfl.entscheidung. Selbst da kann man noch gut streiten, Bsp. kürzester Weg, verkehrsgünstigster Weg, weitester Ort oder Bezirksgrenze, weitester Ort, aber dort gibt es gar keinen RA ...)

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Unabhängig davon, ob der Richter zurückverweisen durfte (durfte er nicht) bist Du an diese Auffassung gebunden. Wenn Dir dies widerstrebt, dann formuliere doch: Die nach Auffassung des AG, Beschluss vom ... anzusetzenden fiktiven Reisekosten betragen ..." und rechne von da aus weiter.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

    Warum durfte er das nicht? M.E. ist hier § 11 Abs. 2 RPflG i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO einschlägig, wobei der Erinnerungsrichter ein Ermessen hinsichtlich der Übertragung hat und die Befugnis auch nicht nur auf Verfahrensfehler beschränkt ist (Zöller/Heßler § 572 ZPO Rn 23, 30). Auch der BGH und diverse Obergerichte haben in vergleichbaren Fällen bereits die Anordnung nach § 572 Abs. 3 ZPO übertragen (z.B. BGH NJW 2005, 3786; OLG Koblenz NJW-RR 2012, 447; OLG Düsseldorf JurBüro 2010, 427).

    2. Ich frage mich, wo das dann endet. Wenn nach der Entscheidung des OLG Schleswig verfahren wird, kann demnächst jeder auswärtige Anwalt Reisekosten verlangen (also immer vom am weitesten im Bezirk entferntesten Ort bis zum Gericht). Das ist doch nicht tragbar...

    Wieso nicht?


    Zumindest ist es aus Sicht des Festsetzungsgegners nicht so recht nachvollziehbar, weshalb die Partei mit Sitz am Ort des Gerichtes (und dort vorhandenen Rechtsanwälten) sich einen RA irgendwo in Deutschland nehmen und einen Teil der Reisekosten der Gegenseite aufdrücken kann.

    Unstreitig darf sich die Partei eines auf der Gerichtsbezirksgrenze ansässigen und damit im Bezirk ansässigen Rechtsanwalts bedienen, § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO. Dann wäre es aber widersprüchlich, bei einem bezirksauswärtigen Rechtsanwalt nun gar keine Reisekosten mehr zuzusprechen. Denn nach der Intention des Gesetzgebers sollte gerade keine Schlechterstellung bei Beiziehung eines auswärtigen Anwalts stattfinden.

    Gruß
    DD

    -Vanitas vanitatum et omnia vanitas -




  • Also ich lese den § 91 II 1 ZPO so, dass die Beauftragung eines nicht im Gerichtsbezirk ansässigen RA "zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig" gewesen sein muss.

    Rein vom Gesetzeswortlaut her dürften dem Mandanten aus Hamburg, der einen RA aus München für den Prozess in Hamburg beauftragt, gar keine Reisekosten seines RA erstattet werden (es sei denn Anwalt für ein sehr spezielles Rechtsgebiet und ggf. andere Ausnahmen). Die Partei hätte nämlich genauso einen RA aus dem Bezirk des AG Hamburg beauftragen können, um die zweckentsprechende Rechtsverfolgung sicherzustellen.

  • In diesem Fall wären ihm aber auch (i.d.R.) Reisekosten angefallen, die auch erstattungsfähig wären. Insoweit ist es nur konsequent, den Begriff der "Notwendigkeit" so auszulegen, dass Reisekosten, die dem bezirksansässigen Anwalt angefallen wären auch dem bezirksauswärtigen als "notwendig" anzuerkennen. Das stimmt auch mit dem Wortlaut von § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO überein, der von "insoweit" spricht.

    Andernfalls ergäben sich gerade bei zackigen Gerichtsbezirksgrenzen auch Wertungswidersprüche: So ist es denkbar, dass ein bezirksansässigen Anwalt weiter vom Gericht entfernt seinen Sitz hat als ein bezirksauswärtiger: Die Reisekosten des bezirksansässigen, weiter entfernten Anwalts wären voll erstattungsfähig, die des näher gelegen bezirksauswärtigen aber gar nicht. Das widerspricht aber dem Grundsatz, dass die Parteien aus dem Prozessrechtsverhältnis grds. zu einer Geringhaltung der Kosten verpflichtet sind.

    In diese Richtung argumentiert auch das OLG Köln MDR 2016, 184:

    "Das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 ZPO ist einschränkend auszulegen zur Verhinderung beliebiger und ungerechter Ergebnisse. Jede Partei ist infolge des zur Gegenpartei bestehenden Prozessrechtsverhältnisses stets gehalten, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Obsiegens vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten prozessualen Belange vereinbaren lässt (BGH MDR 2003, 1140; 2007, 1160; BAG NJW 2008, 1340). Dies ergibt sich letztlich aus dem Gebot von Treu und Glauben, § 242 BGB (Zöller/Herget, § 91 Rdn. 12).

    Wenn die Klägerin aber die Reisekosten sowie Tages- und Abwesenheitsgelder gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 ZPO in voller Höhe erstattet verlangen könnte, falls sie etwa einen Rechtsanwalt in Reichshof mandatiert hätte, das zum Gerichtsbezirk des Landgerichts Bonn gehört und von dort aus 80 km (einfache Strecke) entfernt liegt, nicht aber die wesentlich geringeren bei Beauftragung eines im Bereich des Landgerichts Köln ansässigen (einfache Strecke 32 km), dann führt dies zu einem unvertretbaren Ergebnis und zu einer Ungleichbehandlung dann, wenn sich eine Partei entsprechend des Gebotes zur Kostengeringhaltung verhält. Noch eklatanter wäre der Unterschied in Bezug auf die Kosten, wenn die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits einen Rechtsanwalt in X, das zum Bezirk des Landgerichts Köln gehört, mandatiert hätte, das unmittelbar an den Cer Zuständigkeitsbereich angrenzt (einfache Strecke 15 km)."

    Gruß
    DD

    -Vanitas vanitatum et omnia vanitas -



  • In diese Richtung argumentiert auch das OLG Köln MDR 2016, 184:


    :2danke für die Rechtsprechungsergänzung. Vielleicht auch noch als kleiner Hinweis, weil oftmals in der Diskussion auf die Entscheidung des BGH (MDR 2004, 838) zum RA am sog. "dritten Ort" verwiesen wird: Der hatte noch zur "alten" Rechtslage am 11.03.2004 entschieden. Die Streichung des früheren § 91 II S. 2 ZPO erfolgte erst rd. 2 Monate später durch das KostRModG vom 05.05.2004. Auch in seiner späteren Entscheidung (MDR 2011, 1321) konnte der BGH diese Frage offenlassen.

    » Die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung. «
    L E O N A R D O | D A | V I N C I

  • In diese Richtung argumentiert auch das OLG Köln MDR 2016, 184:


    :2danke für die Rechtsprechungsergänzung.

    :dito:

  • 2. Ich frage mich, wo das dann endet. Wenn nach der Entscheidung des OLG Schleswig verfahren wird, kann demnächst jeder auswärtige Anwalt Reisekosten verlangen (also immer vom am weitesten im Bezirk entferntesten Ort bis zum Gericht). Das ist doch nicht tragbar...

    Wieso nicht?

    Unabhängig davon, ob der Richter zurückverweisen durfte (durfte er nicht) [...]

    §§ 572 Abs. 3, 573 Abs. 1 S. 3 ZPO?


    Danke, wieder was gelernt. :D Also hat der Richter doch die Entscheidung getroffen und der RPfl muss sie ausführen.
    Was die fikt. RK bis zur Bezirksgrenze angeht, halte ich mich an die Rechtsprechung meines OLG (Ffm), das mit der des OLG Celle konform geht. Interessant dabei ist, dass sich die Richter an meinem Gericht (LG Ffm) sehr uneins sind. Noch dominiert die Auffassung des OLG Celle, aber es gibt immer mehr Entscheidungen, die die fikt. RK geben.

  • Das habe ich auch schon gedacht. Wenn man sich die Aufzählung in der Begründung des OLG Köln ansieht, dann sind die OLG Celle/Frankfurt die einsamen Rufer in der Wüste. Gleichwohl will ich die Ansicht der Gegenseite weiterhin nicht verstehen. :teufel: Wenn doch bloß mal der BGH zum Zuge käme - aber auch da befürchte ich inzwischen das Schlimmste. :roll:

  • Aha, unsere Erfahrungen decken sich. :teufel: Aber im eigenen Zimmer sind wir ja der BGH... :D

  • 2. Ich frage mich, wo das dann endet. Wenn nach der Entscheidung des OLG Schleswig verfahren wird, kann demnächst jeder auswärtige Anwalt Reisekosten verlangen (also immer vom am weitesten im Bezirk entferntesten Ort bis zum Gericht). Das ist doch nicht tragbar...

    Wieso nicht?

    Unabhängig davon, ob der Richter zurückverweisen durfte (durfte er nicht) [...]

    §§ 572 Abs. 3, 573 Abs. 1 S. 3 ZPO?


    Wenn die Sache entscheidungsreif ist, dann ist eine Zurückverweisung m.E. fehlerhaft. Hier war sie entscheidungsreif, oder? Die weiteste Entfernung im Bezirk lässt sich mittlerweile sogar in einschlägiger Literatur nachlesen.

    Natürlich gibt es immer dauernd obergerichtliche Entscheidungen, die aufheben und zurückverweisen. Das ist auch völlig Ok, wenn
    -) eine einzelne Rechtsfrage falsch beantwortet wurde und deswegen andere Rechtsfragen noch nicht geprüft wurden, insbesondere der dafür erforderliche Sachverhalt nicht erhoben wurde, oder
    -) dem Instanzgericht ein bestimmter Ermessensgebrauch zusteht, der durch das Obergericht nicht überspielt, sondern nur auf Einhaltung äußerer Grenzen kontrolliert werden darf.
    Aber wenn es reines Rechenwerk ist und nur die Anwendung dieses Rechenwerks von einer Rechtsfrage abhängig ist, dann ist m.E. unter dem Gesichtspunkt der Gesamteffizienz der Justiz kein Platz für eine Rückverweisung. Auch der BGH entscheidet in solchen Fällen regelmäßig durch, siehe § 563 Abs. 3 ZPO für den Parallelfall der Revision.


    Sollte die Sache allerdings nicht entscheidungsreif gewesen sein, ich also den Sachvehalt missverstanden haben, dann wäre meine Anmerkung falsch gewesen und eine Rückverweisung möglich.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Unter Hinweis auf #18 vielleicht deshalb, weil die Partei im vorliegenden Fall am Gerichtsort wohnhaft ist, die zitierte Rechtsprechung des OLG Schleswig den Fall einer Partei, die im Bezirk des Gerichts wohnte, zu entscheiden hatte. Ob darin - theoretisch - ein Unterschied vorliegen mag :teufel:, der dem Rechtspfleger die Möglichkeit einräumt neu zu entscheiden :teufel:?

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