Mehrfache "Eingemeindung" von Kirchengemeinden - Wie prüfen?

  • Habe folgenden Fall auf dem Tisch:

    Eingetragen ist in Abt. I die "evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde X".

    Durch das entsprechende Landeskirchenamt wird nun die Änderung Eigentümerbezeichnung in "Evangelische Kirchengemeinde X (Kirchenvermögen)" beantragt.
    Hierzu wird ausgeführt, dass als Zwischenschritt die Eingemeindung der ursprünglichen Kirchengemeinde in die "lutherische Kirchengemeinde X" vor über 90 Jahren durch Kirchenvorstandsbeschluss erfolgt sei. Eingereicht wurde hierzu beglaubigte Abschriften von unleserlichen handschriftlichen Notizen aus dem Jahr 1919. Es soll sich hierbei wohl um den besagten Vorstandsbeschluss handeln.

    Des Weiteren liegt mir ein Vermerk des Kirchenarchivars vor, der mitteilt, dass das "Presbyterium der evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde X" 1919 den folgenden Beschluss gefasst habe: "Die evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde X wird an einem von dem Ev. Konsistorium X zu bestimmenden Zeitpunkt in die lutherische Kirchengemeinde X eingemeindet, sie hört damit zu bestehen auf, und ihre Mitglieder werden Glieder der lutherischen Kirchengemeinde X." Es handelt sich wohl um eine Druckschrift des Kirchenvorstandsbeschlusses von 1919.

    Schließlich teilt der Archivar mit, dass die "Sachakten" zu den Vorgängen vermutlich im Zweiten Weltkrieg verbrannt seien.

    Zu der zweiten Rechtsnachfolge (bzw. ggf. der Namensänderung) wurden keine Unterlagen eingereicht.

    Mir geht es nun darum, wie ich mit diesem Antrag umgehen soll. Eigentlich müsste man m.E. sich in das damalige Kirchenrecht einarbeiten, um zu prüfen, wie eine seinerzeit Eingemeindung rechtswirksam vonstatten ging. Dies wird jedoch mangels Unterlagen und mangels Kenntnis vom Kirchenrecht nur schwerlich möglich sein. Des Weiteren besteht wohl auch das Problem, dass notwendige Unterlagen im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen sind, sodass ein urkundlicher Nachweis wohl gar nicht mehr geführt werden kann.


    Könnte und müsste man in einem derart verworrenen Fall einen Gutachter einschalten?

  • Wie Oberkirchenrat Dr. Rainer Mainusch in der NJW 1999, 2148 ff ausführt, können die Kirchen aufgrund des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bei Veränderungen im Bestand kirchlicher Körperschaften auch mit dinglicher Wirkung nach außen den Übergang des Eigentums an Grundstücken anordnen, wenn sie in der entsprechenden Anordnung den Zeitpunkt des Inkrafttretens genau bestimmen, die Grundstücke mit Grundbuch- und Katasterbezeichnung genau nennen und die Anordnung im Kirchlichen Amtsblatt veröffentlichen. Mainusch führt fort: „Sie können daher wählen, ob sie den Eigentumsübergang im Rahmen eines Kirchengesetzes oder eines Verwaltungsaktes regeln, der auf einer kirchengesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruht“

    Allerdings besteht das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen erst seit dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung vom 11.08.1919 (RGBl. I S. 1383).

    Vorher kann es keinen Eigentumsübergang am Grundvermögen ohne Einigung und Eintragung (§§ 873, 925 BGB) gegeben haben (s. dazu auch die vorgenannte Abhandlung). Und wenn die im GB eingetragene „Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde X“ ihr Eigentum außerhalb des Grundbuchs verloren haben soll, müsste sich aus dem vorzulegenden Unrichtigkeitsnachweis ergeben, welches Gesetz und welche Veröffentlichung im kirchlichen Amtsblatt zu welchem Zeitpunkt den Eigentumsübergang bewirkt haben soll.

    Ergo: Es ist der Unrichtigkeitsnachweis nach §§ 22, 29 GBO zu erbringen, an den strenge Anforderungen zu stellen sind (s. Holzer im Beck'schen Online-Kommentar GBO, Hrsg. Hügel, Stand: 01.02.2016, § 22 RN 59 mwN). Die Vorlage dieses Nachweises obliegt dem Antragsteller (Hügel/Holzer, RN 58). Die amtswegige Einholung eines Gutachtens scheidet damit mE aus.

    Ich weiß auch nicht, wo sich Dein Vorgang genau abspielt. In Hamburg gibt es z. B. noch zahlreiche Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinden (s. die Anlage „Verzeichnis der Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen des öffentlichen Rechts in Hamburg“ zur Verordnung über die Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen des öffentlichen Rechts in Hamburg vom 21. Januar 2003 (HmbGVBl. S. 5) betreffend die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche)).
    http://www.kirchenrecht-nordkirche.de/document/24165

    Eine Übersicht über die Online-Nachschlagewerke für Kirchenrecht der evangelischen Landeskirchen in Deutschland findet sich hier: http://www.dnoti.de/medien/4dc54a7…irchenrecht.pdf

    Lieber einen Frosch küssen als eine Kröte schlucken :)

  • Ich sehe das ein bisschen anders als Herr Mainusch.

    Solange die Kirchengemeinden miteinander verschmelzen, ist alles unproblematisch. Eigentümer ist die jeweils neue (größere) Gemeinde.

    Bei der Spaltung einer Kirchengemeinde kann die Kirche zwar neue Kirchengemeinden entstehen lassen, das fällt unter das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen. Unter das Selbstverwaltungsrecht fällt aber nicht mehr der dingliche Rechtsübergang an z. B. Grundstücken, dieser bemisst sich vielmehr nach staatlichem Recht.

    Das heißt: Wenn eine Kirchengemeinde in zwei aufgespalten wird, dann gehört der Grundbesitz zunächst einer nicht näher definierten Gemeinschaft, die aus den beiden neuen Kirchengemeinden besteht. Soll eine der beiden das Eigentum allein erhalten, so sind hierzu eine Auflassungserklärung und die Eintragung im Grundbuch notwendig.

    (BayObLG Rpfleger 1994, 410; KG KGJ 41 A 208; OLG Düsseldorf NJW 1954, 1767; OLG Oldenburg DNotZ 1972, 472; OLG Hamm NJW 1980, 843 Ls. = Rpfleger 1980, 148; BVerfG NJW 1983, 2571; Demharter § 20 GBO Rn. 9; MünchKomm/Kanzleiter § 925 BGB Rn. 13; Hügel/Hügel § 20 Rn. 16).

    Man muss also genau aufpassen, was geschehen ist. Das Kirchenrecht ist dabei vom Grundbuchamt selbst zu prüfen. Die entsprechende kirchlichen Verwaltungsvorgänge muss hingegen die Kirche belegen.

    Juppheidi, juppheida, Erbsen sind zum Zählen da ...

  • Grün führt im Beck'schen Online-Kommentar BGB, Hrsg. Bamberger/Roth, Stand: 01.11.2015, § 925 RN 8 aus: „Streitig ist, ob der Eigentumsübergang von Kirchengrundstücken im Wege der Vermögensauseinandersetzung bei Veränderungen im Bestand kirchlicher Körperschaften (Neuerrichtung, Aufhebung, Zusammenlegung, Aufteilung) der Auflassung bedarf (so OLG Oldenburg DNotZ 1972, 492; OLG Hamm OLGZ 16 (1980), 170; Erman/Lorenz Rn. 6; MüKoBGB/Kanzleiter Rn. 13) oder ob er durch oder auf Grund eines Kirchengesetzes erfolgen kann (so OLG Hamburg NJW 1983, 2572; Mainusch NJW 1999, 2148 mwN)…“

    s. zu dieser Frage auch Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Auflage 2012, RN 3295a.

    Vorliegend wird es aber schon darauf ankommen, ob zu dem maßgebenden Zeitpunkt die Weimarer Verfassung bereits galt oder nicht.

    Lieber einen Frosch küssen als eine Kröte schlucken :)

  • Ich würde das ähnlich behandeln wie bei der firmenrechtlichen Abspaltung (vgl. KG Berlin, 1 W 213-214/14): sind die betroffenen Grundstücke im Kirchengesetz hinreichend genau bezeichnet gem. § 28 GBO und zugeordnet, gehen sie (außerhalb des Grundbuches) auf die jeweilige Kirchengemeinde über. Fehlt eine genaue Bezeichnung oder ist die Zuordnung unklar, können sich die beteiligten Kirchengemeinden nur im Wege der Auflassung gem. § 925 BGB über das Eigentum einigen.

    Niemand ist unersetzbar. Die Friedhöfe liegen voll von Leuten, die sich für unersetzbar hielten (H.-J. Watzke). :cool:

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