Bindungswirkung Berliner Testament

  • Folgendes Problem:
    Ehegatten setzen sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben ein. Schlusserben nach dem Tod des Längstlebenden sollen die vier gemeinsamen Kinder sein. Nach dem Tod des Ehemannes testiert die Witwe erneut und setzt als Ihren alleinigen Erben nur eines der Kinder ein.
    Beide Testamente sind formell wirksam errichtet.
    Ist das zweite Testament materiell wirksam? Auf welche Verfügungen muss bei der Prüfung der Wechselbezüglichkeit abgestellt werden?
    Für meine Begriffe ist die Kommentierung, die mir zur Verfügung steht, äußerst widersprüchlich (JurisPK, Erman BGB) und mit den Kollegen besteht ebenfalls keine Einigkeit.

    Vielen Dank schonmal im Voraus :P

  • Der maßgebliche Anknüpfungspunkt dürfte folgender sein:

    Ist die Verfügung der Ehefrau in der sie alle 4 Kinder einsetzt wechselbezüglich zu der Verfügung des Ehemannes mit der er die Ehefrau eingesetzt hat.
    Denn dann wäre ihr Widerrufsrecht nach §2271 II BGB erloschen gewesen und die neue Verfügung wäre unwirksam.

    Zunächst ist die VvTw. natürlich individuell auszulegen um Festzustellen, ob eine Wechselbezüglichkeit der Verfügung gewollt war.
    Wenn die Auslegung kein zweifelsfreies Ergebnis bringt, könnte auf §2270 II BGB zurückgegriffen werden.

  • Wenn man -was die Regel ist- nichts feststellen kann, dann lag Wechselbezüglichkeit vor und das einseitige Testament ist das Papier nicht wert, worauf es geschrieben wurde.

  • Und weil zum Beispiel im Erman Kommentar zum 2270 bei der Rn 5 steht:
    Bei gegenseitiger Erbeinsetzung und Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder ist nicht ohne Weiteres anzunehmen, dass der einzelne Ehegatte die Kinder nur deshalb bedenkt, weil dies auch der andere tut (BayObLG FamRZ 1985, 1287; Weidlich ZEV 2015, 480).
    Und im JurisPK bei der Rn 34 zum 2270 bgb folgendes: Weitere Fallgruppen fehlender Wechselbezüglichkeit zeichnen sich dadurch aus, dass die Ehegatten schlicht die gesetzlichen Erben zu Schlusserben einsetzten. Ebenso im JurisPK bei der Rn 28.1 zum 2270 steht das:
    In einer aktuellen Entscheidung hat das KG Berlin bestätigt, dass bei Vorhandensein gemeinsamer Kinder jeder Ehegatte, der den jeweils Überlebenden zum Alleinerben einsetzt, die Enterbung der gemeinsamen Kinder beim Ersterbfall nur deswegen in Kauf nimmt, weil die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben eingesetzt werden; vor diesem Hintergrund sei regelmäßig von einem Wechselbezug zwischen der Erbeinsetzung des Überlebenden durch den Erstversterbenden und der Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder durch den Überlebenden auszugehen (KG Berlin v. 24.05.2017 - 6 W 100/16 - juris Rn. 27 - ErbR 2017, 512-217).
    Ich könnte jetzt noch weiter Fundstellen zitieren, aber das bringt mich auch nicht weiter... Ich hoffe ihr könnt mir noch bisschen weiterhelfen... :)

  • Mich hatte die Äußerung irritiert, dass "unter den Kollegen" keine Einigkeit über die Behandlung des Falles bestünde, und das kam mir doch recht eigenartig vor.

    In der Sache treffen die beiden erstgenannten Zitate nicht den vorliegenden Fall. Und das, was das Kammergericht entschieden hat, ist eigentlich eine profane Erkenntnis, die sich auch in der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB wiederspiegelt. Der eine Ehegatte setzt den andeen Ehegatten deswegen zu seinem Erben ein (und umgekehrt), weil er weiß, dass der Überlebende die gemeinsamen Kinder bedenkt. Damit ist die Erbeinsetzung zugunsten des überlebenden Ehegatten wechselbezüglich im Verhältnis zu dessen Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Kinder. Das ist der besagte "klassische" Fall.

    Richtig ist aber, dass man beim Lesen von Kommentierungen vorsichtig sein muss. Auf diesbezügliche Ungenauigkeiten, die sich bei näherer Betrachtung als grobe Unrichtigkeiten erweisen, sind hier im Forum in Fragen der Wechselbezüglichkeit auch schon andere User hereingefallen.

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