Was bedeutet "lies" ganz genau?

  • Also Leute, tom hat Recht!

    Dank eines netten Kollegen habe ich nun einen Aufsatz des Notarassessors Dr. Peter Gantzer, München mit der Überschrift "Zur Bedeutung des Ausdruckes "lies" in Händen, MittBayNot 1971 Heft 5.

    Darin wird erläutert, dass "lies" keine Abkürzung für die lateinische Erklärung "lapsus in expression scribentis" ist, sondern die Befehlsform des Verbes "lesen" darstellt. Das falsch geschrieben Wort wird dabei eingeklammert und dahinter "lies" geschrieben, um dann mit den richtigen Worten fortzufahren.

  • Ich vermute, dass sich die Ansicht Gantzer´s in der MittBayNot 1971, 300, wonach der Ausdruck „lies" keine Abkürzung für die lateinische Erklärung „lapsus in expressione scribentis" sei, sondern die Befehlsform des Wortes lesen darstelle, auf die Vorschrift des § 113 Abs 2 der Geschäftsordnung für die Notariate in Bayern vom 24.11.1899 gründet. Dort war lt. Hertel im Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, Beurkundungsgesetz, Teil V, Änderungen während der Beurkundungsverhandlung, RN 379, bestimmt, dass Streichungen dadurch erfolgen können, dass der zu streichende Text eingeklammert und an den Anfang der Vermerk „lies“ gesetzt wird. Der anstelle des in „lies“ gesetzten Textes zu lesende Text findet sich dann zumeist am Ende der Urkunde mit der Angabe, dass die näher benannte Textstelle anstelle des gestrichenen Textes wie folgt zu lesen sei.

    Eine solche Bestimmung gab es jedoch in anderen Bundesländern nicht. Wenn z. B. in Baden gleichwohl die Abkürzung „lies“ verwendet wird, dann offenbar im Sinne von „lapsus in expressione scribentis“, also im Sinne eines Schreibversehens.

    Nach wie vor wäre ich aber für eine kurze Darstellung der Begründung der Ansicht Gantzer´s dankbar.

    Lieber einen Frosch küssen als eine Kröte schlucken :)

  • Zitat

    lapsus in expressione scribentis“

    "Ein Versehen im Ausdruck des Scheibenden"? Für "Schreibversehen" schon reichlich hölzern. Eher der Versuch, von "ls" (lapsus scribentis) ausgehend, irgendwie auf "Lies" zu kommen. Ob schnelle schnecke noch mitliest? PN?

  • So, nach nochmaligem Nachlesen ist - ausserhalb von Bayern - "lies" schon deshalb keine Abkürzung, weil das Rheinische Recht (und insbesondere Art. 13 Abs. 1 des Ventôse-Gesetzes - Loi du 25 ventôse an XI contenant organisation du notariat -; dieses Gesetz ist die Kodifizierung, auf der das lateinische Notariat in Westeuropa beruht) die Verwendung von Abkürzungen ausdrücklich verbietet:

    "Les actes de notaires seront écrits en un seul et même contexte, lisiblement, sans abréviation, blanc, lacune ni intervalle; (...)"

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Und warum wird dann ls verwendet?

    Offiziell wurde nur "Lies" verwendet.

    § 113 Abs 2 der Geschäftsordnung für die Notariate in Bayern vom 24.11.1899

    Die Herkunft des „lapsus in expressione scribentis“ ist damit immer noch ungeklärt. Nur dass Gantzer "expressione" in seinem Aufsatz offenbar falsch geschrieben hat. :)

  • ... Nur dass Gantzer "expressione" in seinem Aufsatz offenbar falsch geschrieben hat. :)

    Nach der Darstellung bei Staudinger/Hertel
    http://www.juris.de/jportal/portal…true#focuspoint
    und in der Fußnote 30 der Kommentierung von Keidel/Kuntze/Winkler (1986), „Freiwillige Gerichtsbarkeit, Handausgabe des Beurkundungsgesetzes mit Erläuterungen, § 8 BeurkG auf Seite 115 hat Gantzer den Begriff: „lapsus in expressione scribentis" richtig wieder gegeben.

    Die Frage der Threadstarterin bezog sich auf im Übrigen die Abkürzungen lies und ls (Zitat: „Was bedeutet die Abkürzung "lies" bzw. "ls" ganz genau? Es soll eine lateinische Abkürzung sein?!“)

    Und wenn diese Abkürzungen trotz des auch im GB-verfahren geltenden Abkürzungsverbots (§ 21 GBV) verwendet werden, dann bedeutet das, dass es sich um allgemein gebräuchliche Abkürzungen handelt, deren Verwendung dem Gebot des § 21 GBV nicht entgegensteht (s. Eickmann in Keller/Munzig, Grundbuchrecht – Kommentar, 7. Auflage 2015, § 21 GBV RN 2).

    Und das ist bei ls in gleicher Weise der Fall wie bei lies.

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  • Eben, im Staudinger schreiben sie "expressione" richtig. Und das Abkürzungsverbot gilt nach Keller/Munzig nur bei "gewissen allgemein gebräuchlichen und verständlichen Abkürzungen nicht". Trifft auf "lies" ja nicht unbedingt zu, oder?

  • Sieht so aus, als hättest Du die Abhandlung von Gantzer aus der MittBayNot 1970, 300 mit der (angeblich) falschen Schreibeweise des "expressione" vor Dir liegen. Dann könntest Du ja mal kurz seine Begründung zusammenfassen.

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  • Den Aufsatz habe ich jetzt. Er enthält zahlreiche Fundstellen für die Verwendung als deutscher Imperativ. Die Herkunft des lateinischen Ausdrucks wird dagegen nicht erklärt. Immerhin wird bei der ersten Erwähnung "expressio" noch brav in dem Ablativ gesetzt. Die zweite mit dem "n" am Ende ist dann offenbar ein lapsus scribentis. Auch im Netz läßt sich zum lateinischen Ausdruck nichts finden. Zur Verwendung als Imperativ schon.

  • Wenn ihr eine Urkunde von tom habt, ist die Frage doch eigentlich geklärt, oder?


    Nur weil ich "lies:" schreibe weiß man ja noch nicht, was das ursprünglich einmal heißen sollte.

    Seitdem man Änderungen einfach während der Beurkundung in den Computer diktieren, neu ausdrucken und neu vorlesen kann und sogar Grundschuldformulare aus dem Rechner kommen, wird "lies" auch immer weniger verwendet. Eigentlich nur noch bei "exotischen" Formularen, die wirklich noch per Schreibmaschine ausgefüllt werden, oder auf Außenterminen (letztere sind auch das Rückzugsbiotop des "Zusatzes" handgeschrieben auf einem weißen Blatt und "Zusatz mit vorgelesen, genehmigt und unterschrieben" + Unterschrift, weil den Beteiligten plötzlich noch eine kleine Nebensächlichkeit, wie der weitere Erbe aus erster Ehe des Erblassers oder die Grundstücke in der Nachbargemarkung, eingefallen sind).

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  • [quote='jörg','RE: Was bedeutet "lies" ganz genau? nur noch bei "exotischen" Formularen, die wirklich noch per Schreibmaschine ausgefüllt werden, oder auf Außenterminen (letztere sind auch das Rückzugsbiotop des "Zusatzes" handgeschrieben auf einem weißen Blatt und "Zusatz mit vorgelesen, genehmigt und unterschrieben" + Unterschrift, weil den Beteiligten plötzlich noch eine kleine Nebensächlichkeit, wie der weitere Erbe aus erster Ehe des Erblassers oder die Grundstücke in der Nachbargemarkung, eingefallen sind).

    Die das Gericht so aber auch nie zu Gesicht bekommt, da die Ausfertigung natürlich schön sauber im PC erstellt wurde. :D

    Ich bin Weinkenner. Wenn ich Wein trinke, merke ich sofort: aah, Wein. (Han Twerker)

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