BerH - Rechtspfleger bürgernah oder "Sparfuchs" des Staates?

  • Hallo,

    ich beschäftige mich momentan mit dem Thema Beratungshilfe und ob der Rechtspfleger eher bürgernah orientiert ist (fast jedem einem Berechtigungsschein erteilt) oder doch kritisch gegenüber den Rechtssuchenden agiert (kaum Beratungshilfescheine erteilt). Meine Dozentin meinte, dass es hierzu wohl "einige" Aufsätze gebe, die diese Problematik behandeln würden. Leider finde ich aber nirgends etwas hierzu. :confused: Vielleicht hat hier jemand diese Aufsätze gelesen und könnte mir Fundstellen nennen?

    Vielen Dank bereits im Voraus!:)

  • Am umfangreichsten und hilfreichsten sind m. E. die Aufsätze von Lissner zur Beratungshilfe. Er hat auch ein sehr umfangreiches Buch dazu mit Mitautoren, dort findet man zu vielen Konstellationen Rechtsprechung oder Denkanstöße.
    Beratungshilfe hat übrigens nichts in meinen Augen mit bürgernah oder Sparfuchs zu tun. Es gibt gesetzliche Voraussetzungen, die für die Bewilligung vorliegen müssen. Nur ein geringes Einkommen reicht nicht aus, im Übrigen auch nicht bei der Prozesskostenhilfe.

  • Aufsätze, die sich (genau) mit dem Thema beschäftigen wirst du nicht finden, da es diese nicht gibt.

    Wenn man alle Bewilligungsvoraussetzungen prüft, kommt man unweigerlich dazu, dass man nicht allen Anträgen stattgegeben kann genauso wie man nicht jeden Antrag zurückweisen kann.

    Sicherlich gibt es Literatur und Rechtsprechung die großzügiger ist und welche die strenger ist. Zu letzteren gehört Herr Lissner. Bei entsprechender Recherche sollten sich die Aufsätze finden lassen. Die meisten dürften im Rechtspfleger veröffentlicht sein.

    Nur am Rande: Man ist immer gut beraten, wenn man Paragraph 1 BerHG seriös subsumiert und sich nicht von fiskalischen Erwägungen leiten lässt.

    "Der Staat ist vom kühlen, aber zuverlässigen Wächter zur Amme geworden. Dafür erdrückt er die Gesellschaft mit seiner zärtlichen Zuwendung."

  • Auch nur am Rande: Was Du hier an Themen findest, ist nicht repräsentativ, da hier nur Sachverhalte erscheinen, die aus Sicht des Fragenstellers eben nicht unproblematisch einer Bewilligung oder Ablehnung zugänglich sind.

    In dem in #1 genannten Kontext könnte vielleicht auch ein Vergleich zu den Sonderfällen in § 12 Abs. 1, 2 BerHG vorgenommen werden.

  • Hallo,
    ich beschäftige mich momentan mit dem Thema Beratungshilfe und ob der Rechtspfleger eher bürgernah orientiert ist (fast jedem einem Berechtigungsschein erteilt) oder doch kritisch gegenüber den Rechtssuchenden agiert (kaum Beratungshilfescheine erteilt).


    Optimalerweise ist der Bürger dem Rechtpfleger ein wenig wurscht, schon weil sich sonst schnell die Frage nach Befangenheit stellen würde. "Bürgerfreundlich" ist ohnehin eine etwas grenzwertige Kategorie - manchmal müsste man vielleicht eher zum Gegner des Antragstellers freundlich sein und manchmal ist der Antragsteller gar ein ausgemachter Unhold.

  • Eben und da liegt einer der Unterschiede zwischen der (über den Parteien schwebenden) Gerichtsbarkeit und den Behörden der Exekutive.
    Der im Eingangsstatement beschriebene Eindruck gründet vermutlich darauf, dass es im Beratungshilfegesetzim Vergleich zu anderen Rechtsgebieten recht unbestimmte Rechtsbegriffe gibt. Was ist eine Angelegenheit? Ist die Verfolgung eines verjährten Anspruches Mutwilligkeit?...

  • Wie bereits von den Vorpostern angemerkt, versucht man als Rechtspfleger in der Regel, sich an das Gesetz zu halten. Ob viel bewilligt wird oder nicht, liegt an den jeweils vorgebrachten Sachverhalten und den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers und nicht in der Einstellung des Rechtspflegers.
    So kommt es vor, dass man manchmal in einer ganzen Woche so viel BerH erteilt wie sonst an einem Tag.

    Wenn du Fallbeispiele suchst, in denen die Erteilung streitig war, dann suche dir bei Juris die BVerfG-Entscheidungen raus, die zeigen einen ganz guten Querschnitt.

  • Bürgerfreundlichkeit ist dem Beratungshilfegesetz fremd. Somit ist das auch kein Maßstab dafür, ob Beratungshilfe bewilligt werden kann oder nicht.
    Genauso sind fiskalische Aspekte dem Beratungshilfegesetz fremd. Auch diese sind somit kein Maßstab für die Bewilligung von Beratungshilfe.

    Bei der Formulierung von Zurückweisungsbeschlüssen kann man aber durchaus auf Bürgerfreundlichkeit achten. Im Endeffekt beantragen die Leute ja Beratungshilfe, weil sie Hilfe brauchen.
    Das Kriterium der Mutwilligkeit ist außerdem Ausfluss des staatlichen Interesses kein Geld zu verschwenden.

    "Auf hoher See und vor Gericht UND IN DER KLAUSUR ist man in Gottes Hand."
    Zitat Josef Dörndorfer

  • Ich denke aber, dass das Kriterium "Mutwilligkeit" oder auch die Frage, welche Eigenbemühungen dem Bürger möglich und / oder zumutbar sind, Tore dafür sind, dass der Rechtspfleger eigene Wertvorstellungen und Ansichten in seine Entscheidung einfließen lassen kann.

    Wie kontrovers man darüber diskutieren kann, ob eine bestimmte Handlungsweise mutwillig ist, sieht man an den vielen Fällen, die hier diskutiert werden. Gleiches gilt für die Notwendigkeit von Eigenbemühungen.

    Früher hätte man gesagt, dass das Forum eine selektive Wahrnehmung fördert; neudeutsch würde ich von der berühmten Blase reden. Die eindeutigen Fälle, in denen Beratungshilfe gewährt oder abgelehnt wird, sehen wir hier nicht.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Natürlich muss man bei der Prüfung der Mutwilligkeit selbst eine Wertung des Sachverhalts vornehmen. Messen lassen muss sich der Rechtsuchende dann aber an einem "vernünftigen Selbstzahler". Für mich als Rechtspfleger sollte somit dieser "vernünftige Selbstzahler" der alleinige Maßstab sein. Dass jeder wohl eine andere Vorstellung hat wie sich dieser "vernünftige Selbstzahler" verhalten würde, liegt in der Natur der Sache.

    Eine Motivation besonders bürgerfreundlich oder besonders geldsparend für den Staat zu bewilligen sollte eigentlich nicht gegeben sein und hat auch mit dem Gesetz nichts zu tun.

    "Auf hoher See und vor Gericht UND IN DER KLAUSUR ist man in Gottes Hand."
    Zitat Josef Dörndorfer

  • Solltest du übrigens vorhaben, die im Titel stehende Fragestellung unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten (Diplomarbeit?) zu untersuchen, so rate ich dir dringend von diesem Vorhaben ab, zumindest unter dieser Fragestellung.

    Bürgernähe hat nämlich keineswegs etwas mit der Zahl der Bewilligungen oder gar "Leichtfertigkeit" der Scheinerteilung zu tun.
    Auch an meinen "bürgerfreundlichsten" Tagen schicke ich Leute weg, häufig weil der Erstkontakt zum Gegner fehlt.
    Diese Leute haben dann aber nicht etwa einen ablehnenden Beschluss in der Hand, sondern haben bei mir die Möglichkeit bekommen, mal mit einer "neutralen Stelle" über das streitige Thema zu sprechen und meist auch endlich eine Ahnung, was sie tun sollen. Insbesondere bei Miet- oder Nachbarkeitsstreit wollen viele Leute aus reiner Unwissenheit zum Anwalt oder weil es ihnen einfach unangenehm ist, selbst etwas zu unternehmen.
    Ich frage dann, wie ein Anwalt wohl auf das Gegenüber wirken würde und was sie selbst davon hielten, käme ohne Vorwarnung ein anwaltliches Schreiben.
    Dann noch ein gut gemeinter Hinweis, wie man ein Schreiben, mit dem man sich gegen die falsche NK-Abrechnung wehren möchte, formulieren könnte, und die Leute kommen (in vielen Fällen) wunderbar ohne Anwalt klar.
    Selbstverständlich haben sie immer die Gewissheit, dass sie, "wenn das alles nichts nützt", gerne wiederkommen dürfen.

    Okay, damit erspare ich dem Staat - unserem riesigen Milliarden(!)schweren Haushalt - 40 oder sogar 120 €, aber das ist nicht Sinn der Sache.
    Vielmehr erspare ich den Leuten einen eskalierenden Streit mit dem Vermieter oder dem Arbeitgeber und dadurch weit reichende Folgen.

    (Mein Lieblingsfall ist der mit zwei Beteiligten an einem Verkehrsunfall, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bei mir auftauchten und einen Anwalt wollten, um sich gegen mögliche Ansprüche des jeweils anderen zu wehren. Auf die Nachfrage hin, ob sie denn schon mit dem anderen Beteiligten gesprochen hatten, kam ein verdruckstes "ich weiß ja nicht ob ich das ohne Anwalt darf" und "ich will nichts falsch machen". Beide bekamen den selben Vorschlag, nämlich den anderen zu kontaktieren, um zunächst mal zu schauen ob denn überhaupt Ansprüche gestellt werden. Keiner tauchte je wieder bei mir auf.)

    Und weiterhin bedeutet Bürgernähe für mich auch, dass ich dem fiesen Rüpel, der sich dreist durchs Leben schmarotzt und mir zu Tode unsympathisch ist, Beratungshilfe erteile, wenn es ihm zusteht.

  • :daumenrau
    Bürgernähe ist nicht, jedem seinen Willen zu geben, sondern den Menschen zuzuhören, sie ernst zu nehmen und ihnen eine rechtlich fundierte Entscheidung zu geben, das kann ein Beratungshilfeschein sein, aber auch ein begründeter Zurückweisungsbeschluss oder einfach der Hinweis: Machen Sie erst mal das und das und wenn das nichts nützt, kommen Sie wieder.

    Und es dürfte gegen das Selbstverständnis des gemeinen Rechtspflegers verstoßen, sich bei seiner Arbeit von dem Gedanken leiten zu lassen "Was kostet das jetzt der Landeskasse?"
    Mein Bezirksrevisor weiß, was ich meine....
    Recht sprechen kostet nun mal Geld.

  • Viele Antragsteller wissen auch nicht an was für andere zumutbare Hilfsmöglichkeiten sie sich wenden können. Für die üblichen Stellen habe ich mir einen Textbaustein mit genauer Adresse und Telefonnummer angelegt.

    Wenn ich den Leuten dann so einen Zurückweisungsbeschluss gebe, haben sie in gewisser Weise auch das bekommen was sie wollten, nämlich Hilfe, und verlassen dann auch zufrieden das Gericht.

    "Auf hoher See und vor Gericht UND IN DER KLAUSUR ist man in Gottes Hand."
    Zitat Josef Dörndorfer

  • Viele Antragsteller wissen auch nicht an was für andere zumutbare Hilfsmöglichkeiten sie sich wenden können. Für die üblichen Stellen habe ich mir einen Textbaustein mit genauer Adresse und Telefonnummer angelegt.

    Wenn ich den Leuten dann so einen Zurückweisungsbeschluss gebe, haben sie in gewisser Weise auch das bekommen was sie wollten, nämlich Hilfe, und verlassen dann auch zufrieden das Gericht.

    Das würde ich so nicht tun. Es kann doch in jedem Fall sein, dass die anderweitigen Stellen nicht helfen können und am Ende doch ein Anwalt nötig ist. Dann wäre durch den erfolgten Zurückweisungsbeschluss der Hilfsweg in die BerH ausgeschlossen?


    In jedem Fall an die Themenstarterin: Du siehst, dass die Bürgernähe ein weites Feld ist.

  • Viele Antragsteller wissen auch nicht an was für andere zumutbare Hilfsmöglichkeiten sie sich wenden können. Für die üblichen Stellen habe ich mir einen Textbaustein mit genauer Adresse und Telefonnummer angelegt.

    Wenn ich den Leuten dann so einen Zurückweisungsbeschluss gebe, haben sie in gewisser Weise auch das bekommen was sie wollten, nämlich Hilfe, und verlassen dann auch zufrieden das Gericht.

    Das würde ich so nicht tun. Es kann doch in jedem Fall sein, dass die anderweitigen Stellen nicht helfen können und am Ende doch ein Anwalt nötig ist. Dann wäre durch den erfolgten Zurückweisungsbeschluss der Hilfsweg in die BerH ausgeschlossen?


    In jedem Fall an die Themenstarterin: Du siehst, dass die Bürgernähe ein weites Feld ist.

    Sollten die anderweitigen Stellen ausnahmsweise tatsächlich einmal nicht helfen können, kann ja gegen meinen Beschluss Erinnerung eingelegt werden. Und bei entsprechender Glaubhaftmachung (z.B. kurze Bestätigung der anderweitigen Stelle) würde ich der natürlich auch abhelfen.

    Da ich aber zunächst einen Antrag habe, muss ich über diesen auch entscheiden.

    "Auf hoher See und vor Gericht UND IN DER KLAUSUR ist man in Gottes Hand."
    Zitat Josef Dörndorfer

  • Das ist zu kurz gesprungen. Das setzt nämlich voraus, dass die andere Stelle überhaupt innerhalb der Rechtsmittelfrist kontaktiert werden kann. Das ist - zum Beispiel innerhalb der Schuldnerberatung - nicht immer der Fall.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Direkt zurückweisen würde ich jetzt nicht, wenn ich jemanden an eine andere Hilfestelle verweise. Ich gebe demjenigen meist eine Zwischenverfügung mit entsprechendem Hinweis mit und lege mir die Akte auf Frist. Je nach rechtlichem Problem auch mal länger (Stichwort Schuldnerberatungsstelle) und weise die Antragsteller auch direkt darauf hin, dass ich zurückweisen werde, wenn ich nichts mehr höre.

  • Da mache ich es mir wohl deutlich einfacher und bitte die Antragsteller einfach mit dem Antrag zu warten, bis sie "etwas in der Hand" haben, mit dem ich bewilligen kann. Ich empfinde das als überflüssigen Papierkram.
    Sofern der Antragsteller genau von mir etwas in die Hand braucht, kriegt er es natürlich, in dem Fall aber auch keinen Zurückweisungsbeschluss.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!