Absehen von der Anhörung des Betreuten

  • Mein Betreuter hat ein Haus, in dem er eine Wohnung selbst bewohnt und mehrere Wohnungen vermietet sind. Durch seine geringe Rente und die Mieteinnahmen kann er seinen Lebensunterhalt gerade so bestreiten. Da am Haus immer wieder Renovierungsarbeiten anfallen, muss monatlich zumindest ein kleiner Betrag auf die Seite gelegt werden. Hierdurch ist der finanzielle Spielraum sehr eingeschränkt.

    Der Betreuer möchte nun das Haus verkaufen, damit sich der Betreute monatlich "mehr leisten" kann und die Gefahr gebannt ist, dass er eine plötzlich auftretende Reparatur am Haus mal nicht bezahlen kann. Für den Betreuten soll ein lebenslanges Wohnrecht vorbehalten werden.

    Nun das eigentlich Problem: der Betreute ist geistig behindert, kann sich laut Betreuer zwar äußern, würde sich aber sicherlich gegen einen Verkauf aussprechen, da ihm auch kleinste Veränderungen stark belasten und er den positiven Effekt eines Verkaufs nicht überblicken kann. Verfahrenspflegerbestellung dürfte auf jeden Fall angezeigt sein.

    Der Betreuer fragt nun an, ob ich nicht auf die persönliche Anhörung verzichten könnte oder man dem Betreuten zumindest die spätere Entscheidung für einen Verkauf gegen seinen Willen vorenthalten könnte, da er nie mehr glücklich weiter leben könnte, wenn er wüsste, dass gegen seinen Willen verkauft wurde.

    Was meint Ihr hierzu?

  • Bei der Anwendung von § 299 FamFG war ich immer sehr strikt. Ich hielt die Anhörung immer für sehr wichtig und bin auch schon ins Heim gefahren, um mich selbst davon zu überzeugen, dass der Betroffene keine Äußerungen mehr treffen kann, wenn sich das nicht schon bei der Anordnung ergab.

    Mir ging es - ganz am Anfang in Betreuungssachen und nur drei Monate nach meiner Prüfung - ähnlich wie dir jetzt.
    Mir saßen der Sohn (Betreuer) und die Heimleiterin gegenüber, die beide überhaupt nicht verstehen wollten, warum man dem Betroffenen denn überhaupt damit aufregen sollte, dass seine Wohnung verkauft werden müsse. Dass sei doch ganz klar notwendig (Heimkosten), mit ihm darüber zu reden würde nur dazu führen, dass er sich aufregen und wieder aus dem Heim abhauen würde etc.
    Schlussendlich habe ich mich für eine Anhörung entschieden, so einfühlsam wie möglich, und den Verkauf genehmigt. Natürlich war es für den Betreuer dann auch mal nicht leicht, sich mit seinem Vater darüber auseinander zu setzen, was er vorhat. Aber Betroffene sind immernoch erwachsene Menschen. Sie deswegen zu übergehen und im Unwissen zu lassen, was mit ihrem Vermögen passiert, halte ich für entmündigend.

    Außerdem glaube ich nicht - bin mir aber gerade ehrlich gesagt nicht mehr sicher, ich mache Betreuung nicht mehr - dass man dem Betroffenen den Genehmigungsbeschluss vorenthalten (nicht bekanntgeben) darf, auch wenn ein Verfahrenspfleger bestellt wurde.

    Es bedarf Einfühlungsvermögen, die Anhörung durchzuführen. Vielleicht kann eine Vertrauensperson bei dem Betroffenen sein. Aber insofern man dem Betroffenen klar machen kann, dass sich faktisch an der Wohnsituation nichts ändert, würde ich auf eine Anhörung nicht verzichten.

    Oder, um aus Goethes "Faust", Teil I, Zeile 2667 zu zitieren: "Nein!"

  • Im geschilderten Fall sehe ich keine Möglichkeit, auf die Anhörung des Betroffenen zu verzichten.

    Selbst wenn diesem ein Verfahrenspfleger bestellt wurde, ist auch dem Betreuten zwingend der Beschluss bekannt zu machen. Ansonsten tritt keine Rechtskraft ein.

  • Von der persönlichen Anhörung kann nur abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen des §34 II FamFG vorliegen.
    Hier scheint allenfalls die erste Alternative in Betracht kommen zu können.
    Nach dem Sachverhalt würde ich dies jedoch verneinen. Der reine Vortrag des Betreuers würde mir dazu ohnehin auch nicht ausreichen.

    Die Vermutung, dass sich der Betreute wohl gegen den Verkauf aussprechen wird, sorgt m.E. eher dafür das auf eine Anhörung keinesfalls verzichtet werden kann. Ein persönlicher Eindruck dürfte für die Entscheidung erforderlich sein.

    Dem Betroffenen die endgültige Entscheidung vorzuenthalten und ihm dadurch quasi das Beschwerderecht zu entziehen - zumindest dann wenn der Betroffene grundsätzlich in der Lage ist seinen Willen zu äußern - lässt sich aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten m.E. nicht vertreten.

  • Ich schließe mich den Vorrednern an. Auf die Anhörung würde ich auch nicht verzichten.
    Und das...

    ....oder man dem Betreuten zumindest die spätere Entscheidung für einen Verkauf gegen seinen Willen vorenthalten könnte, da er nie mehr glücklich weiter leben könnte, wenn er wüsste, dass gegen seinen Willen verkauft wurde.


    ... ist schon bissel blauäugig. Im Haus des Betroffenen wohnen auch andere Mieter. Über die wird er ziemlich schnell erfahren, wenn er nicht mehr der Eigentümer sein würde.
    Außerdem beginnt die Rechtsmittelfrist des Betroffenen erst mit Zustellung des Beschlusses an ihn zu laufen. Was wäre, wenn der Kauf später wieder rückabgewickelt werden müsste?

  • Reicht es dem Betreuten Eigentümer "seiner Wohnung" zu bleiben oder will er Eigentümer des gesamten Hauses bleiben? Sprich: Bildung von WEG und Verkauf der nicht von ihm bewohnte Wohnungen. Durch den Verkauf käme dann Geld rein und er bliebe zumindest Mit-Eigentümer.
    Wär es mein Fall würde ich den Betreuten persönlich anhören, um mir ein Bild zu machen und anschließend entscheiden, ob evtl. noch ein Verf.-Pfleger zu bestellen ist.

  • Da der Genehmigungsbeschluß dem Betroffenen nach § 41 I 2 FamFG sogar zugestellt werden muß, wenn er seinem Willen widerspricht, kann die Entscheidung keinesfalls vorenthalten werden.

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!