§ 139 Abs. 2 InsO - Welche Anfechtungszeiträume sind erfasst?

  • Werte Foristinnen und Foristen!

    Mich treibt ein Thema bei der Insolvenzanfechtung um, zu dem ich bislang keine zufriedenstellende Lösung finden konnte. Ich fasse mich kurz:

    Sachverhalt: Ein Gläubiger pfändet seit 01.01.2015 erfolgreich die Mieteinnahmen des Schuldners. Auf einen Insolvenzantrag vom 01.01.2016 wird die Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners mangels Masse abgelehnt (§ 26 Abs. 1 InsO). Der Gläubiger erhält weiter die laufenden Mietzahlungen des Mieters. Ein erneuter Antrag vom 01.01.2019 führt mit Verfahrenskostenstundung zur Eröffnung. Der Schuldner ist seit 2014 durchgängig zahlungsunfähig.

    Fragestellung: Welche Mietzahlungen kann der böse Insolvenzverwalter anfechten?

    Antwort:

    1.
    Ausgehend vom Insolvenzantrag vom 01.01.2019 unterfallen die Einnahmen zwischen dem 01.10.2018 und dem 30.11.2018 als inkongruente Deckung der Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Seit dem 01.12.2018 sind die Zahlungen nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar und wegen § 88 Abs. 1 InsO entstehen keine wirksamen Pfändungspfandrechte mehr.

    2.
    Für die Einnahmen vor dem 01.10.2018 scheidet eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO mangels einer Rechtshandlung des Schuldners aus.

    3.
    Darüber hinaus könnte schon der Antrag vom 01.01.2016 für die Insolvenzanfechtung zu berücksichtigen sein.

    3.1.
    Nach § 139 Abs. 2 S. 1 InsO ist für die Berechnung der in §§ 88, 130 bis 136 InsO bestimmten Fristen der erste zulässige und begründete Antrag maßgeblich. Wurde der Antrag rechtskräftig abgewiesen, ist er nach § 139 Abs. 2 S. 1 InsO nur zu berücksichtigen, wenn er - wie hier - mangels Masse abgewiesen worden ist. Über den Wortlaut hinaus fordert die Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 15.11.2007 - IX ZR 212/06, Rn. 11), dass es sich um eine "einheitliche Insolvenz" handelt, also der Insolvenzgrund seit dem ersten Antrag durchgehend fortbesteht. Liegt eine solche "einheitliche Insolvenz" vor, ist § 139 Abs. 2 InsO "grundsätzlich zeitlich unbeschränkt" anzuwenden (BGH, Urt. v. 15.11.2007 - IX ZR 212/06, Rn. 13). Zumindest kann sich dies über einen beträchtlichen Zeitraum erstrecken. So lagen im dortigen Fall drei Jahre zwischen dem mangels Masse abgewiesenen und dem zur Verfahrenseröffnung führenden Antrag.

    Diese Voraussetzungen (Abweisung mangels Masse, einheitliche Insolvenz) liegen hier vor, so dass der Antrag vom 01.01.2016 für die Fristberechnung maßgeblich ist.

    3.2.
    Die Mieteinnahmen zwischen dem 01.10.2015 und dem 30.11.2015 wären nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.

    3.3.
    Ab dem 01.12.2015 bis 31.12.2015 läge Anfechtbarkeit nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor.

    3.4.
    Noch offene Frage: Was ist mit den Mieteinnahmen zwischen dem 01.01.2016 und dem 30.09.2018, also nach dem ersten Antrag und vor dem Drei-Monats-Zeitraum des zweiten Antrags?

    Nach meinem bisherigen Verständnis war es eindeutig, dass auch im Zeitraum zwischen dem ersten und dem zweiten Antrag durchgängig die Deckungsanfechtung durchgreift. Anderslautende Kommentarstellen sind mir nicht bekannt.

    Bedenken bereitet mir nun eine Entscheidung des BAG (Urt. v. 26.10.2017 - 6 AZR 511/16, Rn. 19). Ohne dass es dort auf diese Frage angekommen wäre schließt das BAG in diesem Zwischenraum die Anfechtung aus. So differenziert das BAG - anders als die Vorinstanz - zwischen der Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen im Drei-Monats-Zeitraum vor dem Antrag und solchen nach dem Eröffnungsantrag. Das BAG meint, dass § 139 Abs. 2 InsO nur Deckungshandlungen erfassen soll, die der Schuldner in den letzten drei Monaten vor dem ersten Antrag vorgenommen hat. Hingegen soll die Regelung "bei Rechtshandlungen, die erst nach dem Antrag erfolgen, der nicht zur Eröffnung geführt hat, keine Anwendung" finden. Die Begründung hierfür ist indes mager: Die dort zitierte Ausführung von Kirchhof (in MüKoInsO, 3. Aufl. 2013, InsO § 139 Rn. 8), es handele sich bei § 139 InsO um eine "rückwärts gerichtete" Fristberechnung, betrifft aus meiner Sicht nur den Beginn der Frist, nicht deren Ende. Auch die vom BAG zitierte Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/2443, S. 163) ist zumindest missverständlich und gibt hierzu wenig her. Einzig die Überschrift des § 139 InsO ("Berechnung der Fristen vor dem Eröffnungsantrag") könnte für eine solche Lesart sprechen.

    Der BGH spricht zwar in einer älteren und vom BAG zitierten Entscheidung auch davon, dass die Rückbeziehung des § 139 Abs. 2 InsO nicht für Rechtshandlungen nach einem ersten Eröffnungsantrag gelten soll (Urt. v. 20.11.2001 - IX ZR 48/01, unter I. 2. a). Eine Begründung findet sich dort nicht. In einer späteren Entscheidung (Urt. v. 15.11.2007 - IX ZR 212/06) prüft der BGH hingegen in Rn. 18 die Anfechtbarkeit auch nach dem ersten, mangels Masse abgewiesenen Antrag und lehnt sie aus anderen Gründen ab. Eine Divergenz zu seiner früheren Entscheidung wird dabei nicht angenommen. Auch im Beschluss vom 18.09.2014 (IX ZA 9/14) prüft der BGH eine Rückbeziehung auf einen Zeitraum nach dem ersten Antrag; es fehlte indes an der einheitlichen Insolvenz.

    Das einzige mir bislang bekannte Urteil hat das LG Berlin gefällt (LG Berlin, Urt. v. 12.03.2010 - 4 O 356/09). Darin wird eine Rechtshandlung für anfechtbar erklärt, die fast zehn Jahre nach dem ersten, mangels Masse abgewiesenen Antrag erfolgte.

    Ausdrücklich problematisiert wurde die Frage nach meinem Dafürhalten noch nicht. Auch in den Besprechungen der BAG-Entscheidung hat sich niemand zu diesem Punkt geäußert. Lediglich Schoon (BeckOK InsO, 13. Ed. 28.01.2019, § 139 Rn. 9) führt aus: "Der erste Antrag ist dabei für sämtliche Anfechtungstatbestände (vor sowie nach Antragsstellung), auf die § 139 Abs. 1 verweist, maßgeblich."

    Also: Wie weit greift nun die Regelung des § 139 Abs. 2 InsO?

    Vielen Dank fürs Lesen und für Euer Mitdenken, am liebsten natürlich für Wortmeldungen!

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Vielleicht gehe ich jetzt da ein wenig naiv dran, aber ich versuche auch es für mich herzuleiten:

    0. Ein Insolvenzantrag wird für erledigt erklärt bzw. als unzulässig abgewiesen, Fristen werden damit nicht in Gang gesetzt.

    1. Insolvenzantrag vom 01.01.2016, der zur Eröffnung führt, setzt die Möglichkeiten des § 131 InsO in Gang.

    2. Es gehen zwei Insolvenzanträge zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein, dann richtet sich die Frist nach § 139 I InsO nach dem ersten zulässigen Antrag.

    3. Nachdem ein Insolvenzantrag nach § 26 InsO abgewiesen worden ist, wird bei "einheitlichem Insolvenzgrund" zu einem späteren Zeitpunkt das Insolvenzverfahren aufgrund eines weiteren Antrags vom 01.01.2019 hin eröffnet. Aufgrund der Regelungen des Satzes 2 greift nun Satz 1 (m.a.W. wir tun mal so, als ob der erste Antrag schon drei Jahre in der Schwebe ist aber noch nicht entschieden wurde).

    Folge: wenn der (bereits abgelegte) Antrag in den Fristen zu berücksichtigen ist, dann allen alle Zahlungen ab dem 01.01.2016 unter § 131 I Nr. 1 InsO,...oder nach diesem Antrag....


    Wäre man bei 1) und würde das Insolvenzverfahren dann am 01.09.2016 erst eröffnet haben, hätte man sich ja auch die Beträge vom 01.10.2015 -31.08.2016 geholt.

    Die Lösung hast Du auch schon präsentiert, nämlich steht sie in IX ZR 212/06 Rn 13.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Klingt keineswegs naiv und bestätigt meine Ansicht. Aber können wir das BAG-Urteil - wie schon des Öfteren - gänzlich unberücksichtigt lassen?

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Interessante Konstellation. Ich nähere mich dem mal anders herum:

    Es wird eine Insolvenz über Jahre hinweg verschleppt, durch den Schuldner wird kein Eigenantrag gestellt, der Gläubiger stellt einen, der mangels Masse abgewiesen wird, der Gläubiger vollstreckt anschließend weiter und erhält so sein Geld.
    Selbst wenn man mal unterstellt, dass es sich nicht um eine zwischen Schuldner und Gläubiger abgesprochene Verhaltensweise handelt, um alleine diesem Gläubiger eine Befriedigung zukomnen zu lassen, warum soll der Gläubiger bei später doch durchgeführter Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hier schutzwürdig sein? Er hätte ja einen Eröffnungsvorschuss leisten können.

    Also zurück zur Ausgangsfrage:
    Ich hätte keine Bedenken, den § 139 InsO zeitlich so zu erstrecken und die nach der ersten Ablehnung gepfändeten Gelder nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 InsO ("nach Antrag") abzuurteilen. Wegen der nicht sicher geklärten Frage müsste man dann halt den Instanzenzug aufsperren, soweit er nicht ohnehin frei ist.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

    P.S. Im Falle nachweisbaren kollusiven Verhaltens zwischen Schuldner und Gläubiger könnte der § 133 Abs. 1 InsO ziehen, unter dem Gesichtspunkt gleichwertige Mitwirkungshandlung des Schuldners

    Einmal editiert, zuletzt von AndreasH (10. April 2019 um 14:51) aus folgendem Grund: P.S. ergänzt

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