Faktische / konkludente Verbindung von Ermittlungsverfahren?

  • Ein Problem der Pflichtverteidigervergütung:

    Der Angeklagte hatte eine Serie von neun Diebstählen durchgezogen. Es liefen neun Ermittlungsverfahren. Als man seiner habhaft wurde, erging am 1.9. Haftbefehl wegen aller neun Delikte, und es wurde (unter dem Az. des Haftbefehlsverfahrens) ein Pflichtverteidiger bestellt. Die ausdrückliche Verbindung der neun Ermittlungsverfahren erfolgte erst am 1.11. durch die StA, Anklage am 15.11.
    Auf Drängen des Pflichtverteidigers erging ein Klarstellungsbeschluss, dass sich die Pflichtverteidigerbestellung auch auf die hinzuverbundenen Verfahren erstrecke.

    Jetzt rechnet der Pflichtverteidiger u.a. neunmal Grundgebühr, neunmal Verfahrensgebühr fürs Ermittlungsverfahren, neunmal Telekommunikationspauschale ab. Dies wäre dann richtig, wenn auf die explizite Verfahrensverbindung durch die StA abzustellen wäre. Aber sind nicht angesichts des "gemeinsamen" Untersuchungshaftbefehls die Verfahren faktisch / konkludent schon vor der Bestellung des Pflichtverteidigers verbunden gewesen, mit der Folge, dass die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr und die Telekommunikationspauschale nur einmal insgesamt entstanden ist?

  • Zitat von Frog

    Aus meiner Sicht waren es bis zur Verbindung durch die StA neun getrennte Verfahren.


    Bleibt die Frage, ob die Verbindung durch die StA explizit erfolgen musste oder faktisch durch gemeinsames Haftbefehlsverfahren erfolgen konnte, sodass der Ausspruch der Verbindung dann nur noch klarstellenden Charakter hatte.

    War er denn vorher überhaupt tätig? Und in irgendeiner Form erkennbar in mehreren Verfahren? Ansonsten würde ich mich auch am "faktischen" festhalten.

    Ja, der Pflichtverteidiger hat Einsicht in die einzelnen (nach seiner Formulierung) "Teilakten" genommen, ehe die förmliche Verbindung erfolgte. Sein Tätigwerden ist also unstreitig.

    Ich habe auch noch nie zuvor gesehen, dass ein Haftbefehl für diverse Taten erfolgt, ohne dass die Ermittlungsverfahren insofern verbunden wären. Ich habe aber auch nichts gefunden, wonach dies ausgeschlossen wäre.

  • Ich bin hin und her gerissen. Lt. BGH (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2005 – 4 StR 222/04 –, juris) ist konkludente Verfahrensverbindung grundsätzlich möglich. Wenn im Haftbefehlt unter einem Aktenzeichen alle neun Taten aufgeführt sind, würde ich erst mal von konkludenter Verfahrensverbindung ausgehen. Dass die StA dann aber noch mal verbunden hat, spricht dafür, dass die StA es nicht so gesehen hat. Außerdem war im Ermittlungsverfahren ja noch die StA die für die Bearbeitung eigentlich zuständige Stelle. Aufgabe des Gerichts war es beim Haftbefehl nur, die Voraussetzungen für eine Haft zu prüfen und ggfs. zu bestätigen. Für die Ermittlungsverfahren an sich, war es noch nicht zuständig, so dass es mir zweifelhaft erscheint, ob das Gericht schon die Ermittlungsverfahren verbinden kann. Deswegen tendiere ich eher dazu, dass erst der Verbindungsbeschluss der StA maßgeblich ist.

  • Ich bin hin und her gerissen. Lt. BGH (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2005 – 4 StR 222/04 –, juris) ist konkludente Verfahrensverbindung grundsätzlich möglich. Wenn im Haftbefehlt unter einem Aktenzeichen alle neun Taten aufgeführt sind, würde ich erst mal von konkludenter Verfahrensverbindung ausgehen. Dass die StA dann aber noch mal verbunden hat, spricht dafür, dass die StA es nicht so gesehen hat. Außerdem war im Ermittlungsverfahren ja noch die StA die für die Bearbeitung eigentlich zuständige Stelle. Aufgabe des Gerichts war es beim Haftbefehl nur, die Voraussetzungen für eine Haft zu prüfen und ggfs. zu bestätigen. Für die Ermittlungsverfahren an sich, war es noch nicht zuständig, so dass es mir zweifelhaft erscheint, ob das Gericht schon die Ermittlungsverfahren verbinden kann. Deswegen tendiere ich eher dazu, dass erst der Verbindungsbeschluss der StA maßgeblich ist.


    Genauso sehe ich das auch. Das Gericht (Strafabteilung) wird erst mit Eingang der Anklage zuständig.

    Haftbefehle werden in der Regel durch den nach dem Bereitschaftsdienstplan zuständigen Richter unter Gs-Aktenzeichen erlassen. Dieser kann keine Ermittlungsverfahren verbinden.

    Man muss dem Vergütungsantrag daher wohl antragsgemäß entsprechen.

  • Ich danke allen, die hier geantwortet haben. Ihr habt mir gute Denkanstöße gegeben.
    Ich tendiere zunehmend dazu, rein auf die Formalie einer (durch simple handschriftliche Verfügung erfolgten) expliziten Verbindung abzustellen.

  • Was haben wir denn für Aktenzeichen? Neun verschiedene für die Ermittlungsverfahren und dann ein GS-Aktenzeichen bei Gericht? Wenn das so ist, spricht das m.E. gegen eine "konkludente" Verbindung der StA durch "durch simple handschriftliche Verfügung". Dagegen spricht auch, dass die StA später noch einmal verbunden hat. Was soll das, wenn vorher schon verbunden sein soll? Insoweit hatte die StA doch offenbar auch gar keinen "Verbindungswillen".

    Ich habe den Eindruck: Es liegt an den 9 Verfahren. Dazu empfehle ich dann mal die Lektüre des verlinkten Beschlusses des LG Braunschweig. Da muss die StA eben aufpassen. Und wenn sie es nicht tut, bleibt sie eben auf den Kosten/Gebühren sitzen.

  • Was haben wir denn für Aktenzeichen? Neun verschiedene für die Ermittlungsverfahren und dann ein GS-Aktenzeichen bei Gericht?

    Ja, wenn ich mich recht entsinne (Akte nun wieder unterwegs), waren es neun Az. für die Ermittlungsverfahren und ein gemeinsames GS-Aktenzeichen bei Gericht. Der Verbindungswille konnte sich ausschließlich aus dem gemeinsamen Haftbefehlsverfahren ergeben - wenn ich Dich recht verstehe, reicht das nicht.

    Die simple handschriftliche Verfügung des Staatsanwalts hätte mir gereicht, diese folgte aber erst später, vor Anklageerhebung.
    Danke auch für Deine Rückmeldung.

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