Pflichtteilsstrafklausel

  • Liebe Kollegen,

    ich hab folgenden Fall der Grundbuchberichtigung: Die Eheleute haben 1976 ein handschriftliches Testament errichtet: Gegenseitige Erbeinsetzung, Schlusserben sind die beiden Kinder. "Verlangt eines unserer Kinder nach dem Erstverstorbenen den Pflichtteil, soll es auch nach dem Tod des Letztverstorbenen nur den Pflichtteil erhalten." Die Ehefrau verstirbt 1991 und es wird dem Ehemann ein Alleinerbschein erteilt.
    1994 errichten Ehemann und die Kinder einen notariellen Erbvertrag. Der Ehemann "wiederholt um einen Erbscheinsantrag überflüssig zu machen, dass die Kinder seine Erben zu je 1/2 sein sollen."

    Nun ist der Ehemann verstorben und die beiden Kinder beantragen unter Vorlage der beiden vorgenannten Verfügungen die Gb-Berichtigung. Kann man den Erbvertrag dahingehend auslegen, dass wohl Pflichtteils-ansprüche nicht geltend gemacht wurden? Oder würdet ihr trotzdem eidesstattliche Versicherungen der Kinder verlangen?

    Danke euch.

  • Ich sehe das wie folgt:

    Bevor Deine Frage beantwortet werden kann, müsstest Du zunächst prüfen, ob der Ehemann überhaupt nochmals letztwillig verfügen durfte.

    "Denn wenn der Erblasser neben einer öffentlichen Verfügung auch eine eigenhändige Verfügung von Todes wegen getroffen hat, muss das Grundbuchamt, wenn sich aus dem Vorhandensein der privatschriftlichen Verfügung Bedenken gegen die Wirksamkeit der öffentlichen Verfügung ergeben, die Wirksamkeit des privatschriftlichen Testaments klären und seinen Inhalt würdigen, um festzustellen, ob die Bedenken begründet sind." (siehe OLG München, Beschluss vom 30.11.2016 - RNotZ 2017, 104).

    Das ist daher zunächst zu klären.

    OLG München a.a.O. weiter:

    "Dem Grundbuchamt obliegt auch die Auslegung eines früheren gemeinschaftlichen eigenhändigen Testaments zu der Frage, ob die Wirksamkeit einer späteren in öffentlicher Form vorgenommenen Erbeinsetzung von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments berührt wird."

    Die Pflichtteilsstrafklausel ist eine auflösend bedingte Erbeinsetzung und daher im Rahmen von § 2270 Abs. 1 BGB zu beachten (§ 2270 Abs. 3 BGB). Um zu wissen, wer Erbe geworden ist, benötigst Du daher eine Eidesstattliche Versicherung der Schlusserben dahingehend, dass der Pflichtteil nicht geltend gemacht wurde (vgl. z. Bsp. OLG Hamm, FGPrax 2011).

    Allerdings gilt dies nur, wenn Dir ein notarielles gemeinschaftliches Testament oder ein Ehegattenerbvertrag vorliegt (Bestelmeyer, notar 2013, 147, 150). Du kannst daher an dieser Stelle bereits schon nicht mehr als Grundbuchamt feststellen, dass die zweite Verfügung alleinige Eintragungsgrundlage ist und musst m.E. einen Erbschein verlangen.

    Darüber hinaus könnte es ja sein, dass z.B. eines der Schlusserben den Pflichtteil geltend gemacht hat und als Erbe hinausgefallen ist (evtl. auch samt Stämmen). Das Testament enthält nach dem Sachverhalt keine dementsprechenden weiteren Angaben.

    Dann hätte der Ehemann so nicht mehr verfügen können und dann wäre nicht mehr der Erbvertrag, sondern das privatschriftliche Testament die Eintragungsgrundlage, was nicht sein darf.

    M. E. kann man aus dem Erbvertrag und dem erteilten Erbschein nichts gegenteiliges herleiten

  • Pflichtteilsansprüche auf Ableben der Ehefrau hätten gegenüber dem überlebenden Ehegatten geltend gemacht werden müssen. Wenn dieser in 1994 mit seinen Kindern einen notariellen Erbvertrag errichtet, in dem er die frühere Erbeinsetzung "wiederholt um einen Erbscheinsantrag überflüssig zu machen“, dann liegt darin mE die urkundlich (Erbvertrag) belegte Bestätigung, dass die Kinder ihm gegenüber keinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht haben. Einer eidesstattlichen Versicherung der Kinder bedarf es nicht. Der Beschluss des OLG München 34. Zivilsenat vom 30.11.2016, 34 Wx 363/16, betrifft einen anderen Sachverhalt.

    Lieber einen Frosch küssen als eine Kröte schlucken :)

  • Lieber Prinz,

    zwei Einwände:

    ... Der Beschluss des OLG München 34. Zivilsenat vom 30.11.2016, 34 Wx 363/16, betrifft einen anderen Sachverhalt.

    Da stimm ich Dir - fast voll - zu:

    Im Fall des Fragestellers geht es um Berichtigung in Abt. I, im Beschluss des OLG München um Löschung von Rechten in Abt. II.

    Im Fall des Fragesttellers verfügen zunächst die Ehegatten letztwillig, dann der überlegende Ehegatte im Erbvertrag mit seinen beiden Kindern. Im Fall des OLG München hingegen verfügte der Erblasser zunächst mit seiner ersten Ehefrau und schloss danach - offenbar mit seiner zweiten Ehefrau - einen Erbvertrag.

    In beiden Fällen aber wurde zuerst ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament gemacht und dann ein Erbvertrag. Darauf kam es mir an und deshalb war für mich der SV vergleichbar wegen der Erforderlichkeit für das GBA, die Bindungswirkung prüfen zu müssen.

    Was die mögliche Geltendmachung des Pflichtteils angeht:

    Die Pflichtteilsstrafklausel ist doch Teil der Erbeinsetzung. Käme es dann nicht auch materiell-rechtlich darauf an, dass die Kinder den Pflichtteil nicht geltend gemacht haben ? Wenn das so wäre, ist der Abschluss des Erbvertrags ein starkes Indiz, dass der Pflichtteil nicht geltend gemacht wurde. Aber der Ehemann könnte den Erbvertrag auch im Fall abschließen, dass der Pflichtteil geltend gemacht wurde. Ich denke nicht, dass es sich insoweit um eine völlig entfernt liegende Möglichkeit handelt, die das GBA nicht zu beachten hätte.

    Das spräche aus meiner Sicht nach wie vor für ein Erbscheinserfordernis.

  • Was hindert den Ehemann daran, mit den Kindern einen Erbvertrag zu schließen, obwohl die Kinder beim ersten Sterbefall ihren Pflichtteilsanspruch geltend gemacht haben? Wurde er geltend gemacht, kann aber auch der Erbvertrag die mit der Schlusserbeneinsetzung verbundene auflösende Bedingung nicht überwinden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nur eines der Kinder den Pflichtteil geltend gemacht hat und daher Anwachsung zugunsten des anderen Kindes eintritt, weil sich die Bindung dann nicht aus der Enterbung, sondern aus der "aufgestockten" Erbeinsetzung des anderen Kindes ergibt (vgl. § 2270 Abs. 3 BGB).

    Man wird also um die üblichen eidesstattlichen Versicherungen (zur Vermeidung einer Erbscheinserteilung) nicht herumkommen.

  • Ich kann mich nur wiederholen. Der Ehemann hat ja offensichtlich um die Problematik gewusst. Da ein Erbschein nach seiner vorverstorbenen Ehefrau erteilt war und aufgrund eines Erbvertrags kein Erbschein benötigt worden wäre, kann die Formulierung „um einen Erbscheinsantrag überflüssig zu machen“ mE nur bedeuten, dass darin die Bestätigung liegt, dass auf Ableben der Ehefrau kein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wurde

    Lieber einen Frosch küssen als eine Kröte schlucken :)

  • Ich kann mich nur wiederholen. Der Ehemann hat ja offensichtlich um die Problematik gewusst. Da ein Erbschein nach seiner vorverstorbenen Ehefrau erteilt war und aufgrund eines Erbvertrags kein Erbschein benötigt worden wäre, kann die Formulierung „um einen Erbscheinsantrag überflüssig zu machen“ mE nur bedeuten, dass darin die Bestätigung liegt, dass auf Ableben der Ehefrau kein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wurde

    sehe ich genauso
    eine andere Auslegung wäre mE praxisfern

  • Was hindert den Ehemann daran, mit den Kindern einen Erbvertrag zu schließen, obwohl die Kinder beim ersten Sterbefall ihren Pflichtteilsanspruch geltend gemacht haben?...

    Kann gerade nicht sehen, wo das Gegenteil behauptet wurde.

    Wurde er geltend gemacht, kann aber auch der Erbvertrag die mit der Schlusserbeneinsetzung verbundene auflösende Bedingung nicht überwinden...

    Sehe ich auch so (s.o.).

    ...Man wird also um die üblichen eidesstattlichen Versicherungen (zur Vermeidung einer Erbscheinserteilung) nicht herumkommen.

    Wenn ich Bestelmeyer lese, sind die EVs auf Grund Pflichtteilsstrafklausel zur Vermeidung eines Erbscheins doch nur bei notariellen letztwilligen Verfügungen zugelassen, nicht bei privatschriftlichen.


    ... Der Ehemann hat ja offensichtlich um die Problematik gewusst. Da ein Erbschein nach seiner vorverstorbenen Ehefrau erteilt war und aufgrund eines Erbvertrags kein Erbschein benötigt worden wäre, kann die Formulierung „um einen Erbscheinsantrag überflüssig zu machen“ mE nur bedeuten, dass darin die Bestätigung liegt, dass auf Ableben der Ehefrau kein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wurde

    Ich finde, das ist ein richtig gutes Argument, aber nicht die einzig mögliche Annahme. Genauso gut könnte man das auch so sehen:

    Der Ehemann hatte zwischenzeitlich mitbekommen, dass ein privatschriftliches Testament für Grundbesitz einen Erbschein erforderlich macht. Damit ein entsprechender Erbscheinsantrag überflüssig wird, hat er den Erbvertrag geschlossen.

    Meines Erachtens ist

    ...eine andere Auslegung ...

    als die von Prinz nicht zwingend

    praxisfern

    .

  • Die Diskussion könnte beendet werden, wenn der Threadstarter mitteilen würde, wann der erste Erbfall war und wann die Pflichtteilsberechtigten von ihren Ansprüchen Kenntnis erlangt haben oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen.

    Da der Erbschein in 1991 erteilt wurde, kann der Erbfall nach der Ehefrau sowohl in 1991, als auch früher eingetreten sein.

    Da der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall entsteht, die aus dem Erbfall herrührenden Ansprüche in drei Jahren verjähren und die Verjährung mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von seinem Anspruch Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (s. Lange im Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 2332 RN 3), könnte die Frist zur Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrags noch nicht abgelaufen gewesen sein.

    Ist der erste Erbfall hingegen bereits 1990 (oder früher) eingetreten, dann deutet der Umstand, dass in 1994 ein Erbvertrag unter Einsetzung der gleichen Schlusserben nebst Hinweis darauf, dass ein Erbschein überflüssig gemacht werden soll, darauf, dass der Erbvertrag eben den Umstand berücksichtigen soll, dass innerhalb der Dreijahresfrist kein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wurde.

    Vielleicht gibt es dazu eine Rückmeldung vom Threadstarter ?

    Lieber einen Frosch küssen als eine Kröte schlucken :)

  • @Thorben in #8:

    Natürlich besteht die Möglichkeit einer eV nur bei notariellen letztwilligen Verfügungen.

    Auf die besagte Formulierung im Erbvertrag würde ich im Übrigen nicht viel geben. Sie ist derart"unjuristisch" formuliert, dass man daran zweifeln kann, dass sie wirklich von einem (guten) Notar stammt.

  • @Thorben in #8:

    Natürlich besteht die Möglichkeit einer eV nur bei notariellen letztwilligen Verfügungen.

    Gut, soweit waren wir ja schon in #2 - siehe hier:

    ... Allerdings gilt dies nur, wenn Dir ein notarielles gemeinschaftliches Testament oder ein Ehegattenerbvertrag vorliegt (Bestelmeyer ...

    Dann verstehe ich Deinen Satz in #5

    ...Man wird also um die üblichen eidesstattlichen Versicherungen (zur Vermeidung einer Erbscheinserteilung) nicht herumkommen.

    aber nicht im hiesigen Zusammenhang.

    Auch unabhängig von der Beantwortung der Frage in #9 kann ich mir nicht vorstellen, wie vorliegend ohne Erbschein eingetragen werden kann.

    Einmal editiert, zuletzt von Thorben (29. Oktober 2019 um 10:07) aus folgendem Grund: Änderungen

  • Okay. Dann kann in dem im Laufe des Jahres 1994 abgeschlossenen Erbvertrag nicht die Bestätigung liegen, dass die Kinder keinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht haben, weil die Frist zur Geltendmachung erst Ende 1994 ablief.

    Lieber einen Frosch küssen als eine Kröte schlucken :)

  • Ich schließe meinen Fall mal hier an:

    Ehegatten errichten gemeinschaftliches handschriftliches Testament, setzen sich gegenseitig zu Erben des Erstversterbenden ein. Als Erben des Letztversterbenden werden die beiden Kinder namentlich eingesetzt. Dann folgt der Passus:

    "Fordert beim Tod des Erstversterbenden eines unserer Kinder seinen Pflichtteil, dann soll es auch bei Tod des Letztversterbenden nur seinen Pflichtteil enthalten."

    Der überlebende Ehegatte errichtet ein notarielles Testament, in dem ausdrücklich dargelegt wird, dass beide Kinder aus steuerlichen Gründen im Einvernehmen mit dem Testierenden den Pflichtteil ausgezahlt bekommen haben. Dann werden die Kinder zu Erben zu je 1/2 eingesetzt.

    Meine Meinung dazu:

    Der Verwirkungstatbestand ist dann wohl nach überwiegender Auffassung nicht erfüllt. Die Umstände der Pflichtteilserfüllung sind durch das notarielle Testament belegt. Also besteht die Erbeinsetzung aus dem ersten Testament fort und wird durch das notarielle Testament bestätigt. Also brauche ich keinen Erbschein zur Grundbuchberichtigung!

    Seht Ihr das genauso? Ich habe Zweifel, weil der fehlende Eintritt des Vewirkungstatbestandes ja durch Auslegung festzustellen ist, oder? Zumindest für den Fall, dass ein Pflichtteilsberechtigter im Einvernehmen des überlebenden Ehegatten den Pflichtteil geltend macht, gibt es die Auffassung, dass dennoch die Verwirkungsklausel erfüllt ist oder zumindest erfüllt sein kann, was wiederum im Einzelfall auszulegen ist.

  • Ich sehe es auch so, dass es hier an der zu sanktionierenden Geltendmachung des Pflichtteils gegen den Willen des überlebenden Ehegatten fehlt, weil nicht anzunehmen ist, dass die Klausel eingreifen soll, wenn sich alle Beteiligten unter Einschluss des überlebenden Ehegatten über den eingeschlagenen Weg einig sind. In diesem Fall bleibt die Schlusserbeneinsetzung von Bestand und auch das Testament des überlebenden Ehegatten ist wirksam, weil es dem gemeinschaftlichen Testament nicht widerspricht. In einem solchen Fall beruht die Erbfolge auf beiden Testamenten.

    Geht man entgegen den vorstehenden Ausführungen davon aus, dass die Pflichtteilsklausel greift, so ist anzunehmen, dass auch die Abkömmlinge der Kinder aus dem Spiel sind oder die auf § 2069 BGB beruhende Ersatzschlusserbeneinsetzung jedenfalls nicht wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten nicht bindend ist (keine Kumulation von § 2069 BGB und § 2270 Abs. 2 BGB). Dann greift aber das notarielle Testament des überlebenden Ehegatten, auf welchem die Erbfolge nunmehr ausschließlich beruht. Schwierig wird es also wohl nur, wenn die Enkel ausdrücklich zu Ersatzschlusserben eingesetzt wären.

    Ich denke, dass die Kollegen in solchen Fällen unterschiedlich verfahren. Man wird wegen der besagten Auslegungsfragen wohl nichts dagegen sagen können, wenn man einen Erbschein verlangt. Ob das Beschwerdegericht das dann auch so sieht, sei dahingestellt.

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