Wertermittlungsgutachten / notwenige Kosten im Sinne des § 788 ZPO?

  • Die Frage ist nicht, ob es gegen das Gesetz verstößt, sondern wer es zu prüfen hat.
    Das Vollstreckungsgericht prüft kein materielles Recht.

    Ich denke, da verwechselst Du vermutlich in der Tat die von Annett bereits verlinkte Entscheidung des BGH (Rpfleger 2016, 740) zur Unzulässigkeit der Prüfung bereits verrechneter ZV-Kosten. Die tragenden Gründe des BGH sind, daß der Gläubiger Art und Umfang des ZV-Auftrags bestimmt (NJW 2012, 3308). Bereits verrechnete Kosten sind nicht mehr vom ZV-Auftrag und damit auch nicht vom Prüfungsrecht der Notwendigkeit (§ 788 Abs. 1 S. 1 ZPO) umfaßt. In diesem Fall obliegt es deshalb allein dem Schuldner, ggf. im Wege von § 767 ZPO wegen etwaiger nicht notwendiger, aber bereits verrechneter Kosten vorzugehen. Das bedeutet also im Umkehrschluß: Werden vermeintlich notwendige Kosten der Vollstreckung zwecks Erstattung im Wege der Festsetzung oder im Wege der Mitvollstreckung geltend gemacht, unterliegen sie der Notwendigkeitsprüfung.

    Was Kosten für Privatgutachten in der Vollstreckung anbetrifft, gelten dieselben Erstattungsgrundsätze wie auch für einen Rechtsstreit (OLG Brandenburg, JurBüro 2008, 271; MK-ZPO/Schulz, 5. Aufl., § 91 Rn. 161). Für vorprozessual (hier: vor Einleitung der konkreten ZV-Maßnahme) eingeholte Privatgutachten muß eine Prozeßbezogenheit (hier: also in Bezug auf die konkrete ZV-Maßnahme) vorliegen. An der fehlt es z. B., wenn das Gutachten lediglich der Klärung der Prozeßaussichten (hier: Erfolg der ZV) dient (OLG Koblenz, JurBüro 1995, 36, 37; OLG Hamburg, JurBüro 1988, 1022; Schulz, a.a.O., Rn. 158). Die vorprozessuale Tätigkeit (Einholung eines Gutachtens) muß das "Wie" der Prozeßführung betreffen, was bedeutet, daß die ausschließlich im Verantwortungsbereich der Partei liegende Entscheidung über das "Ob" der gerichtlichen Rechtsverfolgung bereits gefällt ist (Schulz, a.a.O., Rn. 40; BGH, NJW 2007, 3289). Also könnte man gegen die Erstattungsfähigkeit argumentieren, daß das private Wertgutachten gerade nur das "Ob" (Erfolg der ZV durch zumindest teilweise Befriedigung) betrifft. Schulz plädiert dafür, innerhalb dieses weitgesteckten Rahmens zwischen "Wie" und "Ob" eine wertende Betrachtungsweise für den Einzelfall an den Tag zu legen, indem sachliche, zeitliche und sonstige Aspekte einbezogen werden, also z. B. den Einfluß der Maßnahme auf den Verlauf des Prozesses (hier: der ZV) oder dessen Ausgang.

    Nun könnte man für die Erstattungsfähigkeit eines solchen Immobiliengutachtens die Entscheidung des BGH (Rpfleger 2015, 159) heranziehen, der entschieden hat, daß die Kosten eines vom Gläubiger betriebenen Zwangsversteigerungsverfahren nicht erstattbar sind, wenn der Gläubiger erkennbar nicht mal teilweise eine Befriedigung erreichen kann. Aus der Entscheidung ergibt sich allerdings nichts über das vermeintliche Unwissen des Gläubigers über die Höhe des Wertes des dort versteigerten Miteigentumsanteils zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens (der Punkt sei nicht angegriffen worden, so der BGH). Demnach könnte man sich als Gläubiger für die Notwendigkeit des privaten Wertgutachtens auf den Standpunkt zurückziehen, daß dessen Kosten gerade deshalb bereits im Vorfeld notwendig seien.

    Daraus folgt m. E. aber, daß es auf den Einzelfall ankommt. Denn die entscheidenden Worte in der Entscheidung des BGH sind "erkennbar" und "nicht mal teilweise Befriedigung". Der Blick in das Grundbuch (darauf stellt der BGH bei seiner Entscheidung ab: die im Rang vorgehenden Belastungen) und z. B. die Auskunft des Bodenrichtwertes (mein Vorschlag) kann zumindest einen ersten Anhalt geben, in welchen Größenordnungen man sich bei beidem bewegt und inwieweit sich bereits daraus ergibt, daß nicht mal teilweise die eigene Forderung befriedigt werden wird. Soweit der Gläubiger evtl. auch eigene Kenntnisse über das Grundstück (z. B. seinen Bauzustand, konkrete Lage usw.) hat, also weitere Auf- oder Abschläge aus eigenem Wissen vornehmen kann, kann das die "Erkennbarkeit" natürlich auch beeinflussen. Im Zweifel geht das zu Lasten des Schuldners, weil die Erkennbarkeit für den Gläubiger ja gerade positiv feststehen muß, um keine Notwendigkeit der Kosten feststellen zu können.

    Auch die Höhe der Vollstreckungsforderung kann durchaus ausschlaggebend sein, inwieweit eine wirtschaftlich denkende, vernünftige Partei also Kosten verursachen würde, die u. U. außer Verhältnis zum möglicherweise zweifelhaften Erfolg stehen.

    Ich denke deshalb, man kann im Ergebnis in beide Richtung entsprechend argumentieren und Gründe finden.

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