§ 765 a ZPO und unredlicher Schuldner

  • Guten Tag,

    folgender Sachverhalt liegt mir zur Entscheidung mir vor:

    Vollstreckungsversteigerung gegen Schuldnergemeinschaft --> einer der Schuldner ist schwer psychisch krank und suizidal (Gutachten liegt vor, Therapie beschränkt sich auf Erhalt des derzeitigen Zustands, voll geschäftsfähig) --> eine Aufhebung des Verfahrens wäre ggf. gerechtfertigt; die Schuldner leisten trotz Zahlungsfähigkeit seit Jahren keine Zahlungen an den Gläubiger (Einkommen liegen über Pfändungsgrenzen) --> machen auch keine Anstalten sich mit der Gläubigerin zu einigen--> Gesamteindruck aus dem seit mehreren Jahren laufenden Verfahren: Schuldner instrumentalisieren die Erkrankung, nutzen diese aus und schädigen damit "vorsätzlich" den Gläubiger

    Ich habe jetzt das Problem, dass das unredliche Verhalten der Schuldner m.E. gegen eine Verfahrensaufhebung/-Einstellung spricht.

    Sehe ich das falsch? Gibt es vllt. zu ähnlichen Konstellationen obergerichtliche Rechtsprechung? Alle von mir gefundenen Entscheidungen setzen sich nicht mit der Redlichkeit d. Schuldners auseinander.

    Danke für die Aufmerksamkeit.

    Purzel

  • Ich meine nicht, dass es für den Vollstreckungsschutz §765a ZPO auf die "Redlichkeit" des Schuldners ankommt.

    Insbesondere, wenn Suizidalität im Raum steht, muss man diesen Komplex m.E. streng von den anderen Faktoren trennen.

    Die Vollstreckungsmaßnahme ist auf eine etwaige sittenwidrige Härte zu prüfen und zu untersuchen; auf diese kommt es an!

    Das Verhalten des Schuldners spielt allenfalls dann eine Rolle, wenn er sich den Untersuchungen nicht stellt.

    Letztlich zieht sich diese Sache wie ein Faden durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Themenkomplex

    zuletzt z.B. BGH, 07.11.2019; V ZB 135/18

    RN 5:
    Das Beschwerdegericht meint, den Vollstreckungsschutzantrag trotz fortbestehender akuter Suizidgefahr zurückweisen zu können. Es stützt seine Entscheidung neben dem gering ausgeprägten Therapiewillen der Beteiligten zu 1 auf folgende Überlegungen: Das Verfahren dauere jetzt schon zehn Jahre. Zu berücksichtigen sei ferner die hohe finanzielle Belastung des Beteiligten zu 2, der seinen Anteil an dem in dem Haus gebundenen Vermögen nicht für sein eigenes Leben einsetzen könne. Er habe angesichts seines hohen Alters ein schützenswertes Interesse daran, das Ende des Zwangsversteigerungsverfahrens und den Nutzen seines Eigentums überhaupt noch zu erleben. Der Beteiligten zu 1 sei eine vorübergehende stationäre Unterbringung zuzumuten, die das Betreuungsgericht allerdings abgelehnt habe...."

    RN 6:
    Diese Erwägungen halten im entscheidenden Punkt einer rechtlichen Prüfung nicht stand.


    Letztlich schreibt der BGH:
    Wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass mit der Erteilung des Zuschlags eine akute Suizidgefährdung einhergeht und die primär lebensschützenden Stellen, wie das Betreuungsgericht und das Gesundheitsamt nicht tätig werden, wird nicht versteigert; egal was sonst damit in Zusammenhang steht.

    Wumms Ende


    RN 20:
    Die im System der maßgeblichen Vorschriften angelegte Schwäche, dass die Vollstreckungsgerichte den Lebensschutz des Schuldners zu Lasten des Gläubigers gewährleisten müssen, wenn die primär zuständigen staatlichen Stellen nicht eingreifen, lässt sich mit den Mitteln richterlicher Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung nicht ausgleichen. Sie kann nur durch eine Ergänzung der gesetzlichen Vorschriften über den Vollstreckungsschutz, über die Handlungsmöglichkeiten der primär für den Lebensschutz zuständigen Behörden oder Stellen oder durch eine Kombination von beidem behoben werden. Das ist die Aufgabe des zuständigen Bundes- oder Landesgesetzgebers.

    RN 21:
    Bis dahin wird das Vollstreckungsgericht deshalb ein Zwangs- oder Teilungsversteigerungsverfahren regelmäßig einstweilen einzustellen und in regelmäßigen Zeitabständen eine Veränderung der Lage zu prüfen haben, wenn sich weder durch eigene noch durch Maßnahmen anderer Stellen sicherstellen lässt, dass sich die akute Suizidgefahr durch den Zuschlag nicht verwirklicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. Dezember 2007 - V ZB 67/07, NJW 2008, 586 Rn. 10 und vom 16. März 2017 - V ZB 150/16, NJW-RR 2017, 695 Rn. 8). Das gilt auch dann, wenn die für den Lebensschutz primär zuständigen Stellen an sich die Möglichkeit hätten, diesen auf andere Weise sicherzustellen, hiervon aber keinen Gebrauch machen, oder wenn der suizidgefährdete Beteiligte durch eigene Mitwirkung einen weiteren Aufschub der Teilungsversteigerung hätte vermeiden können oder künftig vermeiden könnte, es aber nicht tut.


    Ich kaufe ein "I" und möchte lösen! -BOCKWURST-


    Wenn ich sterbe, sollen meine Überreste in Disneyland verstreut werden.
    Außerdem möchte ich nicht verbrannt werden.

  • Ich würde empfehlen, zunächst die einzelnen Härten auf Schuldner- und Gläubigerseite zu ermitteln und zu gewichten.
    Eine erst darauf folgende Abwägeentscheidung hat natürlich immer auch ein gegen die Guten Sitten verstoßendes Verhalten auf Schuldnerseite zu berücksichtigen, sonst droht sie ermessensfehlerhaft zu sein, weil sie nicht den gesamten Sachverhalt würdigt.
    Natürlich ist dabei dem Lebensschutz per se abstrakt besonderes Gewicht beizumessen, aber die konkreten Einzelfälle sind auch anders denkbar.
    Hilfreich kann sein, die Entscheidung von der Rechtskraft abhängig zu machen.

  • Ob eine sittenwidrige Härte vorliegt ist extrem einzelfallabhängig. Zudem stellt "Härte" auf den Schuldner ab. Es geht hierbei also klar um den Bereich des Schuldners, seine Person etc.

    Das Verhalten des Schuldners ist mE also auch zu berücksichtigen.

    Ob das dann am Ende zu einem anderen Ergebnis führt, zeigt sich dann am Ende, wenn die Argumente und Gründe gegeneinander aufgewogen werden. Da kann sich jetzt eine Entscheidung ergeben, die uU in 6 Monaten oder 1 Jahr ganz anders ausfällt, auch wenn sich außer dem Zeitablauf sonst nichts getan hat.

    "Just 'cos you got the power, that don't mean you got the right!" ((c) by Mr. Kilmister, passt zum Job)

    "Killed by Death" (ebenfalls (c) by Lemmy, passt eigentlich immer)

  • Ich würde empfehlen, zunächst die einzelnen Härten auf Schuldner- und Gläubigerseite zu ermitteln und zu gewichten.
    Eine erst darauf folgende Abwägeentscheidung hat natürlich immer auch ein gegen die Guten Sitten verstoßendes Verhalten auf Schuldnerseite zu berücksichtigen, sonst droht sie ermessensfehlerhaft zu sein, weil sie nicht den gesamten Sachverhalt würdigt.
    Natürlich ist dabei dem Lebensschutz per se abstrakt besonderes Gewicht beizumessen, aber die konkreten Einzelfälle sind auch anders denkbar.
    Hilfreich kann sein, die Entscheidung von der Rechtskraft abhängig zu machen.

    :daumenrau Auch die schutzwürdigen Interessen und Bedürfnisse des Gläubigers müssen in die Abwägung eingezogen werden. Wenn ich lese "...die Schuldner leisten trotz Zahlungsfähigkeit seit Jahren keine Zahlungen an den Gläubiger (Einkommen liegen über Pfändungsgrenzen)" muss man denen im vorliegenden Fall sogar besonderes Gewicht zusprechen. Aber wie die Vorredner - alles Einzelfallentscheidung. Ich für meinen Teil habe mich in meinen Entscheidungen bislang (unter anderem) auch immer an dem Sprichwort "Reisende soll man ziehen lassen." orientiert.

    Auch wenn ein Beamter schnell und unbürokratisch handelt, kann eine amtliche Tätigkeit vorliegen.
    (LG Bielefeld, Urteil vom 28. Januar 2003 – 2 O 634/02 –, juris)

    Ein Narr ist viel bemüht; des Weisen ganzes Tun,
    Das zehnmal edeler, ist Lieben, Schauen, Ruhn.
    Angelus Silesius (1624 - 1677)

  • Ich hab jetzt vorausgesetzt, dass sachverständig festgestellt wird, dass im Falle einer Zuschlagserteilung eine akute Suizidgefahr besteht.
    Das muss erstmal geschehen- und passiert nicht einfach so!

    Wenn ich das aber annehme, dann kommt es auf die Zahlungsmoral des Schuldners oder auch die sonstige Redlichkeit nicht an, meine ich.

    Nicht einmal ein fehlender Therapiewille führt nach BGH dazu, dass sich die Waagschale zu Gunsten des Gläubigers neigt.
    Die Entscheidung behandelt tatsächlich einen ziemlichen Extremfall.
    Viel mehr kann zu Gunsten eines Gläubigers/Antragstellers und zulasten einer Schuldnerin/Antragsgegnerin nicht gegeben sein.
    Nicht einmal echte wirtschaftliche Bedürftigkeit des Antragstellers hat durchgegriffen.


    Sicher muss eine Gesamtabwägung vorgenommen werden und man muss alle möglichen Aspekte mit einbeziehen.

    Aber letztlich wird sich der Lebensschutz durchsetzen.


    Klar, wenn sich die Härte nicht aus einer akuten Suizidgefahr infolge der Zuschlagserteilung ergibt, sieht die Welt anders aus.

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    Außerdem möchte ich nicht verbrannt werden.

  • Es hängt immer vom Einzelfall ab.
    Was wäre, wenn der Schuldner wegen Betrug zu Lasten des Gläubigers verurteilt wurde?
    Oder der Schuldner den Hausfrieden stört, indem er Mitbewohner vermöbelt oder wegen des Schuldners ständig die Feuerwehr vorbeikommt, weil es brennt?
    Oder wenn das Aussetzen der Vollstreckung eine schwerwiegende Gesundheitsgefährdung auf Gläubigerseite besorgen ließe?

    Die Zahlungsmoral ist m. E. stets von Bedeutung, weil diese je nach Fall auch Verstöße gegen Treu und Glauben verursachen könnte und so die hier zu prüfenden Sittenwidrigkeit beeinflusst werden kann - ich würde während des Verfahrens deswegen auch insoweit stets mit Auflagen arbeiten.

  • Das sehe ich auch so. Das Verhalten des Schuldners ist auf jeden Fall von Bedeutung. Das bewusste "Ausnutzen" einer Erkrankung zum Nachteil des Gläubigers stellt ohne Frage einen Verstoß gegen "Treu und Glauben" dar. Letztendlich kommen wir hier in den Bereich der missbräuchlichen Rechtsausübung.
    Mal angenommen: Das Verfahren wird unbefristet eingestellt. Auflagen: Zahlung monatlicher Raten/Unterlassung aller Aktivitäten, die die bestehende Leistungsfähigkeit beinträchtigen --> analog PKH/jährliche Überprüfung/in fünf Jahren neues Gutachten. Das dürfte doch funktionieren?

  • 765a hat leider keine "Redlichkeitsklausel", besondere Härte ist besondere Härte. Auch bei selbst verursachtem Räumen/Versteigern- was fast immer der Fall ist, denn es ist ja immer ein Einkommen da, was aber für andere Dinge verwendet wurde. Danach dürfte man also sonst kaum Räumungsschutz bewilligen...

    zur Redlichkeit:
    die Behauptung: "die Schuldner leisten trotz Zahlungsfähigkeit seit Jahren keine Zahlungen an den Gläubiger (Einkommen liegen über Pfändungsgrenzen)" ist für mich absolut unglaubwürdig! Sollte es tatsächlich so sein, würde jeder Gläubiger pfänden- also kein unredlicher Schuldner, da es keine verfügbaren über den Pfändungsgrenzen liegenden Beträge gibt. Die sind höchstwahrscheinlich durch andere Gläubiger gepfändet oder der Gläubiger hat sich jahrelang echt dämlich verhalten, was ich aber als unwahrscheinlich ansehe...

  • 765a hat leider keine "Redlichkeitsklausel", besondere Härte ist besondere Härte.


    Im Gesetz steht vor und nach "besondere Härte" noch weiteres, insbesondere ist auch die dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht unähnliche Generalklausel "gute Sitten".
    Unsittliches Schuldnerverhalten kann, muss aber nicht je nach Einzelfall kausal sein für das Vorliegen einer Vereinbarkeit der Zwangsvollstreckungsmaßnahme mit den Gute Sitten. Ich habe denkbare Beispiele genannt.

  • Die Redlichkeitsklausel steckt mE in den verwendeten Begriffen, die ja mit Leben gefüllt werden wollen.

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    "Killed by Death" (ebenfalls (c) by Lemmy, passt eigentlich immer)

  • Das sehe ich auch so. Das Verhalten des Schuldners ist auf jeden Fall von Bedeutung. Das bewusste "Ausnutzen" einer Erkrankung zum Nachteil des Gläubigers stellt ohne Frage einen Verstoß gegen "Treu und Glauben" dar. Letztendlich kommen wir hier in den Bereich der missbräuchlichen Rechtsausübung.
    Mal angenommen: Das Verfahren wird unbefristet eingestellt. Auflagen: Zahlung monatlicher Raten/Unterlassung aller Aktivitäten, die die bestehende Leistungsfähigkeit beinträchtigen --> analog PKH/jährliche Überprüfung/in fünf Jahren neues Gutachten. Das dürfte doch funktionieren?

    Ich habe die Rechtsprechung nicht zur Hand, meine aber, dass die Meinung vorherrscht, dass - trotz möglicher Suizidalität - eine Einstellung auf Dauer nur in absoluten Ausnahmefällen vertreten wird (z. B. 90jähriger Schuldner, der seit 70 Jahren im Haus wohnt,...). Schließlich verwehrt man dann dem Gläubiger auch dessen Rechte auf Dauer, was für den wiederum unzumutbar ist. Wenn, dann ist Vollstreckung für einen bestimmten Zeitraum einzustellen...

    Auch wenn ein Beamter schnell und unbürokratisch handelt, kann eine amtliche Tätigkeit vorliegen.
    (LG Bielefeld, Urteil vom 28. Januar 2003 – 2 O 634/02 –, juris)

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    Angelus Silesius (1624 - 1677)

  • Das sehe ich auch so. Das Verhalten des Schuldners ist auf jeden Fall von Bedeutung. Das bewusste "Ausnutzen" einer Erkrankung zum Nachteil des Gläubigers stellt ohne Frage einen Verstoß gegen "Treu und Glauben" dar. Letztendlich kommen wir hier in den Bereich der missbräuchlichen Rechtsausübung. Mal angenommen: Das Verfahren wird unbefristet eingestellt. Auflagen: Zahlung monatlicher Raten/Unterlassung aller Aktivitäten, die die bestehende Leistungsfähigkeit beinträchtigen --> analog PKH/jährliche Überprüfung/in fünf Jahren neues Gutachten. Das dürfte doch funktionieren?

    Ich habe die Rechtsprechung nicht zur Hand, meine aber, dass die Meinung vorherrscht, dass - trotz möglicher Suizidalität - eine Einstellung auf Dauer nur in absoluten Ausnahmefällen vertreten wird (z. B. 90jähriger Schuldner, der seit 70 Jahren im Haus wohnt,...). Schließlich verwehrt man dann dem Gläubiger auch dessen Rechte auf Dauer, was für den wiederum unzumutbar ist. Wenn, dann ist Vollstreckung für einen bestimmten Zeitraum einzustellen...


    ….


    mein Rat, mach den Termin, erteile den Zuschlag, wenn ein zuschlagsfähiges Gebot erfolgt,.... dann weist du den Schutzantrag zurück...Vermutlich kommt ohnehin eine Zuschlagsbeschwerde und dann soll das LG in 9 Monaten prüfen ob §765a zieht oder nicht......Alles andere ist "Rumhampelei".
    Wir sind Entscheider und so handele ich seit 40 Jahren !

    Jahreslosung 2024: Alles was ihr tut, geschehe in Liebe

    1. Korinther 16,14

  • Ich denke schon, dass bei der Abwägung der Interessen des Gläubigers und des Schuldners, auch das Verhalten des Schuldenrs eine Rolle spielt. In der Regel versehe ich die Einstellungsbeschlüsse mit Auflagen. Das reicht von der Anordnung regelmäßig zum Arzt zu gehen bis zur Zahlung von Raten. Ich schaue dann immer a) was verdient der Schuldner und b) wie hoch sind die dinglichen Zinsen. Und das LG hat mich noch nie aufgehoben. Also ist es nicht ganz so falsch.

    Lasst ja die Kinder viel lachen, sonst werden sie böse im Alter. Kinder, die viel lachen, kämpfen auf der Seite der Engel.
    Hrabanus Maurus


    Nach manchen Gesprächen mit einem Menschen hat man das Verlangen, eine Katze zu streicheln, einem Affen zuzunicken oder vor einem Elefanten den Hut zu ziehen.
    Maxim Gorki



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