Erbscheinsinhalt bei Vorausvermächtnissen nach § 2110 Abs. 2 BGB

  • Im Forum wurde bereits wiederholt darüber diskutiert, wie der Erbschein inhaltlich zu fassen ist, wenn dem Vorerben bei angeordneter Nacherbfolge ein Vorausvermächtnis nach § 2110 Abs. 2 BGB zugewendet wurde. Ich kann heute über zwei Beschlüsse des OLG Nürnberg und des OLG Bamberg berichten, die sich mit derm gebotenen Inhalt des nach dem Eintritt der Nacherbfolge zu erteilenden Erbscheins (nach Einziehung des Vorerbenerbscheins) befassen. Es handelt sich dabei um folgende bislang unveröffentlichte Entscheidungen:

    OLG Bamberg, Beschl. v. 16.12.2019, Az. 4 W 50/19
    OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.12.2019, Az. 15 W 2285/19

    Der Sachverhalt in Kürze:

    Die Ehegatten hatten in einem gemeinschaftlichen Testament verfügt, dass der Nachlass des erstversterbenden Ehemannes (mit Ausnahme einiger den beiden Kindern zugewendeten werthaltigen Nachlassgegenstände) der überlebenden Ehefrau und der Nachlass der überlebenden Ehefrau beiden Kindern zukommen sollte, das gemeinschaftliche Hausgrundstück (je 1/2) der Ehegatten aber der (einzigen) Enkelin der Eheleute erhalten bleiben muss und dass daher nicht über diesen Grundbesitz verfügt werden darf.

    Das für den ersten Sterbefall zuständige Nachlassgericht A und das für den zweiten Sterbefall zuständige Nachlassgericht B hatten das Testament zunächst in der Weise ausgelegt, dass nach dem erstverstorbenen Ehemann die gesetzliche Erbfolge eingetreten ist (Witwe und beide Kinder als Vollerben) und dass die überlebende Ehefrau von beiden Kindern als Vollerben beerbt wurde (es wurden entsprechende Erbscheine erteilt). Die zugunsten der Enkelin getroffenen Regelungen wurden dabei jeweils lediglich als Vermächtnis- bzw. Nachvermächtnisanordnungen angesehen, weil sich das von den testierenden Eheleuten beabsichtigte Ergebnis angeblich auf dinglichem erbrechtlichem Wege nicht erreichen lasse.

    Nach dem Ableben beider Elternteile verstarb auch der infolge erklärter Erbausschlagungen vom Fiskus beerbte Sohn, über dessen Nachlass das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, sodass der Insolvenverwalter - wie üblich - beabsichtigte, auf die erbrechtliche Beteiligung des Sohnes nach beiden Elternteilen zuzugreifen (1/4-Miterbe als Vollerbe nach dem Vater im Rahmen der Erbengemeinschaft 1 und 1/2-Vollerbe nach der Mutter im Rahmen der Erbengemeinschaft 2).

    In der Folgezeit wurden die beiden erteilten Erbscheine nach dem erfolgten entsprechenden anwaltlichen Schriftverkehr und dem üblichen Hin und Her wegen Unrichtigkeit eingezogen, weil das Testament nunmehr (zutreffend) wie folgt ausgelegt wurde:

    Nachlass des erstverstorbenen Ehemannes:

    Der Ehemann wurde von der Ehefrau alleine beerbt (Zuwendung des wesentlichen Nachlasses), die beiden Kinder waren im Hinblick auf die ihnen zugewendeten Nachlassgegenstände Vermächtnisnehmer. Die Witwe war jedoch nur Vorerbin, wobei sich die Nacherbfolge infolge der Anordnung von Vorausvermächtnissen für den gesamten Restnachlass auf den Miteigentumshälfteanteil des Ehemannes an dem vorhandenen gemeinsamen Grundbesitz beschränkt (§ 2110 Abs. 2 BGB). Nacherben sind die beiden Kinder zu gleichen Anteilen, die aber ihrerseits wiederum nur Vorerben sind. Nachnacherbin ist jeweils die (noch lebende) Enkelin, ersatzweise deren Abkömmlinge (§ 2069 BGB).

    Nachlass der überlebenden Ehefrau:

    Die beiden Kinder sind Erben zu gleichen Anteilen als Vorerben. Für den Erbanteil eines jeden Miterben ist die Enkelin Nacherbin (ersatzweise deren Abkömmlinge), wobei sich die Nacherbfolge infolge der Anordnung von Vorausvermächtnissen für den gesamten Restnachlass auf den Miteigentumshälfteanteil der Ehefrau an dem besagten Grundbesitz beschränkt (§ 2110 Abs. 2 BGB).

    Durch das Ableben von Ehefrau und Sohn sind für die Erbfälle von Ehemann und Ehefrau bislang folgende Nach(nach)erbfolgen eingetreten:

    Durch das Ableben der Ehefrau war die nach dem Ehemann angeordnete (erste) Nacherbfolge eingetreten. Der Hälftemiteigentumsanteil des Ehemannes an dem gemeinsamen Grundbesitz ging demzufolge zunächst auf die beiden Kinder als Vorerben über. Durch das nachfolgende Ableben des Sohnes trat insoweit auch die (erste) Nachnacherbfolge zugunsten der Enkelin ein, sodass (nur) im Hinblick auf den besagten Miteigentumshälfteanteil aktuell eine Erbengemeinschaft zwischen Tochter und Enkelin im Hinblick auf den Nachlass des Ehemannes besteht (Tochter als weitere Vorerbin mit Nacnacherbfolge zugunsten der Enkelin).

    Durch das Ableben des Sohnes war des Weiteren auch die nach der Ehefrau angeordnete (erste) Nacherbfolge (für den Erbteil des Sohnes) eingetreten, sodass (nur) im Hinblick auf den Miteigentumshälfteanteil der Ehefrau aktuell eine Erbengemeinschaft zwischen Tochter und Enkelin im Hinblick auf den Nachlass der Ehefrau besteht (Tochter als Vorerbin mit Nacherbfolge zugunsten der Enkelin).

    Als Folge dieser Rechtslage wurde nach erfolgter Einziehung der beiden ursprünglichen Erbscheine nunmehr die Erteilung von Erbscheinen beantragt, welche die vorstehende Rechtslage inhaltlich zutreffend wiedergeben. Der Inhalt dieser Erbscheine wurde von der antragstellenden Enkelin dezidiert wie folgt angegeben:

    Erbschein nach dem erstverstorbenen Ehemann:
    (Ehemann) ist beerbt worden von

    a) Für den gesamten Nachlass mit Ausnahme des Hälftemiteigentumsanteils des Erblassers an dem im Grundbuch des Amtsgerichts ... für ... Blatt .... vorgetragenen Grundbesitz:
    Von (Ehefrau) als Alleinerbin und Vollerbin (Vorausvermächtnisanordnung nach § 2110 Abs. 2 BGB).

    b)
    Für den Hälftemiteigentumsanteil des Erblassers an dem in lit. a) genannten Grundbesitz:
    aa) Von (Tochter) zur Hälfte, aufgrund des Eintritts des ersten Nacherbfalls infolge des am ... erfolgten Ablebens der ersten Vorerbin (Ehefrau). Für den Erbteil von (Tochter) ist weitere Nacherbfolge (Nachnacherbfolge) angeordnet, die mit dem Ableben der Vorerbin eintritt. Nachnacherbin ist (Enkelin). Ersatznachnacherben sind die Abkömmlinge der Nachnacherbin zu gleichen Stammanteilen nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.
    bb) Enkelin zur Hälfte, aufgrund des Eintritts des ersten Nacherbfalls infolge des am ... erfolgten Ablebens der ersten Vorerbin (Ehefrau) und aufgrund des Eintritts des ersten weiteren Nacherbfalls (Nachnacherbfalls) infolge des am ... erfolgten Ablebens des zweiten Vorerben (Sohn).

    Erbschein nach der überlebenden Ehefrau:

    (Ehefrau) ist beerbt worden von

    a) Für den gesamten Nachlass mit Ausnahme des Hälftemiteigentumsanteils der Erblasserin an dem im Grundbuch des Amtsgerichts ... für ... Blatt .... vorgetragenen Grundbesitz:
    Von (Sohn), nachverstorben ... , und (Tochter) zu gleichen Anteilen (je zur Hälfte) als Vollerben (Vorausvermächtnisanordnung nach § 2110 Abs. 2 BGB).

    b) Für den Hälftemiteigentumsanteil der Erblasserin an dem in lit. a) genannten Grundbesitz:
    aa) Von (Tochter) zur Hälfte. Für den Erbteil von (Tochter) ist Nacherbfolge angeordnet, die mit dem Ableben der Vorerbin eintritt. Nacherbin ist (Enkelin). Ersatznacherben sind die Abkömmlinge der Nacherbin zu gleichen Stammanteilen nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.
    bb) Von (Enkelin) zur Hälfte, aufgrund des Eintritts des ersten Nacherbfalls aufgrund des am ... erfolgten Ablebens des Vorerben (Sohn).

    Wegen der mit dem vorliegenden Inhalt gebotenen Formulierung des Erbscheins wurde auf die Rechtsprechung des OLG München verwiesen (OLG München, Beschl. v. 01.10.2014, 31 Wx 314/14, Rpfleger 2015, 94 = FamRZ 2015, 964 = FGPrax 2015, 38 = MittBayNot 2015, 416).

    Die Erbscheinsanträge wurden von den beiden Nachlassgerichten durch die insoweit nach Landesrecht zuständigen Rechtspflegerinnen zurückgewiesen, weil beide Nachlassgerichte das den gestellten Erbscheinsanträge zugrunde liegende rechtliche Kontrukt trotz ausführlichen diesbezüglichen Sachvortrags nicht verinnerlichen konnten. Insbesondere vermengten sie die vorliegende Fallgestaltung mit derjenigen einer wertquotalen Nacherbfolge und sie konnten des Weiteren nicht nachvollziehen, dass der Inhalt der Vorerbenerbscheine (den es mit zutreffendem Inhalt niemals gab, weil die ursprünglichen Erbscheine ohne Berücksichtigung der angeordneten Nacherbfolgen erteilt worden waren) auch den gebotenen Inhalt des nach dem Eintritt des Nacherbfalls zu erteilenden Erbscheine diktiert und dass in diese Erbscheine daher auch die für den Restnachlass eingetretene Vollerbschaft von Ehefrau/Tochter/Sohn aufgenommen werden muss, weil (a) ansonsten der unzutreffende Eindruck entstünde, die im Nacherbenerbschein ausgewiesene Erbfolge würde sich auf den gesamten Nachlass erstrecken und die Erbfolge daher insgesamt nicht zutreffend wiedergegeben würde und es (b) ansonsten überhaupt keinen Erbnachweis mehr für die besagte Vollerbenstellung gäbe.

    Die beiden Oberlandesgerichte haben die Zurückweisungsbeschlüsse der beiden Nachlassgerichte jeweils aufgehoben und die Nachlassgerichte zur Erteilung der beiden Erbscheine mit den vorstehend genannten Inhalten angewiesen.

    Ergebnis: Der Grundbesitz ist für die Enkelin „gerettet“ und der für den Nachlass des Sohnes amtiertende Insolvenzverwalter ging leer aus, weil der jeweilige Grundbesitz-Hälftemiteigentumsanteil von Ehemann und Ehefrau Form der jeweiligen erbengemeinschaftlichen Beteiligung des Sohnes an den Nachlässen seiner Eltern nie zu dessen Eigenvermögen und daher auch nicht zu dessen Eigennachlass gehörte.

    Der Sachverhalt ist nach meiner Ansicht sehr lehrreich, weil er zur Vermeidung von erbrechtlichen Denkfehlern beiträgt und das nach § 2110 Abs. 2 BGB maßgebliche rechtliche Konstrukt detailliert aufbereitet.

    2 Mal editiert, zuletzt von Cromwell (1. September 2020 um 12:59) aus folgendem Grund: Absätze neu formatiert

  • Die Fragen der Testamentsauslegung und des Erbscheinsinhalts bei Vorausvermächtnissen zugunsten des alleinigen oder zugunsten mehrerer Vorerben wurden im Forum bereits so oft - und immer wiederkehrend - kontrovers diskutiert, dass ich mich ein wenig wundere, weshalb die beiden von mir eingestellten Entscheidungen bislang keine entsprechende Resonanz erfahren.

    Hier noch einige beispielhafte Links im Hinblick auf die bisherigen Diskussionen:

    https://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php…l=1#post1058574

    https://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php…ll=1#post981489

    https://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php…l=1#post1076105

    https://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php…l=1#post1070751


    https://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php?82116-Vorerbschaft-nur-hinsichtlich-Grundbesitz&p=1079465&viewfull=1#post1079465</a><br>

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