Erbenanfrage von Versicherungen nach § 160 Abs. 2 VVG

  • Liebe Kollegen, ich möchte zu folgendem Thema gern Eure Erfahrungen und Meinungen hören: Es ist unstrittig, dass die Versicherungen aufgrund § 160 Abs. 2 VVG ihre eigene Auslegung der "Erben" als Bezugsberechtige haben. In letzter Zeit häufen sich solche Anfragen von Versicherungen: "Der Erbschein vom ... liegt uns vor. Aufgrund § 160 As. 2 VVG teilen Sie uns bitte mit, welche Personen mit welchem Anteil als Erben in Betracht kamen, die ihre Erbschaft nicht angetreten haben." Ich persönlich bin der Meinung, dass ich als das Nachlassgericht nicht verpflichtet, nicht befugt und letztlich auch nicht in der Lage bin, solche Auskünfte zu geben. Zum Beispiel prüfe ich in der Regel nicht streng durch Urkunden, ob Ausschlagende tatsächlich zu den (erstberufenen) gesetzlichen Erben gehören. Es widerstrebt mir, eine "Quasi-Erbfolge" nach außen zu geben, auf die sich die Versicherung am Ende noch berufen und bei falschen oder unvollständigen Angaben Haftungsansprüche herleiten möchte.

  • Ich würde vermutlich die Erstberufenen und deren Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser angeben und für weitergehende Informationen auf die Möglichkeit der Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle des NLG am Sitz der Versicherungsgesellschaft hinweisen.

  • Eine solche Anfrage haben wir letztens auch bekommen. Wirwaren uns dabei allesamt einig, dass wir solche Auskünfte nicht erteilen. DasNachlassgericht hat die Erbfolge zu ermitteln, wie sie sich tatsächlich rechtlich darstellt und nicht "wie sie hätte sein können, wenn ..." Wir haben die Versicherung darauf verwiesen, dass sie selbst für die Auslegung ihrer Normen zuständig ist.


  • DasNachlassgericht hat die Erbfolge zu ermitteln, wie sie sich tatsächlich rechtlich darstellt und nicht "wie sie hätte sein können, wenn ..."

    Genau. Und darüber hinaus hat das Nachlassgericht nach § 1960 BGB für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, sofern ein Bedürfnis besteht. Sind die Erben bekannt und handlungsfähig (Erbschein), besteht für das Nachlassgericht kein Handlungsbedarf. Sind die Erben aber unbekannt oder ist die Erbschaftsannahme aufgrund laufender Ausschlagungsfristen ungewiss, kann in solchen Fällen das dringende Bedürfnis für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft bestehen. Aus meiner Sicht hat die Versicherung unter keinen Umständen ein Einsichtsrecht in die Nachlassakte.

    Begründung:

    Ist eine Versicherungsleistung per Drittbezugsrecht auf den Todestag abgetreten, fällt diese nicht in den Nachlass, sondern der Drittbezugsberechtigte erwirbt den Anspruch direkt aus dem Versicherungsvertrag. Daher darf das Nachlassgericht nicht dem Drittbezugsberechtigten dazu verhelfen, die Versicherungsleistung zu bekommen, sondern muss die Interessen des (unbekannten) Erben schützen. Dieser hat allerdings in der Regel kein Interesse daran, dass der Drittbezugsberechtigte die Versicherungsleistung erhält, sondern das Interesse des Erben liegt darin, die Versicherungsleistung in den Nachlass zu erhalten.

    Dies kann unter zwei Umständen möglich sein:

    1. Der Bezugsberechtigte hat von dem Bezugsrecht keine Kenntnis

    Wenn, wie im Ausgangsfall, der Versicherung der Bezugsberechtigte nicht bekannt ist, ist es wahrscheinlich, dass auch der Drittbezugsberechtigte nichts von dem Bezugsrecht weiß, denn sonst würde er ja der Versicherung gegenüber nachweisen, dass er erbberechtigt gewesen wäre, aber die Erbschaft ausgeschlagen hat.

    Wenn der Bezugsberechtigte aber keine Kenntnis vom Bezugsrecht hat, kann der Erbe (oder der ihn vertretende Nachlasspfleger) die im Valutaverhältnis (Rechtsverhältnis zwischen Erblasser und Drittbezugsberechtigten) liegende Schenkung widerrufen (vgl. Schulz in Schulz (Hrsg.): Handbuch Nachlasspflegschaft 2. Aufl. 2017, Rn. 409 ff.; BGH v. 21.05.2008 - IV ZR 238/06).

    Hat der Nachlasspfleger gegenüber dem Drittbezugsberechtigten das Schenkungsversprechen des Erblassers wirksam widerrufen, bevor es der Drittbezugsberechtigte mangels Kenntnis annehmen konnte, erhält dieser zwar die Versicherungsleistung, muss sie aber nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung an den Nachlasspfleger herausgeben.

    Das funktioniert auch in der Praxis recht gut.


    2. Zahlungsunfähiger oder überschuldeter Nachlass

    Ist der Nachlass (drohend) zahlungsunfähig oder überschuldet kann die Versicherungsleistung im Wege der Insolvenzanfechtung (§ 134 InsO) zur Insolvenzmasse gezogen werden, auch wenn der Bezugsberechtigte die Versicherungsleistung bereits erhalten hat.

    Auch hier sollte vom Nachlassgericht geprüft werden, ob ein Nachlasspfleger zu bestellen ist, der ggf. einen Nachlassinsolvenzantrag stellt, damit die Versicherungsleistung im Wege der Anfechtung dem Nachlass zugeführt wird. Es kommt nicht selten vor, dass der Erblasser ein Girokonto mit wenigen hundert Euro hinterlässt, aber ein Sparbuch oder eine Versicherung im Wert von 100.000,00 € per Drittbezugsrecht abgetreten hat. Solche im Valutaverhältnis liegende Schenkungen müssen vom Nachlasspfleger (notfalls durch Insolvenzantrag) rückgängig gemacht werden.

    In der Praxis kann der Nachlasspfleger auch mit dem Drittbezugsberechtigten verhandeln, dass er die Nachlassverbindlichkeiten trägt und den Insolvenzgrund beseitigt. Dann bleibt ihm in der Regel mehr, als wenn er seine Forderung (§ 144 Abs. 1 InsO) zur Insolvenztabelle anmelden würde.

    Das funktioniert in der Praxis auch sehr gut und alle sind zufrieden (außer dem potentiellen Insolvenzverwalter, dem ein Verfahren entgeht).

    Dies gilt übrigens für alle Schenkungen innerhalb der Vierjahresfrist des § 134 InsO. Also z.B. auch in der Konstellation, dass ein Ehepartner dem anderen in Kenntnis seines nahen Todes seine ideelle Hälfte des gemeinsamen Hauses schenkweise überträgt, und der überlebende Ehepartner dann die Erbschaft wegen Überschuldung ausschlägt.

    Fazit:

    Das Nachlassgericht sollte diese Problematik immer im Auge haben, wenn sich eine Versicherung meldet oder sich aus der Gerichtsakte ergibt, dass Versicherungen per Drittbezugsrecht abgetreten wurden oder sonstige Schenkungen außerhalb des Nachlasses geflossen sind. Sind die Erben unbekannt oder ist die Erbschaftsannahme ungewiss, besteht aus den genannten Gründen ein Bedürfnis für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft.

    Keinesfalls sollte das Nachlassgericht dem Drittbezugsberechtigten dazu verhelfen, zum Nachteil des (unbekannten) Erben von der Versicherungsleistung Kenntnis zu erlangen, denn das Nachlassgericht ist für die Sicherung des Nachlasses zugunsten des Erben tätig.

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