Fehltritte im Nacherbenrecht

  • Es ist leider zu beobachten, dass sich unrichtige Entscheidungen im Bereich des Nacherbenrechts zunehmend häufen. Ich möchte nachfolgend auf einige der einschlägigen Problemfelder eingehen.

    a) Verlautbarung der Nacherbfolge im Erbschein

    Hat der einzige Nacherbe sein Anwartschaftsrecht bereits vor der Erbscheinserteilung auf den Vorerben übertragen und sind keine Ersatznacherben bestimmt, so ist der Erbschein nach Ansicht des OLG Braunschweig ungeachtet des Umstands, dass der Vorerbe erst nach dem Erbfall zum Vollerben wurde, von vorneherein ohne Nacherbenvermerk zu erteilen.[FONT=&amp][1][/FONT]

    Dem ist zuzustimmen, weil der Vermerk einer bereits materiell weggefallenen Nacherbfolge den Erbschein unrichtig machen würde. Gleichwohl ist in einem solchen Fall zu fordern, dass der Erbschein verlautbart, dass der Vorerbe in zeitlicher Hinsicht erst nach dem Eintritt des Erbfalls zum Vollerben wurde, weil der Erbschein ansonsten unrichtigerweise verlautbaren würde, dass überhaupt keine Nacherbfolge angeordnet war. Die Rechtslage ist insoweit keine andere, als wenn die Übertragung des Anwartschaftsrechts nach erfolgter Erteilung eines Vorerbenerbscheins erfolgt oder als wenn kein Vorerbenerbschein erteilt worden war und der Nacherbe erst nach dem Eintritt des Nacherbfalls den (ersten) Erbschein über die nach dem Erblasser eingetretene Erbfolge beantragt. Auch in diesen Fällen muss der (neue oder erste) Erbschein jeweils zum Ausdruck bringen, dass die Erbenstellung des ihn ihm ausgewiesenen Erben nicht diejenige eines ursprünglichen Vollerben ist, sondern auf der datumsmäßig fixierten Übertragung des Anwartschaftsrechts oder auf dem datumsmäßig fixierten und (meist) durch das Ableben des Vorerben herbeigeführten Eintritt des Nacherbfalls beruht.

    b) Erbscheinsinhalt bei Vorausvermächtnissen nach § 2110 Abs. 2 BGB

    Das OLG Hamm ist der Ansicht, dass ein mehreren (und zwar allen) Vorerben zugewendetes Grundbesitz-Vorausvermächtnis (§ 2110 Abs. 2 BGB) nicht in den Erbschein aufzunehmen ist, weil dies nur in Betracht komme, wenn ein alleiniger Vorerbe mit einem Vorausvermächtnis bedacht ist, da jenes nur bei einem alleinigen Vorerben dinglich wirke, während es bei mehreren Vorerben dabei verbleibe, dass das Vorausvermächtnis aufgrund seiner lediglich schuldrechtlichen Wirkung mittels Auflassung erfüllt werden muss.[FONT=&amp][2][/FONT]

    Diese Aussage ist nur zutreffend, wenn es darum geht, dass der vom Vorausvermächtnis erfasste Grundbesitz nicht mit dinglicher Wirkung und ohne das Erfordernis einer Auflassung nacherbschaftsfrei auf einen von mehreren Vorerben, auf mehrere, aber nicht alle Vorerben oder auf alle Vorerben in Bruchteilsgemeinschaft (!) übergehen kann. Demgegenüber kann die zugunsten aller Vorerben verfügte Vorausvermächtnisanordnung ohne Weiteres in dinglicher Hinsicht bewirken, dass der Grundbesitz von vorneherein nacherbschaftsfrei gesamthänderisch (!) auf die aus allen Vorerben bestehende Erbengemeinschaft übergeht,[FONT=&amp][3][/FONT] sodass es nach dem Eintritt des Erbfalls nur noch einer Auflassung bedarf, um das bereits mit dem Erbfall nacherbschaftsfreie erworbene gesamthänderische Eigentum in Bruchteilseigentum der Erben umzuwandeln. In dieser zulässigen Ausgestaltung sind entgegen der Ansicht des Senats aber natürlich auch in der beschriebenen Weise dinglich wirkende und alle Vorerben gesamthänderisch begünstigende Vorausvermächtnisanordnungen im Vorerbenerbschein zu verlautbaren,[FONT=&amp][4][/FONT] weil dieser Erbschein ansonsten unrichtigerweise zum Ausdruck brächte, dass der gesamte Nachlass materiell der angeordneten Nacherbfolge unterliegt.[FONT=&amp][5][/FONT] Bei dieser gebotenen Kenntlichmachung ist es gleichgültig, ob dem zu verlautbarenden Umfang des Vorausvermächtnisses und der hiermit einhergehenden gegenständlichen Beschränkung des Nacherbenrechts im Erbschein in positiver[FONT=&amp][6][/FONT] oder in negativer[FONT=&amp][7][/FONT] Formulierung Rechnung getragen wird, weil der Erbscheinsinhalt in beiden Fällen in der Sache jeweils derselbe ist.[FONT=&amp][8][/FONT]

    In praxi sollte man (und zwar auch aus grundbuchrechtlichen Erwägungen) die positive Formulierung im Sinne der Bezeichnung der Vorausvermächtnisgegenstände wählen, falls nur ein einziger Nachlassgegenstand oder lediglich wenige Nachlassgegenstände vorausvermächtnisweise zugewendet werden, während man die eine Einzelaufzählung der Vorausvermächtnisgegenstände entbehrlich machende negative Formulierung bevorzugen sollte, wenn die Vorausvermächtnisse so weit gehen, dass nur ein einziger Nachlassgegenstand oder lediglich wenige Nachlassgegenstände von der Nacherbenbindung erfasst werden. Letzteres gilt insbesondere für die häufige Fallgestaltung, bei welchem dem Vorerben (und zwar meist dem Ehegatten) mit Ausnahme des einzig vorhandenen Grundbesitzes oder mit Ausnahme einer von mehreren Immobilien (bzw. mit Ausnahme der insoweit vom Erblasser gehaltenen Miteigentumsanteile) der gesamte Restnachlass vorausvermächtnisweise zugewendet wird.

    Zur Berücksichtigung der Vorausvermächtnisse beim Inhalt des Erbscheins nach erfolgtem Eintritt des Nacherbfalls und erfolgter Einziehung des ursprünglichen Erbscheins vgl. bereits hier:

    https://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php…l=1#post1198332

    Zu diesem Thread gab es bislang leider keine Resonanz, obwohl die dort behandelten Probleme im Forum ständig nachgefragt werden (vgl. die dortigen Links).

    c) Rechtsgeschäftliche Aufhebung der Nacherbenbindung für einzelne Nachlassgegenstände

    Abzulehnen ist die in zwei Entscheidungen zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf, welches die zwischen Vorerbe und Nacherbe erfolgende rechtsgeschäftliche Aufhebung der Nacherbenbindung für ein einzelnes Nachlassgrundstück rechtsirrig mit der Übertragung der Nacherbenanwartschaft auf den Vorerben gleichsetzt und auf diese Weise zu der unzutreffenden Schlussfolgerung gelangt, dass die Löschung des Nacherbenvermerks auch im erstgenannten Fall der Mitwirkung der Ersatznacherben bedürfe,[FONT=&amp][9][/FONT] wobei dies jedenfalls zu gelten habe, wenn es sich bei dem betreffenden Grundbesitz nach den getroffenen Erblasseranordnungen um den einzigen der Nacherbenbindung unterliegenden Nachlassgegenstand handelt.[FONT=&amp][10][/FONT]

    d) Schutz der Nacherben durch einstweilige Verfügung

    Dass es im Bereich der Nacherbfolge immer wieder zu kaum nachvollziehbaren unrichtigen Entscheidungen kommt, zeigt ein Urteil des LG Bremen,[FONT=&amp][11][/FONT] das den Beklagten zur Bewilligung der Grundbuchberichtigung (auf die Nacherben) verurteilte, obwohl es davon ausging, dass der Beklagte den Grundbesitz aufgrund einer unentgeltlichen Verfügung der Vorerbin (trotz eingetragenen Nacherbenvermerks?) wirksam gutgläubig erworben hatte und der Beklagte unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung demzufolge wegen § 816 Abs. 1 S. 2 BGB zur Auflassung an die Nacherben zu verurteilen gewesen wäre.

    Auch das OLG Hamburg[FONT=&amp][12][/FONT] ging bei einem ähnlichen Sachverhalt davon aus, dass die Vorerbin nach erfolgter, aber wegen nach § 2111 BGB eingetretener Surrogation zu Unrecht veranlasster Löschung des Nacherbenvermerks ungeachtet des materiell fortbestehenden Nacherbenrechts wirksam zugunsten eines gutgläubigen Dritten unentgeltlich über das besagte Surrogationsgrundstück verfügt hatte. Trotz des Umstands, dass das Nacherbenrecht aufgrund dieses gutgläubigen Erwerbs im Hinblick auf dieses Grundstück materiell endgültig unterging, erließ der Senat dann aber gleichwohl (im Ergebnis zutreffend, aber in der Begründung ein Widerspruch in sich) eine einstweilige Verfügung zur Eintragung einer Vormerkung zwecks Sicherung des Übereignungsanspruchs der Nacherben nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB, obwohl die kraft gutgläubigen Erwerbs in dinglicher Hinsicht endgültig nacherbschaftsfeste Vorerbenverfügung nach unzutreffender Ansicht des Senats durch den mittlerweile erfolgten Eintritt des Nacherbfalls materiell unwirksam geworden war. Dementsprechend wurde der erforderliche Verfügungsgrund mit der Erwägung bejaht, es würde in Form der Weiterveräußerung ein gutgläubiger Erwerb zu Lasten der Nacherben drohen, obwohl der Senat im Rahmen seiner Erwägungen zum (angeblich fehlenden) Anspruch auf Eintragung eines Widerspruchs nach § 899 BGB selbst feststellt, dass bereits seitens des Ersterwerbers ein gutgläubiger Erwerb (und damit ein nunmehr richtiges Grundbuch) vorlag, sodass der Ersterwerber ohne weiteres als materiell Berechtigter verfügen könnte und ein etwaiger Zweiterwerber demzufolge überhaupt nicht auf einen guten Glauben angewiesen wäre.

    Im Gefolge der unzutreffenden Ansicht des Senats im Hinblick auf die durch den Eintritt des Nacherbfalls angeblich eingetretene Unwirksamkeit der Vorerbenverfügung wäre somit der vom Senat abgelehnte Widerspruch nach § 899 BGB und nicht die vom Senat befürwortete Vormerkung das zutreffende Verfügungsmittel gewesen. Derartige Entscheidungen belegen, dass mitunter selbst grundsätzlichste Fragen des Nacherbenrechts und die hierfür bedeutsamen materiellen Grundlagen im Verhältnis zwischen wirksamer und unwirksamer Vorerbenverfügung, zwischen erforderlicher Rechtsänderung und ausreichender Grundbuchberichtigung und im Verhältnis zwischen dinglicher Rechtslage und schuldrechtlichem Rechtsverhältnis nicht zutreffend beurteilt werden.


    [1] OLG Braunschweig FGPrax 2020, 185 = ZErb 2020, 293.
    [2] OLG Hamm openJur 2020, 6757 = NJW-RR 2020, 891 = ZEV 2020, 446 (LS).
    [3] Schäuble ZEV 2016, 675, 676 m. w. N.; Bestelmeyer Rpfleger 2017, 674, 679.
    [4] Schäuble ZEV 2016, 675, 679 m. w. N.; Bestelmeyer Rpfleger 2017, 674, 679.
    [5] Dies hatte auch in dem vom OLG Hamm (Fn. 76) entschiedenen Fall zu gelten, da aufgrund der nacherbschaftsfreien Zuwendung des Grundbesitzes nichts dafür spricht, dass alle Vorerben nach dem Willen des Erblassers (nur) in der Zeit vom Erbfall bis zu der kurz nach Erbscheinserteilung erfolgenden rechtsgeschäftlichen Umwandlung ihres erbengemeinschaftlichen Gesamthandseigentums in Bruchteilseigentum mit der angeordneten Nacherbfolge beschwert sein sollten.
    [6] Positive Formulierung: Der im Grundbuch des Amtsgerichts X für Y (Gemarkung) Blatt 1234 vorgetragene Grundbesitz (ggf. auch nur ein Miteigentumsanteil des Erblassers) ist dem (alleinigen oder allen) Vorerben als Vorausvermächtnis zugewendet (§ 2110 Abs. 2 BGB).
    [7] Negative Formulierung: Aufgrund der Anordnung eines Vorausvermächtnisses (oder von Vorausvermächtnissen) erstreckt sich die Nacherbfolge nach § 2110 Abs. 2 BGB lediglich auf den in Grundbuch des Amtsgerichts X für Y (Gemarkung) Blatt 1234 vorgetragenen Grundbesitz (ggf. auch nur auf einen Miteigentumsanteil des Erblassers).
    [8] OLG München Rpfleger 2015, 84 = FamRZ 2015, 964 = FGPrax 2015, 38 = openJur 2014, 21709 = MittBayNot 2015, 416; OLG Bamberg, Beschl. v. 16.12.2019, Az. 4 W 50/19; OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.12.2019, Az. 15 W 2285/19.
    [9] OLG Düsseldorf FamRZ 2020, 956 = openJur 2020, 318 = ZEV 2020, 123 (LS); a. A. zutreffend BayObLG Rpfleger 2005, 421 = FamRZ 2005, 1862; OLG Hamm Rpfleger 2016, 632 m. Anm. Bestelmeyer = ZEV 2016, 638 m. Anm. Litzenburger; OLG München Rpfleger 2019, 502 = FamRZ 2019, 1745 = FGPrax 2019, 227 = ZEV 2019, 536; OLG Frankfurt ErbR 2020, 270 m. Anm. Wendt = openJur 2020, 44445 = ZEV 2020, 364 (hierzu vgl. auch Rudy ErbR 2020, 234); Neukirchen RNotZ 2018, 357; Hartmann RNotZ 2020, 148.
    [10] OLG Düsseldorf openJur 2020, 31764 = RNotZ 2020, 390 = ZEV 2020, 550 m. abl. Anm. Weidlich. Die Erwägungen des Senats zum vorgeblich erforderlichen Schutz von Nachlassgläubigern sind schon deshalb nicht stichhaltig, weil sich durch die Aufhebung der Nacherbenbindung nichts an der Nachlasszugehörigkeit des von der Aufhebung betroffenen Nachlassgegenstandes und damit auch nicht am üblichen Haftungsregime ändert (ebenso Weidlich ZEV 2020, 552, 554).
    [11] LG Bremen ZEV 2019, 700.
    [12] OLG Hamburg FamRZ 2020, 1132 = openJur 2020, 8810 = ZEV 2020, 313 (LS). In den Entscheidungsgründen ist zudem neben § 892 BGB fälschlicherweise auch die nur für bewegliche Sachen einschlägige Norm des § 932 BGB als gesetzliche Grundlage für den erfolgten gutgläubigen Grundstückserwerb genannt.

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