Zustellungen wirksam?

  • Die Gutachterin hat bei zwei Ortsbesichtigungen folgendes festgestellt: „Die Grundstücke und Bebauungen machen einen verlassenen Eindruck…..die Briefkästen wurden augenscheinlich seit einiger Zeit nicht geleert……die Bebauungen sind offenbar zur Zeit nicht bewohnt.“
    Der Schuldner ist allerdings noch dort gemeldet und die Zustellungen werden nach wie vor durch Einlage in den Briefkasten ausgeführt. Muss ich nun Ermittlungen anstellen, ob der Schuldner dort noch wohnt oder kann ich mich stumpf auf die Zustellungsurkunden berufen?

  • „Die Grundstücke und Bebauungen machen einen verlassenen Eindruck…..die Briefkästen wurden augenscheinlich seit einiger Zeit nicht geleert……die Bebauungen sind offenbar zur Zeit nicht bewohnt.“

    Dann ist dort keine Zustellung mehr möglich. Auch wenn der Schuldner dort noch gemeldet ist (Zöller/Stöber 23. Auflage ZPO § 180 Rn 3; OVG Greifswald, Beschl. v. 15.10.2007 - 1 L 193/07 unter Hinweis auf BGH).


  • Dann ist dort keine Zustellung mehr möglich.

    Das möchte ich doch unter Berufung auf genau die genannte Entscheidung jedenfalls im Hinblick auf unseren jetzigen Kenntnisstand bestreiten:


    Nach Sinn und Zweck der Zustellungsvorschriften ist unter Wohnung im Sinne des vorliegend zur Anwendung gelangten § 180 ZPO (Ersatzzustellung durch Einlegen in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung) der Ort zu verstehen, an dem am ehesten damit gerechnet werden kann, dass das zuzustellende Schriftstück den Empfänger erreicht. Dementsprechend kommt es für den Begriff der Wohnung auf das tatsächliche Wohnen an. Maßgebend ist, ob der Zustellungsempfänger in den angegebenen Räumen tatsächlich lebt und dort auch schläft (vgl. BVerwG, Beschl. v. 04.07.1983 - 9 B 10275/83 -, DVBl. 1984, 90 - zitiert nach juris; BFH, Beschl. v. 16.12.2004 - II B 164/03 -, juris; BVerfG, Beschl. v. 15.03.1999 - 2 BvR 348/99 -, juris). Die Wohnung verliert ihre Eigenschaft als Wohnung, wenn der Zustellungsempfänger sie nicht mehr zu den vorgenannten Zwecken nutzt, sondern den räumlichen Mittelpunkt seines Lebens an einen anderen Aufenthaltsort verlagert. Ob dies der Fall ist, ist nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen, wobei auch Sinn und Zweck der Zustellungsvorschriften zu beachten sind. Ob der Zustellungsadressat an dem Ort ordnungsbehördlich gemeldet ist oder nicht, ist für den Wohnungsbegriff insoweit zunächst unerheblich. Anknüpfungspunkt für eine Ersatzzustellung ist demnach grundsätzlich die tatsächliche Benutzung einer Wohnung.

    Eine Ersatzzustellung ist aber auch dann wirksam, wenn zwar nicht zweifelsfrei feststeht, ob der Zustellungsadressat unter der Zustellungsanschrift tatsächlich wohnt, er aber in zurechenbarer Weise den Anschein gesetzt hat, dass dies der Fall ist, und damit zugleich verhindert hat, dass dem Absender die tatsächliche Anschrift bekannt wird und dort Zustellungen bewirkt werden können (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.05.2005 - 7 ME 35/05 -, NVwZ-RR 2005, 760; OVG Bautzen, Beschl. v. 05.07.2001 - 3 BS 284/00 -, NVwZ-RR 2002, 550; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.11.1991 - NJW-RR 1992, 700 - jeweils zitiert nach juris). Die Aufgabe einer Wohnung liegt deshalb nicht schon vor, wenn der Betroffene sich dazu entschließt, nicht mehr in den bisherigen Räumlichkeiten wohnen zu wollen. Maßgebend hierfür ist vielmehr, ob dieser Entschluss für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar ist (BGH, Urt. v. 27.10.1987 - VI ZR 268/86 -, NJW 1988, 713 - zitiert nach juris).

    Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles von einer wirksamen Zustellung unter der Anschrift "..." auszugehen: ...

  • Der in Bezug genommene BGH:

    "Für die Frage, ob eine Wohnung aufgegeben worden ist, kann freilich nicht allein auf die bloße Absicht des bisherigen Inhabers abgestellt werden, dort künftig nicht mehr wohnen zu wollen. Dieser Wille muß vielmehr, ähnlich wie bei der Aufhebung des Wohnsitzes gem. § 7 III BGB, in dem gesamten Verhalten des Betreffenden seinen Ausdruck finden (vgl. Staudinger-Coing=Habermann, BGB, 12. Aufl., § 7 Rdnrn. 20, 23; Krüger=Nieland, in: RGRK, 12. Aufl., § 7 Rdnr. 47). Zwar setzt die Aufgabe einer Wohnung nicht, wie das BerGer. anzunehmen scheint, voraus, daß ihr Inhaber alle Merkmale beseitigt, die den Anschein erwecken könnten, er wohne dort auch weiterhin. Aufgabewille und Aufgabeakt müssen aber, wenn auch nicht gerade für den Absender eines zuzustellenden Schriftstücks oder den mit der Zustellung beauftragten Postbediensteten, so doch jedenfalls für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar sein. Darauf kann schon deshalb nicht verzichtet werden, weil sonst Möglichkeiten zur Manipulation eröffnet würden. Wird indes mit der Absicht zur Aufgabe der bisherigen Wohnung eine neue Wohnung an anderer Stelle genommen, so wird schon damit regelmäßig die Aufgabe hinreichend deutlich verlautbart, falls nicht bestimmte Umstände darauf hinweisen, daß lediglich eine Zweitwohnung begründet werden soll. Dafür wiederum wird u. a. von Bedeutung sein können, ob und welche Teile seiner persönlichen Habe der Betreffende in die neue Wohnung mitgenommen hat; auch wird vielfach sein späteres Verbleiben in dieser Wohnung einen Rückschluß darauf zulassen, daß er mit dem dortigen Einzug seine frühere Wohnung endgültig aufgeben wollte."

    Die Grundstücke und Bebauungen machen einen verlassenen Eindruck…..die Briefkästen wurden augenscheinlich seit einiger Zeit nicht geleert……die Bebauungen sind offenbar zur Zeit nicht bewohnt.

  • Und inwiefern ist die gerichtlich bestellte Gutachterin "ein mit den Verhältnissen vertrauter Beobachter"?

    Nach ihren Feststellungen sind Grundstück und Gebäude wohl ungepflegt und es wird der Briefkasten nicht geleert.
    Mit anderen Worten ist ein unordentlich veranlagter Mitbürger einfach seit ein paar Tagen nicht zu Hause gewesen.

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