zu viele Akten

  • Guten Morgen, ich weiß nicht, ob es nur mir so geht:
    Ich komme um vor Betreuungssachen. Seit die Zahlen angehoben worden sind und vor allem auch das Bundesteilhabegesetz eingeführt worden ist, haben wir ständig Stapel von Betreuungssachen. Und dabei arbeiten wir nicht super kleinlich. Geht es euch auch so?
    Müsste nicht mal eine Neubewertung dieses Pensums vorgenommen werden? Ich weiß auch bis heute nicht, warum die Zahlen angehoben worden sind, kann das jemand von euch erklären?

  • Welche Zahlen wurden wann angehoben?

    Ich kann mich nicht beklagen und stelle lediglich fest, dass seit dem BTHG die Zahl der Regressforderungen (ergo die benötigte Zeit für die Aktenbearbeitung) beträchtlich in die Höhe geschnellt ist.

    Auch wenn ein Beamter schnell und unbürokratisch handelt, kann eine amtliche Tätigkeit vorliegen.
    (LG Bielefeld, Urteil vom 28. Januar 2003 – 2 O 634/02 –, juris)

    Ein Narr ist viel bemüht; des Weisen ganzes Tun,
    Das zehnmal edeler, ist Lieben, Schauen, Ruhn.
    Angelus Silesius (1624 - 1677)

  • Ich bearbeite keine Betreuungssachen, sodass ich mich zur Belastungssituation nicht äußern kann.

    Eine Anhebung der Zahlen scheint - unabhängig vom betroffenen Rechtsgebiet - mitunter den Zweck zu verfolgen, Personal und damit Kosten zu sparen.

    "Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht." (Abraham Lincoln)

  • Die Zahlen sind im Zuge der Pebb§y-Neuerhebung damals angehoben worden, weil a) die beteiligten Gerichte so tolle Zahlen geliefert und b) die Auftraggeber der Studie die Berechnung "angepaßt" haben. So einfach ist das.:mad:

    https://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php?77116-PEBB%C2%A7Y

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

    Einmal editiert, zuletzt von FED (30. April 2021 um 12:09) aus folgendem Grund: Link ergänzt

  • Im Moment darf ich leider keine Betreuungssachen bearbeiten, war aber vorher einige Jahre in diesem Bereich tätig. Die Pebbsy Erhebung ist sicherlich ein Grund, das Bundesteilhabegesetz ebenso und auch Corona dürfte seinen Teil dazu beigetragen haben. Im Endeffekt bringt es nix zu jammern, eine Akte nach der anderen abarbeiten und das wars, Umschichtungen in den Gerichten wird es aus meiner Sicht kurzfristig nicht geben, da sicher die Entwicklung nach der wohl anstehenden Wiederinkraftsetzung der Insolvenzantragspflicht abgewartet werden soll. Der Nachlassbereich ist auch gut überlastet.

  • Auch wir bemerken einen massiven Zugang an Neuverfahren. Dem stehen aber viele Abgänge (durch Tod) gegenüber.

    Viele Neuverfahren schaffen es -leider- nicht einmal bis zur einstweiligen Verfügung bzw. dem Eingang von Sozialbericht, Betreuervorschlag und Betreuungsgutachten.

    Aber auch viele Altverfahren enden nichtvorhersehbar mit dem Ableben der Betroffenen.

    Ich denke, dass sich die Fallzahlen im Hinblick auf Zu- bzw. Abgänge die Waage halten.

    Allerdings sind auch die Neuverfahren bis zur zeitnahen Beendigung manchmal etwas arbeitsintensiv. Vor allem weil hier sogar die Kliniken zur Vorbereitung einer evtl. Entlassung des Betroffenen in eine Pflegeeinrichtung bzw. in die häusliche Umgebung (zurück) die Anordnung einer vorläufigen Betreuung bzw. die Bestellung eines vorläufigen Betreuers als besonders eilbedürftig i.S. des § 301 FamFG für erforderlich erachten.

    Und dann enden solche Verfahren manchmal kurz nach der Anordnung, aber noch vor Entlassung aus der Klinik. Manchmal sogar noch vor Bekanntgabe des Anordnungsbeschlusses. Besonders ärgerlich, wenn der Tod dann dem Betreuungsgericht durch die anregende Klinik nicht mitgeteilt wird.

  • Hier machen sich die Auswirkungen vom Teilhabegesetz immernoch übel bemerkbar...

    leider kommt ein örtlicher Betreuungsverein dazu, der seine Mitarbeiter durchwechselt, wie andere ihre Unterhosen. Manche Wechsel sind noch nicht trocken, da kommt die Mitteilung, dass der Nachfolger auch schon wieder ausgeschieden ist. Wenn es nach mir ginge, würde dieser Verein nicht ein Verfahren mehr bekommen. Aber das ist nicht gewollt. Tja. Allein die Zahl der Rechnungslegungen ist dennoch explodiert. Und damit glänzt dieser Verein auch nicht gerade.

  • In der Pebbsy steht ausdrücklich drin, dass die Pebbsy-Zahlen nicht für die interne Personalberechnung geeignet sind. In Berlin werden die Zahlen natürlich trotzdem genutzt, und ein gewisser Aufschlag gegeben, weil bekannt ist, dass die Zahlen überhaupt nicht hinkommen.

    Um die Angaben mal vergleichbar zu machen: Wie viele Betreuungsfälle entfallen denn bei euch im Gericht konkret für eine volle Rechtspflegerstelle?

    * Was schert´s die Eiche, wenn das Schwein sich an ihr reibt! *

  • Was ich hier so aus meinem nähren Umfeld mitbekomme: Die reine Anzahl der Verfahren ist nicht ausschlaggebend. Ländliche Gegend und Vororte: Grundeigentum und somit Geld: Viel Arbeit, weil Genehmigungen und Rechnungslegungen, Großstadt: Viel Sozialhilfe, wenig Arbeit.

  • Das kann ich so nicht bestätigen. Ländliche Gegend: Viele Sachen laufen am Gericht vorbei und werden mit gesundem Menschenverstand auf kleinem Dienstweg erledigt, weil sich die Handelnden kennen und vertrauen. Das Vermögen ist relativ konservativ angelegt bei der örtlichen Bank oder besteht aus normalen Immobilien
    Großstadt: Grundbesitz ist extrem viel Wert, entsprechend hoch ist oft der Aufwand um die Rechtsgeschäfte außen herum; aufgrund von Internationalisierung sind Vermögenswerte im Ausland oder sehr diversifiziert, z. B. Firmenanteile.

    Hier sind in einer Großstadt z. B. auch sehr viele Kliniken und Einrichtungen mit einem extrem hohen Bedarf an vorläufigen Betreuungen, die oft sehr eilen. Das kenne ich von meinem früheren "Land"-Gericht nicht. Aber so hat jeder Bezirk und jedes Referat seine Besonderheiten...

  • Wir haben auch eine ländliche Gegend, aber sehr viele Landwirte und demnach viele Höfe, die durchaus auch mal einiges wert sind. Dazu kommen Altenteile, Nießbrauchsrechte usw. im Rahmen der Betreuung, viele Grundstücksverkäufe für die Heimkosten, viele Rechnungslegungen, weil sich kaum ehrenamtliche Betreuer finden...

  • Ein oft zu beobachtendes Phänomen: Jeder meint, bei sich wäre irgendwas besonders, was am Ende dazu führt, dass es doch wieder überall irgendwie ähnlich ist ;).
    100 % gleich wird kein Bezirk sein, zu den schon genannten Aspekten kann man noch die Betreuerstruktur einwerfen (Anteil ehrenamtliche/Vereins-/Berufsbetreuer).
    Je nach Größe des Gerichtsbezirk reicht es ja schon, wenn ein oder zwei Heime neu aufmachen bzw. schließen, um die Zahlen durcheinanderzubringen.

    Es stand alles in Büchern, die Alten lebten noch
    Wir haben nicht gelesen, nicht gesprochen, weggeschaut, uns verkrochen ...
    No!

  • Sage ich ja: Die reinen Zahlen geben keinen Aufschluss, über die tatsächliche Belastung, das ist überall anders.

    Ich glaube daher nicht, dass es eine gerichtsübergreifend vergleichbare, gerechte (was das auch immer sein mag) Pensenverteilung gibt.

  • In Betreuung ist es aber so, dass m.E. schon die Erhebungsmethode nicht den wissenschaftlichen Standard erfüllt, den sie für sich in Anspruch nimmt. PEBB§Y basiert ja dem folgenden Schema: Man ermittelt, wie viele Minuten im Durchschnitt für eine bestimmte Sorte von Akten braucht. Dazu schreibt z.B. im Grundbuchamt der Rechtspfleger des Erhebungsgerichts auf, wie viele Minuten er für jede Eigentumsumschreibung gebraucht hat. Um zu ermitteln, wie viele Minuten im Durchschnitt für eine Eigentumsumschreibung gebraucht werden, nimmt man dann also die Summe aller für Eigentumsumschreibungen dokumentieren Minuten geteilt durch die Anzahl der Eigentumsumschreibungen. Notwendig ist also, dass es einen rechnerischen Zusammenhang zwischen den aufgeschriebenen Minuten und der Anzahl der Fälle gibt.

    Das war in Betreuungssachen nicht der Fall. Schaut mal auf S. 31 des Hauptbandes des PEBB§Y-Gutachtens 2014 (findet man z.B. bei http://www.justiz.thueringen.de unter service). Wenn ich das richtig verstehe, haben die Rechtspfleger ein halbes Jahr lang die Minuten aufgeschrieben, die sie für Betreuungssachen gearbeitet haben. Diese Zahl wurde mal 2 genommen, um auf die Jahresarbeitsminuten zu kommen. Und das hat man dann einfach durch den statistischen Bestand geteilt. Ob die Rechtspfleger in dem halben Jahr auch die Hälfte des Bestandes bearbeitet haben, ist nicht festgestellt worden. Damit hat man m.E. ausgerechnet, wie viele Minuten die Rechtspfleger zur Verfügung haben, nicht wie viel sie brauchen durchschnittlich pro Akte brauchen.
    Versteht mich nicht falsch, um später mit dem PEBB§Y-System den Personalbedarf zu berechnen, muss man natürlich auf den Bestand abstellen. Aber dafür muss man bei der Erhebung erst mal den durchschnittlichen Zeitbedarf pro Akte ermitteln.

  • Im ersten Quartal des Jahres ist die Belastung auch bei mir höher. Das liegt u.a. daran, dass wir manchen Betreuern nicht abgewöhnen können, nach Kalenderjahr abzurechnen. Das abzuarbeiten dauert in manchem Jahr bis in den Mai, da beginnt dann die Urlaubszeit. Falls das ein Dauerzustand ist: Überlastung auf Dauer kann krank machen. Also: Gespräch mit der Gruppenleitung und Geschäftsleitung suchen. Die Geschäftsleitung müsste ein Interesse daran haben, dass die Arbeit so gerecht wie möglich verteilt wird. Wenn du meinst, das bringt nix: einen Versuch ist es wert.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!