Rechtshandlung des Schuldners

  • Bei mir tritt in letzter Zeit vermehrt folgendes Problem, zudem ich gern eine bzw. mehrere Zweitmeinung(en) hätte, auf:

    Wenn seitens des Gläubigers Ansprüche gegen ein Kreditinstitut gepfändet werden, ist dieses gehalten, vorhandenes Guthaben erst nach einer Wartefrist von zwei bzw. vier Wochen (§ 835 Abs. 3 ZPO) an den Gläubiger auszuzahlen. Mit Ausnahme der Separierung des betroffenen Kontoguthabens, zudem der Drittschuldner nicht verpflichtet ist, steht das "gepfändete Bankkonto" dem Schuldner bis zum Ablauf der Frist für seinen Zahlungsverkehr nicht zur Verfügung.
    Da dies missslich ist, weisen Schuldner die Kreditinstitute bei aureichendem Guthaben gern an, eine Zahlung an den Drittschuldner sofort, d.h. unter Umgehung der eigentlich bestehenden Wartefrist, vorzunehmen.
    [Bei einer Anweisung zur Zahlung aus einer Kreditlinie ist die rechtliche Lage wohl eindeutig, um eine solche soll deshalb vorliegend nicht gehen.]

    Liegt also mit einer solchen Anweisung eine Rechtshandlung des Schuldners i.S.d. § 133 InsO vor?

    Der Gläubiger sagt nein, weil mit der Zustellung bereits ein Pfändungspfandrecht, welches üblicher Weise zu einem insolvenzfesten Absonderungsrecht führt, entsteht. Der Gläubiger müsste sich dann nur noch zurück lehnen und abwarten, ein Zugriff anderer Mitgläubiger ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.

    Mein Gegenargument lautet, dass es auf den konkreten Kausalverlauf ankommt. Durch die Anweisung kommt es zu einer Befriedigung des Gläubigers, welche dieser im konkreten Zeitpunkt (noch) nicht zu beanspruchen hatte. Alles andere würde auf die Beachtlichkeit eines alternativen Kausalverlaufs hinauslaufen. Weiterhin ist lt. Bundesgerichtshof eine Mitursächlichkeit der selbstbestimmten Handlung des Schuldners ausreichend, diese musss nicht die alleinige Ursache für die Vermögensverlagerung sein.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Eine solche Idee ging mir auch schon durch den Kopf, auch wenn ich sie in keinem Fall wirklich durchsetzen konnte. Es dürfte bereits an einer Gläubigerbenachteiligung und damit auch am entsprechenden Vorsatz fehlen, da andere Gläubiger (außerhalb der Insolvenz) auf den gepfändeten Betrag ohnehin nicht mehr hätten zugreifen können. Zudem kann man sicher auch an der Qualität als Rechtshandlung (Zustimmung zur vorzeitigen Auszahlung des gepfändeten Guthabens) oder an der von Dir apostrophierten Inkongruenz (wegen vorzeitiger Auszahlung) berechtigte Zweifel hegen. Im Ergebnis sehe ich daher für eine Vorsatzanfechtung nur sehr geringe Erfolgsaussichten.

    Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren und sehe Deinem Präjudiz mit Spannung entgegen.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Eine solche Anfechtung hatte ich vor vielen Jahren einmal glücklicherweise erfolgreich durchgeführt. Mein Argument war, dass es sich bei der vorzeitigen Zahlung bankrechtlich und -technisch um eine Überweisung handelt, um eine Weisung des Kontoinhabers an die Bank. Details sind leider dem Ende der Aufbewahrungsfrist zum Opfer gefallen.

    An der Rechtshandlung des Schuldner hatte ich in dieser Konstellation nie Zweifel, aber wie Silberkotelett schon schrieb: Die Gläubigerbenachteiligung... wie will man die darstellen? Der Gläubiger bekommt das Geld doch nach der wirksamen Pfändung ohnehin.

  • Wir haben und hatten in der Kammer mehrere solcher Fälle. Bei uns hat sich folgende Linie herausgebildet, die derzeit obergerichtlicher Prüfung zugeführt wird:

    A. Konto weist genügend Deckung auf, um den PfüB oder die PfüV zu bedienen:
    -) Kunde gibt Anweisung auf vorzeitige Zahlung: Zwar Mitwirkungshandlung des Kunden, aber keine zum Vollstreckungszugriff gleichwertige Mitwirkungshandlung, also keine Anfechtbarkeit mangels relevanter Schuldnerhandlung

    B. Konto weist zunächst nicht genügend Deckung auf.
    1. Kunde weist Bank an, zu zahlen und erhöht damit sein Kreditsoll: Gleichwertige Mitwirkungshandlung des Kunden, da nur durch die Anweisung des Kunden der Kredit erhöht werden kann.
    Zusatzproblem: Weiß der Gläubiger, dass der Kunde eine solche Mitwirkungshandlung getätigt hat? Ja, zumindest in relevanten Umrissen, wenn Bank vorher eine negative Drittschuldnerauskunft erteilt hat. Sonst nicht.
    2. Kunde füllt Konto auf und macht so die Pfändung werthaltig: Gleichwertige Mitwirkungshandlung ja. Zusatzproblem wie oben.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • A. Konto weist genügend Deckung auf, um den PfüB oder die PfüV zu bedienen: -) Kunde gibt Anweisung auf vorzeitige Zahlung: Zwar Mitwirkungshandlung des Kunden, aber keine zum Vollstreckungszugriff gleichwertige Mitwirkungshandlung, also keine Anfechtbarkeit mangels relevanter Schuldnerhandlung

    :daumenrau Zur Frage der Rechtshandlung kommt man bei den Tatbestandsvoraussetzungen der Vorsatzanfechtung doch nur, wenn man die Gläubigerbenachteiligung gemäß § 129 InsO bejaht. An einer solchen fehlt es aber bei ausreichendem Guthaben (BGH, Urteil vom 10.02.2005 - IX ZR 211/02, unter III. 1.).

    B. Konto weist zunächst nicht genügend Deckung auf. 1. Kunde weist Bank an, zu zahlen und erhöht damit sein Kreditsoll: Gleichwertige Mitwirkungshandlung des Kunden, da nur durch die Anweisung des Kunden der Kredit erhöht werden kann.

    :daumenrau BGH, Urteil vom 21.11.2013 – IX ZR 128/13

    Zusatzproblem: Weiß der Gläubiger, dass der Kunde eine solche Mitwirkungshandlung getätigt hat? Ja, zumindest in relevanten Umrissen, wenn Bank vorher eine negative Drittschuldnerauskunft erteilt hat. Sonst nicht.

    Diese Frage nach dem Umfang der Kenntnis des Gläubigers ist ein sehr weites, noch weitgehend unbestelltes Feld. Die Sachen werden hier üblicherweise durch Vergleich beendet. Auch wird zum Teil in der Instanz-Rechtsprechung angenommen, dass der Gläubiger aus einer zunächst erfolglosen oder nur teilweise erfolgreichen Pfändung schließen muss, dass eine danach noch erfolgte Drittschuldnerzahlung auf einer Mitwirkungshandlung des Schuldners beruht. Oftmals kann auch der Buchungstext der Bank ("Überweisung" statt "Drittschuldnerzahlung") die Kenntnis indizieren.

    2. Kunde füllt Konto auf und macht so die Pfändung werthaltig: Gleichwertige Mitwirkungshandlung ja. Zusatzproblem wie oben.

    :daumenrau Statt Kontoauffüllen durch den Schuldner (Bareinzahlung oder Umbuchungen) kommen häufig auch die Fälle, in denen der Schuldner seine Drittschuldner anweist, (anders als bisher) nur noch auf das gepfändete Konto zu zahlen. Auch hier dürfte die Mitwirkungshandlung (zielgerichtete Förderung der Entstehung des Pfändungspfandrechts) klar sein und sich das Problem der Kenntnis auf Seiten des Gläubigers stellen.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Zu Deinen Punkten:

    -) In welcher Reihenfolge man Rechtshandlung und Gläubigerbenachteiligung prüft, dazu ist mir keine bindende Rechtsprechung bekannt. Wir orientieren uns daher uns daher meist an der Formel des BGH, wonach die "gläubigerbenachteiligende Wirkung einer Rechtshandlung angefochten" wird und prüfen deswegen zunächst die Rechtshandlung und danach die GlB.

    -) Die Kenntnis durch frühere Erkenntnisse sehen wir regelmäßig auch so - aber eben erst beim darauffolgenden Vorgang, z.B. der zweiten Überweisung nach vorheriger unvollständiger Abführung etc.
    Ob sich aus dem Überweisungstext etwas ergibt, ist hier häufiger umstritten, denn manche Banken titulieren - banktechnisch korrekt - auch die vorzeitige Auskehr im Kundenauftrag als Überweisung statt Drittschuldnerzahlung, auch wenn diese bei vorhandener Deckung eben schon keine ausreichende Mitwirkungshandlung sein kann. Umgekehrt wurde neulich ausdrücklich Beweis dafür angeboten, dass trotz "Drittschuldnerzahlung" es eine relevante Mitwirkungshandlung gegeben habe.

    -) Zwischen Kontoauffüllung durch Eigeneinzahlung und gezielter Umleitung von Kundenzahlungen sehen wir im Ergebnis keinen Unterschied, daher habe ich das nicht thematisiert. Bei der Kundenzahlung steht aber praktisch teils das Problem des Nachweises der Umleitung, in Abgrenzung zum "Weiterlaufen lassen" des Geschäftsbetriebs. Und bei der Auffüllung gibt es dann generell wieder, wie Du es auch ansprichst, das Problem der Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Handlung: Woher soll der Anfechtungsgegner wissen, dass es eine Einzahlung des Schuldners oder eine gezielte Umleitung gegeben hat? Muss er das wenigstens in Umrissen wissen oder ist dieses Wissen verzichtbar? Darf er nicht vielmehr glauben, schon seine Pfändung sei erfolgreich gewesen? Daher verlagern wir das auf die Kenntnisvermittlung durch negative Drittschuldnerauskunft (oder vergleichbare Umstände). Also: Zahlung auch aus Werthaltigmachung durch Eigeneinzahlung oder umgeleitete Kundenzahlung vor negativer Drittschuldnerauskunft ist zwar objektiv gläubigerbenachteiligend, es fehlt aber an der Kenntnis von einer Rechtshandlung als Teil der Kenntnis von einer Gläubigerbenachteiligung. Daher keine Anfechtung.
    Ausnahme: Z.B. vorherige Kontaktaufnahme des Schuldners mit dem späteren Anfechtungsgegner "Sie, ihre Pfändung da ... naja, ich sorge jetzt mal dafür, dass die auch erfolgreich werden wird ..." Hatten wir allerdings noch nie als Sachverhalt.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • :dankescho für die sehr systematischen und lehrreichen Ausführungen. War mir ein Genuss.

    (Kann mir bitte jemand eine Bescheinigung nach § 15 FAO ausstellen :D).

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Zur oben genannten Linie der hiesigen Rechtsprechung teile ich folgendes mit:

    Das Oberlandesgericht München hat mit Endurteil vom 18.05.2021 - 5 U 849/21, das hiesige Testurteil gekippt und die Anfechtungsklage komplett abgewiesen.

    Sachverhalt insoweit:
    Der gewerbsmäßig tätige Schuldner hatte eine debitorisch geführtes Konto. Dieses Konto wurde vom Beklagten mit mehreren Pfändungs- und Einziehungsverfügungen überzogen. Die Bank hatte jeweils Drittschuldnerauskünfte an den Beklagten erteilt, wonach das Konto keine hinreichende Deckung aufwies und sie vorrangige eigenen Ansprüche habe.
    Der Schuldner hatte dann die Bank angewiesen, auf die PfÜV zu zahlen, unter Ausweitung seiner eigenen Kreditlinie. Die Bank hat dann den gepfändeten Betrag jeweils ausgekehrt.

    Nach Auffassung des Senats musste der Beklagte aufgrund der vorherigen Drittschuldnerauskunft der Bank zwar wissen, dass das Konto keine hinreichende Deckung aufgewiesen hat, nicht jedoch, dass der Schuldner der Bank eine kreditbegründende Anweisung zur Auszahlung erteilt hatte. Für den Beklagten stellte sich die Situation also so dar, dass die plötzliche Zahlung entweder auf eine Werthaltigmachung durch den Schuldner oder aber auf sonstige - im regulären Geschäftsbetrieb angefallene - Eingänge durch Zahlungen Dritter zurückzuführen sein kann. Bei dieser sich für den Beklagten darstellenden "kann sein - kann auch nicht sein"-Situation* fehle es an einer Kenntnis des Beklagten von einer hinreichend mitwirkenden Rechtshandlung des Schuldners. Daher sei die Zahlung nicht anfechtbar.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH


    *Nachtrag: Zumal angesichts der insolvenznahmen Situation des Schuldners eine zusätzliche Kreditierung durch die Bank nicht nahegelegen habe.

  • Sehr interessant. Vielen Dank für den Hinweis auf die Entscheidung, die etwa am OLG Dresden vermutlich anders ausgegangen wäre. Hoffentlich kann der BGH hierzu mal Klarheit schaffen.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!