Antrag der STA auf Ergänzungspflegschaft für Zeugenbefragung eines Minderjährigen

  • Folgender Fall: STA will E-pfleger für die Zeugenvernehmung eines 8-jährigen Kindes zum Totschlag seines 5 Wochen alten Bruders. Strafverfahren läuft gegen Eltern des getöteten Kindes, die Kindsmutter ist Mutter beider Kinder. Es wird um Bestellung des E-pflegers im Wege der einstweiligen Anordnung ohne Anhörung und allem gebeten. Die STA argumentiert, dass die Eltern auf keinen Fall etwas vorher mitkriegen dürften, weil sonst die Aussage des Kindes beeinflusst würde. Die wollen ohne Ankündigung das Kind vernehmen in Beisein des E-pflegers, der die Einwilligung anstelle der Eltern erteilt.

    Mein erstes Problem: Kann ich tatsächlich einen E-pfleger im Rahmen des § 52 StPO durch einstweilige Anordnung bestellen? Ich denke nein. Ich kann dazu nichts finden. Ich könnte u.U. auf die Anhörung verzichten, den Pfleger bestellen, Beschluss zustellen und Pfleger verpflichten. Aber die Eltern müssten immer was vorher erfahren.

    Mein zweites Problem: Aus der STA-Akte ergibt sich, dass das achtjährige Kind als Tatverdächtiger in Betracht kommt. Beantragt ist Vernehmung als Zeuge. Wie kann denn da eine Abgrenzung erfolgen? Muss ich mich da auf den Vernehmenden verlassen? Ich ziehe in Erwägung, nicht das JA als Pfleger zu nehmen, sondern eine Rechtsanwältin, die in Fam-sachen und Strafsachen bewandert ist.

    Mein drittes Problem: Der Ergänzungspfleger soll auch noch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zeit der Zeugenvernehmung erhalten. Hier endet dann meine Zuständigkeit. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist der KM nicht kraft Gesetzes in diesem Fall entzogen. Der Richter muss entscheiden, ob entzogen wird. Das ginge wohl im Wege der eAO. Nur wie passt das dann mit meinem Verfahren zusammen? Da hab ich schneller die Ergänzungspflegschaft für die Aufenthaltsbestimmung als für die Zeugenvernehmung. Oder macht dann der Richter alles? Obwohl der Richter müsste auch erst Jugendamt beteiligen, wahrscheinlich Verfahrensbeistand bestellen; das dauert auch.

    Was mich auch beschäftigt ist die Vorstellung, dass das Kind tatsächlich am Tode des Bruders schuld sein könnte - sie es auch nur unabsichtlich. Dann wissen das die Eltern. Muss/kann man da was machen?

    Ich bin grad ziemlich konfus. :confused:

  • Die zuständige Richterin kommt heut nachmittag. Da werde ich es versuchen. Inzwischen hat die STA die Direktorin informiert; die wäre auch Vernehmungsrichterin. Es kommt ungewöhnlich viel Druck von der STA; die haben die Akte gestern früh gebracht und hätten sie am liebsten mittags samt E-pflegerbeschluss wieder mitgenommen.

  • Ich bin mir relativ sicher, dass wir das Ausgangsthema schon mehrmals im Forum hatten. Vielleicht mal die Suchfunktion benutzen.
    In der Sache kann leider nichts fundiertes beitragen.

  • Ich habe schon alles durch geschaut, was ich finden konnte; aber es war nichts passendes dabei. Es ist - hier zumindest - ein ungewöhnlicher Fall. Meine Hoffnung war, dass irgendwer schon mal was ähnliches hatte und sich erinnert. Ich denke, dass sinnvollste ist die Abgabe an den Richter, dass der über alles entscheidet. Das geht mir zwar gegen die Ehre, aber in dem Fall sei es drum. Auch die Einleitung eines Verfahrens wegen Kindswohlgefährdung wäre Richtersache.

  • Ja, wenn man da über 1666 etwas anregen möchte, läge die Zuständigkeit beim Richter. Für das Gespräch mit dem Richter könntest Du vorab überlegen, ob der konkrete Antrag "Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Zeit der Zeugenvernehmung" nicht eher auf §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB abzielt. Dann kämst Du aus der Zuständigkeit auch dafür nicht raus, sofern Deine Anregung, über 1666 zu gehen, nicht aufgenommen würde.

  • Die zuständige Richterin kommt heut nachmittag. Da werde ich es versuchen. Inzwischen hat die STA die Direktorin informiert; die wäre auch Vernehmungsrichterin. Es kommt ungewöhnlich viel Druck von der STA; die haben die Akte gestern früh gebracht und hätten sie am liebsten mittags samt E-pflegerbeschluss wieder mitgenommen.

    Ich würde hier wohl nicht warten, bis die Richterin am Nachmittag aufschlägt, sondern mich aktiv mit ihr in Verbindung setzen. Zu meiner Zeit auf Familie (lange her, deshalb kann ich in der Sache leider auch nichts Erhellendes beitragen) hatten wir solche Fälle ein oder zwei mal. Die Dinger sind tatsächlich brandeilig und wenn der Antrag "schon" seit gestern früh vorliegt, würde ich sehen, dass Bewegung in die Sache kommt.

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • ... Auch die Einleitung eines Verfahrens wegen Kindswohlgefährdung wäre Richtersache.

    Genau, und eine solche dürfte meist anzunehmen sein. Unter anderem aus diesem Grund werden derartige Verfahren hier nur dann durch den Rechtspfleger erledigt, wenn es wirklich nur um das Aussageverhalten des Kindes geht.

    Die sorgfältige Beachtung der funktionellen Zuständigkeit ist auch im Hinblick auf ein formfehlerfreies Strafverfahren von entscheidender Bedeutung, wie sich aus § 8 Abs. 4 Satz 1 RPflG ergibt.

    "Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht." (Abraham Lincoln)

  • Also ich hab gerade das Verfahren nach §5 I Nr. 2 RpflG an den Richter abgegeben, nachdem von Seiten des Gerichtsmediziners die Tatbegehung durch das Kind nahezu ausgeschlossen wurde. Die Verletzungen des toten Kindes lassen wohl darauf schließen, dass es sich nicht um einen einzigen Vorfall gehandelt haben kann und das ein achtjähr. Kind nicht "kräftig" genug wäre, diese Verletzungen so zu verursachen. Von seiten des Richters bestehen keine Bedenken, dass eine eAO möglich ist. Von der Anhörung der Beteiligten soll aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden und die Zustellung bei Abholung des Kindes zur Vernehmung erfolgen. RAin wird E-Pfleger. Alles wird zwischen den beteiligten Richtern, dem Pfleger und der STA abgesprochen, um möglichst keine Fehler zu produzieren. Ich bin zwischenzeitlich noch auf ein Scheidungsverfahren aus 2018 gestoßen, wo die Ehe der KM mit dem KV des 8-jährigen geschieden wurde; es besteht gemeinsames Sorgerecht. Da ist eine Antragänderung seitens der STA noch nötig. Ist sonst nicht meine Art, aber ich bin froh, dass ich da raus bin.

  • Ein erfahrener Strafrechtler würde als Pfleger sehr schnell entscheiden können, ob das Kind zum jetzigen Zeitpunkt aussagt oder nicht.
    Bei derart heiklen Vernehmungen ist hier immer ein Mitarbeiter des örtlich zuständigen JA in Reichweite. Der kann das Kind sofort nach § 42 SGB VIII in Obhut nehmen. Die Prüfung ist nachgelagert. Das JA am Gerichtssitz eines LG dürfte damit vertraut sein.

  • Die Vernehmung des Kindes ist in strafrechtlicher Hinsicht ohnehin für das Kind ohne Relevanz. Es fehlen rund 6 Jahre zur Strafmündigkeit.
    Zu hoffen bleibt nur, dass das Kind nicht alleine durch die Vernehmung traumatisiert wird. Aber da gibt es mittlerweile ganz gut geschulte Leute.

    Und dass die StA Druck macht, ist bei einem im Raum stehenden Tötungsdelikt ja selbstverständlich.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Also ich hab gerade das Verfahren nach §5 I Nr. 2 RpflG an den Richter abgegeben, nachdem von Seiten des Gerichtsmediziners die Tatbegehung durch das Kind nahezu ausgeschlossen wurde. Die Verletzungen des toten Kindes lassen wohl darauf schließen, dass es sich nicht um einen einzigen Vorfall gehandelt haben kann und das ein achtjähr. Kind nicht "kräftig" genug wäre, diese Verletzungen so zu verursachen. ....

    Ja, was denn nun: Ist das Kind Beschuldigter oder sind es die Eltern (wie du in #1 geschrieben hast)?

  • Ermittelt wird derzeit gegen die Kindseltern. Das Kind ist ja nicht strafmündig; als Tatverdächtigen hat ihn die STA aber offenbar noch nicht ausgeschlossen, wenn der Gerichtsmediziner dazu befragt wird.

    Einmal editiert, zuletzt von Gurmel (24. Juni 2021 um 12:16)


  • Mein erstes Problem: Kann ich tatsächlich einen E-pfleger im Rahmen des § 52 StPO durch einstweilige Anordnung bestellen? Ich denke nein. Ich kann dazu nichts finden. Ich könnte u.U. auf die Anhörung verzichten, den Pfleger bestellen, Beschluss zustellen und Pfleger verpflichten. Aber die Eltern müssten immer was vorher erfahren.

    Also Pflegerbestellung im Wege der eAO dürfte prinzipiell möglich sein. Das E-pflegschaftsverfahren ist gem. 151 FamFG Kindschaftssache und gem. § 49 FamFG gilt das Eilverfahren für alle Fam-sachen. Aber es passt in vielen Bereichen nicht wirklich, z.B. ist ja dann nach Bekanntgabe auch die Beantragung einer mündlichen Verhandlung möglich, was im E-pflegschaftsverfahren eigentlich nie gemacht wird. Außerdem ist bei der eAO die sofortige Wirksamkeit anordenbar; das bedeutet in meinem Fall, dass die Vernehmung schon vorbei ist, wenn die Eltern den Beschluss über die Anordnung der E-pflegschaft bekommen. Klingt für mich nicht sehr rechtstaatlich.:mad:

  • Der bestellte Pfleger wird ja hoffentlich dem Druck der StA standhalten und im Sinne des Kindes entscheiden, ob überhaupt eine Aussage erfolgen soll. Wenn einziges Ziel der Bestellung ist, möglichst schnell zur Vernehmung schreiten zu können, dann ist was falsch gelaufen.


  • Mein erstes Problem: Kann ich tatsächlich einen E-pfleger im Rahmen des § 52 StPO durch einstweilige Anordnung bestellen? Ich denke nein. Ich kann dazu nichts finden. Ich könnte u.U. auf die Anhörung verzichten, den Pfleger bestellen, Beschluss zustellen und Pfleger verpflichten. Aber die Eltern müssten immer was vorher erfahren.

    Also Pflegerbestellung im Wege der eAO dürfte prinzipiell möglich sein. Das E-pflegschaftsverfahren ist gem. 151 FamFG Kindschaftssache und gem. § 49 FamFG gilt das Eilverfahren für alle Fam-sachen. Aber es passt in vielen Bereichen nicht wirklich, z.B. ist ja dann nach Bekanntgabe auch die Beantragung einer mündlichen Verhandlung möglich, was im E-pflegschaftsverfahren eigentlich nie gemacht wird. Außerdem ist bei der eAO die sofortige Wirksamkeit anordenbar; das bedeutet in meinem Fall, dass die Vernehmung schon vorbei ist, wenn die Eltern den Beschluss über die Anordnung der E-pflegschaft bekommen. Klingt für mich nicht sehr rechtstaatlich.:mad:

    Wenn der Rechtspfleger die einstweilige Anordnung erlassen hat, ist sie nach Maßgabe des § 57 FamFG i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG anfechtbar.
    Für die (unterbleibende) Anhörung der Eltern gilt § 160 Abs. 3 FamFG, da eine vorherige Information den Zweck des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gefährden würde. Hier wird es meist so gehandhabt, dass die Eltern erst nach Durchführung der Vernehmung von der familiengerichtlichen Entscheidung in Kenntnis gesetzt werden.

    "Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht." (Abraham Lincoln)

  • Kennt jmd. Entscheidungen, die die Frage erörtern, ob nach § 1796 BGB auch der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch den Rpfl. für die Zeit der Vernehmung zulässig ist?

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Also ich habe solche Fälle ständig. Mal paar Antworten zu aufgeworfenen Fragen:

    Vorab: Sehr viel Rechtsprechung findet man zu solchen Fällen im Beschluss des Hansetischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 26.3.2013, 13 UF 81/12 (zu finden über Juris)

    Bestellung als Ergänzungspfleger im Rahmen einer einstweiligen Anordnung dürfte möglich sein, habe ich - ohne Anhörung - auch schon mehrfach gemacht. Zwar hält das erwähnte Gericht die ganzen Anhörungen (Elternteile, Jugendamt ..) für zwingend erforderlich, allerdings wurde eben auch am Rande erwähnt, dass man von den Anhörungen nicht hätte absehen können, weil es eben gerade keine einstweilige Anordnung war, was ja im Umkehrschluss bedeutet, dass in bestimmten Situationen (Gefahr in Verzug, Kindeswohlgefährdung ...) eine solche möglich sein muss, dass eben auch ohne Anhörung, aber befristet.

    Ich habe vor Jahren eine solche Sache auch schon mal einer Familienrichterin (ist jetzt nicht mehr hier) vorgelegt im Hinblick auf die Wirkungskreise, die über den gesetzlichen Vertretungsausschluss (§§ 52, 81c Stopp) hinausgehen, z.B. "Entbindung von der Schweigepflicht der behandelnden Ärzte" oder "Die Aufenthaltsbestimmung in Bezug auf die oben angeführten Untersuchungshandlungen und Zeugenvernehmungen". Sie hat mir daraufhin zur Akte geantwortet: Die Anordnung der Ergänzungspflegschaft durch den Rechtspfleger würde auch die zuletzt genannten Wirkungskreise umfassen, es handelt sich dabei nur um "Annexkompetenzen" zu den Wirkungskreisen auf Grund gesetzlichen Vertretungsausschlusses, da sich diese ansonsten gar nicht verwirklichen ließen, eine Entscheidung über eine teilweise Entziehung der elterlichen Sorge, welche dem Richtervorbehalt unterliegt, wäre somit nicht erforderlich.

    Ich lege somit die Akte nur noch dem Richter vor bzw. lasse das Verfahren gleich auf den Richter umtragen, wenn auf Grund der in § 52 StPO gar kein gesetzlicher Vertretungsausschluss vorliegt, sondern lediglich eine Interessenkollision im Sinne von § 1796 BGB. Dann machen das die Richter auch. So etwas hatte ich letztens mal, als der 17 jährige Bruder von dem 8-jährigen Geschädigten beschuldigt war und die Mutter gesetzliche Vertreterin für beide Kinder war.

    Im Übrigen beantragt bei uns die STA auch immer, dass der Beschluss des Familiengerichts nicht den Eltern bekannt gemacht werden soll, um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden. Dem komme ich aber nicht nach, denn für eine nicht vorzunehmende Bekanntmachung an die Eltern fehlt im FamFG jegliche Stütze, ihnen würde schließlich auch ein Rechtsmittelrecht genommen. Auf Anhörungen kann man unter gewissen Umständen verzichten, wenigstens in einem eAO-Verfahren, nicht aber auf die Bekanntmachung einer Entscheidung.

  • Dass die funktionelle Zuständigkeit für einen Antrag gem. § 1796 BGB beim Richter liegt, ist mir offen gestanden völlig neu. Nach welcher Norm legst Du das dem Richter vor?

    Im Prinzip hast du Recht. Bei irgendwelchen Rechtsgeschäften würde ich das auch problemlos nach § 1796 BGB selbst machen. Hier geht es aber praktisch um Teile der Personensorge (Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge ...), sodass ich es eben - zugegeben vielleicht nicht zwingend - dem Richter vorlege (damit der ggf. in solchen Fällen auch weitere Maßnahmen prüfen kann), und der macht das bei uns dann auch problemlos. Im Palandt wird es unter Rn 18 zu § 1629 im Zusammenhang mit dem Zeugnisverweigerungsrecht auch bezeichnet als "kommt in diesem Fall nur nach enspr Sorgerechtsentzug in Betracht (Nürnberg NJW 10, 3041 u.a.)".

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