Einigungsgebühr: "nicht mehr rechtshängig" = "nicht rechtshängig?"

  • In einem mehrjährigen Rechtsstreit zweier Unternehmen wird vor dem OLG 1 Tag vor der fast 1 Jahr schon terminierten Berufungsverhandlung "aus dienstlichen Gründen" der Termin verschoben. Zwischen diesem und dem neuen Termin kommen Vergleichsverhandlungen in Gang. Hierbei verstehen die Anwälte das Interesse der Parteien, schematisch gesehen so, dass man sich bei den Streitgegenständen 1, 2, 3 und 4 auf a, b, c und d einigt. Die Details werden in dem neuen Berufungstermin mehrere Stunden besprochen und dann unwiderruflich verglichen. Damit ist bekanntlich die Rechtshängigkeit im prozessualen Sinne beendet. Im Gegensatz zu dem geplatzten Termin konnten die Geschäftsführer bei dem zweiten Termin nicht teilnehmen. Das hatte zur Folge, dass beide Geschäftsführer ihren Anwälten sagten, dass sie 1, 2, 3 und 4 nicht auf a, b, c und d, sondern auf a, b, c und x vergleichen wollten. Daraufhin schließen die Anwälte im Namen der Parteien einen materiell-rechtlichen abändernden Vergleich, wonach 4 auf x verglichen wird, der gerichtliche Vergleich aber im Übrigen unberührt bleibt.

    Entsteht hier aus dem Teilgegenstandswert von 4 eine 1,5 Einigungsgebühr, weil 4 nicht rechtshängig war, nämlich nicht "mehr" rechtshängig?

    DESIRE IS THE HURDLE TO SALVATION AND TIES ONE TO SAMSARA

  • Spontan: Ja.
    Würde ich aber gegenüber dem Mandanten wohl nicht abrechnen, weil er konsumiert wird durch den SEA des Mandanten gegen mich wegen Schlechterfüllung des früheren Auftrags. Hätten die Anwälte nämlich den Willen der GFs richtig erforscht oder ganz übliche prozessuale Vorsichtsmaßnahmen getroffen (Stichwort widerruflicher Vergleich, oder im Termin kurze Unterbrechung zur Rücksprache oder was es da sonst noch gibt) wäre es nicht zum Abschluss 4d vor Gericht gekommen, sondern zu 4x und die Kosten des gesonderten zusätzlichen Vergleichsschlusses wären nicht angefallen.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Entsteht hier aus dem Teilgegenstandswert von 4 eine 1,5 Einigungsgebühr, weil 4 nicht rechtshängig war, nämlich nicht "mehr" rechtshängig?

    Veto von mir:

    Die Ungewissheit über den Streitpunkt 4 wurde durch den ersten Vergleichsabschluss nicht beseitigt. Insoweit lag m.E. ein Dissens vor. Ich will Uldis' Falllösung damit nicht in Frage stellen, die erscheint mir sehr legitim. Ich tue mich schwer, den Streit um Gegenstand 4 (vorläufig) durch den Vergleichspunkt 4d geklärt zu sehen. Die Einigungsgebühr ist eine Erfolgsgebühr und der Erfolg ist durch Vergleich 4d nicht (abschließend) eingetreten.

    Die gerichtliche Anhängigkeit des Streitgegenstands spielt außerdem für die Einigungsgebühr keine Rolle, es muss nur Streit/Ungewissheit bestehen und durch den Vergleich geklärt werden. (s.a. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1000 Rn. 107-109)

    Ich lasse mich allerdings auch gern vom Gegenteil überzeugen.

    "Multiple exclamation marks", he went on, shaking his head, "are a sure sign of a diseased mind." (Sir Terry Pratchett, "Eric")

  • Die beiden Anwälte als Vertreter der Parteien waren sich über die Lösung auch zu Punkt 4 einig, deswegen haben sie es ja verglichen. Also sicher kein Dissens. Nur war das, was die Anwälte ausgemacht haben, nicht das, wax die Parteien selbst wollten. Nur kommt es auf das Einverständnis des Vertretenen eben nicht an, wenn er einen Vertreter bevollmächtigt und diesen verhandeln lässt. Das ist das Risiko der Einschaltung des Vertreters.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!