Beschluss Abänderung Berechnung § 850 c ZPO

  • Huhu,

    ich habe einen Antrag auf Nichtberücksichtigung von Kosten der Unterkunft im Freibetrag nach § 850c ZPO, da der Schuldner keine Miete zahlt, weil er im Haushalt der Eltern lebt.
    Konkret sollen 296,55 € unberücksichtigt bleiben, da dieser Betrag bei den Freibeträgen des § 850c ZPO als Kaltmiete zur Grundlage genommen wurde.
    Es wird auf die Entscheidung AG Tostedt(Vollstreckungsgericht), Beschluss vom 23.11.2020 – 9 M 3914/20 Bezug genommen, die in beck - online auch veröffentlicht ist.
    https://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-BECKRS-B-2020-N-42790
    Ich sehe hier allerdings keine gesetzliche Grundlage für eine derartige Anordnung?!

    Wie steht Ihr dazu?

  • Liegt denn eine Pfändung von Unterhalt oder ein Anspruch aus vorsätzlich unerlaubter Handlung vor? Falls nicht, sehe ich (ohne Recherche) derzeit auch keine gesetzliche Grundlage für eine entsprechende Herabsetzung.


  • Ich sehe hier allerdings keine gesetzliche Grundlage für eine derartige Anordnung?!

    Ich auch nicht.

    Die Entscheidung des AG Tostedt - welche es (warum wohl) auch nicht für nötig hält eine gesetzliche Grundlage für die Anordnung zu nennen - halte ich für falsch.
    Die Herabsetzung des Freibetrages kommt nur in den besonders gesetzlich geregelten Fällen in Betracht (vgl. BGH, IXa ZB 207/03).
    Ein Fall des §850c Abs. 6 ZPO liegt nicht vor, sodass eine Berücksichtigung der Tatsache nur im Rahmen der §§850d, 850f Abs. 2 ZPO in Betracht käme.

    Perfektion ist eine Illusion.

    2 Mal editiert, zuletzt von jfp (16. November 2021 um 13:43) aus folgendem Grund: Korrektur Aktenzeichen

  • Habe in der Mittagspause nochmal über den Fall nachgedacht. Letztendlich ist hier ja keine Herabsetzung gewollt, sondern eine Erhöhung des monatlichen Einkommens des Schuldners, oder? Durch das Wohnen bei den Eltern hat der Schuldner ja einen geldwerten Vorteil, welchem durch die Hinzurechnung der 296,55 EUR Rechnung getragen wird. Ich meine mich aus dem Studium erinnern zu können, dass geldwerte Vorteile eines Schuldners zu berücksichtigen sind. Könnte man das nicht evtl. über § 850e Nr. 3 ZPO lösen? :gruebel:

  • Habe in der Mittagspause nochmal über den Fall nachgedacht. Letztendlich ist hier ja keine Herabsetzung gewollt, sondern eine Erhöhung des monatlichen Einkommens des Schuldners, oder? Durch das Wohnen bei den Eltern hat der Schuldner ja einen geldwerten Vorteil, welchem durch die Hinzurechnung der 296,55 EUR Rechnung getragen wird. Ich meine mich aus dem Studium erinnern zu können, dass geldwerte Vorteile eines Schuldners zu berücksichtigen sind. Könnte man das nicht evtl. über § 850e Nr. 3 ZPO lösen? :gruebel:

    Es sind aber keine geldwerten Vorteile die der Arbeitgeber gewährt. Im vorliegenden Fall sind es die Eltern des Schuldners die ihn kostenfrei bei sich wohnen lassen.
    Deswegen handelt es sich auch beim AG Tostedt faktisch um eine Herabsetzung des pfandfreien Betrages. Die Hinzurechnung des geldwerten Vorteils durch die Eltern zum Arbeitseinkommen des Schuldners ohne jede gesetzliche Grundlage ist m.E. abstrus.

    Die Quintessenz des BGH ist doch, dass es auf die konkreten Kosten nicht ankommt, weil der Gesetzgeber den pfandfreien Betrag bewusst pauschal gestaltet hat.
    Zitat aus BGH, VII ZB 94/06, Rn. 12 nach juris (Hervorhebung durch mich):

    "Der Gesetzgeber hat bewusst von einer einzelfallbezogenen Entscheidung abgesehen, um die Zwangsvollstreckung praktikabel zu gestalten. Im Zwangsvollstreckungsverfahren soll nicht um die Höhe der Unterhaltsverpflichtung gestritten werden. Demgemäß setzt § 850 c Abs. 1 Satz 2 ZPO nur voraus, dass der Schuldner auf Grund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt leistet. Eine Einschränkung dahingehend, dass der Freibetrag nur zu gewähren ist, wenn die Unterhaltsverpflichtung vom Schuldner in voller Höhe erfüllt wird, lässt sich dieser Bestimmung nicht entnehmen. Auch ergibt sich daraus kein Anhaltspunkt, dass ein Freibetrag nur in Höhe der tatsächlich erfolgten Unterhaltsleistungen zu gewähren ist. Aus der Pauschalierung des Pfändungsfreibetrags ist vielmehr abzuleiten, dass dem Gläubiger der Einwand verwehrt ist, der Schuldner sei auf diesen Betrag im Hinblick auf den tatsächlich geleisteten Unterhalt nicht in voller Höhe angewiesen."

    Diese Gedanke wird auch auf die Wohnkosten zu übertragen sein.

  • .... Diese Gedanke wird auch auf die Wohnkosten zu übertragen sein.

    Muss man ja nicht mal übetragen, da es der BGH unter der von mir benannten Entscheidung unter c) auch ausdrücklich so ausführt.

    Da hast du Recht, war mir beim Überfliegen der Entscheidung nicht aufgefallen. :daumenrau

  • Vielleicht bringt der Aufsatz aus der Vollstreckung effektiv noch etwas Licht ins Dunkle

    Im Rahmen des Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen beabsichtigte der Gesetzgeber, den arbeitenden Schuldner im Regelfall besser zu stellen als den Empfänger von Sozialhilfe. Insofern wurde als Kalkulation der Sozialhilfebedarf als unterer Maßstab genommen. Hierbei berücksichtigte man eine Kaltmiete von 580 DM, umgerechnet somit 296,55 EUR (BT-Drucksache 14/6812, 9 re. Sp.).

    Wohnt der Schuldner also mietfrei , ist er so zu behandeln, als stünde ihm die Miete zusätzlich zu seinem tatsächlichen Nettoeinkommen zur Verfügung. Der Betrag von 296,55 EUR ist daher vom Drittschuldner auf Antrag und Anordnung des Vollstreckungsgerichts dem ermittelten Nettoeinkommen des Schuldners wie fiktives Einkommen hinzuzurechnen

    Siehe https://www.iww.de/ve/vollstrecku…nkommen-f136729

  • ...

    Im Rahmen des Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen beabsichtigte der Gesetzgeber, den arbeitenden Schuldner im Regelfall besser zu stellen als den Empfänger von Sozialhilfe. Insofern wurde als Kalkulation der Sozialhilfebedarf als unterer Maßstab genommen. Hierbei berücksichtigte man eine Kaltmiete von 580 DM, umgerechnet somit 296,55 EUR (BT-Drucksache 14/6812, 9 re. Sp.).

    Und der nicht arbeitende Schuldner muss keine Miete zahlen?

    Wohnt der Schuldner also mietfrei , ist er so zu behandeln, als stünde ihm die Miete zusätzlich zu seinem tatsächlichen Nettoeinkommen zur Verfügung. Der Betrag von 296,55 EUR ist daher vom Drittschuldner auf Antrag und Anordnung des Vollstreckungsgerichts dem ermittelten Nettoeinkommen des Schuldners wie fiktives Einkommen hinzuzurechnen

    Siehe https://www.iww.de/ve/vollstrecku…nkommen-f136729

    Mir fehlt es nach wie vor an einer Rechtsgrundlage für die in der Fundstelle als zwingend dargestellte Hinzurechnung der ersparten Miete als fiktives Einkommen.

  • Der pfändungsfreie Betrag gem. Tabelle Anlage zu § 850c ZPO setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: Lebenshaltungskosten, Miete, Heizkosten, Fahrtkosten, einmalige Ausgaben, etc.
    Der Pfändungsfreibetrag beinhaltet mithin einen Anteil für Mietzahlungen, den ein Schuldner, der gar keine Miete zahlt, automatisch mit in Anspruch nimmt.

    Siehe auch noch Waldschmidt, JurBüro 2020, 234
    Thema: Der Schuldner zahlt keine Miete? Auswirkung auf die Einkommenspfändung?

    AG Oranienburg, 11.08.2016 – 91 M 712/14. JurBüro 2016, 658
    AG Wuppertal, 14.02.2020 – 44 M 7876/19. JurBüro 2020, 269

    § 850c Abs. 5. S.3 ZPO erlaubt den Erlass eines Blankettbeschlusses, verbietet dem Vollstreckungsgericht aber nicht, in Zweifelsfällen bei Erlass eines Pfübs genauere Anweisungen zur Berechnung des pfändbaren Einkommens zu erteilen. Dann spricht nach dem BGH (NJW 2006, 777) aber nichts dagegen, eine solche Ergänzung und Spezifizierung bei Vorliegen eines Rechtsschutzbeürfnisses auf Antrag auch nach Erlass des Pfübs als eine weitere Maßnahme der Zwangsvollstreckung zuzulassen.

  • Der pfändungsfreie Betrag gem. Tabelle Anlage zu § 850c ZPO setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: Lebenshaltungskosten, Miete, Heizkosten, Fahrtkosten, einmalige Ausgaben, etc.
    Der Pfändungsfreibetrag beinhaltet mithin einen Anteil für Mietzahlungen, den ein Schuldner, der gar keine Miete zahlt, automatisch mit in Anspruch nimmt.


    Soviel ist klar und wie der BGH festgestellt hat vom Gesetzgeber auch bewusste Folge der vom Gesetzgeber vorgesehenen Pauschalisierung.

    AG Oranienburg, 11.08.2016 – 91 M 712/14. JurBüro 2016, 658
    AG Wuppertal, 14.02.2020 – 44 M 7876/19. JurBüro 2020, 269


    Zwei weitere Amtsgerichte die eine Herabsetzung des pfandfreien Betrages (auch wenn sie es anders nennen) angeordnet haben ohne auf die entgegenlautende Rechtsprechung des BGH einzugehen oder auch nur eine gesetzliche Grundlage nennen auf die sie ihre Entscheidung stützen.
    Wen soll das überzeugen?
    Die Gerichte haben offensichtlich die Rechtslage verkannt (womöglich weil sie sie gar nicht geprüft haben).

    § 850c Abs. 5. S.3 ZPO erlaubt den Erlass eines Blankettbeschlusses, verbietet dem Vollstreckungsgericht aber nicht, in Zweifelsfällen bei Erlass eines Pfübs genauere Anweisungen zur Berechnung des pfändbaren Einkommens zu erteilen. Dann spricht nach dem BGH (NJW 2006, 777) aber nichts dagegen, eine solche Ergänzung und Spezifizierung bei Vorliegen eines Rechtsschutzbeürfnisses auf Antrag auch nach Erlass des Pfübs als eine weitere Maßnahme der Zwangsvollstreckung zuzulassen.

    Es gibt aber keine gesetzliche Grundlage um zusätzliches Einkommen des Schuldners zu erfinden, dass gar nicht existiert. Dafür gibt es selbstredend auch kein Rechtsschutzbedürfnis.
    Einzig denkbar ist die Absenkung des Freibetrages, welche aber - wie hier schon dargelegt wurde - nach höchstrichterlicher Rechtsprechung mangels gesetzlicher Grundlage ebenso unzulässig ist.

  • Bin heute zufällig über eine Entscheidung des AG Bamberg gestoßen und dort war noch eine Entscheidung vom AG Nordenham aufgeführt. In der Entscheidung vom AG Nordenham wurde noch das LG Dresden zitiert.

    AG Bamberg, 18.03.2021 - 610 M 9003/20
    Wer keine Miete zahlen muss, sondern bei einem Dritten mietfrei wohnt, kann bei der Pfändung von Arbeitseinkommen oder dem Kontoguthaben nicht den vollen Pfändungsfreibetrag in Rechnung stellen
    (FoVo 2020, 193) Ausgabe 10/21

    AG Nordenham, 15.02.2021 - Az. 6 M 712/20
    (Kürzung des Pfändungsfreibetrags wenn die Schuldnerin in einem unbelastetem Haus wohnt und keine Miete zahlt)

    LG Dresden, 13.10.2014 - 2 T 716/14 (JurBüro 2015, 159)

  • AG Bamberg, 18.03.2021 - 610 M 9003/20
    Wer keine Miete zahlen muss, sondern bei einem Dritten mietfrei wohnt, kann bei der Pfändung von Arbeitseinkommen oder dem Kontoguthaben nicht den vollen Pfändungsfreibetrag in Rechnung stellen
    (FoVo 2020, 193) Ausgabe 10/21

    AG Nordenham, 15.02.2021 - Az. 6 M 712/20
    (Kürzung des Pfändungsfreibetrags wenn die Schuldnerin in einem unbelastetem Haus wohnt und keine Miete zahlt)

    Da kann ich mich nur selbst zitieren:


    Zwei weitere Amtsgerichte die eine Herabsetzung des pfandfreien Betrages (auch wenn sie es anders nennen) angeordnet haben ohne auf die entgegenlautende Rechtsprechung des BGH einzugehen oder auch nur eine gesetzliche Grundlage nennen auf die sie ihre Entscheidung stützen.
    Wen soll das überzeugen?
    Die Gerichte haben offensichtlich die Rechtslage verkannt (womöglich weil sie sie gar nicht geprüft haben).


    LG Dresden, 13.10.2014 - 2 T 716/14 (JurBüro 2015, 159)


    Beim LG Dresden lag eine Pfändung nach §850f Abs. 2 ZPO vor, mithin ist es eine völlig andere und nicht vergleichbare Sachlage.

    Es ist allerdings erschreckend wie viele Vollstreckungsgerichte die Anträge durchgewunken haben ohne auch nur zu versuchen eine gesetzliche Grundlage für die Anordnung aufzuzeigen.

  • Ich kann auch nur davor warnen, bei normaler § 850c-Pfändung von der Pauschalierung abzuweichen. Sonst müsste ja bei jeder Einkommenspfändung eine individuelle Festsetzung erfolgen, wenn man dies zu Ende dächte.

  • Es ist allerdings erschreckend wie viele Vollstreckungsgerichte die Anträge durchgewunken haben ohne auch nur zu versuchen eine gesetzliche Grundlage für die Anordnung aufzuzeigen.

    ...und genauso erschreckend, wie dies hier teilweise als zutreffende Meinung vertreten wird...

    Aber wir sind alle nur Menschen und jeder hat da ja seine eigene Perspektive und Zielsetzung

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