Anwendung von unmittelbarem Zwang

  • Sacherhalt:
    Mein Betreuter ist ukrainischer und ungarischer Staatsangehöriger. Er arbeitete kurz in Deutschland in der Baubranche. Dort gab es auf dem Weg von der Baustelle zur Firma einen Wegeunfall. Bei diesem Verkehrsunfall (VU) starben 3 Menschen. Mein Betreuter überlebte sehr schwer verletzt nur knapp.

    Er bekommt von der BGBau monatlich rund 1700 Euro Verletztengeld (ähnlich Krankengel). Seit dem Unfall im Okt. 2021 befindet er sich in einer Spezialklinik und wurde mehrfach operiert. Eine Hüft- OP musste revidiert werden, weil ein Keim in die Hüfte bekam. Seit her lebt er ohne Hüfte. Er stürzte und brach sich den Oberschenkel. Deshalb kann die Revisions- OP der Hüfte erst Ende dieses Jahres erfolgen.
    Er hat bei dem VU einen starken Schlag auf den Kopf bekommen. Möglicherweise hatte dies Folgen. Wurde aber bis Dato noch nicht gutachterlich festgestellt. Tatsache ist aber, dass er seine Lage nicht richtig beurteilen kann. Dies wird von den Ärzten, dem Sozialdienst und der Reha- Managerin der BGBau ignoriert.

    Er möchte zurück in die Ukraine. Dort dürfte allerdings nicht die notwendige medizinische Versorgung derzeit gewährleistet sein.

    Ich habe einen Platz im Betreuten Wohnen für ihn gefunden. Er kann ihn auch aus eigenen Mittel bezahlen. Davon abgesehen werde ich sozialgerichtlich die Übernahme der Kosten gem. § 41 SGB VII prüfen lassen. Dies aber nur am Rande.

    Die BGBau wirkte auf die behandelten Ärzte ein. Mein Betreuter soll nächste Woche entlassen werden. Ich soll ihm eine Wohnung anmieten, in welcher er allein und selbstständig leben soll. Dies halte ich für unrealistisch.

    Ich wollte die Zuführung zum Betreuten Wohnen anordnen (Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 06.02.1998, 1 W 4/98 , MDR 1998, 432). Allerdings sehe ich keine Rechtsgrundlage unmittelbaren Zwang anzuwenden. Dies bedeutet, wenn sich mein Betreuter verbringen lässt, wäre das in Ordnung. Würde er sich aktiv gegen die Verbringung zur Wehr setzen, könnte m. E. kein unmittelbarer Zwang angewendet werden, da es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt. Siehe auch: LG Offenburg, Beschluss v. 08.07.1996, 4 T 88/96, FamRZ 1997, 899

    Wie sind denn die Meinungen hierzu?

  • Betreuung, d.h. Unterstützung bzw. Vertretung, ist Freiwillige Gerichtsbarkeit und basiert daher auf Freiwilligkeit. Zwang ist der Betreuung grundsätzlich fremd. Deshalb künftig auch Wunscherfüllung.

    So darf z.B. ein Betreuer die Wohnung des Betroffenen auch nicht betreten, wenn es der Betroffene nicht zulässig. Es gibt auch keinen „richterlichen Beschluss“, der das Betreten (gegen Willen des Betroffenen) zulässt bzw. „genehmigt“. Die Folgen des unberechtigten Betretens kann man ggf. im StGB nachlesen.

    Im Bereich der Garantenstellung des Betreuers sieht das Betreuungsrecht in den abschließend im Gesetz genannten Fällen Entscheidungen des Betreuers, die mit Zwang umgesetzt werden müssen vor, die dann aber der richterlichen Genehmigung (gerade wegen des einzusetzenden Zwangs) bedürfen. Dies sind u.a. die Genehmigungen im Zusammenhang mit der Aufenthaltsbestimmung i.S. des § 1906 BGB.

    Und dort wird nur von geschlossenen Einrichtungen gesprochen. D.h. eine Genehmigung zur zwangsweisen Unterbringung kann nur in einer der in § 1906 BGB genannten Einrichtungen erfolgen. Im Umkehrschluss kann die zwangsweise Verbringung und das zwangsweise Festhalten des Betroffenen in einer dort nicht genannten Einrichtung nicht erfolgen. Das zwangsweise Verbringen des Betroffenen dorthin ist nicht zulässig. Die Folgen für den Verbringer lassen sich ebenfalls im StGB nachlesen.

    D.h.: Bestimme den künftigen Aufenthaltsort des Betroffenen. Miete ggf. ein Appartement im Betreuten Wohnen an. Bestelle ein Taxi oder einen Krankenwagen zum Transport. Teile dem Betreuten mit, dass er mit dem Taxi oder dem Krankenwagen ins Betreute Wohnen fahren und dort wohnen kann. Die Entscheidung, ob er einsteigt und mitfährt trifft der Betroffene selbst.

    Und was den Wunsch des Betroffenen angeht, in die Ukraine zu gehen: der Wunsch, d.h. das Wohl des Betroffenen ist die Vorgabe, an der du dein Handeln messen musst. Nur dann, wenn die Wünsche den Betroffenen, z.B. in seiner Gesundheit gefährden, brauchst du ihn nicht unterstützen. Du hast aber auch dann nicht das Recht, ihn zu bevormunden. Wenn er es allein, bzw. mit der Unterstützung Dritter hinbekommt, den Weg in die Ukraine zu organisieren, musst du ihn ziehen lassen.

    Wenn aber keine Gefährdung in der Erfüllung seines Wunsches vorliegt, wirst du ihn sogar unterstützen müssen. Der Betroffene will heim. Das ist verständlich. Und im Westen der Ukraine ist noch kein direkter Krieg. Dort funktioniert u.a. auch die medizinische Versorgung noch. Ich bin mir deshalb nicht ganz sicher, ob du dem Betroffenen die Unterstützung bei der Umsetzung seines Wunsches „nach Hause“ zurückzukehren einfach verweigern kannst. An die Verweigerung der Unterstützung sind hohe Hürden geknüpft (Stichwort: Unzumutbarkeit).

  • Das hast du gut schrieben. Ich sehe das genau so und werde es auch genau so machen. Habe ich es sogar schon gestern vorbereitet.

    Betreutes Wohnen und Taxifahrt dorthin.

    Mein Betreuter ist sehr krank. Er ist auf Medikamente und ärztliche Versorgung angewiesen. Er hat keine Hüfte. Aus meiner Sicht würde die Rückkehr in die Ukraine nicht zu seinem Wohl sein. Ich werde diese Rückfahrt in die Ukraine nicht unterstützen oder organisieren. In diesem Punkt mache ich nicht mit. Derzeit kommen aus der Ukraine Millionen von Flüchtlingen und ich schicke deshalb meinen Betreuten dort nicht hin, bzw. unterstütze seinen Wunsch auf Rückkehr in die Ukraine nicht.

    Der Betreuungsfall ist insgesamt recht anspruchsvoll. Ich bin gespannt ob die BGBAu gem. § 41 SGB VII die Kosten für das Betreute Wohnen zu tragen hat, natürlich nur wenn mein Betreuter dies in Anspruch nimmt. Ich werde diesen Punkt ggf. sozialgerichtlich Entscheiden lassen.

    Ich frage mich, ob die Kosten der Betreuung auch übernommen werden müssen? Kausal für die gesetzliche Betreuung ist der Gesundheitszustand nach dem VU, welcher ein Wegeunfall ist. Fraglich ist, ob die BGBau, oder die gegenerische Haftpflichtversicherung für die Kosten der gesetzlichen Betreuung aufkommen muss, oder nicht. Bin sehr gespannt wie das entschieden wird.

  • Im Bereich der Garantenstellung des Betreuers sieht das Betreuungsrecht in den abschließend im Gesetz genannten Fällen Entscheidungen des Betreuers, die mit Zwang umgesetzt werden müssen vor, die dann aber der richterlichen Genehmigung (gerade wegen des einzusetzenden Zwangs) bedürfen. Dies sind u.a. die Genehmigungen im Zusammenhang mit der Aufenthaltsbestimmung i.S. des § 1906 BGB.

    Garantenstellung BGB (+) Roth in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 1901 BGB

    und

    StGB (-) LG Potsdam, Urteil vom 11. Februar 2016 – 27 Ns 89/15

  • Auch das Thema Einwilligungsfähigkeit in eine medizinische Behandlung ist hier interessant.

    Ist der Betreute einwilligungsfähig hat der Betreuer in Sachen medizinische Behandlung nichts zu entscheiden. Der Betroffene hat selbst zu entscheiden, ob er behandelt werden will oder nicht. Lehnt der einwilligungsfähige Betroffene die Behandlung ab, kann ihn der Betreuer nicht überstimmen. Die Ablehnung des einwilligungsfähigen Betroffenen ist zu akzeptieren.

    D.h. wenn hier der einwilligungsfähige Betroffene in Deutschland nicht behandelt werden will, wird man dies akzeptieren müssen. Die Voraussetzungen für eine genehmigungspflichtige und auch genehmigungsfähige Zwangsbehandlung dürften nach dem vorgetragenen Sachverhalt ja nicht vorliegen.

    So wird die vorgetragene Behandlungsbedürftigkeit sicher kein Grund sein, den Betroffenen gegen seinen Willen in Deutschland festzuhalten. Man wird ihn ziehen lassen müssen.

  • Nein, ein Zwangsbehandlung steht nicht im Raum....

    Ich halte ihn für einwilligungsfähig..... (Praxis BZB Juli/August 14 25; Rechtsanwalt Sven Hennings ist
    Justitiar der Zahnärztekammer Hamburg).

    Ja, ich werde und muss seine Entscheidung akzeptieren. Es ist wie es ist...

    Dann wünsche ich ihm eine gute Heimreise und vor allem viel Glück, dies dürfte er gut gebrauchen können.

  • Nein, ein Zwangsbehandlung steht nicht im Raum....

    Ich halte ihn für einwilligungsfähig..... (Praxis BZB Juli/August 14 25; Rechtsanwalt Sven Hennings ist
    Justitiar der Zahnärztekammer Hamburg).

    Ja, ich werde und muss seine Entscheidung akzeptieren. Es ist wie es ist...

    Dann wünsche ich ihm eine gute Heimreise und vor allem viel Glück, dies dürfte er gut gebrauchen können.

    Ich hoffe, dass das neue (ab 1.01.2023 geltende) Recht schneller zur Lösung von Fällen, wie diesen beiträgt.

    Betreuer sind Wunscherfüller

    Betreuer sind Unterstützer

    Unterstützung vor Vertretung

    Betreuer vertreten nur dann, wenn Betroffene nicht handeln können. Betroffene, die nicht handeln wollen, sollen nur dann vertreten werden, wenn sie auch nicht handeln können (Eigenverantwortung der Betroffenen).

    Handlungsfähige Betroffene müssen (wie jeder Mensch) zu ihren Fehlern stehen. Betreuung ist nur Unterstützung, keine Bevormundung.

    Aufgabenkreisübertragung bzw. -zuweisung nur dann und nur so lange, wie sie erforderlich sind.

    Zurück zum Fall:
    sind Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge bzw. Aufenthaltsbestimmung überhaupt noch erforderlich?

  • Eine durchaus berechtigte Frage.

    Im Moment noch aus meiner Sicht nein. Wenn mein Betreuter tatsächlich in die Ukraine ausreist, werde ich einen ausführlichen Bericht an das Betreuungsgericht schreiben, in dem ich diese Frage in den Raum stellen werde.

    Ich befürchte, dass ich seinen Anspruch auf Verletztengeld gegenüber der BGBau dann nicht mehr durchsetzen kann, weil ich keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) mehr vorlegen kann?

    Dann würden lediglich noch die zivilrechtliche Ansprüche aus dem Verkehrsunfall zu verfolgen sein. Hier werde ich versuchen auch die Kosten der gesetzlichen Betreuung geltend zu machen, da sie ja einer der Folgen aus dem Verkehrsunfall darstellen. Bin mal gespannt wie dies entschieden wird.

    Ja, m. E. müssten die Aufgabenkreise dann reduziert werden. Aber das ist letztendlich Sache des Betreuungsgerichtes.

  • Du wirst dem Betreuungsgerichtt mitteilen, dass der Betroffene in die Ukraine zurückgekehrt ist und du dauerhaft nichts mehr zur Verbesserung der Lebenssituation des Betroffenen beitragen kannst.

    Das Betreuungsgericht wird dann prüfen müssen, ob nicht die Betreuung aufzuheben ist. Für jemanden, der dauerhaft und aus freien Stücken bzw. mit freiem Willen ins Ausland gegangen ist und für den ein deutscher Betreuer eigentlich nichts mehr tun kann, ist das deutsche Betreuungsrecht nicht gedacht. Die Rechtsverfolgung in Deutschland kann ggf. ein mandantierter Anwalt für den Betroffenen erledigen. Hierzu bedarf es nicht eines Betreuers. Denn Abwesenheit im Ausland ist kein Betreuungsgrund.

  • Mein Betreuter soll im Oktober wieder operiert werden. Deshalb soll er im Oktober in die Fachklinik in Deutschland zurückkehren. Er hatt wie geschrieben, derzeit keine rechte Hüfte.

    Im Vorfeld hatte ich bereits mit der zuständigen Betreuungsrichertin Kontakt um abzuklären wie sie die Sache sieht.

    Wie bereits oben geschrieben, werde ich dem Betreuungsgericht umfangreich Bericht erstatten.

    Derzeit tendiert die Betreuungsrichterin dazu die Betreuung aufrecht zu erhalten. Auch wenn ich mangels AU- Bescheinigung das Verletztengeld erst einmal nicht weiter durchsetzen kann.

    Ob oder ob nicht die Betreuung aufrechterhalten wird ist erst einmal Sache des Betreuungsgerichtes.

  • Ich denke, dass im vorliegenden Fall weniger die evtl. Verfahrensabgabe (in die Ukraine) noch die Weiterführung des Verfahrens durch das deutsche Gericht die zu entscheidende Frage ist, sondern die Frage, was der deutsche Betreuer (hier in der Bundesrepublik, aber vor allem in der Ukraine) zur Verbesserung der Lebenssitutation des Betroffenen beitragen kann. Kann er nämlich nichts zur Verbesserung beitragen, liegt in der Regel ein Aufhebungsgrund vor bzw. zumindest ein Grund zur (hier massiven) Einschränkung des Aufgabenkreises vor.

  • Mein Betreuter soll im Oktober wieder operiert werden. Deshalb soll er im Oktober in die Fachklinik in Deutschland zurückkehren. Er hatt wie geschrieben, derzeit keine rechte Hüfte.

    Wie alt ist denn der Betroffene? Ist er ukrainischer Staatsangehöriger?

    Die Ukraine hat doch "generalmobilgemacht". Darf er, wenn er jetzt wieder in die Ukraine einreist, im Oktober -vorausgesetzt der Krieg ist nicht vorher beendet- wieder ausreisen? "Schützt" ihn seine "Erkrankung" davor, in der Ukraine bleiben zu müssen?

  • Einwandfrei Anton,

    so scheint es hier zu sein. Ja, das Betreuungsgericht sieht noch Betreuungsbedarf und ich auch. Der Fall ist sehr umfangreich und anspruchsvoll.

    Das hier ein Bedarf gesehen wird, ist für mich nachvollziehbar.

    Aber wie sieht es eigentlich mit der freien Willensbildung des Betreuten aus?
    Will er weiterhin eine rechtliche Betreuung haben?
    Will er zurück nach Deutschland?
    Besteht überhaupt die Möglichkeit seinen freien Willen festzustellen?

    Ich bin der Auffassung, dass eine Betreuung von hier aus gar nicht möglich ist unter den Maßgaben des Betreuungsrechtes.

    Gibt es hier etwas zu verwalten was der Betreute nicht selber könnte, selbst wenn er hier wäre? Also eine Immobilie etc.?

    Wäre für solch einen Fall nicht eher eine Abwesenheitspflegschaft der rechtlich sicherere Weg als eine Betreuung?

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