§ 91 ZPO versus Beiordnung

  • Ich würde gerne wissen, wie folgender Sachverhalt gehandhabt wird:

    - Pflichtverteidiger am dritten Ort wird beigeordnet, etwa 200km vom Gerichtsort (=Wohnort des Angeklagten) entfernt.
    - Freispruch

    Pflichtverteidigervergütung wird im Verwaltungswege anstandslos ausgezahlt, da beigeordnet.

    Kostenfestsetzungsantrag gegen die Staatskasse hinsichtlich der Differenz zu den Mittelgebühren. Soweit alles klar.

    Kann ich von der eigentlich festzusetzenden Differenz zu den Mittelgebühren jetzt die unsinnigen Fahrtkosten abziehen (Verweis auf § 91 II 1 ZPO, Anwalt im Bezirk des Prozeßgerichts, hier max. 27km fiktive Fahrstrecke) -> daher Kürzung um 346km x 0,42 EUR?

    Wie wird das bei euch gehandhabt?

    §§ 36b II 2, 5 III 1 RPflG: Die vorgelegten Sachen bearbeitet der Rechtspfleger, solange er es für erforderlich hält.

  • Der Revisor hatte den Antrag zur regulären Anhörung und hat keine Einwände erhoben, offenbar aber hatte er das Problem aber gar nicht auf dem Schirm, sondern eher als 0815 durchgewunken (Differenz zu den Mittelgebühren, aha - i. O.)

    Ich habe jetzt nämlich um die nicht erforderlichen Fahrtkosten gekürzt und eine Erinnerung vorliegen. Das Argument der Anwältin: Ein Freigesprochener mit Pflichtverteidiger könne nicht schlechter gestellt werden als einer, der von Anfang an einen Wahlverteidiger hatte. Dieses Argument ist aber Unsinn, denn dem Wahlverteidiger wären von Anfang an nicht die ungeschmälerten Fahrtkosten ausgezahlt worden, das ist ja nur der Beiordnung geschuldet.

    §§ 36b II 2, 5 III 1 RPflG: Die vorgelegten Sachen bearbeitet der Rechtspfleger, solange er es für erforderlich hält.

  • mMn. sind die Fahrtkosten hinterher nicht abzuziehen, wenn sie bereits durch die Pflichtverteidigervergütung erstattet wurden.

    Um diese Mehrkosten der Staatskasse zu ersparen, hätten der/die Richter/in halt die Beiordnung zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts erlassen können.

  • Was meint denn der Bezirksrevisor dazu? Hier würde der RA anstandslos die Fahrtkosten bekommen, obwohl wir hier in der Gemeinde Hunderte von Anwälten haben.

    Das kann ich nicht nachvollziehen.

    Als Grundsatz gilt:

    Die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und dort auch nicht wohnt, sind gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO nur insoweit von der Staatskasse zu erstatten, als dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.

    Gute Erläuterungen, wann das der Fall ist, finden sich z. B. in juris bei Temming/Schmidt in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 464a Kosten des Verfahrens; notwendige Auslagen, Rn. 15

    Großzügig sieht es neuerdings das OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Oktober 2020 – 2 Ws 133/20 –, juris

  • Der Pflichtverteidiger hat gem. §§ 45, 46 RVG eine eigenen persönlichen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse, auch hinsichtlich notwendiger Fahrtkosten. Beim Freispruch ist es der ehemals Angeklagte, der den Anspruch auf Erstattung seiner Auslagen hat. Der KFB nach § 464b StPO wird also -meist stillschweigend - im Namen des ehemals Angeklagten gestellt. Man kann das deshalb nicht miteinander verrechnen.
    Wenn ich die Frage richtig verstehe, hat der Pflichtverteidiger seine Pflichtverteidigervergütung bereits gegen die Landeskasse geltend gemacht. Er kann sie also nicht mehr gegen den Mandaten geltend machen, der sie deshalb nicht gegen die Staatskasse zur Erstattung anmelden kann (Mal abgesehen davon, dass § 52 Abs. 1 RVG nur von den Gebühren spricht).

  • Beim Freispruch ist es der ehemals Angeklagte, der den Anspruch auf Erstattung seiner Auslagen hat. Der KFB nach § 464b StPO wird also -meist stillschweigend - im Namen des ehemals Angeklagten gestellt. Man kann das deshalb nicht miteinander verrechnen.

    Im gegenständlichen Fall - das vergaß ich zu erwähnen, weil es der Regelfall ist - hat der Freigesprochene seine Ansprüche gegen die Staatskasse an den Verteidiger abgetreten.

    §§ 36b II 2, 5 III 1 RPflG: Die vorgelegten Sachen bearbeitet der Rechtspfleger, solange er es für erforderlich hält.

  • OK. Das ändert aus meiner Sicht aber auch nichts. Der Anwalt hat in seiner Funktion als Pflichtverteidiger das Recht auf Fahrtkostenerstattung aus §§ 45, 46 RVG . Er kann sie mit einem Antrag auf Pflichtverteidigervergütung geltend machen.
    Dass er aus der Abtretung der Ansprüche nach § 464a StPO i.V.m. § 91 ZPO kein Recht auf Fahrtkostenerstattung hat, bedeutet nur, dass er die Fahrtkosten sich nicht mit KFB nach § 464b StPO i.V.m. § 103ff ZPO festsetzen lassen kann; führt aber nicht zur Unrichtigkeit der Pflichtverteidigervergütung.

  • Der Freigesprochene kann nur den Anspruch abtreten, den er auch hat. Umgekehrt muss ihm die Staatskasse (der die Kosten auferlegt wurden) nichts erstatten, was der Freigesprochene nicht zahlen muss.

    Nach § 52 Abs. 1 S. 1 RVG kann der *Pflichtverteidiger* vom Mandanten die Zahlung der *Gebühren* eines gewählten Verteidigers verlangen. Das heißt, die *Auslagen des Verteidigers* (mit Ausnahme der Umsatzsteuer) kann der Pflichtverteidiger vom Mandanten nicht verlangen. So zum Beispiel die Fahrtkosten. Dann aber sind die Auslagen auch nicht Teil der Kostenfestsetzung nach Freispruch, sondern können ausschließlich im Wege der Pflichtverteidigervergütung geltend gemacht werden.

    Wer da meint, dies sei doch ein Wertungswiderspruch zu unserer sonstigen strengen Linie bei der Erstattung notwendiger Reisekosten: Nein. Denn die Prüfung, ob ein so weit entfernter Verteidiger notwendig ist, obliegt dem Richter bei der Bestellung des Pflichtverteidigers.

  • Stimmt, aus § 52 RVG gibt´s keinen Anspruch des Pflichtverteidigers gegen den Angeklagten auf Fahrtkostenerstattung.
    Scheint aber in den Gerichten unterschiedlich gehandhabt zu werden, ob daneben ein Wahlanwaltsauftrag vom Angeklagten an seinen Anwalt bestehen darf oder nicht.

  • ...

    Wer da meint, dies sei doch ein Wertungswiderspruch zu unserer sonstigen strengen Linie bei der Erstattung notwendiger Reisekosten: Nein. Denn die Prüfung, ob ein so weit entfernter Verteidiger notwendig ist, obliegt dem Richter bei der Bestellung des Pflichtverteidigers.

    Der dabei aber recht wenig Spielraum hat. Der Beschuldigte ist vor der Bestellung zu hören und wenn er den Wunsch nach einem bestimmten Anwalt äußert, ist dieser im Grundsatz zu bestellen, § 142 Abs. 5 StPO.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Wir haben uns hier kürzlich auch erst mit der Frage rumgeschlagen, wie jetzt anzurechnen ist, wenn die PV-Vergütung und die Wahlanwaltsvergütung geltend gemacht wird. (Der Anwalt hat beide Anträge einfach insgesamt gestellt ohne sich da selbst zu äußern). Die Revisorin hatte nur geschrieben, dass wenn eine PV-Vergütung festgesetzt wird, diese dann anzurechnen sei. In der wenigen Rechtssprechung, die wir gefunden haben, war das nicht immer ganz eindeutig. Teilweise wurde von der Wahlanwaltsvergütung einfach der bereits bezahlte PV-Betrag abgezogen. Dies hat uns aber nicht überzeugt, da es auch die Fahrtkostenproblematik gab.

    Für die Entscheidung haben wir uns dann an folgender Entscheidung orientiert: OLG Hamm, Beschluss vom 07.05.2009 - 2 Ws 71/09

    Wir haben also alle Positionen einzeln gegenübergestellt, sodass im Ergebnis, die Fahrtkosten als PV-Vergütung erstattet waren, aber auch von den Wahlanwaltsgebühren nicht abgezogen wurden.

    „Gebildet ist, wer weiß, wo er findet, was er nicht weiß.“ (Georg Simmel)

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