Vormundschaftswechsel /Kapazitäten

  • Hallo,

    ich brauche etwas Input bezüglich der weiteren Vorgehensweise:
    Kind steht unter Vormundschaft und lebt nunmehr dauerhaft in X.
    Das hiesige Jugendamt hat den Antrag auf Entlassung gem. § 87c SGB VIII gestellt.
    Das JA in X hat gegenüber dem hiesigem JA erklärt keine Kapazitäten zu haben und eine Liste mit Berufsvormündern ausgehändigt. Hier hat nach Recherchen des hiesigen JA auch niemand Kapazitäten
    Und nun?

  • Sieht für die Bestellung eines Berufsvormundes gut aus.
    Ich mache zwar schon ewig keine Familiensachen mehr......aber :

    1.) ist die Bestellung eines Berufsvormundes gegenüber dem Jugendamt nach den Auswahlkriterien des BGB nicht nachrangig

    2.) gibt es nach meiner dumpfen Erinnerung genügend obergerichtliche Rechtsprechung , wonach der Bestellung eines Berufsvormundes fiskalische Interessen der Justiz (Vergütung nach VBVG ) nicht entgegenstehen.

  • Das ist eine interessante Frage, die auch hier gerade aktuell ist.

    Einerseits müssen das Jugendamt und dessen Träger dafür sorgen, dass dort ausreichende Kapazitäten vorhanden sind. Insoweit bestehende Defizite hat nicht die Justiz auszugleichen. Nach der noch bis zum 31.12.2022 geltenden Rechtslage hat lediglich ein ehrenamtlicher Einzelvormund Vorrang gegenüber dem Jugendamt (§ 1791b Abs. 1 Satz 1 BGB).

    Andererseits dürfte es dem Kindeswohl widersprechen, ein überlastetes Jugendamt zum Vormund zu bestellen, das sich möglicherweise nicht ausreichend kümmern und nicht im erforderlichen Umfang persönlichen Kontakt zum Mündel halten kann.

    Ich löse diese Fälle zurzeit so, dass ich das bisherige Jugendamt erst einmal nicht entlasse, sondern zunächst um dessen Mitwirkung im Hinblick auf die Suche nach einem geeigneten Einzelvormund bitte. Ist ein solcher gefunden, kann die Entlassung des Jugendamtes und die Auswahl nebst Verpflichtung des neuen Vormunds erfolgen.

    "Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht." (Abraham Lincoln)

  • Da Sie möglicherweise den Fall an das für X zuständige Amtsgericht abgeben wollen, empfiehlt es sich, mit dem anderen Amtsgericht Kontakt aufzunehmen. Hier ist die vorherige Fallabgabe wegen Umzug des Mündels der Regelfall.

  • Das ist eine interessante Frage, die auch hier gerade aktuell ist.
    Einerseits müssen das Jugendamt und dessen Träger dafür sorgen, dass dort ausreichende Kapazitäten vorhanden sind. Insoweit bestehende Defizite hat nicht die Justiz auszugleichen. Nach der noch bis zum 31.12.2022 geltenden Rechtslage hat lediglich ein ehrenamtlicher Einzelvormund Vorrang gegenüber dem Jugendamt (§ 1791b Abs. 1 Satz 1 BGB).

    Der Vorrang des ehrenamtlichen Einzelvormundes wird sich auch nach neuem Recht ab 01.01.2023 nicht ändern vgl. § 1779 II BGB (neu).
    Alle anderen möglichen Vormünder nach § 1774 I Nr. 2 - 4 BGB ( neu ) wie Berufsvormund, Vereinsvormund und Jugendamt stehen folglich im Gleichrang zueinander.
    Nur als vorläufiger Vormund ist ein Berufsvormund völlig ausgeschlossen § 1774 II BGB ( neu ) .

  • Das ist eine interessante Frage, die auch hier gerade aktuell ist. Einerseits müssen das Jugendamt und dessen Träger dafür sorgen, dass dort ausreichende Kapazitäten vorhanden sind. Insoweit bestehende Defizite hat nicht die Justiz auszugleichen. [...]

    Andererseits dürfte es dem Kindeswohl widersprechen, ein überlastetes Jugendamt zum Vormund zu bestellen, das sich möglicherweise nicht ausreichend kümmern und nicht im erforderlichen Umfang persönlichen Kontakt zum Mündel halten kann.

    Fasst es eigentlich sehr gut zusammen. Du kannst es zwar dem Jugendamt aufzwingen, aber ob das zielführend ist, steht auf einem anderen Blatt.

  • Nur für den Fall, dass dies nicht bekannt ist. Für Vormünder gibt es seit dem 05.07.2012 eine in § 55 Abs.2 S.4 SGB VIII gesetzlich festgelegte Soll-Fallzahl von maximal 50 pro Mitarbeiter. Das Familiengericht darf davon ausgehen, dass diese Zahl nach 10 Jahren in nahezu allen deutschen Jugendämtern unterschritten wird. Zu- und Abgänge von Vormundschaften sind zudem eine immer ungefähr gleich hohe Konstante. Die Mitteilung "keine Kapazitäten" ist deshalb nirgends so sinnlos wie im Vormundschaftsbereich. Sollte dies objektiv und ohne wirklich besondere Begründung trotzdem zutreffen, wäre dies ein völliges Organisationsversagen dieses Jugendamtes.

  • Das ist eine interessante Frage, die auch hier gerade aktuell ist.

    Einerseits müssen das Jugendamt und dessen Träger dafür sorgen, dass dort ausreichende Kapazitäten vorhanden sind. Insoweit bestehende Defizite hat nicht die Justiz auszugleichen....

    Was ist damit gemeint? Was gleicht die Justiz denn wohl aus?

  • Das ist eine interessante Frage, die auch hier gerade aktuell ist.

    Einerseits müssen das Jugendamt und dessen Träger dafür sorgen, dass dort ausreichende Kapazitäten vorhanden sind. Insoweit bestehende Defizite hat nicht die Justiz auszugleichen....

    Was ist damit gemeint? Was gleicht die Justiz denn wohl aus?

    Damit ist gemeint, dass es nicht originäre Aufgabe der Justiz ist, die von ihr zu treffenden Entscheidungen von einer nicht in ihrer Ressortverantwortung liegenden, ausreichenden personellen Ausstattung der Jugendämter abhängig zu machen.

    "Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht." (Abraham Lincoln)

  • Erfreulicherweise verwendet unser Amtsgericht viel Sorgfalt auf die Auswahl der Vormunde. Verteilung nach Schema F erleben wir nicht mehr. Die obergerichtliche Entscheidung, dass fiskalische Gründe keine Rolle bei der Auswahl spielen sollen, ist inzwischen allen vertraut. Übernahmen von auswärts landen immer bei den Trägern.
    Alle Jubeljahre passiert es, dass ein auswärtiges Gericht uns ohne Vorbereitung bestellt. Wir beantragen dann den sofortigen Wechsel der Gerichtszuständigkeit, daran anschließend beantragen wir die Entlassung mit Vorschlag eines Berufsvormunds beim Träger.
    Grundsatzdebatten mit auswärtigen Gerichten lohnen sich meistens nicht.

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