Freigabe nach 35 II und Dauerschuldverhältnisse

  • Am Freitag war ich auf einem Vortrag unter anderem zur Freigabe nach dem neuen § 35 II InsO.

    Es wurde darüber diskutiert, ob und wie Raummiet- und Arbeitsverträge von einer Freigabe betroffen sind. Das Ergebnis der Diskussion war: „???, das wird die Rechtsprechung noch zu klären haben“.

    Beispiel:
    Selbständiger Schuldner ist in Inso, Verwalter erklärt die Freigabe. Kann der Vermieter Forderungen aus dem Mietvertrag als Masseverbindlichkeit geltend machen, oder ist dieser Vertrag von der Freigabe gerade nicht berührt?

    Möglichkeit 1
    Die Freigabe auf Gewerbemietverträge hat eine Wirkung analog zur „Freigabe“ des privaten Wohnmietverhältnisses nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO.

    Wenn das so ist, stellt sich weiterhin die Frage, ob der Schuldner dadurch in einem Zeitmietvertrag bis zum Ende gebunden ist und ständig neue Verbindlichkeiten daraus zu begleichen hat. Wir haben gerade einen Fall, da hat eine Frau einen 15-Jahres-Vertrag bis 2017 unterzeichnet; wenn wir das Mietverhältnis nicht kündigen, ist sie doch bis 2017 gefangen. Da gerade dieser saublöde Vertrag Hauptursache der Insolvenz ist und sie die hohen Zahlungen nicht begleichen kann, würde damit der Antrag auf Erteilung der RSB witzlos, weil sie bis dahin erneut hoch verschuldet ist.

    Es würden bis zum ersten Kündigungstermin weiterhin Masseverbindlichkeiten anfallen (und der Verwalter kann nur hoffen, dass der Schuldner zahlt).


    Möglichkeit 2
    wie 1, nur mit dem Unterschied, dass die Wirkung der Freigabe auf Gewerbemietverhältnisse sofort wirkt, also ab Zugang der Freigabe beim Schuldner ein. Dies wäre eine tolle Möglichkeit für den Verwalter, die Masse von Masseverbindlichkeiten freizuhalten und dadurch eine ganze Reihe von Masseunzulänglichkeiten zu verhindern. Dies kann aber im Einzelfall extrem zu Lasten des Schuldners gehen.


    Möglichkeit 3
    Die Freigabe wirkt nicht auf Gewerbemietverträge. Dies würde bedeuten, dass der Verwalter sich extra erklären muss. Das Problem hierbei ist, dass die Verbindlichkeiten zur Masse gehören, die Einkünfte nach Freigabe jedoch nicht. Sofern der Schuldner also Miete nicht zahlt, haben wir ein Problem, das umso größer ist, weil wir eine Freigabe ja gerade bei renitenten Schuldnern anstreben und diese oftmals eine gewisse Tendenz zeigen, nicht für die Masse zu arbeiten und solche Lücken auszunutzen.

    Ein weiteres Problem ist folgendes: Wenn die Freigabe nicht auf Gewerbemietverträge analog zur Freigabe der Privatwohnung wirkt, muss der Verwalter sich ja dazu erklären. Natürlich bleibt dem Verwalter überhaupt nur übrig, die Verträge zu kündigen, um die Masse vor Masseverbindlichkeiten zu schützen. Das ist nun aber für die Fortführung, die ich dem Schuldner ermöglichen wollte, mitunter das ungünstigste, was passieren kann. Ich ermögliche damit z.B. dem Vermieter, der den Schuldner schon lange heraushaben möchte, genau das zu tun.

    _____
    Bei den Möglichkeiten 1 und 3 könnte der Schuldner wiederum bis zum Eintritt der Kündigungsfrist in den Räumen arbeiten, ohne die Verbindlichkeiten zu zahlen. Es stellt sich daher die Frage, ob es im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten (Versagung nach § 290 Nr. 5) liegt, die Masse von Zahlungen freizustellen oder diese zu ersetzen.


    Daneben stellt sich auch die Frage der Wirkung auf andere Dauerschuldverhältnisse, insbesondere natürlich Arbeitsverträge.

    Was meint ihr dazu?

  • Eigentlich sollte mit der Freigabe der Tätigkeit des Schuldners auch die notwendigen weiteren Verträge (seien es Leasingverträge für Maschinene o.ä. oder gewerbliche Miete oder Pacht) umfasst sein und damit keine Masseverbindlichkeiten mehr.
    Ja, wird von der Rechtsprechung zu klären sein. Allerdings vor den Prozessgerichten, als IG halte ich mich da gerne raus.

  • Ich habe mir nochmal die Begründung zum Gesetzentwurf genauer durchgelesen. Eine klare Aussage kann ich dem zwar nicht entnehmen, aber es wird dort ständig von Neugläubigern gesprochen:

    "Den Neugläubigern, also den Gläubigern, die nach Eröffnung des Verfahrens mit dem Schuldner kon- trahiert haben, stehen, sofern eine entsprechende Erklärung des Verwalters vorliegt, als Haftungsmasse die durch die selbstständige Tätigkeit erzielten Einkünfte zur Verfügung."

    und weiter:
    "Macht der Verwalter von der Freigabe keinen Gebrauch und duldet er die Fortführung der gewerblichen Tätigkeit durch den Insol- venzschuldner, dann werden die durch den Neuerwerb be- gründeten Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten, da insofern eine Verwaltungshandlung vorliegt."

    Das könnte darauf hindeuten, dass Dauerschuldverhältnisse, die vor Insolvenzeröffnung entstanden sind, nicht betroffen sein sollen.

    Auf der anderen Seite ist bei den Dauerschuldverhältnisse die meiste Musik drin, und ich könnte es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht nachvollziehen, wenn ausgerechnet diese Verträge nicht erfasst sein sollten.

  • Ich denke, die Vorschriften über Dauerschuldverhältnisse würden ausgehebelt, wenn die Freigabe sich auch auf diese beziehe. Auch vor der Regelung des § 35 Ii InsO war eine Freigabe des Mietverhältnisses an sich - im Gegensatz zu einzelnen Gegenständen - nicht möglich. Der Verwalter muss sich meiner Ansicht nach auch nach neuem Recht explizit erklären und Miet- , Pachtverträge und sonstige Dauerschuldverhältnisse kündigen. Ist Masse nicht vorhanden >> Anzeige der Masseunzulänglichkeit und sofortige Besitzaufgabe !

    § 35 II bezieht sich ja auch nur auf die Einnahmen aus dem Betrieb und nicht auf die einzelnen Gegenstände/ Veträge.

    Mir wäre es recht, wenn noch weitere Interessierte hier ihre Meinungen zum Besten geben.

  • *schwupps*

    Ich will das Thema wieder nach oben holen. Hat hier Jemand irgendeine Idee oder eine gute Argumentation, wohin die Reise gehen könnte?

  • das Ding ist mir zu komplex, als dass ich Dir eine dreizeilige Antwort hinrotzen möchte, nur ersteinmal soviel:

    da lediglich bei Mietverträgen über priv. Wohnraum eine Negativerklärung abgegeben werden kann und die Neuregelung ja die Neugläubiger schützen soll, verbleibt Miet/Leasing bei der Masse, der Verwalter kann kündigen, was er dann auch tunlichst ausüben sollte.

    Der Gläubiger kann jetzt zum Neugläubiger werden, es aber auch lassen. Als Haftungssubjekt steht im der Neuerwerb zur Verfügung. Ich würde aber gerne mal sehen, wie die Geschichte endet, wenn tatsächlich nicht gezahlt wird. Ist das, nach erklärung des IV zum 35, II InsO kein Eingehungsbetrug mehr ?

    Problematischer sehe ich das mit den Arbeitsverträgen, insbesondere wenn der Schuldner schon am Tage der Eröffnung kundtut, dass er gedenkt weiter werbend tätig bleiben zu wollen. Mit einer Kündigung des IV wäre dann, wegen § 613a Essig.


    Generell würde ich das mit der Mitwirkungspflicht hier nicht zu hoch ansiedeln: Die 290 Nr. 5 InsO beschränkt sich lediglich auf Auskünfte, nicht auf Zahlungen.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • das Ding ist mir zu komplex, als dass ich Dir eine dreizeilige Antwort hinrotzen möchte, nur ersteinmal soviel:

    da lediglich bei Mietverträgen über priv. Wohnraum eine Negativerklärung abgegeben werden kann und die Neuregelung ja die Neugläubiger schützen soll, verbleibt Miet/Leasing bei der Masse, der Verwalter kann kündigen, was er dann auch tunlichst ausüben sollte.

    Der Gläubiger kann jetzt zum Neugläubiger werden, es aber auch lassen. Als Haftungssubjekt steht im der Neuerwerb zur Verfügung. Ich würde aber gerne mal sehen, wie die Geschichte endet, wenn tatsächlich nicht gezahlt wird. Ist das, nach erklärung des IV zum 35, II InsO kein Eingehungsbetrug mehr ?

    Du rotzt überhaupt nicht! Ich hab derzeit Schnupfen, aber deine Ausführungen sind besser als zehn fette Aspirin !

    Wenn der Verwalter kündigt und es ist kein schuldnerischer Wohnraum betroffen, so hat er m.E. für die Zeit bis Ablauf der Kündigungsfrist die Forderungen des Vermieters als Masseforderungen ( § 55) zu begleichen. Eine Freigabe ändert daran nichts!

    Dass im klassichen Nullverfahren dem Vermieter dieser Anspruch nichts bringt, weil Verfahren eben masselos und meistens wegen § 209 nach Masseunzulänglichkeitsanzeige jedwede Hoffnung zunichte gemacht wird, ist ein anderes Blatt.

    Ist leider Wochenende, vor Montag bist sicher nicht wieder im Dienst.

    :mad:

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