Ersatzschlußerben und Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments

  • Die Eheleute E machen ein gemeinschaftliches Testament und setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein. Als Schlußerbe wird der Sohn K des Ehemannes aus 1. Ehe (im Testament mit "unser Sohn" bezeichnet) eingesetzt. Ehemann ist 1977 verstorben, Sohn K ist 1989 verstorben.

    Die nunmehr verstorbene Ehefrau hat 1984 ein Testament gemacht und P als Alleinerbin eingesetzt.

    Ich bin der Meinung, dass aufgrund der Wechselbezüglichen Verfügungen die Ehefrau an das gemeinschaftliche Testament mit ihrem verstorbenen Mann gebunden war und somit kein weiteres Testament wirksam errichten kónnte. Anstelle des vorverstorbenen Sohnes K treten dessen Abkömmlinge an dessen Stelle.

    Nun wird durch P (anwaltschaftlich vertreten) geltend gemacht, dass die Auslegungsregel des § 2069 BGB hier nicht greift. K ist nicht Sohn der Erblasserin und kommt somit nicht als gesetzlicher Erbe in Betracht und kann somit nicht Ersatzschlußerbe durch Auslegung (§ 2069 BGB) sein. Somit fällt ihrer Meinung nach die Bindungswirkung weg und sie wird aufgrund neuen Testaments Alleinerbin. Weiterhin wird im anwaltlichen Schreiben ausgeführt (mit Beweisangeboten), dass keinerlei Bindung zu den Kindern des Stiefsohnes (auch nicht vom Vater zu seinem Sohn aus 1. Ehe und dessen Kindern) bestand. Was allerdings mE dahinstehen kann.

    Mein Problem ist nun, ob die Auslegungsregel des § 2069 BGB hier tatsächlich nicht greift, somit kein Ersatzschlußerbe vorliegt und die Erblasserin neu testieren konnte. Zur Klarstellung nochmals zum Zeitpunkt der Errichtung des weiteren Testaments lebte der eingesetzte Schlußerbe noch.

  • Ich hatte schon mal einen ähnlich gelagerten Fall, jedoch hatte die Ehefrau nach dem gemeinschaftlichen Testament erst ein neues Testament errichtet, nachdem der im gemeinschaftlichen Testament eingesetzte Erbe bereits verstorben war.
    Da habe ich mich dann entschieden, dass keine Bindungswirkung mehr besteht, sie konnte nach dem Tod des eingesetzten Schlusserben (und auch ohne Benennung von Ersatzerben) weiter frei letztwillig verfügen!
    Ich finde, es ist schon ein Unterschied, wenn der eingesetzte Erbe zum Zeitpunkt des neuen Testamentes noch lebt! Ich habe leider keine Rechtsprechung oder ähnliches parat, ist jetzt nur so aus dem Stehgreif, aber meines Erachtens war die Ehefrau schon noch an das gemeinschaftliche Testament gebunden und konnte nicht neu testieren!

  • 1. Wechselbezüglichkeit der ursprünglichen Verfügung

    Für den Fall, dass die Bindungswirkung der getroffenen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament nicht ausdrücklich geregelt wurde und die individuelle Auslegung zu keinem Ergebnis führt, ist die Alleinerbeinsetzung der Ehefrau durch den Ehemann im vorliegenden Fall nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB wechselbezüglich im Verhältnis zur Erbeinsetzung des Stiefsohnes durch die Erblasserin. Damit war die Erblasserin grundsätzlich an diese ursprüngliche Schlusserbeneinsetzung zugunsten des Stiefsohnes K gebunden.

    2. Ersatzerbfolge nach § 2069 BGB?

    Der eingesetzte Schlusserbe ist vor der Erblasserin verstorben und hat Abkömmlinge hinterlassen. Es handelte sich beim vorverstorbenen Schlusserben aber nicht um einen Abkömmling der Erblasserin, sondern um einen Abkömmling des erstverstorbenen Ehegatten. Es stellt sich also die Frage nach der Anwendbarkeit des § 2069 BGB.

    Zunächst ist insoweit festzuhalten, dass die Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB von vorneherein nur in Betracht kommt, wenn die individuelle Testamentsauslegung zu keinem Ergebnis pro oder contra Ersatzerbenberufung führt. Wenn wir davon ausgehen, dass es sich so verhält, dann ist die Vorschrift des § 2069 BGB auf die vorliegende Fallgestaltung entsprechend anwendbar. Denn zu den nachrückenden Ersatzerben zählen bei gemeinschaftlichen Testamenten nicht nur die Enkel des überlebenden Ehegatten (insoweit in unmittelbarer Anwendung der Norm), sondern auch die Abkömmlinge eines vorverstorbenen Schlusserben, der seinerseits nur von dem erstverstorbenen Ehegatten abstammt (BGH FamRZ 2001, 993; OLG Hamm OLGZ 1982, 272; MünchKomm/Leipold § 2069 RdNr.5; RGRK/Johannsen § 2069 RdNr.9; Soergel/Loritz § 2069 RdNr.5). In diesem Kontext kommt es für das "Nachrücken" i.S. des § 2069 BGB daher darauf an, wer bei gesetzlicher Erbfolge anstelle des vom erstverstorbenen Ehegatten abstammenden weggefallenen Abkömmlinges nach dem Erstverstorbenen berufen wäre (LG Berlin FamRZ 1994, 785; MünchKomm/Leipold § 2069 RdNr.5). Damit ist davon auszugehen, dass die Abkömmlinge des Stiefsohnes K nach § 2069 BGB (analog) aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments grundsätzlich zu Ersatzerben der Erblasserin berufen waren.

    3. Wechselbezüglichkeit der Ersatzerbenberufung?

    Von der zu bejahenden Frage, ob die Abkömmlinge des Stiefsohnes K nach dem gemeinschaftlichen Testament zu Ersatzerben berufen sind, ist die Frage zu unterscheiden, ob nicht nur die ursprüngliche Erbeinsetzung des Stiefsohnes K, sondern auch die Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge von K wechselbezüglich war. Dies ist in neuerer Zeit höchst umstritten.

    Ich habe hierzu an anderer Stelle einmal folgendes ausgeführt:

    Bis vor wenigen Jahren entsprach es gefestiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung, dass sich die Wechselbezüglichkeit einer auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruhenden Ersatzschlusserbeneinsetzung auch aus der (weiteren) Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB ergeben kann, weil die über § 2069 BGB berufenen Ersatzschlusserben in einem von § 2270 Abs.2 BGB vorausgesetzten Verwandtschaftsverhältnis zum erstverstorbenen Ehegatten stehen.[1] Aufgrund eines von der eigenen früheren Rechtsprechung abweichenden Vorlagebeschlusses des BayObLG[2] hat sich der BGH unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsauffassung jedoch der Ansicht angeschlossen, welche eine Anwendung der Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB bei der Falllage des § 2069 BGB verneint und eine Wechselbezüglichkeit der Ersatzschlusserbeneinsetzung nur beim Vorliegen konkreter Anhaltspunkten für einen entsprechenden Erblasserwillen befürwortet.[3]

    Die Rechtsauffassung des BGH und des BayObLG[4] verdient keine Zustimmung. Bedenklich ist bereits die im Vorlagebeschluss des BayObLG[5] vertretene Ausgangsthese, dass eine auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruhende Ersatzschlusserbeneinsetzung wegen ihrer fehlenden Ausdrücklichkeit keine i.S. von § 2270 Abs.2 BGB „getroffene“ Verfügung des Erblassers darstelle. Mit dieser Argumentation verkennt das BayObLG, dass die Auslegungsregel des § 2069 BGB auf dem vom Gesetz typisierten hypothetischen Erblasserwillen beruht und dass bei befürworteter Anwendbarkeit des § 2069 BGB demzufolge jeder gesetzliche Anhaltspunkt dafür fehlt, die auf diesem Erblasserwillen beruhende Ersatzschlusserbeneinsetzung im Verhältnis zu einer ausdrücklich erfolgenden letztwilligen Anordnung als „minderwertig“ anzusehen. Des weiteren stellt es aufgrund der völlig unterschiedlichen Regelungsbereiche der beiden Auslegungsregeln einen Trugschluss dar, zu glauben, dass der Grad der Verlässlichkeit, mit der eine bestimmte Willensrichtung des Erblassers angenommen werden könne, durch die kumulierte Anwendung zweier Auslegungsregeln zwangsläufig abnehme.[6] Diese „Verwässerungstheorie“ entbehrt im Ergebnis schon deshalb jeder Plausibilität, weil sie die Anwendbarkeit der Norm des § 2270 Abs.2 BGB nicht etwa lediglich beschränkt, sondern sie entgegen ihrem Wortlaut für die Fallagen des § 2069 BGB schlechthin ausschließt.[7] Damit richten sich die vorgetragenen Argumente gegen die kumulierte Anwendung der beiden Auslegungsregeln in Wahrheit nicht gegen die angebliche Bevorzugung nicht ausdrücklich bedachter Erben, sondern gegen die Rechtfertigung der Vorschrift des § 2270 Abs.2 BGB als solche,[8] deren Hinterfragung jedoch nicht den Gerichten obliegt, sondern dem Gesetzgeber vorbehalten ist.

    Der zentrale Denkfehler des BGH und des BayObLG offenbart sich schließlich in der Annahme, dass von der Wechselbezüglichkeit einer auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruhenden Ersatzschlusserbeneinsetzung nur ausgegangen werden könne, wenn sich für einen entsprechenden Erblasserwillen nach Sachlage konkrete Anhaltspunkte ergeben. Wenn solche konkreten Anhaltspunkte vorliegen, ergibt sich die Wechselbezüglichkeit der Ersatzschlusserbeneinsetzung im Wege der Auslegung der vorliegenden letztwilligen Verfügungen nämlich bereits aus der Vorschrift des § 2270 Abs.1 BGB, sodass sich die Frage nach der Anwendbarkeit der dann ja gar nicht mehr „benötigten“ Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB konsequenterweise überhaupt nicht (mehr) stellen kann.[9]

    Damit erweist sich die an der Rechtsauffassung des BGH und des BayObLG geübte Kritik[10] ohne weiteres als begründet. Die im Vergleich zur restriktiven Linie des BGH zu beobachtenden Aufweichungstendenzen in der neuesten obergerichtlichen Rechtsprechung sind demzufolge auch unverkennbar.[11] In diesem Zusammenhang ist bereits die Befürchtung geäußert worden, durch die Befürwortung einer im Einzelfall relativ weit hergeholten individuellen Testamentsauslegung werde der Versuch unternommen, die kumulierte Anwendbarkeit der Auslegungsregeln des § 2069 BGB und des § 2270 Abs.2 BGB „durch die Hintertür“ wieder einzuführen.[12] Dass diese Kritik unbegründet ist, ergibt sich jedoch schon daraus, dass es ja gerade die zitierte Rechtsprechung des BGH und des BayObLG ist, die die Gerichte dazu zwingt, sich wegen der nicht mehr zur Verfügung stehenden kumulierten Anwendung zweier Auslegungsregeln sorgfältiger als bisher mit den Möglichkeiten einer individuellen Testamentsauslegung zu befassen. Den Befürwortern der Rechtsprechung des BGH und des BayObLG sollte eigentlich zu denken geben, dass die Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB bei vorliegenden gemeinschaftlichen Testamenten aufgrund dieser Rechtsprechung bei fehlender ausdrücklicher Ersatzschlusserbenbestimmung ohne jeden ersichtlichen gesetzlichen Anhaltspunkt von der Regel zur Ausnahme wird. Auch aus diesem Grund erscheint es äußerst zweifelhaft, ob es wirklich erforderlich ist, Sand ins Getriebe eines bisher reibungslos ineinander greifenden Regelungssystems zu streuen.

    [1] BGH Rpfleger 1983, 69 = FamRZ 1982, 1206 = NJW 1983, 277 = JZ 1983, 147 m. Anm. Stürner; BayObLG FamRZ 1995, 251 = ZEV 1994, 362; OLG Frankfurt Rpfleger 1998, 291 = FamRZ 1998, 772; ebenso Staudinger/Otte, BGB, 13. Aufl., § 2069 Rn. 19; Leipold JZ 1996, 287, 291; a.A. LG Köln MittRhNotK 1991, 23; Staudinger/Kanzleiter, a.a.O., § 2270 Rn. 31; Baumann ZEV 1994, 351; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl., § 24 V 2 c.
    [2] BayObLG Rpfleger 2002, 152 LS = FGPrax 2001, 248 = ZEV 2002, 71 LS.
    [3] BGHZ 149, 363 = Rpfleger 2002, 266 = FamRZ 2002, 747 = NJW 2002, 1126 = ZEV 2002, 150 m. Anm. Otte = LM Nr.4 zu § 2270 BGB m. Anm. Wolf.
    [4] Neuestens wiederum: BayObLG Rpfleger 2004, 353 = ZEV 2004, 244 m. Anm. Keim.
    [5] BayObLG Rpfleger 2002, 152 LS = FGPrax 2001, 348 = ZEV 2002, 71 LS.
    [6] Hierzu vgl. Otte ZEV 2002, 151, 152.
    [7] Keim ZEV 2002, 437.
    [8] So völlig zu Recht Keim ZEV 2002, 437, der allerdings -ebenso wie Schmucker (DNotZ 2002, 666) und Schubert (JR 2002, 509)- die praktischen Auswirkungen des BGH-Beschlusses begrüßt.
    [9] Auf diesen inneren Widerspruch in der Argumentation des BGH und des BayObLG hat bereits Otte (ZEV 2002, 151, 152) zutreffend hingewiesen.
    [10] MünchKomm/Leipold § 2069 RdNr. 23; Otte ZEV 2002, 151; Leipold JZ 2002, 895; Wolf LM Nr.4 zu § 2270 BGB.
    [11] OLG Celle FamRZ 2003, 887 und OLG Hamm Rpfleger 2005, 262 = FamRZ 2005, 1592 = FGPrax 2005, 74: Keine Anwendung der Rechtsprechung des BGH bei kumulierter Anwendung der Auslegungsregeln des § 2102 Abs.1 BGB und des § 2270 Abs.2 BGB; ebenso -auch für die Auslegungsregel des § 2097 BGB- Keim ZEV 2002, 437; OLG Hamm FamRZ 2004, 662 = FGPrax 2003, 270 = ZEV 2004, 68 LS: Bejahte Ersatzschlusserbeneinsetzung im Wege der individuellen Testamentsauslegung (ohne Anwendung des § 2069 BGB) und Befürwortung der Wechselbezüglichkeit aufgrund der Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB.
    [12] Keim ZEV 2004, 245, 246 zu OLG Hamm FamRZ 2004, 662 = FGPrax 2003, 270 = ZEV 2004, 68 LS, welches die Auffassung vertritt, dass bereits gute familiäre Bindungen zwischen den testierenden Großeltern (einerseits) und ihren Kindern und Enkelkindern (andererseits) einen ausreichenden Anhalt dafür bieten, dass sich die Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung nach dem Willen des Erblassers auch auf die Einsetzung der Ersatzerben erstrecken soll und das einen Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH vermeidet, indem es im Wege der individuellen Auslegung (und nicht durch die Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB) zur Befürwortung einer Ersatzschlusserbeneinsetzung gelangt und dadurch die Anwendbarkeit der Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB ermöglicht.

    Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist die Argumentation des Anwalts von P ein Widerspruch in sich. Denn wenn § 2069 BGB (wie er unzutreffenderweise behauptet) auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar wäre, könnte sich das Problem der Wechselbezüglichkeit von vorneherein nicht stellen. Die Frage, ob die Ersatzerbeneinsetzung der Kinder von K für die Witwe bindend war, stellt sich nämlich nur dann, wenn man eine Ersatzerbenberufung nach § 2069 BGB zugunsten der Abkömmlinge von K (a) zunächst einmal bejaht, um dann (b) die sich erst hieran knüpfende Folgefrage zu beantworten, ob diese vorliegende (!) Ersatzerbenberufung auch wechselbezüglich ist.

    Die Entscheidung des vorliegenden Falles steht und fällt daher mit der Frage, ob man der zweifelhaften Rechtsprechung des BGH folgt. Falls nein, sind die Abkömmlinge von K Ersatzerben. Falls ja, sind sie es nur dann, wenn man die Wechselbezüglichkeit aus einer (dann notwendigen) individuellen Testamentsauslegung ableiten kann (hierzu vgl. die zitierten Ausführungen des OLG Hamm in o.g. Fn.12).

    Da ich die Rechtsprechung des BGH ablehne, ist die Sache für mich klar: Es liegt eine Ersatzerbenberufung i.S. der Auslegungsregel des § 2069 BGB zugunsten der Abkömmlinge von K vor, die in Anwendung der weiteren Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB wechselbezüglich ist und die von der Witwe daher nicht mehr durch Testierung zugunsten von P. wirksam widerrufen werden konnte. Damit ist das zugunsten von P. errichtete Testament unwirksam.

    Aber auch wenn man der Rechtsprechung des BGH im Grundsatz folgen wollte, würde ich nach den bisherigen Sachverhaltsangaben eine Wechselbezüglichkeit der Ersatzerbeneinsetzung aufgrund einer individuellen Testamentsauslegung im Ergebnis nicht ausschließen. Denn die Frage der Wechselbezüglichkeit ist zum einen für jede einzelne Verfügung des gemeinschaftlichen Testaments gesondert zu prüfen und zum anderen kommt es in diesem Zusammenhang auf den gemeinschaftlichen Willen der Eheleute im Zeitpunkt der Testamentserrichtung an. Ergeben die entsprechenden Ermittlungen, dass der Ehemann seine Ehefrau mit deren Einverständnis nur deshalb zur Alleinerbin eingesetzt hat, weil sie den Sohn des Ehemannes für den Fall ihres Überlebens zum Schlusserben einsetzt, kommt man auch bei Befürwortung der Rechtsprechung des BGH aufgrund individueller Testamentsauslegung zu dem Ergebnis, dass die Erblasserin von den Abkömmlingen des vorverstorbenen Stiefsohnes K beerbt worden ist.

    Man darf gespannt sein.

    4. Unerheblichkeit des Zeitpunkts der einseitigen Testamentserrichtung

    Ob das einseitige Testament der Witwe vor oder nach dem Ableben des ursprünglich eingesetzten Schlusserben errichtet wurde, ist bedeutungslos. Entscheidend ist alleine, ob eine wechselbezügliche Ersatzerbeneinsetzung vorliegt. Liegt sie vor, kann die Witwe das Testament zu keinem Zeitpunkt ändern. Liegt sie nicht vor, kann die Witwe das Testament nach dem Ableben ihres Ehemannes zu jedem beliebigen Zeitpunkt ändern.

    Ob der von piepsi geschilderte Fall zutreffend entschieden wurde, kann daher durchaus zweifelhaft sein.

  • @juris2112: :wow

    Er wurde von deinem Posting :tipptipp erschlagen ;)


    Gruß!

    TL :grin:

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  • @juris:

    Ich habe mir deinen Beitrag erstmal ausgedruckt. Wann um Himmelswillen soll ich das während meiner Arbeitszeit lesen?? Hab ja schließlich noch Termine und andere wichtige Akten zur Bearbeitung. ;)

    Bei dieser Gelegenheit:

    Gibt es eine Möglichkeit, bei Antworten eine Nachricht zu bekommen, sodass man nicht immer im Forum oder Portal nachschauen muß, ob was neues eingegangen ist? :confused:

  • Der Beitrag # 3 klingt beeindruckend und überzeugend! Leider habe ich weder Details noch das Aktenzeichen in Erinnerung, um in Hinblick auf diese Ausführungen nochmal meine Entscheidung zu überdenken!
    Kann mich nur erinnern, dass ich die Sache vorher mit dem Notar besprochen hatte, aber den Erbschein habe ich glaube ich noch gar nicht erteilt - vielleicht eine Kollegin in der Vertretung :gruebel: !
    Ist jetzt natürlich etwas ärgerlich, da ich erst dachte: :peinlich: , da war ich wohl etwas vorschnell. Aber da ich mich an keine Details erinnere, tröste ich mich mit der Hoffenung, dass der Fall ja vielleicht so gelagert war, dass meine Entscheidung ebenfalls vertretbar ist :( !
    Jedenfalls bin ich jetzt schlauer und für die nächste Akte mit solch einer Konstellation gewappnet! :daumenrau

  • piepsi:

    Die getroffene Entscheidung bzw. die zu ihr führenden rechtlichen Überlegungen müssen in dem vom Dir zitierten Fall ja gar nicht falsch gewesen sein. Vielleicht hat der eingesetzte Schlusserbe keine Abkömmlinge hinterlassen oder die individuelle Auslegung ergibt im Hinblick auf die Wechselbezüglichkeit eine andere Rechtsfolge.

    Also nur keine vorschnelle Bange!

  • Wie der Zufall es will, habe ich die Akte heute vorgelegt bekommen!!!
    Bisher ist auch noch gar keine Erbscheinsantrag eingegangen, denn es handelt sich bei beiden letztwilligen Verfügungen um notarielle Testamente (warum denn der Notar hier war, weiß ich jetzt auch nicht, aber vielleicht kommt ja noch ein Erbscheinsantrag).
    Jedenfalls ist die im gemeinschaftlichen Testament eingesetzte Schlusserbin (= Schwester der Ehefrau) kinderlos verstorben, als noch beide Ehegatten gelebt haben. Die überlebende Ehefrau hat das "neue" Testament dann nach dem Tod Ihres Ehemannes errichtet.

  • Dann ist ja alles klar.

    Wenn das Testament der Eheleute -wovon ich ausgehe- keine ausdrückliche Ersatzschlusserbeneinsetzung zugunsten eines Dritten enthält, ist die Schlusserbeneinsetzung zugunsten der kinderlos vorverstorbenen Schwester der überlebenden Ehefrau gegenstandlos geworden und die überlebende Ehefrau konnte völlig frei testieren.

    Es kommt somit nicht mehr auf die Frage an, ob die Schlusserbeneinsetzung der Schwester -hätte sie den Erbfall erlebt- wechselbezüglich getroffen wurde. Man könnte hier nämlich durchaus die Auffassung vertreten, dass nur eine einseitige Wechselbezüglichkeit für den Fall vorliegt, dass die Ehefrau der erstversterbende Ehegatte ist (sodass der überlebende Ehemann nicht anderweitig testieren kann), dass aber die überlebende Ehefrau trotzdem frei testieren kann, weil es sich bei der Schlusserbin ausschließlich um eine Angehörige ihrer eigenen Verwandtschaft handelt.

  • Hallo juris2112:

    habe heute die Akte wieder vorgelegt bekommen (leider nix neues drin).
    Da habe ich natürlich endlich deinen Beitrag gelesen. Nur dass ich dich richtig verstanden habe:

    § 2069 BGB anwendbar (ja)
    BGH-Entscheidung Deiner Meinung nach unbeachtlich
    Somit: Wechselbezüglichkeit der Ersatzerbenberufung (ja)
    Ergebnis: Erben (als Ersatzerben): Abkömmlinge des K

    Folgt man der BGH-Entscheidung:
    Individuelle Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments (gemeinschaftlicher Wille beim Schreiben des Testaments hinsichtlich eventueller Ersatzerben):
    Die Testierenden bezeichnen den Schlußerben als ihren Sohn, was vermuten läßt, dass sie eine Bindung zu ihm haben. Beim Verfassen des Testaments waren die möglichen Ersatzerben (Abkömmlinge des K) bereits geboren. Es müßte also glaubhaft vorgetragen werden, dass die Eheleute keinerlei Bindung zu den Abkömmlingen des K hatten und diese auf keinen Fall als Ersatzerben gewollt hätten.
    Durch den Rechtsanwalt der P (im weiteren Testament Bedachte) wird ausgeführt, dass K bereits sehr bald zu nicht näher bekannten Verwandten weggegeben. Ein Kontakt hätte weder zu K noch dessen Familie bestanden. Später formuliert der Rechtsanwalt zusammenfassend: "Aus der Gesamtsituation ist daher für den Erblasserwillen lediglich zu schließen, dass die Eheleute E im Jahre 1973 der Meinung waren, dass Herr K der einzig lebende Verwandte war, zu dem ein gewisser familiärer Draht bestand und im Übrigen sonst niemand zur Erbeinsetzung in Betracht kam. Hätte Herr E 1973 gewußt, dass sein Sohn 1989 verstirbt und zu diesem Zeitpunkt seine Ehefrau (die jetzige Erblasserin - ergänzt von mir) noch lebt, hätte er die wechselbezügliche Verfügung mit seiner Ehefrau dahingehend geändert, dass eine dritte Person eingesetzt hätte werden müssen - gegebenfalls als Ersatzerbe. Die Kinder (...) von Herrn K wären hierfür nicht in Betracht gekommen, da zu diesen keinerlei Kontakt bestand und deshalb auch kein Grund dahingehend vorgelegen hätte, diese als Schlusserben zu bestimmen."
    Da allerdings gesagt wird, dass ein gewisser familiärer Draht zu K bei Verfassen des Testaments bestand ist nicht auszuschließen, dass auch ein gewisser Draht zu dessen Abkömmlingen, die damals bereits geboren waren, bestand.

    Würdest du bei individueller Auslegung des Erblasserwillen aus dem geschilderten Sachverhalt (wie ich) eine Wechselbezüglichkeit hinsichtlich der Ersatzerben gejahen und damit von einer Bindungswirkung ausgehen?

  • Richtig.

    Wenn man die Entscheidung des BGH ablehnt und die individuelle Auslegung zu keinem Ergebnis führt, sind die Abkömmlinge des K Ersatzerben (§§ 2069, 2270 Abs.2 BGB). Dies wäre auch die von mir befürwortete Lösung.

    Folgt man dagegen dem BGH, so sind sie es nur, wenn ihre Ersatzerbenberufung auf individueller Testamentsauslegung und nicht "lediglich" auf der Norm des § 2069 BGB beruht. Wie ich im vorliegenden Fall entscheiden würde, kann ich nach dem bisher mitgeteilten Sachverhalt noch nicht abschließend beurteilen. Denn es muss erst noch ermittelt werden, was die Abkömmlinge des K dem anwaltlichen Vorbringen des P entgegenzusetzen haben.

    Im Ergebnis stellt sich somit eine einzige Frage:

    Wären die Abkömmlinge des K auch dann Ersatzerben, wenn es die Vorschrift des § 2069 BGB nicht gäbe?

    Nur darauf kommt es an (wenn man dem BGH folgt).

    Falls ja, ist die Schlusserbeneinsetzung nach der Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB wechselbezüglich. Falls nein, ist sie es nicht, weil sie in diesem Fall "nur" auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruhen kann und der BGH die kumulierte Anwendung zweier Auslegungsregeln zur Bejahung einer Wechselbezüglichkeit (2069/2270) ablehnt.

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