Liebe Hinterlegungsexperten,
ich beschäftige mich gerade mit der Verteidigung mit dem sog. kartellrechtlichen Zwanglizenzeinwand im Patentverletzungsstreit. Deren Voraussetzungen wurden in der Entscheidung BGH, Urt. v. 6.5.2009 - KZR 39/06 - Orange-Book-Standard (weitere Fundstellen BGHZ 180, 312 oder GRUR 2009, 694 oder http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechts…134&pos=2&anz=3).
Ich hätte dazu einige Fragen zur praktischen Durchführung der "Orange-Book-Lösung" bzw. würde bestimmte Aspekte gerne diskutieren (Hintergrund der auf den ersten Blick z.T. ggf. etwas seltsam anmutenden Fragen unten):
1. Bedeutet im NRW HintG "einzahlen" sowohl "überweisen" als auch "bar einzahlen"? Wenn ja, woraus ergibt sich das? (Beantwortet, danke an Valerianus)
2. Inwieweit prüfen die Hinterlegungsstellen, ob wirklich ein Annahmeverzug vorliegt, wenn eine Hinterlegung gem. § 372 BGB erfolgt? (Beantwortet, danke rusu)
3. Falls eine materielle Prüfung erfolgt: Welche Nachweise fordert die Hinterlegungsstelle im Antrag im Fall einer Hinterlegung gem. § 372? Muss hier ein Nachweis erbracht werden, dass der Gläubiger die Annahme der angebotenen Leistung wirklich verweigert hat bzw. immer noch verweigert? (Beantwortet, danke rusu)
4. Kann man bei einer Hinterlegung unter Verzicht auf die Rücknahme im Antragsformular für die Annahmeanordnung auch selbst als potentiellen Berechtigten eintragen (weil man nach Orange-Book-Standard zur Sicherheit zuviel hinterlegt hat, s.u.)?
5. Könnte man als Zug-um-Zug Leistung auch die "billige Festlegung der angemessenen Lizenz" in das relevante Formular eintragen (mit der Folge, dass eine Auszahlung erst erfolgt, wenn die Billigkeit der Festlegung gerichtlich bestätigt ist)?
6. Ist § 11 Abs. 2 UrhWG ein eigener Hinterlegungsgrund, der von den Hinterlegungstellen auch als solcher anerkannt wird? Oder prüfen die Hinterlegungsstellen auch in diesem Fall die Voraussetzungen des § 372 BGB?
7. Ist es auch im Bayerischen Hinterlegungsgesetz die Möglichkeit vorgesehen, einen Betrag einzuzahlen, bevor eine Annahmeanordnung ergangen ist (in NRW und BaWü ist dies ausdrücklich in § 9 HintG geregelt)?
8. Können auf eine einmal ergangene Annahmeanordnung weitere Zahlungen geleistet werden oder braucht man jeweils einen neuen Annahmeantrag und eine neue Annahmeanordnung?
Hintergrund:
allg zu 1-8)
Alle Fragen beziehen sich insbesondere auf die Situation, in der sich ein Unternehmen befindet, das von einer Patentverwertungsgesellschaft auf Unterlassung aus einem (angeblich) standardessentiellen Recht in Anspruch genommen wird. Ein solches Patent schützt (angeblich) eine technische Lösung, deren Benutzung (angeblich) in einem Industriestandard (z.B. GSM, GPRS, UMTS, LTE, MPEG4, MP3, etc) zwingend vorgeschrieben ist. Gegen eine solche Klage kann sich ein Unternehmen theoretisch mit dem kartellrechtlichen Zwanglizenzeinwand wehren, weil der Inhaber eines standardessentiellen Rechts aus Kartellrecht verpflichtet ist, sein Schutzrecht gegen eine angmessene Lizenz zu lizenzieren.
Abgesehen, dass solche Patente häufig nicht essentiell sind bzw. zu Unrecht erteilt wurden, ist in diesen Fällen immer streitig, was nun die "angemessene" bzw. kartellrechtlich zulässige Lizenz ist. Zur Lösung dieser Situation hat der BGH in der Orange-Book-Entscheidung unter anderem ein "Hinterlegungsmodell" vorgesehen. Danach muss der Lizenzsucher dem Pateninhaber (also z.B. einer Verwertungsgesellschaft) ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrages machen. Zudem muss er den Pflichten nachkommen, die aus dem Lizenzvertrag folgen würden, wenn der Lizenzsucher das Angebot schon angenommen hätte. D.h. dass der Lizenzsucher (also der verklagte Hersteller) regelmäßig Rechnung legen muss und entsprechend dieser Rechnungslegung an den Patentinhaber Lizenzgebühren zahlen muss. Anstatt direkt zu zahlen, soll er die Beträge aber auch hinterlegen können (schon aus Gründen des Insolvenzrisikos sehr wichtig!).
Der Lizenzsucher soll die Höhe der kartellrechtlich angemessenen Lizenz auch in das billige Ermessen des Patentinhabers stellen können. Auch in diesem Fall soll er die Lizenzgebühren (in regelmäßigen Abständen laufend) hinterlegen müssen und einen in jedem Fall angemessenen Betrag hinterlegen. Hier ist regelmäßig nötig, einen hohen Betrag zu hinterlegen, damit dieser auch in jedem Fall als angemessen angesehen wird. Was die "richtige" Lizenzhöhe ist, soll erst in einem zweiten Verfahren zu klären sein. Erst nach diesem Verfahren steht dann fest, welcher Teil des hinterlegten Betrags nun wirklich geschuldet war und was "zu viel" hinterlegt wurde.
Was der BGH scheinbar nicht bedacht hat ist die Möglichkeit, dass der Patentinhaber ein Angebot nach § 315 BGB einfach annimmt. Hier stellt sich nun die Frage, ob überhaupt noch hinterlegt werden kann (§ 11 UrhWahrG analog? bzw. auf Grundlage einer schon vorher ergangenen Annahmeanordnung?) Außerdem ist fraglich, wie man die Hinterlegung "richtig" macht und gleichzeitig verhindert, dass die Verwertungsgesellschaft einfach das gesamte Geld abräumt.
Hintergrund zu 1)
Es wird z.T. für die inzwischen außer Kraft getretene HintlO behauptet, dass man eine Hinterlegung gem. § 372 BGB immer nur in Bar durchführen könne (vgl. Maume, GRUR Int 2010, 923, 926 und Reimann/Hahn, FS Meibom, S. 385). Ich halte das für falsch, bin mir aber mit den rechtlichen Nachweise für die inzwischen geltenden Hinterlegungsgesetze der Länder nicht sicher.
Im Hinterlegungsgesetz von Bayern (Bay HintG) scheint eine Überweisung klar geregelt und sogar der gesetzlich gewünschten Regelfall zu sein. Dort heißt es in Art. 12 Bay HintG:
Die Hinterlegung wird vollzogen 1. bei Geldsummen durch Gutschrift auf einem von der Hinterlegungsstelle bezeichneten Konto oder in Eilfällen durch Bareinzahlung bei der zuständigen Geldannahmestelle,[...].
In den Hinterlegungsgesetzen von NRW (NRW HintG) und BaWü (NRW HintG) habe ich eine entsprechende Vorschrift nicht gefunden. Dort heißt es in § 10 Abs. 1 S. 1- 2 übereinstimmend:
Die Hinterlegungsstelle hat den Hinterleger von dem Erlass der Annahmeanordnung zu benachrichtigen, sofern nicht bereits eingezahlt oder eingeliefert ist. Zugleich ist der Hinterleger aufzufordern, die zu hinterlegenden Gegenstände innerhalb einer bestimmten Frist bei der zuständigen Hinterlegungskasse unter Vorlegung der Nachricht entgeltfrei einzuzahlen oder einzuliefern.
Eine Defnition von "einliefern" und "einzahlen" finde ich nicht.
Schonmal vielen Dank
EMax