Mitteilungspflicht des Nachlassgerichts bei Pflichtteilsentzug

  • Erblasser E setzt Sohn S1 zum Alleinerben ein. Dem Sohn S2 entzieht er über die Enterbung hinaus den Pflichtteil gemäss § 2333 Ziff.5 BGB. Wäre die Entziehung wirksam, stünde der Pflichtteil dem Sohn des S2 (=Enkel des Erblassers) zu. Muss der Enkel, ob die Entziehung nun wirksam ist oder nicht (was das Nachlassgericht nicht prüft bzw. geprüft hat) gemäss § 2262 BGB benachrichtigt werden?

  • Ich bin der Auffassung, daß der Sohn von S2 im Fall der Begründetheit der Pflichtteilsentziehung zu Lasten von S2 überhaupt nicht pflichtteilsberechtigt ist. Der Enkel wäre nicht zum gesetzlichen Erben berufen, wenn der Erblasser kein Testament hinterlassen hätte. Wie soll er also iS des § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB "durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen" sein? S2 steht im Stamm vor seinem Sohn und schließt ihn von der Erbfolge aus (§ 1924 Abs. 2 BGB). Dann kann der Enkel aber auch nicht pflichtteilsberechtigt sein. Die Pflichtteilsentziehung zu Lasten von S2 spielt dabei keine Rolle.

  • Das liest man oft (zB auch bei MüKo-Lange § 2309 Rn. 12), aber es trifft nicht zu. Ich zitiere aus Staudinger-Haas § 2309 Rn. 16:

    „Fraglich ist aber, ob die Enterbung ... den entfernteren Abkömmlingen zu einem eigenen Pflichtteilsrecht verhilft. Das Gesetz ist insoweit lückenhaft, da nirgends gesagt ist, wie sich der Ausschluß des Betroffenen von der gesetzlichen Erbfolge durch Enterbung auswirkt. Überwiegender Ansicht nach ist der Betroffene für die gesetzliche Erbfolge so zu behandeln, als ob er beim Erbfall nicht vorhanden wäre. ... Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß die Enterbung des Abkömmlings den entfernteren Verwandten zu einem Pflichtteilsrecht kraft eigenen Rechts iS des § 2303 verhilft. ... Für die Frage der Pflichtteilsberechtigung knüpft das Gesetz nämlich in § 2303 an den hypothetischen Fall der (von der Testierfreiheit unbeeinflußten) gesetzlichen Erbfolge an. Ein entfernterer Verwandter kann daher aufgrund einer Verfügung des Erblassers (auch wenn diese im Übrigen die gesetzliche Erbfolge unberührt läßt) nicht pflichtteilsberechtigt werden.“

    Ebenso OLG Köln FamRZ 2000, 194:

    Leitsatz 1: § 2309 BGB setzt ein nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 1924 II, 1930, 2303 BGB) bestehendes Pflichtteilsrecht voraus und schränkt dieses wieder ein, um eine Mehrfachbegünstigung desselben Stammes zu verhindern.
    Leitsatz 2: Ein Enkel des Erblassers ist nicht nach den §§ 2303, 2309, 2325 BGB pflichtteilsberechtigt oder pflichtteilsergänzungsberechtigt, wenn der seine Verwandtschaft zum Erblasser vermittelnde enterbte Elternteil im Zeitpunkt des Erbfalls noch am Leben ist.

    Wenn man unterstellt, daß der Erblasser bei unserem Sachverhalt unverheiratet verstarb, wären die Söhne S1 und S2 hälftig zu gesetzlichen Erben berufen gewesen. Der Enkel ist nach § 1924 Abs. 2 BGB von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, weil sein Vater S2 noch lebt. Der Enkel kann also gar nicht iS des § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB enterbt sein. Er hätte im Fall der gesetzlichen Erbfolge doch ohnehin nichts geerbt! Wo soll da ein Pflichtteilsrecht herkommen?

    Benachrichtigen würde ich den Enkel. Er mag selbst entscheiden, ob er sich für pflichtteilsberechtigt hält. Eine Belehrung dahingehend, daß er pflichtteilsberechtigt ist, halte ich aber für absolut verfehlt.

  • Dann müsstest Du aber auch Urenkel benachrichtigen, wenn Du auf den Stamm abstellst. Das finde ich nicht richtig. Es liegt keine rein negative Enterbung nach § 1938 BGB ohne positive Erbeinsetzung vor, sondern der Erblasser hat eine Person zum Alleinerben eingesetzt und damit die gesetzlich Erbberechtigten enterbt, die ohne das Testament zum Zuge gekommen wären. Das ist aber nur der Sohn S2, nicht aber dessen Sohn. Wie Samirah richtig feststellt, hätte der Enkel kraft Gesetzes nichts geerbt. Er ist daher auch nicht "enterbt".

  • Ich würde benachrichtigen. Lieber einen Brief mehr rausschicken, als einen zuwenig....
    Du teilst ihm ja nicht mit, dass er einen Pflichtteilsanspruch hat, sondern dass sein Vater ( glaube ich war es....) enterbt ist und ihm der Pflichtteil entzogen wurde. Was der dann daraus macht ist seine Sache.

    Esra 7, Vers 25
    Du aber, Esra, setze nach der Weisheit deines Gottes, die in deiner Hand ist, Richter und Rechtspfleger ein, die allem Volk jenseits des Euphrat Recht sprechen, nämlich allen, die das Gesetz deines Gottes kennen; und wer es nicht kennt, den sollt ihr es lehren.

  • @Francesca: Sorry, meinte natürlich § 1938 BGB. Ich verstehe den Sachverhalt so, dass eine ausdrückliche Enterbung stattgefunden hat (...über die Enterbung hinaus...). Das ist Usus wenn man eine Regelung im Hinblick auf eine Pflichtteilsentziehung hat (ich denke mal es handelt sich um eine notarielle Verfügung von Todes wegen). Falls dies so wäre, könnte der Fall eintreten, dass die letztwillige Verfügung hinsichtlich der Erbeinsetzung unwirksam ist (Anfechtung, etc.), der Rest bleibt u.U. wirksam, § 2085 BGB, sprich die ausdrücklliche Enterbung. Daher würden die Abkömmlinge des S2 als gesetzliche Erben in Betracht kommen. Deswegen ist auch die Benachrichtigung nach § 2262 BGB erforderlich.

  • Der Sohn des S2 (nachfolgend Enkel) hat hier einen Pflichtteilsanspruch.

    Zur Lösung der oben aufgeworfenen Frage muss man sich den Wortlaut des § 2309 BGB ansehen.

    Nach § 2309 BGB hat ein Abkömmling keinen Pflichtteilsanspruch, wenn
    1. ein anderer Abkömmling lebt, der den Abkömmling von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde und
    2. dieser andere Abkömmling den Pflichtteil verlangen kann oder (hier egal)

    1. ist erfüllt. Der Enkel wird durch S2 von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen
    2. ist nicht erfüllt. S2 kann den Pflichtteil nicht verlangen (wenn die Entziehung wirksam ist)

    vgl. dazu auch Damrau, vor § 2333, Rn. 8

  • @ Justus: Wenn man es so sieht, gebe ich Dir für den Aspekt der Benachrichtigung recht. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Enkel auch pflichtteilsberechtigt ist.

  • Richtig, die Frage der Pflichtteilsberechtigung ist damit nicht geklärt. Der Fragesteller wollte ja auch nur wissen, ob der Enkel zu benachrichtigen ist.

    Ich denke auch, dass der Enkel nicht pflichtteilsberechtigt ist. Überzeugt hat mich v.a. folgendes Zitat von Samirah:

    "Der Enkel ist nach § 1924 Abs. 2 BGB von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, weil sein Vater S2 noch lebt. Der Enkel kann also gar nicht iS des § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB enterbt sein. Er hätte im Fall der gesetzlichen Erbfolge doch ohnehin nichts geerbt! Wo soll da ein Pflichtteilsrecht herkommen?"

    Da braucht man gar keinen Kommentar oder gar Entscheidungen, dies ist einfach die logische Schlussfolgerung.

  • Ich muß dem Kollegen Papenmeier widersprechen, auch wenn seine Ansicht von einigen Kommentatoren geteilt wird (zB Soergel-Dieckmann § 2309 Rn. 12). Die Norm des § 2309 BGB will nur die Doppelbegünstigung eines Stammes verhindern, gewährt aber selbst kein Pflichtteilsrecht, dessen Voraussetzungen nach § 2303 BGB nicht vorliegen. Der Enkel ist bereits durch § 1924 Abs. 2 BGB von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, nicht erst durch die letztwillige Verfügung des Erblassers. Wenn S2 nicht der Pflichtteil entzogen worden wäre, sondern er nur für die eigene Person auf ihn verzichtet hätte (§ 2346 Abs. 2 BGB), stünden wir vor der gleichen Situation. Ebenso bei seiner Pflichtteilsunwürdigkeit von S2 nach § 2345 Abs. 2 BGB.

    Bei der Erbausschlagung, bei der Erbunwürdigkeit und bei einem ohne die Wirkung des § 2349 BGB erklärten Erbverzicht wird gesetzlich fingiert, dass die betreffende Person als vorverstorben gilt (§§ 1953 Abs. 2, 2344 Abs. 2, § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB). Damit fällt die Schranke des § 1924 Abs. 2 BGB, die den Enkel grundsätzlich vom gesetzlichen Erbrecht und also auch vom Pflichtteilsrecht ausschließt. Für den Pflichtteilsverzicht, die Pflichtteilsentziehung und die Pflichtteilsunwürdigkeit fehlt es aber an einer solchen gesetzlichen Fiktion. Deutlich wird dies insbesondere bei der Pflichtteilsunwürdigkeit, weil § 2345 Abs. 1 BGB gerade nicht auf § 2344 BGB verweist, der für die Erbunwürdigkeit eine entsprechende Fiktion enthält.

    Justus hat es auf den Punkt gebracht: Daß der Enkel im Problemfall nicht pflichtteilsberechtigt sein kann, ist eine aus dem Gesetz selbst abzuleitende logische Schlußfolgerung. Die abweichende Auffassung beruht auf einer Verkennung des Regelungsgehalts des § 2309 BGB.

    Einmal editiert, zuletzt von Samirah (3. September 2008 um 07:34) aus folgendem Grund: Änderung eines Zitats

  • Stell dir bloß mal vor.....Das Nachlassgericht benachrichtigt TROTZDEM den Enkel.... Was der daraus macht, ist seine Sache....

    Und nun? Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Rechtspfleger wegen Verkennung des Regelungsgehaltes???

    Esra 7, Vers 25
    Du aber, Esra, setze nach der Weisheit deines Gottes, die in deiner Hand ist, Richter und Rechtspfleger ein, die allem Volk jenseits des Euphrat Recht sprechen, nämlich allen, die das Gesetz deines Gottes kennen; und wer es nicht kennt, den sollt ihr es lehren.

  • Deswegen würde ich mir keine grauen Haare wachsen lassen. Einen Grund, dass der Enkel Beteiligter ist, lässt sich immer finden, s.o. #8.

  • Ich benachrichtige lieber ein Mal zuviel als zu wenig....
    Es kann dann ja jeder damit anfangen, was ihm beliebt. Das Schreiben in den Papierkorb werfen, damit zum RA rennen, den Kamin mit anzünden.....

    Esra 7, Vers 25
    Du aber, Esra, setze nach der Weisheit deines Gottes, die in deiner Hand ist, Richter und Rechtspfleger ein, die allem Volk jenseits des Euphrat Recht sprechen, nämlich allen, die das Gesetz deines Gottes kennen; und wer es nicht kennt, den sollt ihr es lehren.

  • Ich muß dem Kollegen Papenmeier widersprechen, auch wenn seine Ansicht von einigen Kommentatoren geteilt wird (zB Soergel-Damrau § 2309 Rn. 12).

    Damrau ist schon fast Begründung genug...

    Nach § 2303 I 1 BGB hätten alle Abkömmlinge einen Pflichtteilsanspruch. § 2309 BGB schließt dann eine Doppelbegünstigung eines Stammes aus. Der Verweis auf die "Erbfolge" in § 2303 I 1 BGB umfasst nicht den Verweis auf § 1924 II BGB, weil § 2309 BGB insofern lex specialis ist. Den Rest habe ich oben schon dargestellt.

  • Na ja, wenn ich die Wahl habe zwischen einer Entscheidung des RG aus dem Jahr 1918 und einer Entscheidung des OLG Köln aus dem Jahr 2000, dann fällt meine Wahl auf das jüngere Urteil.

  • Na ja, wenn ich die Wahl habe zwischen einer Entscheidung des RG aus dem Jahr 1918 und einer Entscheidung des OLG Köln aus dem Jahr 2000, dann fällt meine Wahl auf das jüngere Urteil.



    Es kommt immer darauf an, was drin steht. ;)

    In der RG-Entscheidung geht es genau um unseren Sachverhalt, in der Entscheidung des OLG Köln (# 4) im Kern um etwas ganz anderes: da hatte eine Enkelin der Verstorbenen als Miterbin ihre enterbte Mutter (der aber nicht der Pflichtteil entzogen war) auf Auskunft wegen Pflichtteilsergänzung verklagt.

  • Auch wenn ich etwas in einem Kommentar lese, überprüfe ich es zunächst, bevor ich es glaube. Es geht nicht an, dass ein Anwalt sagt, ihm sei Damrau genug und der Gegenanwalt kontert, er schwöre aber auf Haas. Und das Gericht entscheidet dann nach Edenhofer? Das führt zu nichts!

    Ich habe schon deutlich gemacht, daß die Pflichtteilsfrage umstritten ist. Es war auch lange herrschende Meinung, daß dem Enkel im Problemfall ein Pflichtteilsanspruch zusteht. Nach einem Aufsatz von Bestelmeyer (FamRZ 1997, 1124-1132) ist die Kommentarliteratur zu § 2309 BGB aber größtenteils umgeschwenkt, sei es vollständig (Staudinger, Erman, Palandt) oder zumindest teilweise (MüKo), während Damrau (im Soergel) im wesentlichen bei seiner Meinung blieb. Daß nach meiner Auffassung die neuere Ansicht den Vorzug verdient, hat vor allem drei Gründe. Die ersten beiden habe ich schon genannt. Grund 1: Der Enkel wäre ohne Testament nicht gesetzlicher Erbe. Wer nicht gesetzlicher Erbe wäre, kann nicht iS von § 2303 BGB „enterbt“ sein. Also kann er auch nicht pflichtteilsberechtigt sein. Grund 2: Für Pflichtteilsverzicht, Pflichtteilsentziehung und Pflichtteilsunwürdigkeit fehlt es zur Beseitigung der Schranke des § 1924 Abs. 2 BGB im Gegensatz zur Erbausschlagung, zum Erbverzicht und zur Erbunwürdigkeit an den gesetzlichen Fiktionsregeln, wonach der Betroffene als vor dem Erbfall verstorben gilt.

    Den dritten Grund liefern die „Zweifler“ selbst, weil sie sich aufgrund ihrer teilweisen Abkehr von der herkömmlichen Meinung nunmehr in Widersprüche verwickeln. Wie kann man vertreten, daß der Enkel pflichtteilsberechtigt ist, wenn seinem Vater der Pflichtteil enzogen wurde oder dieser pflichtteilsunwürdig ist, dass er aber nicht pflichtteilsberechtigt ist, wenn der Vater für sich selbst auf den Pflichtteil verzichtet hat (MüKo-Lange § 2309 Rn. 10, 12; Soergel-Dieckmann § 2309 Rn. 10, 12)? So etwas hat mit Logik nichts mehr zu tun und deshalb halte ich das nur noch für Überbleibsel der früheren herrschenden Meinung, die nicht mehr lange Bestand haben dürften.

    Im Endeffekt geht es darum, daß die frühere herrschende Meinung schon immer falsch war, daß man sie aber für richtig hielt, bis sich jemand die Mühe machte, sie grundlegend zu hinterfragen. Aber so läuft das immer ab, wenn sich herrschende Meinungen ändern.

    Einmal editiert, zuletzt von Samirah (3. September 2008 um 07:35) aus folgendem Grund: Änderung eines Zitats

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