Vollstreckungsschutz bei unerlaubter Tätigkeit / unbezahlte Krankenkassenbeiträge

  • 1. Frage

    Das Finanzamt (ich) hat erfahren, dass der Vollstreckungsschuldner einer selbständigen Tätigkeit als Immobilienvermittler nachgeht. Die Forderungen aus der Tätigkeit wurden gepfändet. Der Schuldner hat das Amtsgericht um Vollstreckungsschutz ersucht, da seine Provisionen gepfändet wurden und er den Betrieb nicht mehr führen kann und auch nichts mehr zum Leben hat. Das AG hat den Antrag zuständigkeitshalber an das Finanzamt weitergeleitet.

    Dies ist der erste Antrag auf Vollstreckungsschutz der die letzten fünf Jahre einging. Der Schuldner wurde darauf hingewiesen, dass über einen Antrag der nur pauschale Beträge enthält nicht entschieden werden kann, sowohl für 850f Abs. 1 Buchst. b), als auch für 850i werden genaue Angaben benötigt.

    Inzwischen fiel dem Finanzamt auf, dass 2011 Schriftverkehr mit den Gewerbebehörden bezüglich einer Gewerbeuntersagung bestand. Eine Rückfrage ergab, dass ihm die Ausübung der Vermittlertätigkeit in 2011 rechtskräftig untersagt wurde. Er übt die Vermittlertätigkeit also unerlaubt aus.

    Sind derartige Einkünfte überhaupt schutzwürdig?

    Ich hab irgendwas in Erinnerung, dass die Schutzvorschriften in diesem Fall sicherstellen sollen, dass das Grundrecht auf freie Berufswahl (Art. 12 GG) geschützt bleibt. Allerdings sind Einschränkung auf Grund eines Gesetzes möglich und in diesem Fall erfolgte eine Gewerbeuntersagung auf Grund der Gewerbeordnung.

    2. Frage

    Im Rahmen des Antrages wurde auch beantragt, dass der Rahmen des P-Kontos erhöht wird, da er Krankenkassenbeiträge selbst bezahlen muss. Es wurde ein Schreiben der Krankenkasse vorgelegt, auf welche Höhe die Beiträge festgesetzt werden.

    Weitere Ermittlungen haben jedoch ergeben, dass die Beiträge zur Krankenkasse seit Jahren nicht bezahlt werden.

    Ich bin über 850e Nr. 1 Buchst. a) gestolpert, und dieser spricht von "entrichteten" Beiträgen. Oder bin ich da an der ganz falschen Baustelle?

  • Mal vorsichtig angefangen: zu Punkt 1:

    Ich kann nicht erkennen, dass die Schuldnerschutzvoschriften der ZPO (Pfändungsfreigrenzen etc.) davon abhängen sollen, ob die Tätigkeit gewerberechtlich gestattet ist oder nicht. Diese Schutzvorschriften dienen nicht dem Schutz von Art. 12 GG, das ist viel elementarer, hier geht es um Fragen des Überlebens wenn sonst das Geld für Nahrung etc. fehlt. Hier wäre m.E. allenfalls zu prüfen, ob Du eine Mitteilung an das Gewerbeaufsichtsamt und/oder die zuständige Bussgeldbehörde machst (und Dein Kandidat, wenn er sich künftig daran hält, somit zum glücklichen Hartz-IV-Enpfänger wird)

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Zur Freigabe der Vergütung
    Dito, wie #2. Grundidee (auch der Erweiterung) des § 850i ZPO ist die Möglichkeit des Schuldners, seinen Lebensunterhalt aus den erzielten Einnahmen selbst zu bestreiten. Es soll also nicht der Gläubiger zu Lasten des Steuerzahlers (der dann für ALG aufkommt) befriedigt werden.

    Auch wenn die Lage beim Finanzamt etwas anders liegt, kann m.E. nichts anderes gelten. Sonst würde nur "von einem Behördentopf in den anderen" gewirtschaftet.

    Dass der Antrag nach § 850i ZPO begründet sein muss, ist allerdings selbstverständlich - ohne vernünftigen Sachvortrag keine Freigabe.

    Zu den PKV-Beiträgen
    Bei der Erhöhung von P-Konto-Freibeträgen für PKV-Beiträge lassen wir uns die Zahlungen auch nachweisen.

  • Zunächst ist hier die Frage, was alles gepfändet ist, da davon auch die Schutzvorschriften abhängen.

    Ich gehe davon aus, dass sowohl an der Quelle die Provisionen gepfändet sind als auch das (P-)Konto.

    Hinsichtlich der Pfändung an der Quelle kommt der Schuldnerschutz nach §§ 850 i, 850 f ZPO in Betracht. Hinsichtlich Konto kommt für die Provisionszahlungen Schutz nach § 765 a ZPO i. V. m. § 850 i ZPO bzw. § 850 k ZPO i. V. m. 850 f ZPO in Betracht. Für die Frage der Abgrenzung wäre wichtig, ob er die Courtage direkt von den Käufern erhält und diese auch Drittschuldner sind (dann mehr § 850 i ZPO), oder ob er die Provisionen von einem Maklerbüro quasi als Arbeitseinkommen iSv §§ 850 ff ZPO erhält (dann eher § 850 f ZPO).

    Für den Schuldner ist die Anwendung der Vorschriften wie bei Arbeitseinkommen nach §§ 850 ff ZPO prinzipiell günstiger, da dann die Tabelle nach § 850 c ZPO gilt zuzüglich Zuschläge für Steuern, Versicherungen etc.

    Geht die ganze Richtung eher nach § 850 i ZPO, schaut es für die Schuldner regelmäßig schlechter aus, da sie dann für jeden Provisionseingang einen Antrag stellen müssen und begründen müssen, warum sie diesen Eingang in welcher Höhe für welchen Zeitraum benötigen. Für die Kontopfändung ist diese Norm auch nur über § 765 a ZPO anwendbar und da ließe sich schon darüber nachdenken, ob es gegen die guten Sitten verstößt, wenn Beträge voll gepfändet werden, die der Schuldner aus unerlaubter Gewerbeausübung erzielte.
    Ansonsten sehe ich das aber so wie Andreas H, dass dieser Aspekt eher etwas für die Gewerbeaufsicht ist und im Rahmen der Schutzvorschriften der ZPO (mit Ausnahme des § 765 a ZPO) nicht relevant sind.

    Hinsichtlich der Krankenkassenbeiträge gilt nach § 850 k ZPO i. V. m. § 850 e ZPO: Nur das was der Schuldner auch tatsächlich nachweislich leistet, kann berücksichtigt werden, vgl. Stöber, Forderungspfändung, 15. Auflage, Rn 1135 a.

    Hierbei sollte allerdings aus Sicht eines Gläubigers berücksichtigt werden, dass eine Kuh nicht zu stark gemolken werden sollte, bis sie keine Milch mehr gibt. Aber das hat regelmäßig der Gläubiger selbt zu entscheiden; sollte ein Vollstreckungsgericht in einem solchen Fall entscheiden müssen, müsste es im Zweifel die Krankenkassenbeiträge bei strenger Betrachtung zunächst außen vor lassen. Regelmäßig kommt es dann unmittelbar darauf zum Bezug von ALG II, womit wieder Versicherungsschutz besteht.

    Aus meiner Sicht macht man damit auch keine Gewerbetreibenden platt. Diese waren vorher schon platt. Es wird lediglich endgültig die rote Karte gezeigt.

  • Aus meiner Sicht macht man damit auch keine Gewerbetreibenden platt. Diese waren vorher schon platt. Es wird lediglich endgültig die rote Karte gezeigt.

    :daumenrau

    Das Finanzamt hat auch eine marktbereinigende Funktion. Es gibt kein Recht auf eine von jeglichen Zahlungsverpflichtungen befreite Tätigkeit zulasten der redlichen Marktteilnehmer.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Zur Ergänzung:

    Der Schuldner ist nur für eine Maklerfirma (auf selbständiger Basis) tätig und von dieser erhält er die Provisionen. Die Umsatzsteuer, die er der Firma in Rechnung stellt, führt er nicht ab. Die Krankenkassenbeiträge die festgesetzt wurden bezahlt er nicht.

    Die Provisionen, welcher er gar nicht erzielen dürfte, da er das Gewerbe nicht (mehr) ausüben darf, beliefen sich in 2012 auf 42.000 Euro (brutto wie netto, da Steuer nicht bezahlt).


    Ich hab jetzt den § 850f Abs. 2 ZPO entdeckt. Gibt es irgendwo eine nähere Definition was dort als unerlaubte Handlung gemeint ist? Nach der Vorschrift müsste ich zumindest die betrieblichen Ausgaben nicht freigeben (wenn ich die Vorschrift richtig verstehe).

  • Ich hab jetzt den § 850f Abs. 2 ZPO entdeckt. Gibt es irgendwo eine nähere Definition was dort als unerlaubte Handlung gemeint ist?

    Im ZPO-Kommentar zu § 850f Abs. 2, ist hier aber nicht entscheidungsrelevant.

    Es wurde an der (einzigen) Quelle gepfändet.

    § 850i ZPO ist daher mit der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO der richtige Weg.

    Die Provisionen dürften von dem nur einen Drittschuldner ja relativ regelmäßig fließen.

    > "Netto-Gewinn" der letzten bspw. 6 bis 12 Monate auf einen Monat runterbrechen und in die Tabelle schauen, fertig.

    Für eine positive, über die Pfändungstabelle hinausgehende Entscheidung gem. § 850f Abs. 1 lit. b ZPO erscheint der wohl eher unsubstantiierte Sachvortrag des Schuldners und die mangelhafte Nachweislage ungeeignet.

  • Wegen der Steuerforderungen die der Pfändung zu Grunde liegen wurden keine Strafverfahren eingeleitet.

    Es kommen aber demnächst noch Steuerforderungen dazu, und für diese wird eine (Steuer-)Strafverfahren eingeleitet.

  • Was Coverna meint: Steuerhinterziehung ist keine vorsätzliche unerlaubte Handlung im Sinne des Zivilrechts/Zwangsvollstreckungsrechts.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Um es noch deutlicher zu machen:
    Die Hinterziehung ist strafbar, aber sie ist regelmäßig Folge legaler - nur den Steuerbehörden verheimlichter - Geschäfte. Auf diese legalen Geschäfte setzt dann eine Steuerpflicht auf, die strafbar nicht erfüllt wird. Bei der vbuH ist dagegen eine Forderung gemeint, die selbst aus einer illegalen Handlung stammt, also z.B. die Ersatzpflicht, die den Dieb aus dessen Diebstahlshandlung trifft.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Genau genommen sind die Steuerforderungen aus einer Steuerhinterziehung schlicht deshalb keine Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung, da hierfür der § 823 BGB erfüllt sein müsste. Hier liegt weder die Verletzung eines absoluten Rechtsguts nach Absatz 1 vor noch handelt es sich bei §§ 370 ff. AO um Schutzgesetze, die auf einen Individualschutz abstellen (Absatz 2).

    Dies gilt sowohl für die Steuerschuld als auch für Hinterziehungszinsen.

    Ob dem Ganzen legale, illegale oder fiktive Geschäfte zugrundeliegen oder nicht, ist dabei egal.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Genau genommen sind die Steuerforderungen aus einer Steuerhinterziehung schlicht deshalb keine Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung, da hierfür der § 823 BGB erfüllt sein müsste. Hier liegt weder die Verletzung eines absoluten Rechtsguts nach Absatz 1 vor noch handelt es sich bei §§ 370 ff. AO um Schutzgesetze, die auf einen Individualschutz abstellen (Absatz 2).

    Dies gilt sowohl für die Steuerschuld als auch für Hinterziehungszinsen.

    Ob dem Ganzen legale, illegale oder fiktive Geschäfte zugrundeliegen oder nicht, ist dabei egal.


    Hallo Exec,

    eine unerlaubte Handlung liegt nicht nur bei der Erfüllung des 823 BGB vor, sondern auch bei den anderen Vorschriften dieses Abschnitts des BGB, also z.B. bei 826 BGB. Der wiederum setzt weder einen Eingriff in ein absolut geschütztes Recht noch die Verletzung einer individualschützenden Norm voraus. Ein bloßer Eingriff in das Vermögen reicht aus, nur die Begehungsweise muss eben "vorsätzlich sittenwidrig" sein. Wie allerdings eine vorsätzlich sittenwidrige Begehung einer Steuerhinterziehung aussehen könnte, da versagt im Augenblick meine Fantasie.
    (vielleicht Erpressung des Finanzministers, so dass er durch einen rechtswidrigen Nichtanwendungserlass eine den Erpresser belastende BFH-Entscheidung faktisch aus der Welt schafft :confused:)

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

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