Kongruent oder inkongruent (wer hat hier Recht)

  • ...

    Ich bin sehr dafür, dass sich Anwälte und Richter gelegentlich über ihre verschiedenen Arbeitsweisen, Denkmodelle etc. austauschen. Das verhindert eine Menge Frust, Ärger und Vorurteile. Bei den hiesigen Richter- und Anwaltsverein sind wir da schon auf einem guten Weg.


    Zunächst Danke an Alle für die Blumen.

    Zum Zitat: Ich bin an sich aus den gleichen Gründen auch für einen solchen Austausch. Ich kann aber auch die Kollegen/Kolleginnen verstehen, die sich lieber bedeckt halten. Zum einen ist es manchmal sinnvoller, erst das Ergebnis des Denkprozesses zu präsentieren und nicht den Weg dahin im Dialog oder Trilog zu offenbaren. Zum anderen hat jeder, der ein paar Jahre Richtertätigkeit hinter sich hat, auch schon Erfahrungen mit übelwollenden Parteien und/oder ebensolchen Anwälten gemacht, die einem jede offene Äußerung sogleich im Mund herumdrehen und daraus Folgen ableiten wollen. Es ist nicht immer leicht rechtzeitig zu erkennen, ob man es mit einem seriösen und dialogbereiten Gegenüber zu tun hat, oder mit einer "Übelkrähe" (um mal einen berühmten Politiker zu zitieren). Wenn man ein paar Fehleinschätzungen in die negative Richtung hinter sich hat, dann kann man schon versucht sein, künftig verschlossener zu sein.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Es ist nicht immer leicht rechtzeitig zu erkennen, ob man es mit einem seriösen und dialogbereiten Gegenüber zu tun hat, oder mit einer "Übelkrähe"

    Die Überkrähen hacken nicht nur den Richtern die Augen aus, von unseriösen und unkollegialen Kollegen sind wir Rechtsanwälte leider auch nicht geschützt. Wenn man Insolvenzverwalter vertritt, hat man doch oft mehr Spielraum als bei "Naturalparteien". Das Ende vom Lied: Der Kollege nutzt das Entgegenkommen in einer nicht mehr kollegialen Weise aus. Wobei ich auch viele Kollegen kenne, mit denen es eine super "Zusammenarbeit" (darf eine Zusammenarbeit zwischen Anwälten sein?) gibt. Bestes Beispiel ist der in Anfechtungskreisen weithin bekannte und ein bisschen berühmt berüchtigte Kollege G. aus M. In der Sache hart und aufgrund seiner exzellenten rechtlichen Kenntnisse der Insolvenzanfechtung (vor allem für den Berufsanfänger) manchmal auch etwas anstrengend. Im Umgang stehs seriös, fair und verbindlich. Einer der wenigen Kollegen, bei dem ich einen mündlichen Verzicht auf die Einrede der Verjährung nie in Frage stellen würde.

    And now for something completely different (Es ist mein Fred, den ich deshalb auch off topic mißbrauchen darf. Im Übrigen werden wir gleich wieder auf die Frage kongruent oder inkongruent zurückkommen :D).

    Lieber AndreasH, Du hast Dich hier geäußert, was für Dich ein guter Anwalt ist. Ich würde Dich gern fragen, woran erkenne ich einen guten Richter?

    [Ich sitze gerade über einer Akte, die mich seit Wochen völlig ratlos stimmt.

    Ich habe vorgetragen, dass die Insolvenzschuldnerin im vorletzten Monat vor dem Insolvenzantrag im Rahmen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Barzahlungen an den zuständigen Gerichtsvollzieher geleistet hat. Die zu diesem Zeitpunkt vorliegende Zahlungsunfähigkeit habe ich im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30. Juni 2011, IX ZR 134/10, damit begründet, dass zu diesem Zeitpunkt gegenüber dem Finanzamt W. fällige Verbindlichkeiten von zirka EUR 190.000 bestanden, welche später auch zur Insolvenztabelle angemeldet wurden.

    Richterlicher Hinweis: 'Es bestehen Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Klage, als es sich bei der Zahlung an den Gerichtsvollzieher um eine kongruente Deckung handeln dürfte.' [Anm.: Okay ein Rebell, der der von mir zitierten BGH-Rechtsprechung zur Inkongruenz bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht folgen will. Damit kann und muss man leben.]

    Weiter: "Im Übrigen erscheinen auch die Voraussetzungen des § 131 Abs.1 Nr. 2 und 3 InsO nicht hinreichend substantiiert dargelegt." [Anm.: Bitte was habe ich übersehen. Soll ich meinen Klagevortrag wiederholen :gruebel: .Ich weiß es nicht. Vielleicht könnt ihr mir helfen. Der richterliche Hinweis tut es jedenfalls nicht.]]

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Hallo Gegs,

    Teil 2 Deiner Frage scheint mir leicht zu beantworten: Wenn das hohe Gericht von Kongruenz ausgeht, dann ist die Luft aus 131 InsO damit raus, egal ob aus Nr. 1, 2 oder 3, denn alle 3 setzen Inkongruenz voraus. Nichts anderes sagt m.E. der Hinweis. Ich schätze, Du musst auf 130 oder 133 InsO ausweichen - oder noch Überzeugungsarbeit zur Inkongruenz leisten.

    Zu Teil 1 Deiner Frage (guter Richter) muss ich etwas nachdenken, ich melde mich wieder.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • :dankescho

    Wenn das hohe Gericht von Kongruenz ausgeht, dann ist die Luft aus 131 InsO damit raus, egal ob aus Nr. 1, 2 oder 3, denn alle 3 setzen Inkongruenz voraus. Nichts anderes sagt m.E. der Hinweis

    Ich hatte den Hinweis dergestalt verstanden, dass es schon an der Inkongruenz fehlt und auch die andere(n) Voraussetzung(en) des § 131 InsO nicht schlüssig dargelegt ist / sind. Bei dem letzten Punkt bin ich dann "ausgestiegen" . Aber Du hast schon Recht, wenn ich den Richter nicht von der Inkongruenz überzeugen kann, kann ich die Eingangsinstanz vergessen. Dann sollte mein Vortrag aber wenigstens für die Berufungsinstanz ausreichen. Nicht, dass ich dort scheitere, weil das Gericht zwar von der Inkongruenz ausgeht, jedoch Bedenken hinsichtlich der Zahlungsunfähigkeit hat. Das sollte einem wenigstens mittelprächtigen Anwalt nicht passieren.

    Ich bin im Übrigen schon sehr gespannt, was Du mir zu meiner Frage eins mitteilst.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • :dankescho
    ...

    Ich bin im Übrigen schon sehr gespannt, was Du mir zu meiner Frage eins mitteilst.

    Ich fange zur Abgrenzung mal mit dem idealen Richter an. :D

    Der erstellt unmittelbar nach Eingang der Klageerwiderung einen ca. 30-seitigen Hinweis, über dem auch "Urteil" stehen könnte unter Auswertung der gesamten Rechtsprechung des BGH und des RG und macht dann noch gleich einen begründeten Vergleichsvorschlag dazu, der beide Parteien in einen Freudentaumel über die ungeahnte Win-Win-Situation versetzt.

    Und damit kommen wir zur Realität, in der ganz verschiedene Anforderungen an den Richter gestellt werden: Schnell oder gründlich, einfühlsam oder lieber doch äquidistant, lieber Top-down ein Ergebnis ableitend oder sich Bottom-Up zu einem Ziel hintastend? ...

    Wie wie schon beim Anwaltsthread halte ich es daher eher mit den "Grundtugenden" (und spreche dabei wieder nur für mich):

    Ich erwarte von einer/m guten Richter/in fundierte Aktenkenntnis in der mündlichen Verhandlung, die er/sie durch eine präzise Darstellung des relevanten Sach- und Streitstandes auch zu erkennen gibt (richtig gemacht dient das auch der Eigenkontrolle, ob man alles gesehen hat). Ich erwarte, dass er/sie den Parteien zeigt, wohin seiner/ihrer Meinung nach die Reise geht - nicht, was dabei rauskommt, sondern was er/sie zur Lösung des Rechtsstreits so vorhat. Ich erwarte eine Vorstellung zur Lösung der Rechtsprobleme des Falles - die muss bei den Eingangsinstanzen, noch nicht BGH-fest sein, ermöglicht so aber den Parteien zu erkennen, wo sie (so anwaltlich vertreten) BGH-Entscheidungen nachlegen müssen, um das Ruder herumzureißen. Ich erwarte die Bereitschaft, auch eine Beweisaufnahme durchzuführen, die diesen Namen verdient. Und ich erwarte, dass er/sie nicht gleich beim ersten Hauch von Gegenwind umfällt - nachdenken und überprüfen ist das eine, Wedeln im Wind das andere.*

    Das wären so im ersten Zugriff die Eckpunkte. Ich habe jetzt nichts über den Verhandlungsstil im allgemeinen gesagt, weil hier die Geschmäcker und Personen zu unterschiedlich sind. Es gibt gute eloquente und gute ziemlich maulfaule Richter/innen, intellektuell hochfliegende Stars und bodenständig geerdete Richterpersönlichkeiten, sich allseits gut einfühlende emotionaler Verhandelnde und eher kühl erscheinende Rationalisten, die sorgfältig abwägen. Und es gibt - leider auch in diesem Berufsstand, aber meinem Eindruck nach auch hier zum Glück nicht so viele - den Bodensatz derjenigen, die meinen, zwei Stunden Arbeit täglich ist eigentlich schon ziemlich viel Aufwand, und die letzte Beschäftigung mit Jura war das zweite Staatsexamen.

    Wie von Dir im Anwaltsthread geschrieben, schaden ein paar Softskills und Skills nicht, aber ich war bei den Basics.

    *da gibt es den alten Witz: Richter hört Klägervertreter zu, nickt und sagt, da haben sie recht. Beklagtenvertreter erwidert. Richter hört zu, nickt und sagt, da haben sie recht. Klägervertreter mosert und sagt, der Richter könne doch nicht beiden Recht geben. Richter antwortet: Da haben jetzt wieder Sie recht.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

    Einmal editiert, zuletzt von AndreasH (29. April 2014 um 22:26) aus folgendem Grund: ergänzt

  • Ich hole den Fred nochmals hoch, denn es ist zum Mäuse melken.

    Das erstinstanzliche Gericht hat die Klage mit der lapidaren Begründung "nicht inkongruent" abgewiesen.

    Ich habe daraufhin beim zuständigen Oberlandesgericht den Antrag gestellt, mir für ein Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. Heute hatte ich den Beschluss in den Händen. Keine Prozesskostenhilfe :heul::heul::heul:. Weil eben nicht inkongruent. Ein kleine Andeutung!, dass ein derartige Verrechnungsabrede auf wirtschaftliche Schwierigkeiten hinweist, für eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit aber nicht ausreichend ist. Zu dem Argument, dass sich die Rückstände über einen langen Zeitraum "aufgebaut" haben, erfolgten keine Ausführungen. Nun gut - vielleicht versuche ich es mal mit einer Anhörungsrüge :box:. Sonst ist das Insolvenzverfahren nämlich total im Arxxx.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Ich hole den Fred nochmals hoch, denn es ist zum Mäuse melken.

    Das erstinstanzliche Gericht hat die Klage mit der lapidaren Begründung "nicht inkongruent" abgewiesen.

    Ich habe daraufhin beim zuständigen Oberlandesgericht den Antrag gestellt, mir für ein Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. Heute hatte ich den Beschluss in den Händen. Keine Prozesskostenhilfe :heul::heul::heul:. Weil eben nicht inkongruent. Ein kleine Andeutung!, dass ein derartige Verrechnungsabrede auf wirtschaftliche Schwierigkeiten hinweist, für eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit aber nicht ausreichend ist. Zu dem Argument, dass sich die Rückstände über einen langen Zeitraum "aufgebaut" haben, erfolgten keine Ausführungen. Nun gut - vielleicht versuche ich es mal mit einer Anhörungsrüge :box:. Sonst ist das Insolvenzverfahren nämlich total im Arxxx.

    Insolvenzverfahren oder Vergütung?:wechlach::teufel:

  • Danke, Gegs, für die beiden Entscheidungen. Daher gleich etwas Urteilsschelte:

    1. Das erstinstanzliche Urteil ist schon ein "Knüller". So eine Klage mit einer "Begründung" von gerade mal zwei Absätzen (= 13 Zeilen !) abzuweisen ist schon frech. Und wenn dann von diesen 13 Zeilen "Begründung" auch noch 4 Zeilen wörtliches Zitat aus dem MünchKomm-InsO sind, wäre ich wohl auch zum Mäusemelken gegangen, aber mit dem Oberhammer. Dass der Richter sich nicht mal bemüßigt fühlt, § 133 insO auch nur zu erwähnen, ist auch schlechter Urteilsstil.

    2. Die PKH-Ablehnung durch das OLG ist da schon gehaltvoller, wenn auch aus meiner Sicht nicht richtiger.

    Die Ausführungen des OLG zur Kongruenz/Inkongruenz sind aus meiner Sicht unzutreffend. Allein aus dem Umstand, dass sich die Schuldnerin bereits 2006 zur Erbringung des Winterdienstes verpflichtet hatte, folgt doch nicht, dass die Schuldnerin hierfür keine Bezahlung mehr fordern kann. Denn durch die Verrechnungsvereinbarung 2008 wurde diese ursprüngliche Verpflichtung der Schuldnerin geändert: Die Schuldnerin erhält künftig keine (werthaltigen) Zahlungen der Gläubigerin mehr, sondern muss sich mit der Rückführung der (nicht mehr werthaltigen Altverbindlichkeiten) begnügen. Gerade darin liegt ja auch die Gläubigerbenachteiligung: Für die Dienstleistungen fließt als Gegenleistung kein Geld mehr auf das Konto der Schuldnerin, auf das andere Gläubiger dann hätten zugreifen können. Stattdessen wird der Zahlungsweg "abgekürzt" und die Gläubigerin kann gleich verrechnen, so dass die Schuldnerin ihre Leistungen nur noch für die Gläubigerin erbringt und der Zugriff Dritter ausgeschlossen wird.

    Die unzutreffende Annahme des OLG in diesem Zusammenhang: Die Gläubigerin hatte einen Anspruch auf Fortsetzung der Winterdienstleistungen, "der lediglich durch den Abschluss der Verrechnungsvereinbarung modifiziert wurde. Diese Modifizierung ist aber für die Frage der Kongruenz ohne Bedeutung." Ich meine, gerade diese Modifizierung des ursprünglichen Anspruchs (Leistung gegen Bezahlung) in einen neuen Anspruch (Leistung gegen Schuldentilgung) macht den Unterschied und begründet die Inkongruenz.

    Zudem führt das OLG zwar aus, dass das "Ansinnen, Warenlieferungen abzuarbeiten, ... ein Indiz für nicht unerhebliche Zahlungsschwierigkeiten" darstellt. Dies soll aus Sicht des OLG aber nicht zwingend zu dem Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit führen. Dabei wird offensichtlich § 133 Abs. 1 S. 2 InsO übersehen. Dort steht weder etwas von "zwingend" (im Gegensatz zu § 130 Abs. 2 InsO) noch von "Zahlungsunfähigkeit", sondern es genügt die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Und dafür dürften "nicht unerhebliche Zahlungsschwierigkeiten" schon reichen. Zumindest muss das Gericht sich aus einer Gesamtschau nach § 286 ZPO eine Meinung bilden, die wohl kaum im nur kursorischen PKH-Prüfungsverfahren vorweggenommen werden kann.


    Ob allerdings die Anhörungsrüge viel bringen wird, wage ich zu bezweifeln. Einen Prozessfinanzierer wirst Du für die Berufung wohl auch nicht mehr aquirieren können. Und wenn die Prozesskosten nicht aus der Masse darstellbar sind... Bleibt wohl nur noch, hier im Forum eine Spendenaktion zu starten. Motto: Wir bringen falsche Entscheidungen gemeinsam bis zum BGH...

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • So eine Klage mit einer "Begründung" von gerade mal zwei Absätzen (= 13 Zeilen !) abzuweisen ist schon frech

    Da hast Du schon absolut Recht.

    Aber wie ich Dir gegenüber heute schon erwähnt habe, muss man dem Richter wenigstens zu Gute halten, dass er in der mündlichen Verhandlung sehr ausführlich dargelegt hat, welche Erwägungen er angestellt hat. Vielleicht meinte er, dass ich mir das mal eben 3 Wochen merken kann .:teufel:

    Ob allerdings die Anhörungsrüge viel bringen wird, wage ich zu bezweifeln. Einen Prozessfinanzierer wirst Du für die Berufung wohl auch nicht mehr aquirieren können. Und wenn die Prozesskosten nicht aus der Masse darstellbar sind... Bleibt wohl nur noch, hier im Forum eine Spendenaktion zu starten. Motto: Wir bringen falsche Entscheidungen gemeinsam bis zum BGH...

    Ich habe das dumme Gefühl, dass ich das Oberlandesgericht mit keiner Gegendarstellung der Welt umstimmen werde. Ich kann nun freilich einen Spendenaktion starten oder auch in die Kanzleikasse greifen (was wir bei schreiender Ungerechtigkeit und wenigstens minimalen Erfolgschancen schon mal tun). Aber am Ende werde ich damit auch nicht zum Bundesgerichtshof kommen. Bei dem Streitwert ist mir nämlich gemäß § 26 EGZPO sogar die Nichtzulassungsbeschwerde verwehrt.

    Und eine Zulassung der Revision, siehe hier ...

    Der BGH klagt sowieso häufiger darüber, dass zuviel zugelassen wird, also sind wir im Senat daher nur dann in Zulassungslaune, wenn wir meinen, dass etwas wirklich noch nicht geklärt ist oder wenn eine Entscheidung zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung erforderlich scheint

    ... was ich bekanntlich die Angst des OLG-Richters vor dem Bundesgerichtshof nenne.

    Da kann ich das Geld lieber nehmen und mir Schäufele und Bier (Genussregion Oberfranken) gönnen. PROST!

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Entgegen der hier vertretenen Mehrheitsmeinung würde ich dem OLG zustimmen. Die Umwandlung einer Geldforderung in eine Abarbeitungsforderung ist für sich genommen nicht inkongruent. Es ist zunächst zu beachten, dass das Unternehmen trotz dieser Vereinbarung über Jahre hinweg weiter gearbeitet hat. Mag die Firma damals eine Zahlungsstockung gehabt haben, durch die Stundung der Forderungen in Form der Verrechnungsabrede war eine ZU abgewendet worden. Das der Gläubiger keine sofortige Zahlung verlangte und sich selbst auf eine erst in den Folgejahren erfolgte Abarbeitung einließ, dürfte zudem belegen, dass er gerade nicht von einer Insolvenzlage ausging, denn bei unmittelbar drohender Insolvenz wäre eine solche Vereinbarung ins Leere gelaufen. Das Unternehmen konnte offenkundig die weiteren Lieferungen bezahlen oder ist sie auch danach noch Rechnungen des Lieferanten schuldig geblieben? Der Insolvenzantrag erfolgte nach der bisherigen Schilderung erst Jahre nach der Vereinbarung, so dass davon auszugehen ist, dass die fälligen Verbindlichkeiten bedient wurden. Die drohende Insolvenz 2008 wurde durch die Vereinbarung wohl gerade abgewendet. Soweit es später zu einer erneuten Insolvenzlage kam, war die Vereinbarung bereits in dieser Form geschlossen, so dass der Gläubiger genau die erhaltenen Leistungen verlangen konnte. Es dürfte auch kein Fall des § 96 III InSo sein, weil es sich nicht um eine Aufrechnung nach Insolvenzeröffnung handelt. Tatsächlich lag überhaupt keine "Aufrechnung" mehr vor, weil durch die geschlossene Vereinbarung die Gegenleistungen nicht mehr in Geld bestanden.

  • Mag die Firma damals eine Zahlungsstockung gehabt haben, durch die Stundung der Forderungen in Form der Verrechnungsabrede war eine ZU abgewendet worden.

    Dies kann sein - muss aber nicht. Zahlungsunfähigkeit liegt gemäß § 17 InsO bekanntlich vor, wenn die liquiden Mittel und innerhalb 3 Wochen liquidierbaren Mittel in Summe nicht ausreichen, mindestens 90 Prozent der fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Dies kann von einer einzigen Forderung abhängen. Die zitierte Behauptung ist aber zu kurz gegriffen.

    Tatsächlich lag überhaupt keine "Aufrechnung" mehr vor, weil durch die geschlossene Vereinbarung die Gegenleistungen nicht mehr in Geld bestanden.

    Und genau dies ist der Inbegriff von Inkongruenz.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Tatsächlich lag überhaupt keine "Aufrechnung" mehr vor, weil durch die geschlossene Vereinbarung die Gegenleistungen nicht mehr in Geld bestanden.

    Und genau dies ist der Inbegriff von Inkongruenz.

    Nein ist es nicht! Wenn ich statt der Zahlung von Geld dem anderen Teil z.B. eine bestehende Forderung übertrage, dann ist es nicht per se inkongruent. Ich kann auch Tauschgeschäfte vereinbaren. Inkongruent wird eine Forderung nur dann, wenn sie zum Zeitpunkt der Erlangung nicht in dieser Form beansprucht werden kann. Wenn aber weit vor der Insolvenz vereinbart wird, dass für die Dienste keine weitere Zahlungen zu leisten sind, dann ist es nicht Inkongruent. Das Unternehmen hat seine Gegenleistung nur vorab erhalten.

    Im Übrigen kenne ich die Rechtsprechung zur Zahlungsunfähigkeit. Nur wenn eine Forderung gestundet wird ist sie nicht fällig! Ich kenne den Sachverhalt nicht, allerdings bist Du in der Beweislast, wenn Du etwas anderes behaupten möchtest. Für mich spricht die jahrelange Fortführung eher gegen eine ZU und gegen eine inkongruente Deckung und damit teile ich offenkundig die Auffassung des zuständigen OLG´s.

  • Ich kann auch Tauschgeschäfte vereinbaren. Inkongruent wird eine Forderung nur dann, wenn sie zum Zeitpunkt der Erlangung nicht in dieser Form beansprucht werden kann.

    Ebend :teufel:!

    Ich kenne den Sachverhalt nicht, allerdings bist Du in der Beweislast, wenn Du etwas anderes behaupten möchtest

    Okay wir haben Beide Recht :abklatsch. Die Beweislast kenne ich natürlich und bin dieser nach nachgekommen.

    Für mich spricht die jahrelange Fortführung eher gegen eine ZU und gegen eine inkongruente Deckung und damit teile ich offenkundig die Auffassung des zuständigen OLG´s.

    Och das ist nach 12 Jahren Insolvenzverwaltung kein Argument. Hatte erst wieder ein Unternehmen, dass seit dem Jahr 2008 zahlungsunfähig war. Man hat sich bis zum Sommer 2014 mit laufenden Geschäftsbetrieb irgendwie über die Runden gerettet. Das ist eher der Regelfall, keine Ausnahme. Meist sind die Unternehmen, wenn es zum Insolvenzverfahren kommt, bereits ein bis zwei Jahre zahlungsunfähig.

    Im Übrigen ist etwas nicht deshalb richtig, weil es ein Oberlandesgericht sagt.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Tatsächlich lag überhaupt keine "Aufrechnung" mehr vor, weil durch die geschlossene Vereinbarung die Gegenleistungen nicht mehr in Geld bestanden.

    Das ist zu ungenau und trägt dem Sachverhalt im Eingangspost nicht Rechnung: Es wurde 2008 eine Verrechnungsabrede getroffen, wonach die Zahlungsansprüche der Schuldnerin für die künftigen Winterdienstleistungen mit den Altverbindlichkeiten der Anfechtungsgegnerin zu verrechnen sind. Damit handelt es sich bei Entstehung der jeweiligen Ansprüche der Schuldnerin um einzelne Aufrechnungen im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, der entgegen Deiner Ansicht auch für Aufrechnungen vor Insolvenzeröffnung gilt (BGH, Urt. v. 28.09.2006 - IX ZR 136/05, Rn. 11 m.w.N.).

    Wenn ich statt der Zahlung von Geld dem anderen Teil z.B. eine bestehende Forderung übertrage, dann ist es nicht per se inkongruent.

    Doch. Denn ich habe nur Anspruch auf Zahlung, nicht auf Abtretung einer Forderung. Diese Befriedigung kann der Gläubiger daher "nicht in der Art" fordern, was zur Inkongruenz führt (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 19.12.2013 - IX ZR 127/11, Rn. 18; BGH, Urt. v. 29.09.2005 - IX ZR 184/04; MünchKomm-InsO/Kayser, 3. Aufl. 2013, § 131 Rn. 33 m.w.N.).

    Ich kann auch Tauschgeschäfte vereinbaren.

    Nein. Sobald etwas anderes als Erfüllungssurrogat geliefert wird als die geschuldete (Geld-)Leistung, wird die Spielwiese der Inkongruenz beschritten. So etwa, wenn ein Schuldner statt Zahlung eigene Waren liefert (BGH, Urt. v. 26.05.1971 - VIII ZR 61/70; Nerlich/Römermann/Nerlich, InsO, 25. EL 2013, § 131 Rn. 18f.).

    Ich sehe hier weiter deutlich die Inkongruenz, indem quasi gesagt wird: "Du arbeitest ab jetzt nur noch zur Abdeckung Deiner Altverbindlichkeiten und erhältst kein Geld mehr für Deine Leistungen." Das ist doch der typische Fall, dass zur Rückführung von Altverbindlichkeiten eine Sicherheit gestellt wird, hier eben in Form der Aufrechnung mit künftig entstehenden Forderungen.

    Gegs: Ich hoffe, Schäufele & Bier haben gemundet...

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Wann erfolgte die Insolvenzeröffnung bzw. Antragstellung?

    Meinen Satz: Wenn ich statt der Zahlung von Geld dem anderen Teil z.B. eine bestehende Forderung übertrage, dann ist es nicht per se inkongruent.

    Möchte ich dahingehend klarstellen, dass ich hierbei eine zeitliche Komponente für erforderlich halte.

    Beispiel: A kauft 2006 bei B ein Auto für 20.000,00 €. Dieses konnte er bis 2007 nicht bezahlen, so dass er mit dem Verkäufer B vereinbart, dass er stattdessen eine neue Küche bei B einbaut. Die Küche wird wie vereinbart geliefert. Erfolgt der Einbau unmittelbar nach der Vereinbarung, dann sind Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft inkongruent. Wird die Küche indes vereinbarungsgemäß erst 2009 eingebaut, so ist die Vereinbarung selbst (aufgrund Zeitablaufs) nicht mehr inkongruent und die Erfüllung der Vereinbarung damit kongruent. Es macht dann keinen Unterschied mehr zu einem bereits 2006 vereinbarten Tauschgeschäft von Auto gegen Küche.

    Abzustellen ist indes nicht auf den Vertrag des Winterdienstes 2006 sondern auf den neugestalteten Vertrag 2008.

  • Da bin ich nur im Sachverhalt bei Dir, nicht in der Rechtsfolge:

    Wenn in Deinem Pkw-Beispiel im Jahr 2007 vereinbart wird, dass der zahlungsunfähige Käufer A statt des geschuldeten Geldes eine Küche liefert, stellt bereits der Abschluss dieser Vereinbarung eine Rechtshandlung dar, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung ermöglicht, die er nicht in der Art zu beanspruchen hatte. Die darin liegende Inkongruenz stellt wiederum ein starkes Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und dessen Kenntnis auf Seiten des Verkäufers B dar, so dass bereits diese Vereinbarung nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar ist. Die spätere Lieferung der Küche setzt dann nur diese (anfechtbare) Vereinbarung um, das heißt: der Verkäufer hatte auch keinen insolvenzfesten Anspruch auf Lieferung der Küche. Dies wiederum führt dazu, dass der Verkäufer die Möglichkeit zur Aufrechnung seiner Kaufpreisforderung mit der Vergütung für die Küche in anfechtbarer Weise erlangt hat.

    Der Zeitablauf ändert an dem Umstand der Inkongruenz nichts. Wenn bereits 2007 Zahlungsunfähigkeit vorlag oder drohte, führt die damals vorliegende Inkongruenz der Vereinbarung zu deren Anfechtbarkeit und die beiderseitigen Hauptleistungspflichten entfallen. Basta. Einzige Ausnahme: Wenn A zwischen 2007 und 2009 seine Zahlungen "im Allgemeinen" wieder aufgenommen hat und damit seine Zahlungsunfähigkeit wieder entfallen ist, haben wir die von Dir angesprochene Zäsur. Dann unterliegt die Vereinbarung von 2007 trotz ihrer Inkongruenz nicht der Anfechtung und B kann die Küchenlieferung auch "in der Art" und überhaupt beanpruchen.

    Auf den Sachverhalt von Gegs heruntergebrochen: Für die Frage der Inkongruenz ist auf die Vertragsmodifikation 2008 abzustellen. Statt Zahlung wird vereinbart, dass die Schuldnerin für ihre künftigen Winterdienstleistungen keine (werthaltige) Gegenleistung mehr erhält, sondern von (nicht mehr werthaltigen) Altverbindlichkeiten befreit wird. Aus meiner Sicht führt diese Vereinbarung nach wie vor zur Inkongruenz.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

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