Zeugenentschädigung nach §§ 5, 6, 19 ff. JVEG für eine Zeugenvernehmung durch die Polizei (im Auftrag der Staatsanwaltschaft)

  • Liebe Rechtspfleger:innen-Community,

    im Kreis der Kolleginnen und Kollegen haben wir folgende Frage diskutiert:

    Ein Zeuge wird von der Polizei im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens zu einer Zeugenvernehmung vorgeladen. Der Zeuge hat zuvor online eine Aussage gemacht, allerdings hat die StA noch Nachfragen und ordnet eine persönliche Vernehmung an. Die Ladung erfolgt gem. § 163 III 1 StPO im Auftrag der StA.

    Der Zeuge ist zwar im Bezirk der Polizeidienststelle gemeldet (Wohnanschrift), ist allerdings berufsbedingt ca. 300km entfernt tätig und wohnt auch unter der Woche am Ort, wo er seinen Beruf ausübt. Auf Nachfrage des Zeugen bei der Polizeidienststelle, ob ihm Fahrtkosten und Verdienstausfall erstattet werden, teilt diese ihm schriftlich mit, dass eine Erstattung der Fahrtkosten und Entschädigung des Verdienstausfalls nicht möglich sei, da der Zeuge "amtlich in der Stadt der Polizeidienststelle gemeldet" sei und "über diese Anschrift vorzuladen" war.

    Der Zeuge hat daraufhin angeboten, die Zeugenvernehmung am Ort der Berufsausübung durchzuführen, was allerdings von der Polizei abgelehnt worden war.

    Wir haben uns nun gefragt, ob dem Zeugen eine Entschädigung nach den §§ 5, 6 und 19 ff. JVEG zusteht.

    M.E. ist der sachliche Anwendungsbereich des § 1 JVEG gegeben ("edit by Kai: Zitat entfernt

    (Toussaint/Weber, 53. Aufl. 2023, JVEG § 1 Rn. 9), sowie „edit by Kai: Zitat entfernt“ (BeckOK KostR/Bleutge, 43. Ed. 1.10.2023, JVEG § 1 Rn. 26).

    Ebenfalls sehe ich den persönlichen Anwendungsbereich gegeben edit by Kai: Zitat entfernt(Toussaint/Weber, 53. Aufl. 2023, JVEG § 1 Rn. 19)).

    Bezüglich des Ort des Termins habe ich folgendes gefunden: „edit by Kai: Zitat entfernt “ (Toussaint/Weber, 53. Aufl. 2023, JVEG § 5 Rn. 31).

    Allerdings bin ich mir an dieser Stelle hinsichtlich des Wortlauts unsicher, da die Kommentierung stets von "das ladende Gericht" spricht. Ist hiermit auch eine durch die Staatsanwaltschaft beauftragte Polizei gleichfalls gemeint?

    O.g. Zeuge ist im Schichtdienst tätig und wird für die Zahl an geleisteten Stunden vergütet. Am Tag der Vernehmung hätte er laut Dienstplan zu arbeiten. Steht ihm - da er seine Arbeitsstunden nicht ableisten kann - Verdienstausfall nach § 22 JVEG zu?

    Somit nochmal zu meinen Fragen:

    1. Steht dem o.g. Zeugen eine Entschädigung nach JVEG zu, wenn dieser der Vorladung Folge leistet und die ca. 300km für die Zeugenvernehmung mit dem ICE fährt?

    2. Welche Entschädigungen kann der Zeuge alle geltend machen? Ersatz der Fahrtkosten nach § 5 JVEG? Entschädigung für den Aufwand nach § 6 JVEG? Entschädigung für den Verdienstausfall nach § 22 JVEG? Entschädigung für die Zeitversäumnis (im Rahmen der Zugfahrten etc.) nach § 20 JVEG?

    Ich danke Euch für Eure Gedanken und Antworten!

    Liebe Grüße

    JKO

    edit by Kai: Die kopierten Fundstellen waren mir hier ein bisschen zu viel, siehe

    Hinweise zum Zitatrecht

  • M.E. das große Programm:

    Anreise und Zeitausfall für die Anreise vom entfernten Ort aus, denn der Zeuge hat rechtzeitig auf seine abweichende Anreise aufmerksam gemacht. Verdienstausfall, sofern vom Arbeitgeber bescheinigt.

    Dass die Polizei anderer Meinung ist, ist uninteressant. Wenn sie trotz Abwesenheit und rechtzeitiger Ankündigung der Abwesenheit den Zeugen auf diesen Termin und Ort festnagelt, dann ist eben entsprechend zu entschädigen.

    Mit freundlichen Grüßen

    AndreasH

  • Laut Pflüger/Jahnke, § 1 JVEG, Rn. 7, gilt das JVEG auch, wenn die Polizei jemanden im Auftrag der Staatsanwaltschaft heranzieht. Hierzu muss aber immer der Auftrag bzw. die Billigung der Staatsanwaltschaft vorliegen, sonst gibt es keine Erstattung von uns.

    Nach § 5 Abs. 5 JVEG richtet es sich, wenn man von einem anderen Ort anreist als der in der Ladung genannten Anschrift. Dieser Fall ist hier ja gegeben. Die Person ist dann mitteilungspflichtig und eine Erstattung kommt in Betracht, wenn er der Mitteilungspflicht nachkommt und dennoch an der Ladung festgehalten wird (Pflüger/Jahnke, § 5 JVEG, Rn. 22 mwN). Das dürfte vorliegend erfüllt sein.

    Ob die Entschädigung gewährt wird, liegt stets im billigen Ermessen des anweisenden Gerichts. Der Kommentar empfiehlt hier daher, eine Stellungnahme der Bezirksrevision schon vor Entscheidung einzuholen, da die dann ja auch Rechtsmittel einlegen können.

  • Stimmt AndreasH in allem zu. :thumbup:

    Entscheidend ist, dass der Zeuge der heranziehenden Stelle anzeigt, dass er nicht von dem Ladungsort, sondern von einem anderen Ort anreist. In diesem Fall sind ihm dann die Mehrkosten zu erstatten, wenn er durch besondere Umstände zu den Fahrten vom anderen Ort genötigt war (§ 5 Abs. 5 JVEG). Dass der Zeuge im hiesigen Fall aufgrund der beruflichen Tätigkeit am anderen ort dazu genötigt war, muss man wohl nicht weiter problematisieren. Wenn die Polizei also dennoch auf der Vernehmung besteht, sind diese Mehrkosten hier zu ersetzen. Die insoweit unrichtige Rechtsauffassung der Polizeidienststelle bindet nicht das Gericht (§ 4 Abs. 1 JVEG).

    Der Umfang der Erstattung ergibt sich aus § 19 JVEG mit den dortigen Verweisen. § 19 Abs. 2 JVEG wurde durch das KostRÄG 2021 neu gefasst und stellt klar, dass zu der Gesamtdauer der Heranziehung neben der notwendigen Reise- oder Wartenzeiten auch die Zeit zu zählen ist, während der der Berechtigte infolge der Heranziehung seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen kann (Jahnke/Pflüger, JVEG, 28. Aufl., § 19 Rn. 10). Das ist vor allem - wie hier - bei einem Berechtigten der Fall, der im Schichtdienst arbeitet und daher seine berufliche Tätigkeit vor bzw. nach der Zeugenvernehmung inkl. der notwendigen Reise- und Wartezeiten nicht mehr wahrnehmen kann, was i. d. R. in der Verdienstausfallbescheinigung des Arbeitgebers angegeben sein wird (Jahnke/Pflüger, a.a.O.; BT-Drs. 9/23484, S. 71 f.).

    Die Entschädigungen nach §§ 20-22 JVEG können aber nicht kumulativ für denselben Zeitraum gewährt werden. Er kann also nicht für die (insoweit zwingend zu bescheinigende) versäumte Arbeitszeit einerseits Verdienstausfall und daneben auch noch Zeitversäumnis für dieselbe Zeit erhalten. Möglich ist aber, dass neben Zeiten des Verdienstausfalls (§ 22 JVEG) auch Zeiten für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG) innerhalb der gesamten zu entschädigenden Stunden enthalten sind.

    Beispiele:

    Arbeitszeit: 09:00 bis 18:00 Uhr

    Entfernung: 300 km / 1,5 h Bahnfahrt

    Dauer der Heranziehung: 10:00 bis 12:00 Uhr

    Reisezeit: 07:30 bis 14:30 Uhr

    Arbeit konnte nicht mehr aufgenommen werden:

    §§ 19 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 JVEG = Kosten der DB (bis 1. Klasse + Sitzplatzreservierung) + Kosten des sonstigen ÖPNV

    §§ 19 Abs. 1 Nr. 6, 22 JVEG = Verdienstausfall => 9 h

    §§ 19 Abs. 1 Nr. 4, 20 JVEG = Zeitversäumnis => 1 h (=> max. 10 h pro Tag, § 19 Abs. 2 Satz 3 JVEG)

    Arbeit konnte um 15:00 Uhr wieder aufgenommen werden:

    §§ 19 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 JVEG = Kosten der DB (bis 1. Klasse + Sitzplatzreservierung) + Kosten des sonstigen ÖPNV

    §§ 19 Abs. 1 Nr. 6, 22 JVEG = Verdienstausfall => 6 h (max. nur tatsächliche Arbeitszeit versäumt: 9-15 Uhr)

    §§ 19 Abs. 1 Nr. 4, 20 JVEG = Zeitversäumnis => 2 h (1,5 auf 2 h aufgerundet, § 19 Abs. 2 Satz 2 JVEG)

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