• Bei der diesjährigen Tagung in Bad Boll (20.-22.11.2013) hat sich ein erbrechtlicher Arbeitskreis mit der

    Reaktion des Nachlassrechts auf veränderte Familienstrukturen

    befasst. Ich habe die im Arbeitskreis besprochenen Themen im Plenum zusammenfassend vorgetragen und möchte sie hiermit allgemein zur Kenntnis geben.

    1. Mehr höhere Nachlässe einerseits und mehr dürftige Nachlässe andererseits

    In demographischer Hinsicht bestand Einigkeit im Hinblick auf die auf den ersten Blick überraschende Feststellung, dass es auf mittlere und lange Sicht in Ballungsraumgebieten und "Speckgürteln" einerseits zu einer Zunahme von Erbfällen mit höheren Nachlässen kommen wird (Weitervererbung kumulierten Vermögens innerhalb der Kleinfamilie), dass andererseits aber auch die Erbfälle mit dürftigem Nachlass nicht unerheblich zunehmen werden. Diese Zunahme wird altersstrukturbedingt durch die Pflege- und Sozialhilfebedürftigkeit eines zunehmenden Teils der Bevölkerung eintreten (Auszehrung des Vermögens noch zu Lebzeiten, mehr überschuldete oder jedenfalls für die Erben nicht "attraktive" Nachlässe, mehr Ausschlagungen, mehr Nachlasspflegschaften, Feststellung des Fiskuserbrechts für mittellose Nachlässe, mehr Nachlassinsolvenzen usw.).

    2. Zunahme von Ausländernachlässen

    Im Hinblick auf die europarechtliche Freizügigkeit und anderweitiger Migrationsströme wird es auf mittlere und lange Sicht des Weiteren zu einer vermehrten Konfrontation der Nachlassgerichte mit Ausländernachlässen kommen. Ungeachtet des in der Europäischen Erbrechtsverordnung zum Ausdruck kommenden Bemühens um eine einheitliche internationalprivatrechtliche Anknüpfung ist daher - auch aufgrund der bestehenden Rechtswahlmöglichkeiten - damit zu rechnen, dass güterrechtliche und erbrechtliche IPR-Fragen in der nachlassgerichtlichen Praxis zunehmend eine stärkere Rolle spielen werden.

    3. Ausbildungs- und Fortbildungsbedarf

    Während sich in Ballungsraumgebieten und "Speckgürteln" bereits seit Längerem eine professionelle Nachlassabwicklung im Bereich der Nachlasspflegschaft durch Berufspfleger (einerseits) und mit der Materie vertrauten Nachlassgerichten/Rechtspflegern (andererseits) etabliert hat, steckt eine solche sowohl bei Pflegern als auch bei Nachlassgerichten erwünschte und notwendige Professsionalität in strukturschwachen Gebieten häufig noch in den Anfängen. In der Rechtspflegerausbildung und in der Fortbildung sollte der Bereich der Nachlasspflegschaft daher eine weit größere Aufmerksamkeit erfahren, als dies bisher der Fall ist (Konsequenz aus den Feststellungen in Ziffer 1; das Gleiche gilt für IPR-Fragen als Konsequenz aus den Feststellungen in Ziffer 2). Da sich die Fortbildung und Weiterbildung der Nachlasspfleger insoweit bereits auf einem guten Weg befindet (vgl. etwa die umfangreichen Aktivitäten des Bundes Deutscher Nachlasspfleger), sollte seitens des Bundes Deutscher Rechtspfleger (und auch seitens der einzelnen Landesverbände) erwogen werden, entsprechende Kooperationen einzugehen, die in gemeinsame Fortbildungstagungen für Nachlasspfleger und Nachlassrechtspfleger oder in spezielle Fortbildungen für Nachlassrechtspfleger münden könnten. Zudem steht in dieser Hinsicht mit dem jährlich stattfindenden Deutschen Nachlasspflegschaftstag bereits eine berufsübergreifende Tagung zur Verfügung.

    In diesem Zusammenhang ist allerdings - und insbesondere - zu fordern, dass die bei den Gerichten vorherrschende restriktive Haltung im Hinblick auf die Gewährung von Dienstbefreiung für die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen aufgegeben und des Weiteren erwogen wird, jedenfalls einen Teil der hierfür anfallenden Kosten zu erstatten. Das beste Fortbildungsangebot läuft ins Leere, wenn sich die Rechtspfleger nicht in der Lage sehen, es auch wahrzunehmen.

    4. Reformbestrebungen

    Im Hinblick auf einen etwaigen erbrechtlichen Reformbedarf wurden insbesondere die vier folgenden Themenkreise besprochen:

    a) Ehegattenerbrecht bei kinderlosen Erblassern

    Es wurde erörtert, ob der überlebende Ehegatte des kinderlosen Erblassers unter Ausschluss der Angehörigen der zweiten Erbordnung zum gesetzlichen Alleinerben berufen sein soll. Dies wurde mehrheitlich abgelehnt. Andererseits wurde aber auch Bedarf für eine Aufklärung gesehen, die dem mitunter verbreiteten Irrglauben begegnet, es würde bereits ein solches gesetzliches Alleinerbrecht des Ehegatten bestehen. Allerdings nützt die beste Information nichts, wenn sich die Leute nicht für sie interessieren.

    b) Vorschuss im Anwendungsbereich des § 1961 BGB

    Es wurde kontrovers diskutiert, ob im Anwendungsbereich des § 1961 BGB eine Vorschusspflicht für den antragstellenden Gläubiger eingeführt werden sollte. Die eine Ansicht plädierte für eine solche Vorschusspflicht, weil die Pflegschaft im Interesse des antragstellenden Gläubigers sei, während die andere Auffassung eine solche Pflicht ablehnte, weil es sich insoweit nur um mittelbare Vorteile handle, da der Nachlasspfleger im Rechtssinne ausschließlich die Interessen der unbekannten Erben wahrnehme.

    c) Zuständigkeit für die Anordnung von Nachlasspflegschaft bei Ausländernachlässen

    Es ist streitig, ob für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft bei Ausländernachlässen der Richter oder der Rechtspfleger zuständig ist. Es bestand Einigkeit, dass Letzteres zutrifft, weil die Nachlasspflegschaft nicht für den Erblasser oder für seinen Nachlass, sondern - als Personenpflegschaft - für die unbekannten Erben angeordnet wird, deren Staatsangehörigkeit naturgemäß nicht feststeht. Da nie ausgeschlossen werden kann, dass sich unter den unbekannten Erben auch ein nichtdeutscher Staatsangehöriger befindet, dürfte die Nachlasspflegschaft - falls die Ansicht von der Richterzuständigkeit zutrifft - im Ergebnis somit in keinem Fall vom Rechtspfleger angeordnet werden.

    Es wurde übereinstimmend vertreten, dass die genannte Streitfrage durch eine - ggf. lediglich klarstellende - Ergänzung im RpflG endgültig zugunsten der Rechtspflegerzuständigkeit entschieden werden sollte.

    d) Gesetzliche Erbfolge der 4. Erbordnung (und fernere Erbordnungen)

    Aufgrund der auf niedrigem Niveau stagnierenden Geburtenraten (Kinderlosigkeit, Kleinfamilie) ist auf mittlere und lange Sicht in Zukunft mit einer Zunahme der Wahrscheinlichkeit zu rechnen, dass die näheren Erbordnungen öfter "aussterben" als dies bislang der Fall ist. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zur gesetzlichen Erbfolge der vierten Erbordnung kommt. Es wurde diskutiert, ob es unter dieser Prämisse nicht angemessen ist, das Stammesprinzip auch in der vierten Erbordnung (und in den ferneren Erbordnungen) konsequent umzusetzen und die bisherigen beschränkenden gesetzlichen Regelungen (Gradual- und Kopfprinzip) demzufolge aufzugeben. Hierfür könnte auch sprechen, dass sich die Ermittlungsmöglichkeiten und -methoden im Hinblick auf die erforderliche Urkundenbeschaffung seit dem Inkrafttreten des BGB wesentlich verbessert haben und es daher aus heutiger Sicht keinen Grund und keine Rechtfertigung mehr für die ursprünglichen gesetzlichen Restriktionen gibt (beim Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900 konnte man gerade einmal 30 Jahre auf die Einführung der Standesämter zurückblicken, während es aus heutiger Sicht schon vor mehr als 140 Jahren Standesämter gab).

    Es wurde aber auch vereinzelt erwogen, das gesetzliche Erbrecht der 4. Erbordnung (und der ferneren Erbordnungen) zugunsten des Fiskuserbrechts abzuschaffen. Dem wurde mehrheitlich entgegen gehalten, dass dies dem Prinzip des Verwandtschaftserbrechts und des Erbrechts des Staates als ultima ratio widerspricht und dass der Gesetzgeber die betreffende Regelung des ZGB der ehemaligen DDR daher bewusst nicht übernommen hat.

    5. Fazit

    In dem dreieinhalbstündigen erbrechtlichen Arbeitskreis fanden konstruktive und rege Diskussionen statt, die ganz überwiegend zu konsensfähigen Lösungen führten. Gleichzeitig wurde bei diesen Diskussionen deutlich, dass in "reichen" Gegenden und "armen" strukturschwachen Gebieten ganz erhebliche Unterschiede in der nachlassgerichtlichen Praxis (insbesondere bei Nachlasspflegschaften) bestehen und dass eine mitunter auftretende unterschiedliche Sicht der Dinge auch dem jeweiligen Erfahrungshorizont geschuldet ist. Damit hat der Arbeitskreis nicht zuletzt auch zum gegenseitigen Verständnis im Hinblick auf die jeweils andere Position beigetragen.

  • Danke für die Mühe, die Zusammenfassung zu schreiben. Ich persönlich empfand die Diskussion sehr bereichernd auch für meine persönlichen Gedanken und Zukunftsvorstellungen. Danke an alle Teilnehmer. Hier nochmals das gesamte Tagungsprogramm: https://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php…hlight=Bad+boll

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

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