Neuer § 42a SGB VIII

  • Wenn meine Informationen stimmen, gibt es mit Wirkung vom 01.11.2015 eine gesetzliche Neuregelung bezüglich der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (BT-Drs. 18/5921, 18/6289 und 18/6392).

    Absatz 3 des neuen § 42a SGB VIII soll danach lauten:

    "Das Jugendamt ist während der vorläufigen Inobhutnahme berechtigt und verpflichtet, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind. Dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen und der mutmaßliche Wille der Personen- oder der Erziehungsberechtigten angemessen zu berücksichtigen."

    Das würde im Zusammenhang mit weiteren Neuregelungen bedeuten, dass nicht mehr in jedem Fall sogleich beim Gericht beantragt würde, das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen, sondern erst dann, wenn die Verteilung der Minderjährigen geregelt ist. Im Ergebnis würden damit die Gerichte in denjenigen Bundesländern entlastet, welche mehr Flüchtlinge aufgenommen haben als es dem Verteilerschlüssel entspricht.

    "Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht." (Abraham Lincoln)

  • das ist nur augenscheinlich so:

    Die "vorläufige" Inobhutnahme ist der ein neuer Zeitabschnitt, der für die (bisher nicht mögliche) Umverteilung gebraucht wird. Am Zielort ist die "Vorläufige" beendet und das normale Verfahren nach §42 SGB VIII greift wieder. Für JA und AG am Zielort hat sich also nichts verändert.

  • Schnelle Vormundschaft für UMF noch erforderlich?

    Das sollte man erst mal nicht annehmen.
    Nach Registrierung erfolgt die Verteilung der Betroffenen auf andere Gemeinschaftsunterkünfte ; ggf. in andere Bundesländer ( = gesetzliches Verlassen ).
    Sehe schon jede Menge Verfahrensabgaben auf mich zukommen.



    Dieses Zitat nehme ich zum Anlass, um in einem neuen Thema zu fragen, ob der § 42 a SGB VIII Absatz 3 diese Praxis nicht entbehrlich gemacht hat? Ich halte die gesetzliche Regelung zwar für fragwürdig, da das JA einerseits über die Inobhutnahme entscheidet und andererseits den Betroffenen rechtlich vertreten soll. Aber noch ist es Recht und deshalb anwendbar.

  • Noch mal Moosi :
    Wann genau endet nach Deiner Meinung das "Notvertretungsrecht" des Jugendamtes nach § 42 a III SGB VIII ?
    Gilt die Vorschrift nur für nicht registrierte Kinder ?

  • Auch das ist in Absatz 6 eindeutig geregelt.
    Es war wohl Absicht des Gesetzgebers die Zuständigkeit, die gesetzliche Vertretung und die zu leistende Hilfe von den Einwanderungsgesetzes abzukoppeln. Lediglich die Kostenerstattungen knüpfen an den ausländer- bzw. asylrechtlichen Status an.

    Wir hier haben etwa dreimal so viele UMFs wie laut Umverteilung auf uns entfallen. Deshalb meldet unser ASD fast jeden Fall zur Umverteilung. Zwar wird von den anderen beteiligten Stellen nach der Registrierung gefragt, es bleibt aber meist eine Aufgabe des Jugendamts, dem der UMF nach § 88a SGB VIII zugewiesen wird.

    "Die Registrierung" gibt es übrigens nicht. Es gibt einen Flickenteppich verschiedener Registrierungsverfahren, die untereinander so kompatibel sind wie ???

  • Das vorläufige Vertretungsrecht endet von Gesetzes wegen. Die örtliche Zuständigkeit des JA richtet sich nach § 88a SGB VIII Abs. 4.


    Seit dem 1.11. bis heute sind 24 UMFs bei uns aufgeschlagen Die meisten sind umverteilt worden bzw. in einer der Phasen der Umverteilung. In diese Fälle ist das FamG nicht involviert - die Amtsvormundschaft auch nicht. Bisher weiß ich nur von einem, der hier bleiben soll und für den hier ein Vormund gesucht werden soll.

    Wenn wir die UMFs zu ihren neuen JÄ zu bringen versuchen, werden sie dort nach §42 regulär in Obhut genommen und dort wird das familiengerichtliche Verfahren eingeleitet.

    Problem für unser Familiengericht: Für die Inobhutnahme nehmen die neuen Jugendämter gerne die Plätze der Jugendhilfe bei uns.

  • Das vorläufige Vertretungsrecht endet von Gesetzes wegen. Die örtliche Zuständigkeit des JA richtet sich nach § 88a SGB VIII Abs. 4.
    Seit dem 1.11. bis heute sind 24 UMFs bei uns aufgeschlagen Die meisten sind umverteilt worden bzw. in einer der Phasen der Umverteilung. In diese Fälle ist das FamG nicht involviert - die Amtsvormundschaft auch nicht. Bisher weiß ich nur von einem, der hier bleiben soll und für den hier ein Vormund gesucht werden soll.

    Wenn wir die UMFs zu ihren neuen JÄ zu bringen versuchen, werden sie dort nach §42 regulär in Obhut genommen und dort wird das familiengerichtliche Verfahren eingeleitet.


    Sorry , wenn ich da nachhaken muss:
    Gilt folgendes:
    Umverteilungstag = "Bringtag" zu neuem Jugendamt ?

    Oder fahre ich immer noch mit der Holzklasse ?

  • Das vorläufige JA hat nach § 42a SGB VIII Abs. 5 Ziffer 1 die Obliegenheit den UMF zur Übergabe zu bringen . In Ziffer 2 ist die Datenübergabe geregelt. Die vorläufige IO endet von Gesetzes wegen.

    Das aufnehmende JA nimmt bei Übergabe den UMF nach § 42 SGB VIII in Obhut und hat unverzüglich (wie bisher) nach § 42 SGB VIII Abs. 3 die Einrichtung einer Vormundschaft zu veranlassen. Unverzüglich heißt nach BVerwG unter 5 Werktage.

  • Wir haben seit dem 1.11.15 alle Fälle täglich an die Landesverteilstelle (LVS) gemeldet. Einige Übergaben haben schon gut geklappt, nur die ersten nicht. Eine Nachfrage ergab, dass die LVS seine Frist von drei Werktagen gegenüber der Bundesstelle versäumt hat und deshalb die Umverteilung vor Ablauf der Monatsfrist abgebrochen werde. Wir bekommen wohl gleich die Bescheinigung gefaxt, dass die Umverteilung nach §42b SGB VIII ausgeschlossen ist und wir zuständig bleiben.

    Wie schrieb die Kollegin von der LVS: Deutschland hat keine Flüchtlingskatastrophe, Deutschland hat eine Verwaltungskatastrophe.

  • Deutschland hat keine Flüchtlingskatastrophe, Deutschland hat eine Verwaltungskatastrophe.


    Es gibt zwar teilweise chaotische Zustände in einzelnen Verwaltungen, ich denke aber man kann dies kaum der größtenteils sehr engagierten Exekutive anlasten.

  • Hallo Buridans Esel,
    Sicherlich gibt es Ausnahmen, generell halte ich die Verwaltungskatastrophe für existent.
    Nichts Neues, wenn man sich erinnert, dass das Bundesamt zwischen 2006 und 2009 mit unter 30 Tsd Asylanträgen auch nicht fertig wurde.

    Wenn Deutschland seine Ehrenamtlichen nicht hätte, müsste man lange nach tätiger Willkommenskultur suchen.

    Lies mal im aktuellen http://www.faz.net

  • Ja, der Artikel war mir bekannt. Aber das sind ganz primär offensichtlich primär die Folgen politisch gesetzter Rahmenbedingungen. Die vorhandene Verwaltung leistet im Rahmen des Möglichen m. E. überwiegend Herausragendes.

  • Die vorhandene Verwaltung leistet im Rahmen des Möglichen m. E. überwiegend Herausragendes.


    So sehe ich das auch .:daumenrau
    Man weiß noch gar nicht , wieviel Überstunden bei vielen Bundes-,Landes u. Kommunalbehörden Anfang Januar verfallen werden.

  • Man weiß noch gar nicht , wieviel Überstunden bei vielen Bundes-,Landes u. Kommunalbehörden Anfang Januar verfallen werden.

    Man kann die ja auch bezahlen - das erhält auch bei manchem die Motivation. Bei der sächsischen Polizei ist es jetzt jedenfalls noch so, vor einem Jahr undenkbar, da war nur die Rede von weiterem Personalabbau.

    Im Übrigen würde ich auch nicht von "Verwaltungskatastrophe" sprechen, denn wer konnte denn vor einem Jahr tatsächlich voraussehen, dass wir einem Flüchtlingsstrom in der Größenordnung einer Million binnen weniger Monate ausgesetzt sind. Hier sind Schuldzuweisungen einfach fehl am Platze.

  • Im Übrigen würde ich auch nicht von "Verwaltungskatastrophe" sprechen, denn wer konnte denn vor einem Jahr tatsächlich voraussehen, dass wir einem Flüchtlingsstrom in der Größenordnung einer Million binnen weniger Monate ausgesetzt sind. Hier sind Schuldzuweisungen einfach fehl am Platze.


    Schuld ist die falsche Kategorie, aber Verantwortlichkeiten für das polititsche Organisationsversagen gibt es natürlich trotzdem reichlich.
    Wer damit beruflich zu tun hat, hätte es mutmaßlich sehr viel früher erkennen können, denn die Migrationskrise ist keine plötzliche, schicksalhafte, Entwicklung biblischen Ausmasses. Das Öffentlichwerden der Nachricht des BAMF über die zukünftige Handhabung syrischer Asylanträge, die Abkehr von Artikel 16a Abs. 2 des Grundgesetzes und natürlich die Erfindung der Wir-schaffen-das-Doktrin mit menschelndem Gesicht waren so gerade auch nach dem deutschen Verhalten in der Lampedusa-Krise sicher nicht abzusehen. Es hat aber frühzeitig warnende Meldungen der entsprechenden Dienste gegeben, z. B. vom BKA. Gerade auch Länder und Kommunen haben zudem in den vergangenen Jahren infolge der (ja nun wohl unmodernen) Sparzwänge vieles an Infrastruktur zum Flüchtlingsschutz abgebaut.

    Einmal editiert, zuletzt von Buridans Esel (30. November 2015 um 09:28)

  • Als Vormund, der seit mehr als 20 Jahren zu 50% UMF-Fälle hat, muss ich widersprechen: In der Zeit des Rückgangs der Fallzahlen hat Verwaltung die Verfahren derart verfeinert und Verwaltungsvereinfachungen verhindert, dass die Arbeitsstruktur rückständig ist.

    Wie die Abläufe in den für Familiengerichte und Jugendämter so bedeutenden, völlig neuen Landes-Umverteilungsstellen im Einzelnen sind, erfahren wir nicht. Aus Schreibfehlern in der Namensschreibweise ziehe ich aber den Schluss, dass die Dateneingabe händisch erfolgt. Das ist Verwaltungsversagen. Neue Aufgabe, neue Behörde aber alte Strukturmängel.

    Jedes Jugendamt, jede Ausländerbehörde, jedes Jobcenter entscheidet völlig unabhängig, welche Fall-Software es benutzt. Klar, Datenschutzbestimmungen sind normiert, nicht aber die Kompatibilität. Das ist Verwaltungsversagen.

    Wegen der politischen Verantwortung kann Verwaltung zwar immer auf irgendeinen Politiker hinweisen: Die Politik hat uns ja nicht gezwungen!
    Jede Vorlage für politische Entscheidungen wird durch Verwaltungen erarbeitet.

    Nur am Rande:
    Das Bundesamt hält weiterhin daran fest, dass Widersprüche wirksam nicht auf elektronischem Weg eingelegt werden können. Das deswegen angerufene Verwaltungsgericht verlangt vom klagenden Amtsvormund, Schriftsätze und Unterlagen ausschließlich auf elektronischem Wege zu erhalten.

  • Wegen der politischen Verantwortung kann Verwaltung zwar immer auf irgendeinen Politiker hinweisen: Die Politik hat uns ja nicht gezwungen! Jede Vorlage für politische Entscheidungen wird durch Verwaltungen erarbeitet.


    Du liegst zum Teil schon auch richtig. Es ist natürlich eine Gemengelage und es liegt mir auch fern, teilweise steinzeitlich arbeitende Strukturen zu rechtfertigen. Über wesentliche modernisierende Entwicklungen entscheidet aber die Politik. Man sollte dabei nicht verkennen, dass es im gesamten föderalen politischen Spektrum ambivalente, widerstreitende Interessen gibt, die durch die vorhandenen, sich gegenseitig behindernden Strukturen gewahrt werden. Es ist ja nicht so, dass all die, die über das langsame BAMF schimpfen, es wirklich begrüßen würden, wenn wir stattdessen binnen weniger Wochen noch mehr rechtskräftige Entscheidungen über das Bestehen oder Nichtbestehen von Ausreisepflichten, Familiennachzug, etc. hätten.

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