BGH: Zwangsräumung und Suizidgefahr für Angehörigen

  • Man darf nie vergessen, daß jede Zwangsvollstreckungsmaßnahme eine besondere Härte für den Schuldner bedeutet, damit ist sie noch lange nicht unbillig. Insbesondere bei Attesten mit open end schaue ich ganz genau hin. Sonst kommt mit gleicher Begründung in 3 Monaten der nächste Antrag. Es reicht ja aus, wenn der Sch ins Nachbarhaus zieht. Es geht nur noch darum, ob für einen kurzen Zeitraum Schutz gewährt werden kann.

    Ich denk mal über Zahlung der Nutzungsentschädigung und Nachweis der Wohnungsuche brauchen wir nicht zu reden.

  • Zitat von ettigirb

    Kann ich einstw. einstellen für evtl. 3 Monate und Attest des weiter behandelnden Neurologen (so behauptet) anfordern


    Da durch die behandelnde Ärztin schon gesagt wurde, daß das Verlassen des speziellen Umfeldes eine Suizidgefahr besteht, würde ich wie oben beschrieben unter der Auflage einstellen, daß Attest des Neurologen nachzureichen ist. Ich würde dabei ein Attest, daß auf bestimmten Fragestellungen basiert, verlangen. So würde ich verlangen, daß bestätigt wird, daß akute Suizidgefahr durch Wohnungswechsel auftreten kann. Ferner die Aussichten auf Besserung bei entsprechender Behandlung und den Zeitrahmen abfragen.
    Ich habe jetzt nicht nachgelesen, aber die höchstrichterlichen Entscheidungen, die ich im Hinterkopf habe, gehen davon aus, daß der grundgesetzliche Schutz von Leben und Gesundheit den Gläubigerinteressen vorgeht, wenn ein hinreichender Anhaltspunkt für eine Bedrohung vorliegt. Einige dieser Entscheidungen sind oben auch schon genannt.

  • Einstweilen einstellen zur Sachverhaltsaufklärung kann man hier sicher, aber für so lange würd ich das nicht. Und vor allem würd ich Auflagen anordnen (Vorlage fachärztlicher Atteste, Zahlung(!) der laufenden Miete, Bemühen um Ersatzwohnraum, Auflage zur Therapie). Und die Anregung einer Betreuung ist schon wegen der aktuellen BGH-Rechtsprechung sehr sachdienlich; außerdem wird von dort aus evtl. auch ein Gutachten erstellt.

  • Außerdem läuft man bloß Gefahr wegen fehlerhafter Ermessensausübung ohne gründliche Sachverhaltsaufklärung aufgehoben zu werden. Dass Härten auf der Schuldnerseite vorliegen scheint zumindest halbswegs klar zu sein, ob diese aber letzten Endes die Gläubigerinteressen überwiegen scheint mir hier zweifelhaft. § 765a ZPO ist eine Ausnahmevorschrift und deswegen sehr eng auszulegen, das gilt m.E. auch für die Frist der einstweiligen Einstellung, weil man sonst Gefahr läuft den wirtschaftlichen Schaden der Gläubigerseite unnötig zu vergrößern.

  • Der wirtschaftliche Schaden für den Vermieter ist gering, wenn gleich mit bestimmt wird, daß der Schuldner die Nutzungsentschädigung zu zahlen hat. Dabei mache ich den Schuldnern schon klar, daß bei Nichtzahlung der Einstellungsbeschluß sofort aufgehoben wird.

  • Hey, sorry wenn ich euch nerve - aber ich stelle erstmals wegen 765 a einstweilen ein...

    Also, ich stelle jetzt nach 732 II ZPO einstw. ein bis zur entgültigen Entscheidung unter der Auflage Atteste des behandelnden Neurologen vorzulegen und Nutzungsentsch. an Gl. zu zahlen. Nur wie viel nimmt man da an und in welchem Zeitrahmen (ab wann usw.) ist zu zahlen. Vollstreckt wird aus einem Zuschlagsbeschluss, Anwesen ist ein landwirtschaftl. Hof (Zuschlag bei 220.000 EUR erteilt). Danke!

  • Bei Suizidgefahr stelle ich (bei ausreichendem Attest) zunächst einmal für max. drei Monate ein. Gebe die Sache aber sofort an das Vormundschaftsgericht mit der Anregung eine Betreuung einzurichten weiter, sonst wird die Einstellung zur Dauersache. Notfalls möge der Betreute zwangsweise in eine geeignete Einrichtung gesteckt werden. Wenn man das den Kunden vorher sagt, werden die schon mit der Suiziddrohung vorsichtig umgehen. Oft genug ist es eben nur die Drohung.
    Mehr als drei Monate gebe ich in keinem Fall. Dann muß man sich erfolgreich um Wohnraum bemüht haben bzw. die Betreuungssache laufen.

  • Die Nutzungsentschädigung entspricht betragsmässig Miete + Nebenkosten. Es wird nur keine Miete gezahlt, da das Mietverhältnis beendet ist. In St.Georg muß man selbst als Hartz IV Empfänger damit rechnen, daß ein geringer Betrag (50 Euro) monatlich auf die Rückstände erwartet wird. Dazu gibt es leider noch keine LG-Entscheidung (die habens zwar gesehen, da es im Rechtsmittel aber nicht beanstandet wurde auch nicht weiter behandelt).

  • Akzeptiere ich alles, nur wie sieht mein Beschluss in der Praxis aus?
    Sorry, ich hatte die zweite Antwort noch nicht gelesen. Aber welche Entschädigung kann ich für ein landwirtschaftliches Anwesen auf dem platten Land annehmen - Miete wurde nicht gezahlt, es handelt sich um versteigertes Eigentum.

  • Zitat von ettigirb

    Akzeptiere ich alles, nur wie sieht mein Beschluss in der Praxis aus?
    Sorry, ich hatte die zweite Antwort noch nicht gelesen. Aber welche Entschädigung kann ich für ein landwirtschaftliches Anwesen auf dem platten Land annehmen - Miete wurde nicht gezahlt, es handelt sich um versteigertes Eigentum.



    War die Zwangsversteigerung an deinem Gericht? Oft kann man aus den Versteigerungsunterlagen, insbesondere dem Verkehrswertgutachten, schon ein paar Anhaltspunkte herleiten, insbesondere im Fall der Verkehrswertermittlung anhand des Ertragswertes.
    Außerdem würde ich die Beteiligten auch zur beabsichtigten Höhe der Nutzungsentschädigung anhören.

  • Könnte man nicht auch die Einstellung an eine Sicherheitsleistung knüpfen? Diese sollte der Nutzungsentschädigung für den einzustellenden Zeitraum entsprechen. So wäre der finanzielle Schaden des Gl zumindest einzugrenzen.

  • Das kommt natürlich immer auf den jeweiligen Fall an. Die Einsichtnahme in die Akten des Erkenntnisverfahrens bietet da natürlich immer gute Hinweise, mit welchen Pappenheimern man es zu tun hat. Normalerweise hat auch der Gerichtsvollzieher einen guten persönlichen Eindruck davon, ob da nur Atteste vorgeschoben werden. Je nachdem würde ich die Einstellung u.a. auch von Zahlungen bedingt abhängig machen. Die Auflage zur Zahlung erteilen würd ich aber in jedem Fall, schon weil man so für die endgültige Entscheidung prüfen kann, ob die Bereitschaft zum Mitwirken besteht.
    Ist ein Neurologe als Facharzt eigentlich unbedingt der richtige Spezialist? Auch wenn da was mit den Synapsen nicht in Ordnung sein könnte scheint mir das doch zumindest auch was für einen Psychiater oder einen Psychologen zu sein?

  • Zitat von hexe

    Könnte man nicht auch die Einstellung an eine Sicherheitsleistung knüpfen?



    Ich praktiziere das zwar auch des öfteren (Einstellung gegen Zahlung der rückständigen und/oder laufenden Nutzungsentschädigung), halte es im Ergebnis aber z.T. für inkonsequent : Entweder stellt die Räumung zum Räumungstermin für den Schuldner eine mit den guten Sitten nicht vereinbare Härte dar oder eben nicht. Natürlich kann man argumentieren, dass bei der Interessenabwägung nach § 765a ZPO die Zahlung der Nutzungsentschädigung zur Interessenwahrung der Gläubigerpartei berücksichtigt wird, aber im Ergebnis stellt doch die Situation des Schuldners den Grund für die Einstellung dar.

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

  • 765a ist aber auch eine Abwägung zwischen Gl und Sch Interessen. Und wenn gute Gründe für einen Vollstreckungsschutz vorliegen, sind die Gl-Interessen allein durch die Zahlung der Nutzungsentschädigung sicherzustellen. Der Sch wird dadurch nicht schlechter gestellt, als er schon ist. :gruebel:

  • @ Erzett: Das sehe ich nicht so. Die Gläubigerinteressen müssen zurücktreten, wenn suizidale Gründe vorgetragen und nachgewiesen werden. Es gibt dazu auch entsprechende Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, die den grundgesetzlichen Schutz des Lebens für mich nachvollziehbar höher bewerten als das Recht des Gläubigers auf Vollstreckung.
    Willst Du die Vollstreckung bei einem suizidgefährdeten Schuldner fortsetzen, nur weil er nicht in der Lage ist , eine Nutzungsentschädigung zu zahlen?
    Die von the bishop angesprochene Inkonsequenz sehe ich auch und teile insofern seine Meinung.

  • Zitat von Erzett

    Und wenn gute Gründe für einen Vollstreckungsschutz vorliegen, sind die Gl-Interessen allein durch die Zahlung der Nutzungsentschädigung sicherzustellen. Der Sch wird dadurch nicht schlechter gestellt, als er schon ist. :gruebel:




    Das war es, was ich mit

    Zitat von the bishop


    Natürlich kann man argumentieren, dass bei der Interessenabwägung nach § 765a ZPO die Zahlung der Nutzungsentschädigung zur Interessenwahrung der Gläubigerpartei berücksichtigt wird ...



    meinte.

    Im Ergebnis wird aber doch unabhängig von der Frage, ob der Schuldner dazu in der Lage ist, die laufende und/oder rückständige Nutzungsentschädigung zu zahlen, bei Krankheit des Schuldners (oder Vortrag der Suizidgefahr) letztendlich auf die Situation des Schuldners abstellen müssen... :gruebel:

    P.S.: Schuldner :
    "I didn´t expect an kind of spanish inquisition".

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

  • Das spannende an den Räumungsschutzverfahren ist doch gerade, dass es keine generelle Lösung gibt. Natürlich sind Gesundheit und Leben abstrakt wohl höher zu bewerten als die Eigentumsgarantie und das Rechtsstaatsprinzip. Die Frage ist aber oft, ob geltend gemachte noch so schwere Gesundheitsrisiken immer die Gläubigerinteressen überwiegen. Dies trifft aus meiner Erfahrung in eher seltenen Fällen zu, z. B. weil Bemühungen der Schuldner erkenntlich sind, das Verfahren zu verschleppen, trotz Vergleichsabschluß kein Bemühen um Ersatzwohnraum an den Tag gelegt wird, weil keine regelmässigen Atteste vorgelegt werden oder eben nichts gezahlt wird.
    Solange der Sachverhalt noch aufzuklären ist wird vermutlich regelmäßig eher zu Gunsten der Schuldnerseite zu entscheiden sein und die Einstellung erfolgen müssen. Gerade deswegen meine ich aber auch, dass man die Fristen eng setzen muß und auch ein dichtes Netz von Auflagen zum Schutz der Gläubigerinteressen nötig ist.
    Die höchstrichterlichen Entscheidungen sagen übrigens ganz eindeutig, dass der Frage einer konstruktiven Mitarbeit zentrale Bedeutung zukommt und im Rahmen der Einzelfallentscheidung von der dauerhaften Einstellung der Vollstreckung bis zur Antragszurückweisung alles entscheidbar ist.
    Es geht bei der Entscheidung nicht zentral um die Ermittlung der einzelnen Härte, sondern darum festzustellen, ob unter Abwägung der Interessen bei Seiten eine sittenwidrige Härte zu besorgen ist. Und mal ganz ehrlich: in den seltensten Fällen kann man doch wohl von einem Verstoß gegen die Guten Sitten ausgehen, wenn der Schuldner nicht zahlt.

  • Der Sachverhalt von Ettigirb läßt aber schon einige Schlüsse zu. So geht es um eine Räumungsvollstreckung nach Zuschlag, also Schuldnerschutz gegenüber dem neuen Eigentümer. Die der Zwangsversteigerung zugrundeliegende Forderung spielt bei den Überlegungen keine Rolle mehr. Und wenn hier aufgrund von Selbstmordgefahr einzustellen ist, bringt auch das Bemühen um Ersatzwohnraum nichts mehr, denn es geht ja gerade darum, daß er ohne möglichen Suizid nicht aus dem versteigerten Objekt ausziehen kann. Ob eben nur Vortäuschung oder tatsächliche Suizidgefahr vorliegt hat das Gericht durch geeignete Maßnahmen zu ermitteln. Daran allerdings muß der Schuldner mitwirken.

  • Suizid
    Vollstreckungsschutz 765 a ZPO kann nur gewährt werden,wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände für den Schuldner eine Härte darstellte, welche mit den guten Sitten nicht mehr vereinbar wäre. 765a ZPO ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und kommt nach ständiger Rechtsprechung nur dann zur Anwendung, wenn die Maßnahme auch nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (BGH NJW 2004,3635f, WM 2005,288f). Nach Auffassung des BGH, der die Kammer sich anschließt, kann jedoch selbst dann, wenn mit einer ZWV eine konkrete Gefahr für das Leben des Schuldners verbunden ist, eine ZWV Maßnahme nicht ohne weiteres eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der –in solchen Fällen besonders gewichtigen- Interessen des Schuldners mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch der Gläubiger sich auf Grundrechte berufen kann. Der Staat hat die Pflicht, ordnungsgemäß titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen (BGH NJW 2005,1859f). Selbst bei konkreter Suizidgefahr ist daher zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der ZWV begegnet werden kann. Dazu gehört uU auch eine mögliche Ingewahrsamnahme und Unterbringung nach dem PsychKG. Vor allem aber ist der Schuldner selbst gehalten, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken zu minimieren.
    LG Verden (8 T 192/06- AG Achim 9 M 1370.05) v 29.9.06 –als pdf vorhanden.

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