Nachlasspflegschaft oder Abwesenheitspflegschaft

  • Hier mal ein Fall meiner Kollegin, die uns um Rat gebeten hat:

    Nachlasssache schon seit ca. 2009 anhängig, sie hat die Akte 2013 übernommen. Erblasser war zur Hälfte Miteigentümer einer Eigentumswohnung, die wohl nun von der anderen Miteigentümerin verkauft werden soll. Ansonsten ist der Nachlass aber überschuldet. Die Eigentumswohnung wird sich, wenn überhaupt, allenfalls für 10.000,00 € verkaufen lassen.

    Alle (viele) Kinder habe die Erbschaft ausgeschlagen, ebenso wirksam für ihre Kinder.

    Die Erblasserin war mit einem Türken verheiratet. Dieser konnte lange Zeit nicht ausfindig gemacht werden, lebte wohl seit vielen Jahren schon getrennt von Erblasserin. Dann ist eine Zeit gar nichts passiert. Nun hat meine Kollegin ein öffentliche Aufforderung erlassen und im Ergebnis festgestellt, dass es keinen anderen Erben als den Fiskus gibt. Gegen diesen Beschluss hat der Fiskus nun Beschwerde eingelegt. Er moniert gar nicht, dass man zu den Erben der 2. Ordnung nicht ermittelt hat, er begründet dies aber damit, dass der Ehemann ja bekannt sein, auch wenn er im Moment nicht auffindbar sei.
    Sie hat nun nochmals recherchiert und die Bestätigung von einem Einwohnermeldeamt erhalten, dass er sich ca. 2012 nach der Türkei mit unbekanntem Ort abgemeldet hat.

    Einige unserer Rechtspfleger hatten nun über den Fall diskutiert und wir waren zu der Empfehlung gekommen, dem Türken einen Abwesenheitspfleger zu bestellen, der dann die Erbschaft ausschlagen kann. Dann wäre der Weg wohl frei für das Erbrecht des Fiskus, wenn man der Begründung zur Beschwerde folgt, sie könnten/würden dann die Beschwerde zurücknehmen.

    Nun wurde die Anregung zu einer Abwesenheitspflegschaft dem Betreuungsgericht vorgelegt, wo man als erstes mal richtig feststellte, dass für diese Pflegschaft, weil es ein Ausländer ist, die Richterin zuständig ist, die davon sehr wenig begeistert war. Sie hat bislang nur signalisiert, dass sie das wohl ablehnen wird.

    Nun haben wir erneut untereinander diskutiert, wobei es unterschiedliche Meinungen gibt, ob dies wohl ein Fall einer doch noch einzuleitenden Nachlasspflegschaft ist oder aber doch ein Fall für eine Abwesenheitspflegschaft.

    Ein paar Anregungen/ Meinungen wären uns willkommen.

  • Der Sachverhalt ist für mich unklar: Wurde der Ehemann zwischenzeitlich mal ermittelt und von der Nachlasssache informiert (Dieser konnte lange Zeit nicht ausfindig gemacht werden, ....) oder doch nicht? Wenn nicht, dann ist es eine Sache für eine Nachlasspflegschaft, da unbekannter Erbe, wenn ja, dann weiß ich nicht, wie man zum "Fiskus" kommen konnte!

  • Schau mal in den deutsch-türkischen Konsularvertrag aus dem Jahre 192?.Dort hat der türkische Konsul für in der Türkei lebende Erben weitgehende Befugnisse, die unter Umständen eine Abwesenheitspflegschaft entbehrlich machen bzw. bei Anordnung ohne vorherige Anhörung des Konsuls Probleme machen könnten. Hier gabs schon mal einen Rüffel über das Auswärtige Amt wegen Außerachtlassung der Rechte des Konsuls.Bisher war kein Sicherungsgrund für eine Nachlasspflegschaft zu erkennen, weshalb jetzt?Die Mitwigentümerin kann doch ihre Rechte über die Auseinandersetzung der Gemeinschaft wahrnehmen. Hat sie einen Anspruch auf Verkauf? Ich meine nein.

  • Ich gehe davon aus, dass der Ehemann nichts vom Erbfall weiss bzw. die Erbschaft nicht angenommen hat.

    Wenn man jetzt den § 1960 BGB liest, dann stellt man fest, dass alleine die ungewisse Annahme der Erbschaft ausreicht, um eine Nachlasspflegschaft wegen unbekannter Erbfolge anzuordnen.

    Ja selbst wenn der Erbe mit Name und Anschrift bekannt ist, aber z.B. die 6-monatige Ausschlagungsfrist läuft, könnte das NLG wegen ungewisser Erbfolge eine NLP anordnen.

    Damit ist aber auch klar, dass das NLG wegen unbekannter Erbfolge das Fiskuserbrecht nach § 1964 BGB letztlich in dem Ausgangssachverhalt feststellen kann, wenn der Erbe nicht in einer angemessenen Zeit ermittelt werden kann, wie es im Gesetzteswortlaut heisst. Alleine mit dem Wortlaut des § 1936 BGB könnte man nie das Fiskuserbrecht feststellen, denn Verwandte gibt es immer - nur sind die eben manchmal nicht zu ermitteln. Ob allerdings im Ausgangsfall jemals ordentlich ermittelt wurde, ist wohl die Frage.

    Also: Entweder die Beschwerde zurückweisen oder einen Nachlasspfleger bestellen. Das wäre m.E. ohnehin von Anfang an die einfachere und zielführende Variante für alle Beteiligten gewesen und dann wäre der Fall wohl längst erledigt.

    Abwesenheitspflegschaft geht nur dann, wenn der Erbe die Erbschaft angenommen hatte (also wirklich Erbe wurde) und dann unbekannten Aufenthaltes wird.

    Abgesehen davon kann der Abwesenheitspfleger m.E. die Erbschaft für den Abwesenden weder annehmen noch ausschlagen wenn nicht sicher ist, dass der Abwesende den Erbfall erlebt hat. So steht dem Erbrecht des abwesenden potentiellen Erben materiellrechtlich der § 1923 I BGB entgegen so dass man niemals für eine Person, bei der man nicht 100% sicher sein kann, dass diese den Erbfall erlebt hat, einen Erbschein erteilen kann. Da bringt die schönste Annahmeerklärung des Abwesenheitspflegers nichts, wenn der Abwesende materiellrechtlich vielleicht nie Erbe wurde. Also Abwesenheitspfleger nur für die Person, die den Erbfall erlebt und das Erbe angenommen hat. Alles andere ist ein unbekannter Erbe im Sinne des 1960 für den die speziellen Vorschriften und Regeln der Nachlasspflegschaft gelten die lex specialis zur Abwesenheitspflegschaft sind.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

    8 Mal editiert, zuletzt von TL (5. März 2015 um 22:40)

  • Gut, ich habe die Antworten meiner Kollegin gezeigt.

    Der Ehemann wurde wohl zu keinem Zeitpunkt informiert über den Anfall der Erbschaft (war wohl ohnehin sowas wie eine Scheinehe).

    Es ist wohl auch so, dass man immer eine Begründung zusammenbringen kann, egal ob man sich auf den Standpunkt einer Nachlasspflegschaft oder einer Abwesenheitspflegschaft stellt, denn isoliert für sich betrachtet passt wohl beides nach dem Gesetzeswortlaut. Auch in unserem Hause gibt es unterschiedliche Meinungen. Ein Rechtspfleger des Betreuungsgerichts hätte eine Abwesenheitspflegschaft ins Leben gerufen, der andere nicht - nun fällt es aber sowieso in die Zuständigkeit des Richters.

    Ob der Betroffene nun vorverstorben ist oder ob irrtümlich für ihn ein Abwesenheitspfleger die Erbschaft ausschlägt, kommt vom Ergebnis in diesem Verfahren wohl auf dasselbe heraus, jeweils wäre dann der Fiskus der Erbe.

    Nunja, man muss jetzt warten, was die Richterin entscheidet. Lehnt sie die Abwesenheitspflegschaft ab, bleibt sowieso nur die Nachlasspflegschaft, um die seit vielen Jahren schwebende Grundstücksangelegenheit mal klären zu können. Dann wird die Nachlasspflegschaft eben auf die Grundstücksangelegenheit beschränkt, sonstiger Nachlass oder sonstige Forderungen spielen ja ohnehin seit Jahren keine Rolle mehr. Der Nachlasspfleger wird aus der Staatskasse bezahlt oder ggf. aus dem Erlös des Grundstücksverkaufs, fertig.


  • Es ist wohl auch so, dass man immer eine Begründung zusammenbringen kann, egal ob man sich auf den Standpunkt einer Nachlasspflegschaft oder einer Abwesenheitspflegschaft stellt, denn isoliert für sich betrachtet passt wohl beides nach dem Gesetzeswortlaut.

    Nein tut es nicht! Es ist ein Unterschied ob der Erbe unbekannt ist oder ob der Erbe unbekannten Aufenthaltes (bzw. abwesend) ist.

    Denn eine Abwesenheitspflegschaft nach § 1911 BGB kommt nur dann in Betracht, wenn der Volljährige abwesend ist und seine Vermögensangelegenheiten einer Fürsorge bedürfen.

    Ob aber der Abwesende überhaupt einen Vermögensanspruch in der Nachlasssache hat, hängt in erster Linie einmal davon ab, ob er den Erbfall erlebt hat. Kann man das nicht mit 100 %iger Sicherheit sagen, ist auch nicht sicher, ob es ein Fürsorgebedürfnis und damit überhaupt einen Grund für die Pflegschaft gibt.

    Daher greift der für Erbschaftsverfahren speziellere § 1960 BGB und die daraus folgende Bestellung eines Nachlasspflegers für den unbekannten Erben (wer auch immer das dann sein mag), aber eben nicht für den Erben unbekannten Aufenthaltes (nur für den könnte man eine Abwesenheitspflegschaft anordnen).

    Das ist ein kleiner aber wesentlicher Unterschied den man verstehen und kennen muss. Viele Kommentatoren sind in dem Bereich einfach ungenau bzw. formulieren ungenau, aber zum Glück können wir ja alle selber denken und die Rechtslage analysieren.

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • @Gereon und @ TL:

    Auch ich war bisher der Meinung, dass aufgrund der Anlage zu Artikel 20 des Konsularvertrags zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reich vom 28.05.1929, dort § 2 (Nachlasssicherung, Beschränkung der Rechte des Nachlassgerichts, Rechte des Konsuls bei der Nachlasssicherung), § 4 (Übernahme der Nachlassregelung durch den Konsul), § 7 (Inbesitznahme des Nachlasses), § 13 (Vertretungsbefugnis des Konsuls in Bezug auf Verfahrensbeteiligte mit türkischer Staatsangehörigkeit), in erster Linie der zuständige türkische Konsul zu beteiligen ist. ich gehe davon aus, dass lt. Sterbeurkunde der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes noch (mit dem türkischen Staatsangehörigen) verheiratet war.

    In Bezug auf den beweglichen Nachlass (auch eines deutschen Staatsangehörigen) war ich bisher -bei der Beteiligung eines türkischen Staatsangehörigen als Miterbe- der Meinung, nach § 2 der Anlage zu Artikel 20 als deutsches Nachlassgericht nicht ohne weiteres eine Nachlasspflegschaft anordnen zu können.

    Auch war ich der Meinung, dass nicht unbedingt ein Sicherungsgrund vorliegt, da ja der Konsul zur Vertretung des Verfahrensbeteiligten mit türkischer Staatsangehörigkeit berechtigt ist. Ich habe in solchen Fällen das türkische Konsulat informiert und gut war.

    In den Fällen, in denen ein deutscher Ehepartner vorhanden ist, ordne ich ja auch nicht eine Nachlasspflegschaft an, nur weil mir die Seitenverwandten des Erblassers nicht alle bekannt sind. Hier ging ich bisher davon aus, dass der vorhandene Ehegatte den Nachlass erst einmal sichert.

    Kommt jetzt im vorliegenden Fall das türkisch-deutsche Abkommen zur Anwendung?
    Sind aufgrund des Abkommens die deutschen Nachlassgerichte in ihren Möglichkeiten beschränkt?
    Muss der türkische Konsul am Nachlassverfahren beteiligt werden?

  • Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass die Erblasserin die deutsche Staatsangehörigkeit hatte? Dann dürfte der Konsularvertrag überhaupt keine Anwendung finden (§ 1 Satz 1 und auch § 13 des Konsularvertrages).

  • Artikel 20 des Konsularvertrags zwischen der türkischen Republik und dem Deutschen Reich vom 28.05.1929 lautet aber:

    In Ansehung der in dem Gebiete des einen vertragschließenden Staats befindlichen Nachlässen von Angehörigen des anderen Staates haben die Konsuln die aus der Anlage diesen Vertrages ersichtlichen Befugnisse.

    Ich habe Artikel 20 bislang -auch- so verstanden, dass der türkische Konsul die Rechte des türkischen Allein oder auch Miterben im Hinblick auf den Nachlass eines deutschen Erblassers aufgrund der Anlage zu Artikel 20 des Konsularvertrags geltend machen kann und insoweit den Konsularvertrag auch in Fällen eines deutschen Erblassers mit Beteiligung von türkischen Erben -zumindest was das Sicherungsbedürfnis bei Nachlasspflegschaften angeht- für anwendbar erachtet.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!