Würdigung der Verdienstmöglichkeiten eines Selbstständigen (850i ZPO)

  • Ich habe einen Freigabeantrag eines Selbstständigen gemäß § 850i ZPO vorliegen, dessen Vergütung beim Auftraggeber gepfändet ist. Für zwei Rechnungen soll nun die Freigabe erfolgen, damit der Selbstständige seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Im Rahmen des 850i ZPO habe ich bei der Bemessung des Freibetrages die sonstigen Verdienstmöglichkeiten des Schuldners zu würdigen. In meinem Fall ist es so, dass der Schuldner unregelmäßig und wenige Aufträge annimmt, um augenscheinlich den pfandfreien Betrag analog 850c ZPO nicht zu überschreiten und so zu verhindern, das Geld an den Gläubiger fließt. Wenn weitere Verdienstmöglichkeiten vorliegen, der Schuldner diese aber nicht in Anspruch nimmt, kann ich dann den Freigabeantrag zurückweisen ?

  • Gibts dazu Quellen aus denen sich das herauslesen läßt ? "Verdienstmöglichkeit" im Sprachgebrauch ist doch nicht der tatsächlich anderweitige Verdienst sondern eben die Möglichkeit weitere Tätigkeiten ausüben zu können. Arbeitet ein Schuldner zum Beispiel nur 10 Tage im Monat und lehnt weitergehende Aufträge ab, dann hat er eine weitere Verdienstmöglichkeit nicht wahrgenommen. Das habe ich nicht zu berücksichtigen ?

  • Ich lese im Gesetz auch die Verdienstmöglichkeit. Ich hätte kein Problem damit, einen Antrag zurückzuweisen, wenn der Schuldner gerade nur so viel verdienen mag, damit er nichts an die Gläubigerseite abführen muss. Eine solche Ermessensentscheidung ist halt gut zu begründen: Beruf des Schuldners, allgemeine Verdienstmöglichkeiten in diesem Beruf, evtl. persönliche Gründe für geringere oder höhere Verdienstmöglichkeiten (z. B. Schuldner alleinerziehend mit kleinen Kindern o. ä). Der Schuldner ist auch darlegungspflichtig: Er muss darlegen, inwieweit eben keine guten Verdienstmöglichkeiten bestehen. Im Rahmen der Anhörung würde ich da nochmal konkret nachfragen, falls er sich noch nicht dazu geäußert hat.

    Ich sehe § 850 i ZPO eh sehr restriktiv und würde es auf ein Rechtsmittel ankommen lassen. Der ganze § 850 i ZPO ist ähnlich schwammig und gummimäßig wie § 765 a ZPO: Grundsätzlich eher Ausnahmecharakter mit einzelfallmäßiger Ermessensentscheidung. Da müssen mir die Schuldner schon gut vortragen und belegen können, damit ich ihren Anträgen entspreche.
    Ausnahme sind natürlich so Standardfälle wie kleine Abfindungen ,welche auf HartzIV anzurechnen wären.

  • Auf die Idee bin ich noch nie gekommen (aber ein Gedanke, dem zu folgen interessant sein könnte...).

    Nur: wie ist das mit einem Schuldner, der ohne Notwendigkeit einen 400-Euro-Job ausübt? Ein Akademiker, der bei Aldi an der Kasse sitzt? Dem rechne ich ja auch nicht an, was er verdienen könnte. Wenn ein Schuldner der Meinung ist, dass ihm 900 Euro im Monat zum Leben genügen und er in seiner Mehrfreizeit lieber seinem Goldhamster beim Wachsen zuschaut, ist das eben so. Das Problem bei den Selbständigen ist dann doch eher, dass die dann doch still und heimlich noch nebenbei Geld einstecken, von dem mein Beschluss nichts weiß. Rechne ich jedoch Geld an, das er verdienen könnteund gebe das Gepfändete komplett dem Gläubiger, würde ich den Schuldner zum Arbeiten zwingen (was ja mal nicht schlecht wäre, jedoch leider nicht zulässig ist). Oder hab ich da einen Knoten in meinen Gedanken:confused:?

  • Wenn weitere Verdienstmöglichkeiten vorliegen, der Schuldner diese aber nicht in Anspruch nimmt, kann ich dann den Freigabeantrag zurückweisen ?

    Das darf uns nicht interessieren. Unsere Aufgabe ist lediglich zu entscheiden, ob und wieviel von dem tatsächlichen Einkommen der Schuldner für seinen Lebensunterhalt beenötigt.

    Wir (Rpflg) sollten uns nie die Aufgaben von Tim Bendzko zu eigen machen!!!

  • Ich danke Euch / Ihnen für die Gedanken zu diesem Thema und werde nun das Ganze anders umschiffen. Der Gläubiger hat zu dem Antrag umfassend und glaubwürdig unter Darlegung und Glaubhaftmachung diverser Unstimmigkeiten Stellung genommen, woraufhin ich den Schuldner heute zu einem Gespräch bei mir hatte, um die offenen Fragen zu klären und hinsichtlich der gegen ihn erhobenen Vorwürfe (Unterschlagung, Schwarzarbeit, weitere Konten etc.) Stellung zu nehmen. Ich habe insoweit eine eidesstattliche Versicherung dahingehend verlangt, dass seine Angaben richtig sind und der Schuldner hat sich geweigert diese abzugeben. Er hat auch das Gesprächsprotokoll nicht unterschrieben. Damit sind für mich seine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht ausreichend glaubhaft gemacht und ich weise den Antrag vollumfänglich zurück. Hat jemand Bedenken insoweit ?

    P.S. Wer ist Tim Bendzko ? ;)

  • Ich danke Euch / Ihnen für die Gedanken zu diesem Thema und werde nun das Ganze anders umschiffen. Der Gläubiger hat zu dem Antrag umfassend und glaubwürdig unter Darlegung und Glaubhaftmachung diverser Unstimmigkeiten Stellung genommen, woraufhin ich den Schuldner heute zu einem Gespräch bei mir hatte, um die offenen Fragen zu klären und hinsichtlich der gegen ihn erhobenen Vorwürfe (Unterschlagung, Schwarzarbeit, weitere Konten etc.) Stellung zu nehmen. Ich habe insoweit eine eidesstattliche Versicherung dahingehend verlangt, dass seine Angaben richtig sind und der Schuldner hat sich geweigert diese abzugeben. Er hat auch das Gesprächsprotokoll nicht unterschrieben. Damit sind für mich seine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht ausreichend glaubhaft gemacht und ich weise den Antrag vollumfänglich zurück. Hat jemand Bedenken insoweit ?

    Ich habe den Sinn dieses "Gesprächs", das offenbar nach vorheriger einseitiger Festlegung darauf, den Gläubigervortrag als zutreffend zu unterstellen, zu Ausforschungszwecken für den Gläubiger und zu Rechtfertigungszwecken für den Schuldner dienen sollte, nicht verstanden. Für die Bekämpfung der Schwarzarbeit ist die M-Abteilung unzuständig, und auch sonst hat sich mir der Kontext zu § 850i ZPO noch nicht recht erschlossen.

    Wurden zu diesem "Gespräch" alle Formalien der §§ 214 ff ZPO eingehalten sowie auch die Vorschriften über die Öffentlichkeit?

    Wurde der Schuldner darauf hingewiesen, dass es keine Anordnung der eV v.A.w. gibt (siehe § 294 Abs. 1 ZPO)?

    Wurde der Schuldner darauf hingewiesen, dass er nicht verpflichtet ist, das Protokoll zu unterschreiben, § 163 Abs. 1 ZPO (und insofern auch keine negativen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können und dürfen, wenn er nicht unterschreibt)?

    Wenn man sowas durchzieht, dann bitte auch unter Beachtung der ZPO und nicht im Freestyle-Verfahren.

  • #11 verstehe ich nicht ganz.

    Sicherlich ist das Gericht nicht dazu da, denn Schuldner vorzuführen und ihm im Rahmen einer peinlichen Befragung ähnlich der Inquisition irgendewelche Geständnisse auszuquetschen, nur damit der Gläubiger sich einen Vorteil für die Vollstreckung verschafft.

    Aber wenn der Schuldner einen Antrag nach § 850 i ZPO stellt, muss er diesen Antrag begründen und glaubhaft machen. Im Rahmen der Glaubhaftmachung kann er für vieles Belege vorlegen. Aber für den Vortrag, dass er nicht noch weitere Aufträge oder weitere Konten habe, gibt es keinen geeigneten Beleg. Da hilft nur die eidesstattliche Versicherung. Wenn der Schuldner dann die Niederschrift nicht unterschreibt und seine Angaben auch nicht eidesstattlich versichern möchte, hat er seinen Antrag halt nicht glaubhaft gemacht. Dann kann man nur zurückweisen.

    Wenn ein Schuldner bei mir auf der RASt einen Antrag stellt, gibt es auch immer ein Gesprächsprotokoll, dass der Schuldner unterschreibt, weil darin ja auch sein Antrag enthalten ist. In den meisten Fällen muss er die Angaben auch eidesstattlich versichern, z. B. dass er kein P-Konto hat o. ä. Aber da belehre ich nie über Formalien der ZPO. Soweit kommt´s noch.

  • Zitat

    Ich habe den Sinn dieses "Gesprächs", das offenbar nach vorheriger einseitiger Festlegung darauf, den Gläubigervortrag als zutreffend zu unterstellen, zu Ausforschungszwecken für den Gläubiger und zu Rechtfertigungszwecken für den Schuldner dienen sollte, nicht verstanden. Für die Bekämpfung der Schwarzarbeit ist die M-Abteilung unzuständig, und auch sonst hat sich mir der Kontext zu § 850i ZPO noch nicht recht erschlossen.

    Wurden zu diesem "Gespräch" alle Formalien der §§ 214 ff ZPO eingehalten sowie auch die Vorschriften über die Öffentlichkeit?

    Wurde der Schuldner darauf hingewiesen, dass es keine Anordnung der eV v.A.w. gibt (siehe § 294 Abs. 1 ZPO)?

    Wurde der Schuldner darauf hingewiesen, dass er nicht verpflichtet ist, das Protokoll zu unterschreiben, § 163 Abs. 1 ZPO (und insofern auch keine negativen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können und dürfen, wenn er nicht unterschreibt)?

    Wenn man sowas durchzieht, dann bitte auch unter Beachtung der ZPO und nicht im Freestyle-Verfahren.

    Es geht nicht darum einen Schwarzarbeiter auffliegen zu lassen und erst recht nicht habe ich mich einseitig darauf festgelegt, der Gläubigervortrag sei zutreffend. Selbstredend habe ich die eV nur angeboten und nicht angeordnet, aber danke für die Aufklärung insoweit. Der Kontext zum 850i ist doch sehr einleuchtend: Ich habe die Einkommenssituation des Selbstständigen zu würdigen und aufgrund dieser den Betrag zu ermitteln, welchen ich freigeben kann. Und wenn ein Schuldner angibt, keinen weiteren Tätigkeiten nachzugehen und keinen weiteren Verdienst zu haben, der Gläubiger aber unter Benennung von Zeugen das Gegenteil behauptet, dann kann der Schuldner seine Glaubwürdigkeit nur dadurch stärken, dass er seine Angaben an Eides statt versichert. Tut er das nicht, fehlt es eben an der Glaubhaftmachung und ich weise zurück. Soviel zum Kontext, der sich nun vielleicht ja doch erschließt.

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