fiktive Miete berücksichtigen

  • Hallo,

    ich habe einen Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vorliegen. Normale Forderung. Gläubiger ist eine XY Wohnen GmbH. Gepfändet soll der Arbeitslohn werden.

    Der Gläubiger beantragt den fiktiven Mietanteil des Schuldners bei Berechnung des monatl. Pfändungsbetrages zu berücksichtigen. Er hat auf Seite 8 eine Anordnung aufgenommen, die sagt, dass der Arbeitgeber zu dem errechneten mtl. Nettoeinkommen ein fiktiver Betrag von 356,85 EUR hinzugerechnet und dann der pfändbare Betrag der Tabelle entnommen werden soll . Im Vermögensverzeichnis vom Dez 2021 habe der Schu angegeben, dass er keine Miete zahlt. Da der Gesetzgeber bei der Pfändungsfreigrenze eine Kaltmiete berücksichtigt habe, ist der Schu so zu behandeln, als stünde ihm mtl. ein Betrag von 356,85 EUR zusätzlich zur Verfügung.

    Ich habe um DArlegung der Zulässigkeit gebeten. Da hat der Gläubiger mir einen Auszug aus Vollstreckung Effektiv gesandt. Dort wird ein AG Tostedt aus 2020 zitiert.

    Naja.

    Habt ihr so was schon mal gehabt?


    Vielen Dank schon mal.

  • Die Ansicht ist mE. vertretbar. Es haben schon einige Gerichte so entschieden und seit VE darüber berichtet hat, kommen vermehrt auch Anträge. Du musst dir eine Meinung dazu bilden. Es ist beides nicht richtig und nicht falsch. Nur gut begründet werden muss es.

    Die Benutzung der Forensuche ist gebührenfrei und verursacht keine körperlichen Schmerzen!

    Zum Zeitpunkt des Postens war ich all meiner 5 Sinne (Stumpfsinn, Schwachsinn, Wahnsinn, Irrsinn und Unsinn) mächtig.

  • Hatte ich erst neulich beim LG, weil mir ein Gläubiger nicht geglaubt hat, dass das wirklich nicht geht. Beschwerde wurde verworfen.....

    Für die gewünschte Anpassung gibt es schlicht keine Rechtsgrundlage. Der BGH hat ja vor einiger Zeit entschieden, dass ich die Beträge nach § 850c ZPO nur mit entsprechender gesetzlicher Grundlage unterschreiten darf (z.B. § 850d ZPO). Die Ansicht dieses Amtsgerichts stellt eine Mindermeinung dar, die dem Zweck des § 850c ZPO zuwiderläuft. Der Gesetzgeber hat sich ja bewusst für Pauschalbeträge entschieden und sehr begrenzt Möglichkeiten geschaffen, den unpfändbaren Betrag zum Nachteil des Schuldners modifizieren. Nur weil der Gesetzgeber 2012 (?) mal erklärt hat, welche Wohnkosten er bei Bemessung des unpfändbaren Grundbetrags mitberücksichtigt hat, heißt das noch lange nicht, dass man im Jahr 2022 die Beträge, die vor ungefähr 10 Jahren mal als Berechnungsgrundlage herangezogen wurden, zum Lohn dazurechnen kann.

  • zudem hat sich der BGH mehrfach zu dem Thema positioniert, so dass ich, der Rechtsauffassung des BGH widersprechende, Entscheidungen von Untergerichten grenzwertig finde.

    Zumindest dann, wenn sich nicht mit der Rechtsprechung des BGH auseinandergesetzt wird.
    Wenn man sich mit der Rechtsprechung des BGH intensiv auseinandersetzt und begründet weshalb man sie nicht teilt, ist es m.E. vollkommen legitim von ihr abzuweichen (das gilt insbesondere wenn man Argumente hat die der BGH womöglich übersehen oder nicht gewürdigt hat).

    Die Ansicht ist mE. vertretbar.


    Da bin ich wie auch aus dem oben verlinkten Thread ersichtlich komplett anderer Meinung. Ich halte die Anordnung mangels gesetzlicher Grundlage (und in Kombination der ablehnenden Rechtsprechung des BGH) für unvertretbar.

    Es haben schon einige Gerichte so entschieden und seit VE darüber berichtet hat, kommen vermehrt auch Anträge.


    Interessant zu wissen. Ich hatte hier tatsächlich noch keinen solchen Antrag.
    Mal schauen, ob noch was kommt.

  • Ich halte die Anordnung mangels gesetzlicher Grundlage (und in Kombination der ablehnenden Rechtsprechung des BGH) für unvertretbar.

    Ich auch. Die Verfechter dieser Ansicht müßten ja dann konsequenterweise auch den Mietanteil erhöhen, wenn der Schuldner z. B. eine immens hohe Kaltmiete von 2.000,- EUR hat...

    §§ 36b II 2, 5 III 1 RPflG: Die vorgelegten Sachen bearbeitet der Rechtspfleger, solange er es für erforderlich hält.

  • Ich halte die Anordnung mangels gesetzlicher Grundlage (und in Kombination der ablehnenden Rechtsprechung des BGH) für unvertretbar.

    Ich auch.

    Da schließe ich mich wegen der fehlenden gesetzlichen Grundlage an.

    Die Verfechter dieser Ansicht müßten ja dann konsequenterweise auch den Mietanteil erhöhen, wenn der Schuldner z. B. eine immens hohe Kaltmiete von 2.000,- EUR hat...

    Das ist aus meiner Sicht allerdings kein zwingender Umkehrschluss.
    Im Betrag nach § 850c ZPO ist ein bestimmter Mietanteil enthalten. Wenn der Schuldner sich eine wesentlich teuere Wohnung leistet, ist es sein Problem.

    Anders stellt sich die Sachlage dar, wenn er gar keine Wohnkosten hat (oder niedrigere) und er somit den entsprechenden Teil des pfändungsfreien Betrages zur beliebigen Verwendung erhält. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass das gegenüber d. Gläubiger/n ungerechtfertigt ist.

    Im Rahmen des § 850d ZPO kann der pfändungsfreie Betrag ohne Wohnkosten festgesetzt werden, wenn der Gläubiger das Fehlen von Wohnkosten beim Schuldner glaubhaft macht (Vermögensverzeichnis).

    Es wäre daher nachvollziehbar, wenn der Gesetzgeber diese Möglichkeit auch für Pfändungen nach § 850c ZPO eröffnen würde.


  • Die Verfechter dieser Ansicht müßten ja dann konsequenterweise auch den Mietanteil erhöhen, wenn der Schuldner z. B. eine immens hohe Kaltmiete von 2.000,- EUR hat...

    Das Beispiel greift auch m.E. nicht so gut, weil dies ja nach §850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO (auf Antrag des Schuldners) sogar möglich wäre. Für eine einzelfallbezogene Erhöhung des Freibetrages besteht insoweit gesetzliche Grundlage.


  • Die Verfechter dieser Ansicht müßten ja dann konsequenterweise auch den Mietanteil erhöhen, wenn der Schuldner z. B. eine immens hohe Kaltmiete von 2.000,- EUR hat...

    Das Beispiel greift auch m.E. nicht so gut, weil dies ja nach §850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO (auf Antrag des Schuldners) sogar möglich wäre. Für eine einzelfallbezogene Erhöhung des Freibetrages besteht insoweit gesetzliche Grundlage.

    ... und die gesetzliche Grundlage für eine Verringerung des Freibetrages bei normalen Pfändungen (§ 850c ZPO) hat man anscheinend vergessen (?).


  • ... und die gesetzliche Grundlage für eine Verringerung des Freibetrages bei normalen Pfändungen (§ 850c ZPO) hat man anscheinend vergessen (?).

    Das glaube ich nicht. Wegen der Pauschalisierung des §850c ZPO dürfte es diese bewusst nicht geben.


    Im Rahmen des § 850d ZPO kann der pfändungsfreie Betrag ohne Wohnkosten festgesetzt werden, wenn der Gläubiger das Fehlen von Wohnkosten beim Schuldner glaubhaft macht (Vermögensverzeichnis).

    Das ist schlüssige Folge aus der Privilegierung. Nach §850d ZPO wird der Bedarf des Schuldners ja ohnehin einzelfallbezogen und nicht pauschalisiert bestimmt.
    Daher ist dem Schuldner auch nur soviel Geld für Miete zu belassen wie er konkret dafür zu zahlen hat (was natürlich nur geschehen kann, wenn dies substantiiert dargelegt ist).

    Es wäre daher nachvollziehbar, wenn der Gesetzgeber diese Möglichkeit auch für Pfändungen nach § 850c ZPO eröffnen würde.

    Das wäre natürlich möglich, würde aber wenn man es konsequent durchdenkt Sinn und Zweck der Pauschalisierung des §850c ZPO unterminieren.
    Das wäre m.E. ganz und gar nicht zu begrüßen.
    Zumal man dann die Privilegierung des §850d ZPO zumindest teilweise sinnentleeren würden. Wenn man immer auf den konkreten Bedarf des Schuldners abstellen würde, gäbe es keine Privilegierung mehr.


  • ... und die gesetzliche Grundlage für eine Verringerung des Freibetrages bei normalen Pfändungen (§ 850c ZPO) hat man anscheinend vergessen (?).

    Das glaube ich nicht. Wegen der Pauschalisierung des §850c ZPO dürfte es diese bewusst nicht geben.

    Dann sollte es die von dir genannte Möglichkeit der Erhöhung/Anpassung an die tatsächlichen Wohnkosten nach §850f Abs. 1 Nr. 2 ZPO eigentlich auch nicht geben. Es kann ja eigentlich nicht sein, dass eine Beantragung nur durch den Schuldner zu seinen Gunsten möglich ist.

    Bei Abschaffung der Antragsmöglichkeit wäre es dann halt das Problem des Schuldners, wenn er in einer unangemessen großen und damit zu teuren Wohnung lebt. (Ja, ich weiß, in vielen Gegenden sind auch die Mieten für kleine Wohnungen immens.)

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!