Testament im Altpapier - Widerruf i.S.v. § 2255 BGB ?

  • Hallo.

    Immer, wenn man denkt, man hätte alles schon erlebt ...

    Folgender Sachverhalt :

    Nach Aussagen der gesetzlichen Erbin fanden sich im Altpapier zwischen Baumarktprospekten mehrere (nicht zerknitterte oder zerrissene) Testamente, das letzte aus dem Jahre 2011 zugunsten einer Freundin der Erblasserin, an.

    Die gesetzliche Alleinerbin (Schwester) hatte zuvor bereits einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge beantragt; dem Antrag konnte wegen fehlender Urkunden noch nicht stattgegeben werden.

    Auch, wenn es im Streitfall auf eine Richterzuständigkeit hinauslaufen dürfte (§ 19 II RpflG i.V.m. der landesrechtlichen Übertragungsverordnung):

    Seht ihr in dem Einlegen einer letztwilligen Verfügung in ein abgelaufenes Baumarktprospekt (das Prospekt war bei Erbfall ca. 3 Monate alt) "beim Altpapier" einen hinreichenden Widerruf i.S.v. § 2255 BGB ?

    Nach Müko-BGB Rdn. 7 zu § 2255 BGB stellt das "Wegwerfen in den Papierkorb" (allein) keinen wirksamen Widerruf dar, da kein Eingriff in die Substanz der letztwilligen Verfügung vorliegt.

    the bishop :kardinal:

    NOBODY expects the spanish inquisition !

  • vielleicht wollte sie das Testament ja auch schonen und hat es deshalb in den Prospekt eingelegt und irrtümlich weggeworfen... Zum Glück nicht dein Ding.

  • Du weißt ja nicht, WER das Testament zwischen das Altpapier gesteckt hat. Deshalb kannst du nicht sicher sein, dass das zwingend die Erblasserin war - auch wenn das am Wahrscheinlichsten sein wird. Denn wenn ein potentieller Erbe das Testament vernichten wollte, hätte er es bestimmt wo anders entsorgt (es sei denn, er ist richtig doof).
    Die Variante von Mr.T ist natürlich auch nicht von der Hand zu weisen.

  • Bei unzerknittertem Wegwerfen ist zu differenzieren: Ein in den Papierkorb Werfen, aus dem es jederzeit unbeschädigt herausgenommen werden kann, ist einer Vernichtung nicht gleichzusetzen (ebenso Lange/Kuchinke § 23 II 2 Fn 42); anders nur, wenn sich in dem Abfallbehälter Stoffe oder Flüssigkeiten befinden, die eine Veränderung an der Urkunde herbeiführen. Verliert der Erblasser durch das Wegwerfen die Verfügungsgewalt und ist nach gewöhnlichem Geschehensablauf mit einer Vernichtung durch Dritte zu rechnen (Wegwerfen in Müllcontainer usw), indem der Erblasser sich mit Absicht der Entsorgungsunternehmen bedient (Soergel/Mayer Rn 4), so stellt das Wegwerfen auch ohne körperliche Veränderung an der Urkunde eine Vernichtungshandlung dar (ähnlich Reimann/Bengel/Mayer/Voit Rn 8).

    In soweit kann man m.E. noch von einer Wirksamkeit des Testamentes ausgehen...aber dass das Streit zwischen den verschiedenen Erbanwärtern geben wird ist wohl auch klar...und damit kommen wir zur Nachlasspflegschaft (zur Sicherung und Verwaltung des Nachlasses) bis geklärt ist, wer letztlich Erbe wird. Dafür ist "the bishop" als Rechtspfleger dann wieder (doch) zuständig.:D

    -------------------------:aktenEine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Verwirklichung von vorn herein ausgeschlossen erschien. (Albert Einstein):gruebel: ------------------------------------

    Nachlass-Kanzlei / Büro für gerichtliche Pflegschaften / Nachlasspflegschaften, Nachlassverwaltungen, Testamentsvollstreckungen, Nachlassbetreuungen /
    Nachlasspfleger Thomas Lauk - http://www.thomaslauk.de

  • Was konkret heißt denn "im Altpapier" in deinem Fall (Papiertonne/-sack/-korb o. ä.)?

    Auszugehen ist hier wohl eher von einer bewussten Vernichtung durch die Erblasserin.

    Zum einen handelt es sich um mehrere Testamente, so dass ein versehentliches Wegwerfen wohl eher unwahrscheinlich ist. Zum anderen hätte außer der Erblasserin nur die gesetzliche Alleinerbin ein Interesse daran haben können, dass die Testamente verschwinden. Nur diese hat dem Gericht ja gerade mitgeteilt, dass es diese Testamente (noch) gibt. Und die Erblasserin ging mutmaßlich davon aus, dass das Werfen ins Altpapier zur Vernichtung führt.

  • Wenn ich der gewillkürte Erbe wäre, würde ich schon die Auffindesituation, so wie sie von der Schwester (gesetzlichen Erbin) beschrieben wurde, mit Nichtwissen bestreiten und damit zunächst mich einmal auf ein formwirksam vorhandenes Testament berufen, welches sich jetzt in den Nachlassakten befindet. Für die Schwester dürfte es schwer werden, den Widerruf alleine durch die Auffindesituation zu begründen, denn wer sagt denn, dass es wirklich die Erblasserin war, die das Testament dort abgelegt hat und wenn ja, wer sagt denn, dass sie es nicht versehentlich (also ohne Widerrufsabsicht) so abgelegt hat?

    Das gibt 100 %ig Streit....aber so ist das eben bei privatschriftlichen Verfügungen. Hochachtung vor der Schwester, dass Sie das Testament "gefunden" hat....

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  • Da stellen sich doch noch die Fragen :
    Wer hat die Testamente gefunden und warum wurde das Altpapier durchsucht ?
    Eventuell wußte jemand ,dass es mal ein oder mehrere Testamente gegenben hat und hat gezielt danach gesucht.

    Weiterhin ist ja nicht mal sicher ,ob sich die Testamente tatsächlich im Altpapier befunden haben.

  • § 2255 BGB sagt: Ein Testament kann auch dadurch widerrufen werden, dass der Erblasser in der Absicht es aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr Veränderungen vornimmt, durch die der Wille eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, ausgedrückt zu werden pflegt.

    Es muss bewiesen werden, dass der Erblasser tätig geworden ist. :confused:

    Vernichtet ist die Urkunde nicht geworden :confused:

    Veränderungen sind augenscheinlich nicht vorgenommen worden :confused:

    Augenscheinlich kann man doch nicht einfach davon ausgehen, dass das Testament widerrufen wurde. Es ist doch noch unverändert körperlich da.

    Der Rest (Veränderung durch den Erblasser dadurch, dass es ins Altpapier gewandert ist) müsste doch erst noch bewiesen werden.

    Anmerkung zu TL:
    Offensichtlich hat der Erblasser die Verfügungsgewalt noch nicht verloren, ansonsten wäre das Testament nicht mehr da. Vielmehr hat der Erblasser -sofern er es war- das Testament "zum Altpapier gelegt", um es beim nächsten Mal dem Entsorger mitzugeben. Insofern dürfte -unter der Voraussetzung, dass der Erblasser es tatsächlich war, der das Testament zum Altpapier gelegt hat- ein Widerruf noch nicht vorliegen.

  • @Voltaire: Offenbar hatte ich mich unklar ausgedrückt: Ich würde das Testament als wirksam ansehen....insbesondere wenn ich der gewillkürte Erbe wäre :)

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  • @ TL: War keine Kritik. Wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich zu Deiner Fundstelle im Staudinger so meine Bedenken habe, ob es tatsächlich der Erblasser war bzw. ob das Verbringen "zum Altpapier" im Sinne der Ausführungen im Staudinger zum Verbringen zum Entsorgungsunternehmen ausreichend war. Ich als Nachlassgericht würde es ähnlich sehen wie Du, zumindest bis das Gegenteil bewiesen ist (was schwer zu beweisen sein wird).

  • Danke für eure Meinungen. Mittlerweile hat mein Vertreter den Erbscheinsantrag des Testamentserben in meiner Urlaubsabwesenheit beurkundet und vorerst keine Nachlasspflegschaft eingerichtet (auf eigene Entscheidung - wir haben hierüber per Whatsapp diskutiert). Der Vorgang liegt nun beim Richter. Ich werde berichten...

    the bishop :kardinal:

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  • Da stellen sich doch noch die Fragen :
    Wer hat die Testamente gefunden und warum wurde das Altpapier durchsucht ?
    Eventuell wußte jemand ,dass es mal ein oder mehrere Testamente gegenben hat und hat gezielt danach gesucht.

    Weiterhin ist ja nicht mal sicher ,ob sich die Testamente tatsächlich im Altpapier befunden haben.

    Es lag bereits ein Erbscheinsantrag nach ges. Erbfolge vor. Auf ausdrücklichen Hinweis Dritter auf das Vorhandensein einer letztwilligen Verfügung und deren Inhalt erfolgte eine Aufforderung zur Stellungnahme an die ges. Erbin, die daraufhin noch einmal genauer geforscht und die Testamente nach eigenem Sachvortrag wie berichtet im Beisein von Zeugen so aufgefunden haben will.

    P.S. Sorry für die späte Antwort, bin derzeit und noch bis einschl. nächste Woche urlaubsabwesend...

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  • Denn wenn ein potentieller Erbe das Testament vernichten wollte, hätte er es bestimmt wo anders entsorgt (es sei denn, er ist richtig doof).

    Das "Herstellen" der Auffindesituation und dann noch mit Zeugen würde ich nicht als doof ansehen...

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  • Hans. OLG : Beschluss vom 17.02.2015 zu 2 W 15/15 :

    Der ... angegebene Auffindeort hat keine Bedeutung für die Wirksamkeit der Testamente. Ein Testament ist gemäß § 2255 BGB erst dann widerrufen, wenn es vom Erblasser in der Absicht, es aufzuheben, vernichtet worden ist. Vorliegend hat der Erblasser seine Testamente aber nicht selbst vernichtet. Selbst wenn er diese Absicht gehabt haben sollte, hat er sie nicht umgesetzt, so dass es weiterhin bei der Wirksamkeit dieser ... Testamente verbleibt.


    Gegen einen Vernichtungswillen des Erblassers spricht ... [hier geht es eher um die Frage der Testierfähigkeit].

    Ich finde, der Vorgäng wäre veröffentlichungswürdig - Kennt sich da jemand mit aus ? Ich würde die Ehre, die Veröffentlichung veranlasst zu haben, nicht für mich beanspruchen - falls jemand sich also berufen fühlt...

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  • Schön, dass man in Hamburg meiner Ansicht ist :D

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  • Hans. OLG : Beschluss vom 17.02.2015 zu 2 W 15/15 :

    Der ... angegebene Auffindeort hat keine Bedeutung für die Wirksamkeit der Testamente. Ein Testament ist gemäß § 2255 B

    Ich finde, der Vorgäng wäre veröffentlichungswürdig - Kennt sich da jemand mit aus ? Ich würde die Ehre, die Veröffentlichung veranlasst zu haben, nicht für mich beanspruchen - falls jemand sich also berufen fühlt...

    Vielleicht erst mit dem Senat -Berichterstatter- abklären, ob es sich nicht nur um eine Einzelfallentscheidung handelt und ob der Senat vielleicht selbst veröffentlichen möchte.

    Hier im tiefen Süden sehen es die Senate nicht gerne, wenn man Einzelfallentscheidungen einfach so veröffentlicht.

  • Wenn nicht nur ein Leitsatz sondern die gesamte Begründung mit veröffentlicht wird, sehe ich eigentlich kein Problem....und ob ein OLG es gerne sieht oder nicht, dass seine Entscheidung veröffentlicht wird, halte ich für unbeachtlich, denn das kann nicht sein, dass das OLG darüber entscheidet was veröffentlicht wird und was nicht. So läuft das nicht.

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  • Hans. OLG : Beschluss vom 17.02.2015 zu 2 W 15/15 :

    Der ... angegebene Auffindeort hat keine Bedeutung für die Wirksamkeit der Testamente. Ein Testament ist gemäß § 2255 B

    Ich finde, der Vorgäng wäre veröffentlichungswürdig - Kennt sich da jemand mit aus ? Ich würde die Ehre, die Veröffentlichung veranlasst zu haben, nicht für mich beanspruchen - falls jemand sich also berufen fühlt...

    Vielleicht erst mit dem Senat -Berichterstatter- abklären, ob es sich nicht nur um eine Einzelfallentscheidung handelt und ob der Senat vielleicht selbst veröffentlichen möchte.

    Hier im tiefen Süden sehen es die Senate nicht gerne, wenn man Einzelfallentscheidungen einfach so veröffentlicht.

    Ist das vielleicht der Grund dafür, dass wir - obwohl mehrmals nachgefragt - bis heute auf die vollständige Entscheidungsbegründung warten, mit welcher das OLG Stuttgart die Bestellung eines Verfahrenspflegers im Vergütungsverfahren (Nachlasspflegervergütung) für ausreichend erachtet hat?

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