§ 765a ZPO durch Insolvenzschuldner

  • Weil man beide Meinungen vertreten kann?
    Trotzdem muss die ein Antragsrecht verneinende Meinung amtswegig einen effektiven Grundrechtsschutz zu Gunsten des Insolvenzzschuldners auf die Beine stellen. Ich unterstelle einfach mal, dass das unstreitig ist und bin gespannt auf praktikable Lösungsvorschläge, wenn man nicht wie von mir damals in den Raum gestellt wegen teilweiser Verfassungswidrigkeit des § 765a ZPO dem Richter vorlegen will.

  • Ich verstehe die Argumente jetzt nicht ganz. Allgemein wird zu § 765a ZPO immer gesagt, dass er als Ausnahmevorschrift nur unter strengen Voraussetzungen anzuwenden ist. Die sittenwidrige Härte muss den Schuldner selbst betreffen. Schuldner in diesem Sinne ist aber der Insolvenzverwalter. Der Gemeinschuldner ist grundsätzlich nicht am Verfahren beteiligt, sondern nur Dritter. Auf ihn kann es nicht ankommen.

  • Hm. Nach dieser Konstellation würdest du das Verfahren auf Antrag des InsO-Verwalter einstellen, wenn sich dieser das Leben nehmen will ?
    Das kanns doch aber nicht sein.



    Das kann es wirklich nicht sein. Aber so labil sollte ein Insolvenzverwalter nicht sein, dass er, nur weil ein Absonderungsberechtigter in seine Masse vollstreckt, suizidal wird... Er könnte aber im Hinblick auf die Erhaltung der Masse z. B. einen Schutzantrag wegen Verschleuderung stellen. Ich habe jetzt leider die Entscheidungen des LG Köln (KTS 1968, 59) und des AG Hannover (Rpfleger 1987, 166) nicht zur Hand (vgl. Stöber, 17. Aufl., Einl. 53.1).

  • Die sittenwidrige Härte muss den Schuldner selbst betreffen. Schuldner in diesem Sinne ist aber der Insolvenzverwalter. Der Gemeinschuldner ist grundsätzlich nicht am Verfahren beteiligt, sondern nur Dritter. Auf ihn kann es nicht ankommen.


    Das kann aber z. B. auch der Fall sein, wenn vorgetragen wird, der Hund des Schuldner habe Krebs oder die Tante der Schuldnerehefrau müsse wegen Oderhochwasser in die Wohnung aufgenommen werden. Bei Dritten zu besorgende Grundrechtseingriffe können durchaus auf den Rechtsbereich des Verfahrensschuldners ausstrahlen.
    In diesem Sinne ist m. E. der Insolvenzschuldner auch dem Insolvenzverwalter rechtlich sehr nahe stehend, insbesondere weil dieser qua Amt faktisch nur wirtschaftliche Rechtspositionen des Schuldners wahren wird. Er wird ja nicht als Streetworker bezahlt.

    Das kann (und vielleicht muss) man wegen der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift auch verwerfen, aber dann muss man sich wieder Gedanken machen, ob entweder der Insolvenzschuldner anders geschützt werden kann (Einstweilige Entscheidung des Prozessgerichtes gegen Gläubiger oder Insolvenzverwalter?) oder § 765a ZPO in diesem Bereich verfassungswidrig ist, weil die Versteigerung unter Anwendung des Gesetzes unverhältnismäßig ohne Rücksicht auf Leib und Leben eines unmittelbar betroffenen Bürgers durchzuführen wäre.

  • Die Stelle, die ich meine, ist die die selbe wie hiro: Rdnr. 18 der Entscheidung.
    @ jörg: Es gibt aber eine Entscheidung des BGH, die sagt, dass auch Belange Dritter - naher Angehöriger, im Rahmen des § 765 a ZPO beachtlich sind.

    Lasst ja die Kinder viel lachen, sonst werden sie böse im Alter. Kinder, die viel lachen, kämpfen auf der Seite der Engel.
    Hrabanus Maurus


    Nach manchen Gesprächen mit einem Menschen hat man das Verlangen, eine Katze zu streicheln, einem Affen zuzunicken oder vor einem Elefanten den Hut zu ziehen.
    Maxim Gorki



  • Rdnr. 18 der Entscheidung hat mit der hier diskutierten Problematik absolut nichts zu tun. Deshalb sollten einzelne Ausführungen darin nicht aus ihrem Kontext gerissen und mit einer Bedeutung versehen werden, die sie nicht haben.

    Im einzelnen:
    Nr. 18 enthält den Unterpunkt a) des Punktes 2. der Beschlußbegründung. Darin stellt der BGH die Überlegung an, ob § 765a ZPO in einem Insolvenzverfahren Anwendung finden kann (Eingangssatz) und kommt zu dem Ergebnis, daß dies der Fall ist (Schluß). Hintergrund dieser Überlegungen ist die Problematik, daß es sich bei dem § 765a ZPO um eine Vorschrift aus der Einzelzwangsvollstreckung handelt und derartige Vorschriften im Gesamtvollstreckungsverfahren größtenteils unanwendbar sind. In diesem Zusammenhang äußert der BGH zur Begründung einer entsprechenden Anwendung des § 765a ZPO im Insolvenzverfahren den mehrfach zitierten Satz.

  • Das kann aber z. B. auch der Fall sein, wenn vorgetragen wird, der Hund des Schuldner habe Krebs oder die Tante der Schuldnerehefrau müsse wegen Oderhochwasser in die Wohnung aufgenommen werden.


    :roll:

    Zitat

    Bei Dritten zu besorgende Grundrechtseingriffe können durchaus auf den Rechtsbereich des Verfahrensschuldners ausstrahlen.
    In diesem Sinne ist m. E. der Insolvenzschuldner auch dem Insolvenzverwalter rechtlich sehr nahe stehend, insbesondere weil dieser qua Amt faktisch nur wirtschaftliche Rechtspositionen des Schuldners wahren wird. Er wird ja nicht als Streetworker bezahlt.

    Das kann (und vielleicht muss) man wegen der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift auch verwerfen, aber dann muss man sich wieder Gedanken machen, ob entweder der Insolvenzschuldner anders geschützt werden kann (Einstweilige Entscheidung des Prozessgerichtes gegen Gläubiger oder Insolvenzverwalter?) oder § 765a ZPO in diesem Bereich verfassungswidrig ist, weil die Versteigerung unter Anwendung des Gesetzes unverhältnismäßig ohne Rücksicht auf Leib und Leben eines unmittelbar betroffenen Bürgers durchzuführen wäre.



    Dann müsste aber der Verwalter den Antrag stellen und die Härte für den Eigentümer geltend machen. Warum bzw. auf welcher Grundlage soll ich hier von den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen abweichen?

  • Ich meine wir sollten besser den BGH einen netten Mann sein lassen und uns um die Fragen Gedanken machen, die ein Treppchen weiter oben ernster genommen werden.
    Und das sind die nach dem Umgang mit bekannt gewordenen drohenden sittenwidrigen Härten wegen kollidierender Grundrechte Dritter durch eine rechtsstaatliche Verfahrensgestaltung.

    Warum bzw. auf welcher Grundlage soll ich hier von den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen abweichen?


    "Es ist aber Aufgabe der staatlichen Organe, Grundrechtsverletzungen nach Möglichkeit auszuschließen. Das Verfahren der Vollstreckungsgerichte ist deshalb so durchzuführen, dass den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten Genüge getan wird (BVerfGE 52, 214, 221 ff; BVerfGK 6, 5, 10)."
    Es ist uns doch allen klar, dass seltene Ausnahmefälle möglich sind, in denen Insolvenzschuldner in den eigenen Grundrechten auf Leben und körperliche Unversehrheit gefährdet sein können.
    Und es ist uns auch allen klar, dass staatliches Verfahren, welches dies sehenden Auges in Kauf nimmt, ohne drohende sittenwidrige Härten durch geeignete Maßnahmen und Auflagen zu vermeiden oder zumindest so weit als möglich zu mildern trachtet, dem Grundsatz der Verhältnismäßikeit nicht gerecht werden kann.
    "Augen zu und durch", auch wenn begründete Warnsignale vorliegen, kann nicht akzeptabel sein. Überzeichnet wäre derartiges Vorgehen ja tendenziell so, als würden Feuerwehr und Rettungsdienst zum Schuldner sagen: Wir sehen zwar, dass Du in einem brennenden Haus sitzt, wir werden aber nur auf Antrag des Insolvenzverwalters tätig.
    Staatliche Verfahrengestaltungen, durch die Menschenleben allein wegen mangelnder Formalien aufs Spiel gesetzt werden, verstoßen ohne Zweifel gegen die Kant´sche Mittel-Zweck-Relation und sind deswegen verfassungsrechtlich stets bedenklich.
    Der Hebel zur Lösung des Problems kann deswegen bei Verneinen des eigenen Antragsrechts m. E. nur die Ambivalenz von Antragsgrundsatz und Pflicht zu amtswegiger Sachverhaltsaufklärung Zwecks Entscheidungsfällung in den Grenzen des Ermessens bei § 765a ZPO mit Gesundheitsgefährdung sein.

    Das schafft natürlich Probleme. Verfahrensverzögerungen zu Lasten des Gläubigers. Mehrarbeit. Drohende Instrumentalisierung von Gesundheitsrisiken.

    Es bleibt aber trotzdem die Frage offen, was man zum Schutz von Bürgerechten zu tun haben könnte, wenn man (was durchaus mit respektablen Gründen mglich ist) das Antragsrecht verneint.

  • Die Grundrechte von irgendwelchen Dritten sind aber eben nicht durch § 765a ZPO geschützt. Der Eigentümer ist in dem beschriebenen Fall nicht Vollstreckungsschuldner. Bei welchem "Dritten" soll der Schutz vor sittenwidriger Härte schließlich aufhören? Was ist z. B. mit Mietern oder unberechtigten Besitzern? Die stehen verfahrensrechtlich auf gleicher Stufe mit dem unbeteiligten Eigentümer. Wenn wir jetzt "kraft eigener Wassersuppe" den Grundrechtsschutz derart erweitern, müssten wir den Zuschlag dann bei Verschleuderung nicht von Amts wegen versagen? Fragen über Fragen!

  • Die Grundrechte von irgendwelchen Dritten sind aber eben nicht durch § 765a ZPO geschützt. Der Eigentümer ist in dem beschriebenen Fall nicht Vollstreckungsschuldner. Bei welchem "Dritten" soll der Schutz vor sittenwidriger Härte schließlich aufhören? Was ist z. B. mit Mietern oder unberechtigten Besitzern? Die stehen verfahrensrechtlich auf gleicher Stufe mit dem unbeteiligten Eigentümer. Wenn wir jetzt "kraft eigener Wassersuppe" den Grundrechtsschutz derart erweitern, müssten wir den Zuschlag dann bei Verschleuderung nicht von Amts wegen versagen? Fragen über Fragen!


    Der insolvente Grundstückseigentümer ist kein "Dritter".
    Aber ich denke wir drehen uns im Kreis. Möge jeder entscheiden, wie er will. Bei Suizidgefahr oder sonstigen unbilligen Härten, die Vollstreckungsschutz rechtfertigen können, werde ich mich nicht auf formalistische Positionen zurückziehen und dem Eigentümer sagen: "Das muss der Insolvenzverwalter machen", und wenn er dann antwortet "Der macht aber nix, weil er für die Masse nichts rausholen kann und ihm das egal ist, weil er diese zusätzliche Tätigkeit durch seine Vergütung nicht abgedeckt sieht" mit den Schultern zucken und zusehen, wie sich der Eigentümer aufhängt.

    In dem hier vorliegenden Fall halte ich einen Antrag nach 765 a von dem Insolvenzschuldner unter Berücksichtigung der Entscheidung des BGH (IX ZB 77/08) für zulässig.

    Für andere mögliche Fälle dürfte er jedoch nicht antragsberechtigt sein (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 12.08.1986 - 4 W 156/86 - = Rpfl 1987, 166-167; LG Hannover, Beschl. v. 23.06.1986 - 8 T 133/86 - = Rpfl 1987, 166-167).



    Warum die Unterscheidung? :gruebel:


    Die verstehe ich auch nicht.

    Es stand alles in Büchern, die Alten lebten noch
    Wir haben nicht gelesen, nicht gesprochen, weggeschaut, uns verkrochen ...
    No!

  • [quote='hiro','RE: § 765a ZPO durch Insolvenzschuldner insolvente Grundstückseigentümer ist kein "Dritter".
    Aber ich denke wir drehen uns im Kreis. Möge jeder entscheiden, wie er will. Bei Suizidgefahr oder sonstigen unbilligen Härten, die Vollstreckungsschutz rechtfertigen können, werde ich mich nicht auf formalistische Positionen zurückziehen und dem Eigentümer sagen: "Das muss der Insolvenzverwalter machen", und wenn er dann antwortet "Der macht aber nix, weil er für die Masse nichts rausholen kann und ihm das egal ist, weil er diese zusätzliche Tätigkeit durch seine Vergütung nicht abgedeckt sieht" mit den Schultern zucken und zusehen, wie sich der Eigentümer aufhängt.

    :zustimm:

    Lasst ja die Kinder viel lachen, sonst werden sie böse im Alter. Kinder, die viel lachen, kämpfen auf der Seite der Engel.
    Hrabanus Maurus


    Nach manchen Gesprächen mit einem Menschen hat man das Verlangen, eine Katze zu streicheln, einem Affen zuzunicken oder vor einem Elefanten den Hut zu ziehen.
    Maxim Gorki



  • Der insolvente Grundstückseigentümer ist kein "Dritter".



    Sondern?

    Zitat

    Aber ich denke, wir drehen uns im Kreis.



    Stimmt.

    Das BVerfG hat übrigens am 18.07.1979 (Az. 1 BvR 655/79) entschieden, dass die Auffassung, dass der Grundstückseigentümer, der während eines Zwangsversteigerungsverfahrens in Konkurs falle, insoweit die Rechte eines Beteiligten nicht mehr ausüben könne und an seine Stelle der Konkursverwalter trete, mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Der Eigentümer ist nicht einmal berechtigt, Verfassungsbeschwerde einzulegen.

  • Aber ob das Verfassungsgericht das heute, drei Jahrzehnte später, auch noch so sehen würde? Schwer zu sagen. Im Bereich des § 765a ZPO ist ungefähr seit dieser Zeit ja sehr viel an obergerichtlicher Rechtsprechung hinzugekommen.

  • Der insolvente Grundstückseigentümer ist kein "Dritter".



    Sondern?


    Er ist Nutzer des Objekts und damit potentieller Schuldner der Räumungsvollstreckung. Eigentümer des Objektes ist er ja nach wie vor als Schuldner und Eigentümer betroffen. Er wird zwar in dieser Rechtsposition - formal - durch den Insolvenzverwalter ersetzt bzw. vertreten, aber wie das aussieht, kann man weiter oben nachlesen.
    Wie auch immer.
    Ich habe keine Lust mehr, weiter Karussel zu fahren und sagte ja bereits - jeder kann entscheiden, wie er es für richtig hält.

    Es stand alles in Büchern, die Alten lebten noch
    Wir haben nicht gelesen, nicht gesprochen, weggeschaut, uns verkrochen ...
    No!

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