Berufung unzulässig, 3200 oder 3201?

  • Der Beklagte legt selbst Berufung ein. Das LG teilt ihm mit, dass es beabsichtigt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn er keinen Anwalt beauftragt. Der Bekl.Vertr. beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Das LG verwirft die Berufung als unzulässig.
    Welche Gebühr entsteht beim Bekl.Vertr.? Angemeldet hat er nach 3200 RVG eine 1,6 fache. Begründung: Die Partei ist juristischer Laie und konnte nicht davon ausgehen, dass die Berufung als unzulässig verworfen wird. Daher war sie auch berechtigt, ihren Anwalt mit der Zurückweisung der Berufung zu beauftragen.

  • Ich würde hier unter Bezugnahme auf die allg. Rechtssprechung eine 1,1 VerfG nach Nr. 3201 VV-RVG als erstattungsfähig erachten, da das Tätigwerden des Rechtsanwaltes bis zum Eingang der Berufungsbegründung im Sinne von § 91 ZPO nicht notwendig ist.

    Eine Ausnahme ist wohl dann gegeben, wenn nach Ablauf der Begrundungsfrist die Zurückweisung der Berufung beantragt wird. Unklar ist, ob der Zurückweisungsantrag noch als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen ist, wenn vorher der Hinweisbeschluss des LG ergangen ist. Die Rechtssprechung wurde dahingehend ziemlich aufgeweicht, ich vertrete aber weiterhin die oben dargestellte Ansicht.

  • Die differenzierende Rechtsprechung des BGH zur Erstattungsfähigkeit der 1,6 oder 1,1 reduziert sich immer wieder darauf, daß der die 1,6 auslösende Zurückweisungsantrag vor Vorliegen der Berufungsbegründung keine notwendigen Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung darstellt. Solange nur die RM-Einlegung erfolgt ist, ist daher auf Seiten des Berufungsbeklagten lediglich eine 1,1 erstattungsfähig - also so, wie Doppelte Halbtagskraft schon schrieb.

    Bezüglich der von Doppelte Halbtagskraft genannten Ausnahme: Der BGH hatte vor gar nicht allzu langer Zeit die Streitfrage entschieden, ob ein vor Vorliegen der Berufungsbegründung gestellter Zurückweisungsantrag nach nachfolgender Begründung und dann Zurückweisung im Wege des einstimmigen Beschlusses und ohne Berufungserwiderung eine 1,1 oder 1,6 als notwendig und damit erstattbar anzusehen ist, was er bejaht hat. Dieser "verfrühte" Antrag hindert also nicht die Erstattungsfähigkeit der 1,6, wenn die Berufungsbegründung dem Berufungsbeklagten später zugeht und er sich vor Zurückweisung des RM durch das Gericht nicht mehr äußert. Es reduzierte sich auch da wieder auf das Vorliegen der Berufungsbegründung beim Berufungsbeklagten.

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  • Ich würde hier auch nur eine 1,1 Gebühr festsetzen.

    Ich begründe immer damit:
    Die Kosten sind nicht in vollem Umfang erstattungsfähig, da nicht notwendig zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. D und Berufungsbeklagte kann zwar bereits bei Einlegung der Berufung einen Rechtsanwalt mit der Vertretung im Berufungsverfahren beauftragen um prüfen zu lassen, ob und wann nach der Einlegung der Berufung etwas zu veranlassen ist.
    Es bestand jedoch keine Veranlassung dafür, bereits vor der Begründung der gegnerischen Berufung einen Gegenantrag zu stellen. Die durch diesen unnötig früh gestellten Antrag entstandenen Mehrkosten können nicht auf d abgewälzt werden (BGH MDR 03, 1140; BGH MDR 03, 530). Es ist daher nur eine ermäßigte Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG zu berücksichtigen.

  • wie die Vorposter, wobei noch streitig ist, ob eine 1,6 VG auch erstattungsfähig ist, wenn die Berufungsbegründung zusammen mit dem Hinweisbeschluss an den Berufungsbeklagtenvertreter zugestellt wird. Das OLG Ffm hatte mal die Auffassung vertreten, dass auch dann nur eine 1,1 VG erstattungsfähig ist (was aus meiner Sicht auch logisch ist, da das Berufungsgericht trotz Begründung die Berufung zurückzuweisen gedenkt, so dass der Berufungsbeklagtenvertreter nicht tätig zu werden braucht). Ob mein OLG das immer noch so sieht, kann ich nicht sagen, da einige neuere Entscheidungen mich irritieren. Aber ich halte weiter daran fest.

  • wie die Vorposter, wobei noch streitig ist, ob eine 1,6 VG auch erstattungsfähig ist, wenn die Berufungsbegründung zusammen mit dem Hinweisbeschluss an den Berufungsbeklagtenvertreter zugestellt wird. Das OLG Ffm hatte mal die Auffassung vertreten, dass auch dann nur eine 1,1 VG erstattungsfähig ist (was aus meiner Sicht auch logisch ist, da das Berufungsgericht trotz Begründung die Berufung zurückzuweisen gedenkt, so dass der Berufungsbeklagtenvertreter nicht tätig zu werden braucht). Ob mein OLG das immer noch so sieht, kann ich nicht sagen, da einige neuere Entscheidungen mich irritieren. Aber ich halte weiter daran fest.


    M. E. ist diese Auffassung Deines OLG unrichtig. Ob sich ein Verfahrensbeteiligter äußern muß oder nicht, äußern will oder nicht, äußern sollte oder nicht, hat nicht das Gericht zu entscheiden. Zum Umfang des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG gehört nicht nur die Information der Partei, sondern auch das Recht, sich vor einer Entscheidung des Gerichts auf seinen oder des Gegners Vortrag äußern zu dürfen (dazu BVerfG). Daher ist in dem von Dir geschilderten Fall im Falle des Zurückweisungsantrages trotz Hinweisbeschlusses (ob nun gleichzeitig mit der Berufungsbegründung oder nachfolgend) notwendig und die 1,6 zu erstatten. M. E. gibt's dazu auch entsprechende Rechtsprechung des BGH (müßte ich nochmal suchen). Im übrigen bedeutet der Hinweisbeschluß des Gerichtes keine Vorabentscheidung. Er soll ja gerade dazu geeignet sein, die Bedenken des Gerichtes durch den Berufungskläger noch einmal zu versuchen auszuräumen. Auf der anderen Seite kann der Berufungsbeklagte trotz des Hinweisbeschlusses durchaus weitere Gründe vortragen, auf die sich eine Zurückweisung stützen könnten.

    Wollte man dieser Auffassung (und hier thematisch dann der Notwendigkeit der 1,6) nicht folgen, wird ein solches Vorgehen des Gerichtes im Wege des Hinweisbeschlusses zu einer Farce. Man unterstellt damit doch, daß der Zurückweisungsbeschluß schon geschrieben ist, die Sache quasi feststeht, egal, was die eine oder andere Partei schreiben wird. Daß das nicht dem Gesetzeszweck entspricht, springt ja wohl ins Auge. Insofern: Auch in Deinem Fall, P., wäre die 1,6 zu erstatten.

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  • Ich bin schon davon ausgegangen, dass ein Hinweisbeschluss eine Vorabentscheidung darstellt für den Fall, dass der Berufungskläger nichts weiter vorträgt. Und daher kommt es für mich auch darauf an, dass die Rechtsmittelbegründung zusammen mit den Hinweisbeschluss dem Berufungsbeklagten zugeht (und nicht vorher oder nachher). Wenn der Berufungsbeklagte dann noch eigene, weitere Gründe vorträgt, bin ich auch der Meinung, dass e,e 1,6 VG erstattungsfähig ist. Aber wenn er das nicht tut, sondern nur den Antrag auf Zurückweisung stellt, sehe ich das anders.
    Wenn der Berufungskläger nach dem Hinweisbeschluss weiter vorträgt, entsteht natürlich auch eine 1,6 VG, die erstattungsfähig ist.

  • Nach dem Beschluß des BGH vom 09.10.2003 - VII ZB 17/03 - ist der gerichtliche Hinweisbeschluß kostenerstattungsrechtlich ohne Belang. Müller-Rabe, 19. Aufl., Rn. 54 zu Nr. 3200 VV, vertritt zu diesem Punkt aber eine gegenteilige Meinung (wie Du), wenn der Zurückweisungsantrag ohne Begründung gestellt wird oder nur auf die "zutreffenden Gründe" des Hinweisbeschlusses verwiesen wird. Dies steht m. E. aber gegen die Ausführungen des BGH (Fettdruck durch mich):

    "aa) (...) Nach Begründung des Rechtsmittels hat der Berufungsbeklagte ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und eine vom Berufungsgericht beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlußwege durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. An einer Entscheidung im Beschlußwege hat der Berufungsbeklagte nicht nur wegen der damit regelmäßig verbundenen Beschleunigung, sondern auch wegen der durch § 522 Abs. 3 ZPO angeordneten Unanfechtbarkeit ein besonderes Interesse. Wäre die Auffassung des Beschwerdegerichts richtig, so müßte der Berufungsbeklagte bis zu einer Antragstellung und Erwiderung zunächst die Terminierung abwarten; ihm würde dadurch die Chance genommen, in seinem Sinne auf die Entscheidung des Gerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO einzuwirken.


    bb) Ob die vom Beklagten gegen die Berufung vorgebrachten Gesichtspunkte neu waren oder sich die zur Rechtfertigung des Zurückweisungsantrags vorgebrachten Argumente in bloßen Wiederholungen erschöpften, ist kostenrechtlich ohne Belang. Die Ausgestaltung der anwaltlichen Gebühren als im wesentlichen streitwertabhängige Pauschalen verbietet eine Prüfung, welcher Aufwand mit der Stellung des Gegenantrages und der Begründung für den Anwalt verbunden war.


    c) Der Beklagte kann die Erstattung der vollen Prozeßgebühr nach §§ 11, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO auch dann verlangen, wenn seinem Bevollmächtigten der Hinweis des Berufungsgerichts auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlußwege bei Antragstellung bereits bekannt gewesen sein sollte. Der Hinweis gab nur eine vorläufige Auffassung des Gerichts wieder, eine Zurückweisung der Berufung im Beschlußwege war bei seiner Erteilung nicht sicher. Der Beklagte mußte deshalb nicht zunächst abwarten, ob der Kläger seine Berufung zurücknehmen oder das Gericht sie entsprechend seiner Absicht zurückweisen würde."

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  • Nochmal zum Ausgangsfall:

    Begründung: Die Partei ist juristischer Laie und konnte nicht davon ausgehen, dass die Berufung als unzulässig verworfen wird. Daher war sie auch berechtigt, ihren Anwalt mit der Zurückweisung der Berufung zu beauftragen.

    Dagegen steht möglicherweise der Beschluß des BGH vom 26.01.2006 - III ZB 63/05 (unter Verweis auf das LAG Düsseldorf, s. unten).

    "aa) Die unterliegende Partei hat die dem Gegner erwachsenen Kosten - nur - insoweit zu erstatten, als sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung objektiv notwendig waren (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Maßstab dafür ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt als sachdienlich ansehen durfte (BGH, Beschluss vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 - NJW-RR 2004, 430; Beschluss vom 20. Oktober 2005 - VII ZB 53/05 - Rn. 12). Dazu gehören zwar nach § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO in aller Regel auch die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts. Anders liegt es jedoch mit Blick auf das allgemeine Gebot sparsamer Prozessführung, soweit eine Erstattung verlangt wird (vgl. Musielak/Wolst, aaO, § 91 Rn. 8; Zöller/Herget, aaO, § 91 Rn. 12), dann, wenn für die Bestellung eines Anwalts ausnahmsweise kein Anlass bestand, weil das Gericht bereits die Verwerfung eines vom Gegner eingelegten Rechtsbehelfs angekündigt hatte und deswegen auch eine nicht rechtskundige Partei offensichtlich nicht besorgen musste, ohne eigene anwaltliche Vertretung Rechtsnachteile zu erleiden (vgl. für die Berufung: LAG Düsseldorf JurBüro 1994, 424 f.; Musielak/Wolst, aaO, § 91 Rn. 14)."


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  • @ Bolleff. Der von Dir zitierte Beschluss des BGH ist schon älter. Ich gehe davon aus/muss davon ausgehen, dass mein OLG sich vor Erlass seines Beschlusses auch mit diesem BGH-Beschluss auseinandergesetzt hat. Ich habe den OLG-Beschluss jetzt nicht vor mir liegen, aber ich halte mich schon eher an neuere Beschlüsse (vor allem, wenn sie von meinem OLG sind.).
    Insofern spielt es für mich schon eine Rolle, ob der Bevollmächtigte Kenntnis von dem Hinweisbeschluss hat. Und wie gesagt, es kommt auf die Gleichzeitigkeit an.

  • @ Bolleff. Der von Dir zitierte Beschluss des BGH ist schon älter. Ich gehe davon aus/muss davon ausgehen, dass mein OLG sich vor Erlass seines Beschlusses auch mit diesem BGH-Beschluss auseinandergesetzt hat. Ich habe den OLG-Beschluss jetzt nicht vor mir liegen, aber ich halte mich schon eher an neuere Beschlüsse (vor allem, wenn sie von meinem OLG sind.).
    Insofern spielt es für mich schon eine Rolle, ob der Bevollmächtigte Kenntnis von dem Hinweisbeschluss hat. Und wie gesagt, es kommt auf die Gleichzeitigkeit an.


    Wäre interessant, die Begründung Deines OLG zu kennen. Ich gestehe Dir ja auch zu, daß Du Dich der Rechtsprechung Deines OLG unterordnest, solange diese sich begründet vertretbar gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung stellt. Gerade die o. g. Begründung des BGH zu lit. aa) und die Rechtsprechung des BVerfG läßt mich zweifeln, inwieweit Dein OLG begründetermaßen dagegen stehen kann.

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  • Ich hänge meine Frage mal hier dran:

    Der Kläger legt selbst Berufung ein. Er ist nicht anwaltlich vertreten.

    Der Beklagtenvertreter schreibt darauf, dass "das Rechtsmittel des Klägers unzulässig ist, da der Kläger selbst kein Rechtsanwalt ist und sich bisher auch noch nicht von einem Rechtsanwalt hat vertreten lassen".

    Die Berufung des Klägers wird (aus diesem Grund) als unzulässig verworfen.

    Der Beklagtenvertreter fragt nun an, ob das Gericht in dem Antrag, das vom Kläger eingereichte Rechtsmittel als unzulässig abzuweisen, eine die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG auslösende Tätigkeit ansieht.

    Nach Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage, VV 3201 Rn. 10 würde eine 1,6 Verfahrensgebühr enstehen. Allerdings handelt es sich ja bei dem vom Anwalt eingereichten Schreiben (siehe zitierte Stelle oben) um keinen direkten Antrag.

    Wie seht ihr das?

    Vielen Dank für eure Hilfe!!


  • Ich sehe in dem Schreiben bei gebotener Auslegung einen Antrag, nämlich den, die Berufung als unzulässig zurückzuweisen. Die Formulierung "stelke ich den Antrag" ist m.E. nicht erforderlich. Daher m.E. 1,6 Gebühren.

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Ist das Ergebnis im Hinblick auf die Beiträge # 2 + 3 wirklich haltbar? :gruebel:

  • Das halte ich schon wegen der nicht anwaltlichen Vertretung hier für irrelevant. Eine ordnungsgemäße Begründung der Berufung liegt nicht vor.

  • Das halte ich schon wegen der nicht anwaltlichen Vertretung hier für irrelevant. Eine ordnungsgemäße Begründung der Berufung liegt nicht vor.


    Und das kann der RA auf den ersten Blick erkennen, ohne die Begründung lesen zu müssen.

  • Dein Optimismus in Gottes Gehör... :teufel:

  • Hand auf's Herz: Weist ihr unzulässige Anträge ab, ohne nicht den Rest darauf zu kontrollieren, ob da nicht vielleicht doch noch 'was Relevantes drin steht?

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

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