BGH zu Aufklärungspflichten hinsichtlich § 72 Abs. 1 ZVG und § 85a Abs. 3 ZVG

  • BGH V ZB 143/09 [HIER]

    ohne amtlichen Leitsatz, Kernaussagen

    a)Offen bleibt, ob das Gericht verpflichtet ist, auf die Rechtsfolgen des unterlassenen Widerspruchs gegen die Zurückweisung eines Gebots hinzuweisen. Wenn der Bieter zugleich ein Beteiligter ist, entstehen ihm dadurch keine Rechtsnachteile, da er die Erteilung des Zuschlags an einen anderen anfechten kann.

    b)Der die Zwangsversteigerung leitende Rechtspfleger darf zwar nicht tatenlos zusehen, wenn ein Beteiligter infolge eines unterlassenen, sachlich gebotenen Antrags einen Rechtsverlust erleidet. Daraus kann sich u.a. die Verpflichtung zur Anregung eines Antrags auf Versagung des Zuschlags wegen Nichterreichens der 7/10-Grenze des § 74a Abs. 1 ZVG ergeben, nämlich dann, wenn sich in der Verhandlung über den Zuschlag (§ 74 ZVG) die Vermutung aufdrängt, dass einer der Beteiligten die für ihn nachteiligen Folgen der Zuschlagserteilung nicht erkennt (BVerfG NJW 1993, 1699; Hintzen in Dass-ler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 74 Rdn. 4; vgl. auch Stöber, ZVG 19. Aufl., Einl. Anm. 33.6). Doch hier erfolgte ausweislich des Protokolls eine Belehrung über § 85a und § 74a ZVG, und es ist nicht ersichtlich, dass bei der Erläuterung der rechtlichen Auswirkungen der 5/10-Wertgrenze nicht auf die Vorschrift des § 85a Abs. 3 ZVG hingewiesen worden ist.

    Sachverhalt war:
    Verfahren wurde betrieben von einer Gemeinde und einem Grundpfandrechtsgläubiger.
    Verkehrswert des Grundstücks 110.000 €.
    Forderungen der Gemeinde: AOB in 10 I 3 wegen 224,03 €, Beitritt wegen persönlicher Forderung in Höhe von 162.278,36 €, Anmeldung zu 10 I 3 in Höhe von 217.879,83 € (die aber nach Ansicht des Grundpfandrechtsgläubigers nicht in 10 I 3 ZVG hätten berücksichtigt werden dürfen.

    Versteigerungstermin, übliche Belehrungen sind ausweislich des Protokolls erfolgt. Zunächst bot der Grundpfandrechtsgläubiger, sein Gebot wurde zurückgewiesen, da dieser dem Verlangen der Gemeinde nach Sicherheitsleistung nicht nachkam.
    Das darauffolgende, dem Betrag nach niedrigere, Gebot der Gemeinde blieb unter 5/10. Gleichwohl wurde der Gemeinde wegen § 85a Abs. 3 ZVG der Zuschlag erteilt.

    Die hiergegen gerichtete Zuschlagsbeschwerde des Grundpfandrechtsgläubigers ist erfolglos geblieben.

    Curiosity is not a sin.

    Einmal editiert, zuletzt von 15.Meridian (30. März 2010 um 11:07) aus folgendem Grund: Link zur Entscheidung nachgereicht

  • Ganz ehrlich:

    Bei meiner allgemeinen Belehrung (vor Beginn der Bietestunde) über die gesetzlichen Mindestgrenzen der §§ 74a, 85a ZVG weise ich noch nicht auf eine mögliche Konstellation nach § 85a III ZVG hin.

    Dies mache ich erst dann, wenn es zu einem Gebot eines dinglich Berechtigten kommt; und erst dann mache ich einen entsprechenden Protokollvermerk bezüglich § 85a III ZVG. Irre ich mich, wenn ich glaube, dass die meisten Kollegen/Innen das so handhaben?

    Insofern finde ich die Annahme des BGH, der Protokollvermerk über eine Belehrung nach §§ 74a, 85a ZVG umfasse auch den Hinweis auf § 85a III ZVG recht kühn. (Vielleicht sollte ich meine Praxis nochmals hinterfragen).

  • Du irrst nicht. Die Auffassung des BGH rührt offensichtlich von dessen fehlenden Erfahrungen mit Zwangsversteigerungsterminen her.

    Es ist überhaupt nicht möglich, in den gerichtlichen Hinweisen vor Beginn der Bietzeit die Anwesenden über alle Eventualitäten zu belehren, die irgendwie vorkommen könnten. Wenn im Termin Publikum anwesend ist (was bei mir nicht oft vorkommt), erläutere ich schon gern mal den Stand der Dinge (also z.B. bei einem Gebot unter 5/10 erkläre ich, dass das Gebot zulässig, aber nicht zuschlagsfähig ist, dass es aber Folgen für die späteren Termine hat, ohne dass der jetzige Bieter dann noch an sein heutiges Gebot gebunden wäre).
    Exoten wie den § 85a Abs. 3 ZVG sollte man dann auch plausibel machen. Aber nicht einem professionellen Terminsvertreter (also Rechtsanwalt oder Bankangestellter). Wenn der sich nicht auskennt, ist er fehl am Platz.


  • Bei meiner allgemeinen Belehrung (vor Beginn der Bietestunde) über die gesetzlichen Mindestgrenzen der §§ 74a, 85a ZVG weise ich noch nicht auf eine mögliche Konstellation nach § 85a III ZVG hin.


    Das tue ich auch nicht. Die Hinweispflichten können wohl kaum so weit gehen, dass sie alle eventuell auftretenden Konstellationen abdecken. Dann könnte ich nämlich vor Eröffnung der Bietzeit stundenlang aus dem Stöber vorlesen, frei nach dem Motto: Heute Lesung mit anschließender Zwangsversteigerung. Häppchen sind im Foyer erhältlich.
    Ob ein Hinweis nach § 139 ZPO erforderlich ist, muss m.E. der konkreten Situation angepasst werden.

  • Mir kommt es so vor, als hätte sich der BGH wieder erst einmal überlegt, welches Ergebnis er mit seiner Entscheidung erreichen will und den Weg dahin dann mit allerlei formalistischen Überlegungen kleidet.
    Leider bleiben dabei allgemeingültige Aussagen über offene Fragen der Praxis auf der Strecke.
    Lezlich bleibt es bei der Bewertung eines Einzelfalls, sorgt aber hinsichtlich der unklaren Aussagen in der Praxis für entsprechende Verunsicherung, da die Verwirrung über den Umfang der Belehrungspflichten im Versteigerungstermin nicht geringer geworden ist.
    Im Ergebnis kommt man ja fast zu der Auslegung, dass man eher auf der sicheren Seite ist, je allgemeiner die Protokollfeststellungen gehalten sind.

    Den Überlegungen der Vorscheiber über die Kühnheit dieser höchstrichterlichen Annahmen und der mangelnden Praxiserfahrung ist zuzustimmen.

    Es bleibt den Kollegen zu wünschen, auch in Zukunft immer der jeweiligen Situation entsprechend die richtigen Belehrungen aus der Tasche zu zaubern (abhängig natürlich von der richtigen Einschätzung, was der einzelne Beteiligte kraft seiner Stellung wissen kann und wissen muss), und diese ordnungsgemäß zu protokollieren, um jeglichen Ansprüchen des BGH gerecht zu werden.

    Ein Flugzeug zu erfinden ist nichts - es zu bauen ein Anfang - Fliegen, das ist alles.

    (Otto Lilienthal/Ferdinand Ferber)


  • Bei meiner allgemeinen Belehrung (vor Beginn der Bietestunde) über die gesetzlichen Mindestgrenzen der §§ 74a, 85a ZVG weise ich noch nicht auf eine mögliche Konstellation nach § 85a III ZVG hin.

    Dies mache ich erst dann, wenn es zu einem Gebot eines dinglich Berechtigten kommt; und erst dann mache ich einen entsprechenden Protokollvermerk bezüglich § 85a III ZVG. Irre ich mich, wenn ich glaube, dass die meisten Kollegen/Innen das so handhaben?



    Ich handhabe das genauso.
    Und ich weise - so denn nicht sofort das Veto des erfahrenen Terminsvertreters kommt - auch für diesen darauf hin, dass ein Zuschlag gem. § 85 a III in Frage komme, weil ...
    Allgemein habe ich es mir angewöhnt, nach Beendigung der Bietzeit nochmal ganz klar und deutlich das Ergebnis zu nennen und ob hierfür ein Zuschlag möglich wäre und erteilt wird. Das verstehe ich denn schon unter fairer Verfahrensführung.


  • Allgemein habe ich es mir angewöhnt, nach Beendigung der Bietzeit nochmal ganz klar und deutlich das Ergebnis zu nennen und ob hierfür ein Zuschlag möglich wäre und erteilt wird. Das verstehe ich denn schon unter fairer Verfahrensführung.



    Das ist ein wichtiger Aspekt.
    Die eigentliche Verhandlung über den Zuschlag darf in der Praxis nicht stiefmütterlich behandelt werden, auch wenn der Gläubigervertreter sich gedanklich schon auf der Heimfahrt befindet, der Ersteher geistig schon in seinem neuen Häuschen schläft und die restlichen Bietinteressenten schützenumzugsmäßig den Saal verlassen.
    Insofern bemühe ich mich ebenfalls regelmäßig, vor Erteilung des Zuschlags nochmals die Fakten kurz zusammenzutragen und zumindest die Möglichkeit einer Erörterung zu geben.

    Ein Flugzeug zu erfinden ist nichts - es zu bauen ein Anfang - Fliegen, das ist alles.

    (Otto Lilienthal/Ferdinand Ferber)

  • Ein bißchen Lebensweisheit gibt der BGH auch noch mit auf den Weg (Rdnr. 20 der Entscheidung):

    “Dass die Rechtspflegerin die Beteiligte zu 1 nicht – wie diese jedoch meint – darauf hinweisen musste, dass sie die Erteilung des Zuschlags an die Beteiligte zu 3 durch die Abgabe eines höheren Gebots abwenden konnte, liegt auf der Hand. Jeder, der an einer Versteigerung teilnimmt, weiß, dass der Zuschlag grundsätzlich auf das höchste Gebot erteilt wird.

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