Akteneinsicht notwendig vor Berufung?

  • Hallo ins Forumsland!
    In einer Zivilsachen streiten sich die Anwälte um 12 € Aktenversendungspauschal(!). Beide Anwälte sind bereits in der 1. Instanz tätig gewesen. Klägervertreter legt Berufung ein und Beklagtenvertreter fordert die Akte zur Einsicht an. Er trägt vor, er hätte einsehen müssen, der Kläger hält dagegen. Gibt es dazu irgendeine Entscheidung oder Kommentarstelle? Ich hab nix gefunden. Ich wäre dankbar für eure Hilfe, zumal ich die Zivilsachen nur in Vertretung bearbeite und mich da nicht so richtig "heimisch" fühle.....

    Grüße aus dem Rheinischen
     Bee
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    Jedes Wort ist falsch und wahr, das ist das Wesen des Wortes.
    Max Frisch

  • Zu einer sorgfältigen Berufung gehört die Akteneinsicht, insbesondere wenn der Berufungsanwalt nicht die 1. Instanz begleitet hat. Zudem lassen sich bestimmte Rechtsverletzungen nur aus der Gerichtsakte ersehen. Also absolut notwendig.

  • Eigentlich ganz einfach.
    Setz ab. (§ 91 ZPO)
    Es gibt keinen ersichtlichen Grund dafür, dass ein Anwalt der in der I.Instanz tätig war eine Akteneinsicht für das Berufungsverfahren braucht.
    Um diese Notwendigkeit zu begründen müßte er mir schon irgendeine "außerirdische" Begründung liefern. Ich bräuchte dafür keine Entscheidung.

  • Er trägt vor, er hätte einsehen müssen,

    Trägt er denn vor, warum er einsehen musste? Beim erstinstanzlichen Vertreter hätte ich jetzt auch spontan gesagt, dass eine Akteneinsicht vor Berufung nicht notwendig ist.

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • Du prüfst ganz einfach, ob du die Akteneinsicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig ansiehst, also nach § 91 ZPO.

    Edit: Würde den RA die Notwendigkeit näher begründen lassen und anhand dessen entscheiden.

    Gefunden habe ich bei juris an neuerer Rechtssprechung nur das (sagt aber auch nichts anderes):

  • Eine Akteneinsicht, für einen Anwalt, der in der I. Instanz schon tätig war, ist grundsätzlich nicht notwendig im Sinne des § 91 ZPO. Alle die das Verfahren betreffenden Schriftsätz hat er bereits erhalten.

    Wie doppelte Halbtagskraft würde ich mir die Notwendigkeit begründen lassen und dann entscheiden.

  • Der Anwalt begründet die Notwendigkeit wie im Beitrag von RAtlos. Der andere verweist eben darauf, dass diese Einsicht nicht notwendig gewesen sei, weil der Beklagtenvertreter ja bereits in der 1. Instanz "mitgestaltend" tätig war. Die Meinungen sind ausgetauscht, werden sich wohl auch nicht mehr ändern - ich muss also entscheiden. Ich werde absetzen, die Begründungen, die ihr mir hier geliefert habt, finde ich überzeugend.
    Danke fürs Mitdenken! :daumenrau

    Grüße aus dem Rheinischen
     Bee
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    Max Frisch

  • ... Alle die das Verfahren betreffenden Schriftsätz hat er bereits erhalten...

    Woher weiß ! man das, ohne in die Akte zu schauen. Der Verletzung rechtl. Gehörs, gar nicht mal so selten, ergibt sich nicht aus dem, was man erhält, sondern dem, was man nicht erhalten hat und daher auch nicht weiß. Daher wie RAtlos.:daumenrau

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Der Anwalt begründet die Notwendigkeit wie im Beitrag von RAtlos.


    Ich verstehe den Sachverhalt nicht. Im Ausgangsbeitrag steht doch, daß der RA auch in I. Instanz bereits tätig war. RAtlos argumentiert mit der Sorgfaltspflicht (?) und "insbesondere wenn der Berufungsanwalt nicht die 1. Instanz begleitet hat" und "bestimmte Rechtsverletzungen nur aus der Gerichtsakte ersehen" werden können. Seine Schlußfolgerung, daß deshalb in Deinem Fall die Akteneinsicht notwendig i. S. d. § 91 ZPO war, erschließt sich mir nicht.

    Wie argumentiert der RA denn jetzt konkret? RAtlos läßt doch einige Alternativen dazu. Die I. Instanz hat der RA nach dem von Dir eingestellten SV doch "begleitet". Wollt ihr so verstanden werden, daß quasi "pro Instanz" min. eine Akteneinsicht notwendig sei? M. E. kann die Antwort auf die Notwendigkeit der Akteneinsicht immer nur eine Einzelfallentscheidung sein.

    » Die meisten Probleme entstehen bei ihrer Lösung. «
    L E O N A R D O | D A | V I N C I

  • ... Alle die das Verfahren betreffenden Schriftsätz hat er bereits erhalten...

    Woher weiß ! man das, ohne in die Akte zu schauen. Der Verletzung rechtl. Gehörs, gar nicht mal so selten, ergibt sich nicht aus dem, was man erhält, sondern dem, was man nicht erhalten hat und daher auch nicht weiß. Daher wie RAtlos.:daumenrau

    Dies Rechtsauffassung find ich gar nicht so abwägig. Damit liese sich eine wöchentliche Akteneinsicht, oder sogar tägliche Akteneinsicht begründen. :teufel:

  • Der Anwalt begründet die Notwendigkeit wie im Beitrag von RAtlos.


    Ich verstehe den Sachverhalt nicht. Im Ausgangsbeitrag steht doch, daß der RA auch in I. Instanz bereits tätig war. RAtlos argumentiert mit der Sorgfaltspflicht (?) und "insbesondere wenn der Berufungsanwalt nicht die 1. Instanz begleitet hat" und "bestimmte Rechtsverletzungen nur aus der Gerichtsakte ersehen" werden können. Seine Schlußfolgerung, daß deshalb in Deinem Fall die Akteneinsicht notwendig i. S. d. § 91 ZPO war, erschließt sich mir nicht.
    Wie argumentiert der RA denn jetzt konkret? RAtlos läßt doch einige Alternativen dazu.


    "Mein" Anwalt beruft sich auf seine Sorgfaltspflicht für das Berufungsverfahren (wie RAtlos: "Zu einer sorgfältigen Berufung gehört die Akteneinsicht"). Auf die folgende Einschränkung die Ratlos mit "insbesondere" anschließt, beruft sich mein Anwalt selbstredend nicht, denn er war auch Beklagtenvertreter in der 1. Instanz.

    Grüße aus dem Rheinischen
     Bee
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  • "Mein" Anwalt beruft sich auf seine Sorgfaltspflicht für das Berufungsverfahren (...)


    Das alleinige Berufen auf die "Sorgfaltspflicht" ist doch eine leere Worthülse, wenn es um die Frage der Notwendigkeit der dadurch entstandenen Kosten, die zu Erstattung begehrt werden, geht. Die vermeintliche Einhaltung der Sorgfaltspflicht im konkreten Einzelfall muß doch dargelegt/begründet werden. Ich jedenfalls kenne es nicht, daß der erstinstanzliche RA grds. im zweitinstanzlichen Verfahren erst einmal eine AE nehmen muß, um seiner "Sorgfaltspflicht" zu genügen. Warum auch? Also: Wenn konkrete Gründe vorliegen, die es geboten erscheinen lassen, daß die AE durch den RA zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung für die II. Instanz notwendig war (z. B. die Verletzung des rechtlichen Gehörs, welche anhand der AE notwendig war, zu überprüfen), kann man evtl. eine Erstattungsfähigkeit bejahen. Andernfalls ohne weitere Begründung und zwar nur ganz allgemein mit der Begründung der anwaltlichen "Sorgfaltspflicht" erschließt sich jedenfalls mir die Notwendigkeit einer AE nicht.

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    L E O N A R D O | D A | V I N C I

  • :dito:

  • "Mein" Anwalt beruft sich auf seine Sorgfaltspflicht für das Berufungsverfahren (...)


    Wenn konkrete Gründe vorliegen, die es geboten erscheinen lassen, daß die AE durch den RA zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung für die II. Instanz notwendig war (z. B. die Verletzung des rechtlichen Gehörs, welche anhand der AE notwendig war, zu überprüfen), kann man evtl. eine Erstattungsfähigkeit bejahen. Andernfalls ohne weitere Begründung und zwar nur ganz allgemein mit der Begründung der anwaltlichen "Sorgfaltspflicht" erschließt sich jedenfalls mir die Notwendigkeit einer AE nicht.


    Da ich ohnehin noch dem KB wegen der SKR vorlegen musste, habe ich dem Beklagtenvertreter eine letzte Stellungnahme gewährt. Vielleicht schafft er es ja, "konkrete Gründe" darzulegen. Wenn aber nix mehr kommt, werde ich absetzen. Vielen Dank euch allen noch mal!

    Grüße aus dem Rheinischen
     Bee
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    Max Frisch

  • Ich klinke mich noch mal ein. Verfahrensfehler entdeckt man häufig erst durch Akteneinsicht. Und das gilt auch für den Anwalt, der in der 1. Instanz tätig war. Es geht wie zutreffend dargestellt nicht nur darum, welche Schriftstücke man erhalten hat, sondern auch darum, was die Entscheidungsfindung des Gerichts insgesamt beeinflusst hat. Sind z. B. Schriftstücke der Gegenpartei zwar eingegangen, aber nicht weitergeleitetet worden? Hätte der Einzelrichter die Sache an die Kammer abgeben müssen, hat es aber dann doch nicht getan? Dazu reicht es schon aus, wenn der Einzelrichter nur bei seinen Kollegen angefragt hat. Gibt es hierzu Vermerke in der Akte? Alleine die in § 547 ZPO aufgeführten absoluten Revisionsgründe zeigen, dass zur Überprüfung zwingend die Akteneinsicht gehört.

    Eine Akteneinsicht vor der Berufung ist daher immer notwendig und daher auch erstattungsfähig. Ich wundere mich, dass die Diskussion hier so heftig ist.

  • [quote='RAtlos','RE: Akteneinsicht notwendig vor Berufung? klinke mich noch mal ein. Verfahrensfehler entdeckt man häufig erst durch Akteneinsicht. Und das gilt auch für den Anwalt, der in der 1. Instanz tätig war. Es geht wie zutreffend dargestellt nicht nur darum, welche Schriftstücke man erhalten hat, sondern auch darum, was die Entscheidungsfindung des Gerichts insgesamt beeinflusst hat. Sind z. B. Schriftstücke der Gegenpartei zwar eingegangen, aber nicht weitergeleitetet worden? Hätte der Einzelrichter die Sache an die Kammer abgeben müssen, hat es aber dann doch nicht getan? Dazu reicht es schon aus, wenn der Einzelrichter nur bei seinen Kollegen angefragt hat. Gibt es hierzu Vermerke in der Akte? Alleine die in § 547 ZPO aufgeführten absoluten Revisionsgründe zeigen, dass zur Überprüfung zwingend die Akteneinsicht gehört.

    Das ist ja auch o.k. Wenn der Anwalt diesbezüglich eine Begründung vortragen würde die einigermaßen nachvollziehbar ist, hätte ich auch keine Probleme damit.

    Eine Akteneinsicht vor der Berufung ist daher immer notwendig und daher auch erstattungsfähig. Ich wundere mich, dass die Diskussion hier so heftig ist.

    Genau das aber lehne ich kategorisch ab. Es gibt nun mal kein Automatismus beim § 91 ZPO. Aufwendungen ja, aber nur wenn notwendig.[/QUOTE]..

    p.s. das mit dem Zitieren lerne ich irgenwann auch noch

  • Ich klinke mich noch mal ein. Verfahrensfehler entdeckt man häufig erst durch Akteneinsicht. Und das gilt auch für den Anwalt, der in der 1. Instanz tätig war. Es geht wie zutreffend dargestellt nicht nur darum, welche Schriftstücke man erhalten hat, sondern auch darum, was die Entscheidungsfindung des Gerichts insgesamt beeinflusst hat. Sind z. B. Schriftstücke der Gegenpartei zwar eingegangen, aber nicht weitergeleitetet worden? Hätte der Einzelrichter die Sache an die Kammer abgeben müssen, hat es aber dann doch nicht getan? Dazu reicht es schon aus, wenn der Einzelrichter nur bei seinen Kollegen angefragt hat. Gibt es hierzu Vermerke in der Akte? Alleine die in § 547 ZPO aufgeführten absoluten Revisionsgründe zeigen, dass zur Überprüfung zwingend die Akteneinsicht gehört.

    Das ist ja auch o.k. Wenn der Anwalt diesbezüglich eine Begründung vortragen würde die einigermaßen nachvollziehbar ist, hätte ich auch keine Probleme damit.

    Eine Akteneinsicht vor der Berufung ist daher immer notwendig und daher auch erstattungsfähig. Ich wundere mich, dass die Diskussion hier so heftig ist.

    Genau das aber lehne ich kategorisch ab. Es gibt nun mal kein Automatismus beim § 91 ZPO. Aufwendungen ja, aber nur wenn notwendig.

    Versetzt Euch doch in die Situation des Anwalts, der eine Berufung vorbereiten muss. Vielleicht wird dann klarer, weshalb die Akteneinsicht zwingend notwendig ist. Er hat das Urteil auf alle denkbaren Fehler (nicht nur Verfahrensfehler) abzuklopfen. Ob solche vorliegen, ergibt sich häufig aber erst durch Einsicht in die Gerichtsakte. Man kann daher nicht im nachhinein beurteilen, ob die Akteneinsicht notwendig war. Soll sie nur notwendig gewesen sein, wenn sich tatsächlich aus der Akte ergeben hat, dass ein Fehler des Gerichts vorlag? Das kann doch nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden. Hier eine Fundstelle aus der Literatur, die es etwas verdeutlicht:

    Zur Vorbereitung einer Berufung ist es für die Parteien grundsätzlich geboten, Einsicht in die erstinstanzliche Gerichtsakte zu nehmen (§ 299 ZPO). Aus dieser ergeben sich häufig Umstände, die den Verfahrensbeteiligten in erster Instanz nicht oder nicht so bekannt geworden sind (Eichele/Hirtz/Oberheim, Berufung im Zivilprozess, 3. Aufl. IV. Rn. 4 m. w. N. aus d. Lit.).

    Ziel der Akteneinsicht ist neben der Abgleichung und gegebenenfalls Vervollständigung der eigenen Handakte die Gewinnung von Informationen, die nur aus der Gerichtsakte ersichtlich sind. Hierzu gehören zum Beispiel Zustellungsformen und -zeitpunkte oder die Aktenkundigkeit von Hinweisen des Gerichts (§ 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Obwohl das Einsichtsrecht sich nicht auf Entwürfe und Vorarbeiten zu den Entscheidungen erstreckt (§ 299 Abs. 3 ZPO), befinden sie sich manchmal noch in der Akte, in anderen Fällen lassen die bei der Aktenbearbeitung angebrachten Randbemerkungen Rückschlüsse für die eigene Sachbearbeitung zu (Eichele/Hirtz/Oberheim, Berufung im Zivilprozess, 3. Aufl. IV. Rn. 9).

  • Das bestreitet doch auch niemand hier. Es geht schlicht nur darum, dass der RA das auch genau so als Begründung anführen sollte, und wenn es nur als Zweizeiler ist.

    Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Versagers. (Oscar Wilde)

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