Recherche MDR: Überlastung Betreuungsgerichte?

  • ...Ich kam auf die Problematik durch einen Deutschlandfunk-Beitrag,...

    Wenn man nach kurzem Überfliegen schon Sätze wie "Berufsbetreuer sind erheblich teurer, weil sie bis zu 44 Euro pro Stunde kosten können. Während die ehrenamtlichen Betreuer eine Aufwandsentschädigung von 323 Euro pro Jahr bekommen" oder "Wohlhabende - und das ist nach dem Betreuungsrecht jeder, der mehr als 25.000 Euro auf dem Konto hat - zahlen alles aus eigener Tasche. Auch wenn sie nicht um die Betreuung gebeten haben." liest kann man es direkt wieder sein lassen.

    Berufsbetreuer bekommen sicherlich maximal bis zu 44€ die Stunde. Viele BB bekommen aber auch nur 33,50€ oder 27,00€. Zudem sollte auch gesagt werden, wieviel Stunden diese nach VBVG abrechnen dürfen und dass diese Stundenanzahlen bei problematischen Verfahren sicherlich nicht ausreichen..

    Darüberhinaus zählt die 25.000€ Grenze auch nur für die Verfahrenskosten (unter Abzug der Verbindlichkeiten). Das hat nichts mit der Grenze ob ein BB nach vermögend oder mittellos abrechnen darf und wer diese Kosten zahlt zu tun.

    "Die Betreuer müssen dem Gericht zwar auf Verlangen Berichte vorlegen. Aber dann können die Konten schon aufgelöst, und das Haus schon verkauft sein." Achso? Wozu waren dann nochmal gleiche diese betreuungsgerichtlichen Genehmigungen?

  • Immer wieder stelle ich fest, dass (vorläufige) Betreuungen errichtet werden. Eine Tage oder Wochen später lese ich die Sterbeanzeige in der Zeitung. Die Betreuungen wurden zumeist errichtet, um die Modalitäten des Sterbevorganges festzulegen - damit der begleitende Arzt rechtlich abgesichert ist. Angehörige werden immer gleich entscheiden, egal, ob als Betreuer oder Angehöriger.
    Wohnt jemand in Verhältnissen, die anderen, wie Vermietern oder Nachbarn, nicht genehm erscheinen, wird ein Betreuer bestellt. Der wird an der Situation nichts ändern, den Wunsche des Betroffenen respektierend, zum Leidwesen der Beteiligten.
    Ein weiterer mag gerne (und vielleicht auch zuviel) Alkohol trinken. Er wird kotzen (sich übergeben) und unter sich lassen. Natürlich kann er am Trinken auch sterben. Das darf er (solange der freie Wille vorherrscht) und der Betreuer wird es zulassen. Zum Unverständnis Aussenstehender.
    Das stelle ich einfach mal so provokativ in den Raum, denn es sollte auch die Frage behandelt werden, woher die mögliche Überlastung (die nicht nur die Gerichte betreffen muss) kommt. Liegt es nicht vielmehr auch in unserem überzogenen, erdrückenden Fürsorgesystem begründet, das Rundumversorgung fordert, Eigenständigkeit unnötig ist (irgendjemand hilft schon), keine eigenständigen Entscheidungen anderer (mangels rechtlicher Befugnis) zulässt und damit künstlich den Betreuungsbedarf schafft, da ja in Deutschland alles irgendwie geregelt sein muss?

  • Vielleicht liegt das Übel, was sich in der Berichterstattung scheinbar niederschlägt, in der Tatsache, dass viele Menschen (zum Beispiel in meinem Familienkreis) eine Betreuung als etwas Schlechtes und Bedrohliches wahrnehmen. Sicherlich laufen einige Betreuungen auch aus dem Ruder, aber der Normalfall ist dies wohl nicht. Die Betreuung dient doch dazu, den Betroffenen zu unterstützen / helfen. Und die ganzen Genehmigungserfordernisse, wenn von Familienmitgliedern etc. auch als belastend empfunden, dienen seinem Schutz.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Vielleicht liegt das Übel, was sich in der Berichterstattung scheinbar niederschlägt, in der Tatsache, dass viele Menschen (zum Beispiel in meinem Familienkreis) eine Betreuung als etwas Schlechtes und Bedrohliches wahrnehmen.

    Kann ich auch so bestätigen. Auch wenn man noch so oft versucht das Gegenteil zu vermitteln..
    Aber solche Berichterstattungen tragen dann halt ihr übriges dazu bei. "Also im Radio / Fernsehen haben sie ja neulich gesagt ...".

  • ...
    Gisela Zenz meinte hier wie gesagt, dass Betreuungen oft für Menschen eingerichtet werden, wo ein Verfahrenspfleger ausreichen würde und dadurch das Arbeitspensum für Rechtspfleger steige. Gisela Zenz war an der Ausarbeitung des heutigen Betreuungsgesetzes beteiligt, findet aber heute, dass die Umsetzung zu wünschen übrig lasse.
    ...

    :wall:

    "Experten" also.... . So,so.

  • Der Vorschlag von Voltair ist super! Mal bei einem Betreuungsrichter und Rechtspfleger mitzugehen, schafft sicher eine neue Perspektive und vielleicht ein (neues) Verständnis für das Betreuungsrecht.

    Was meine Arbeitsbelastung betrifft: Sie ist sehr hoch! Das liegt unter anderem daran, dass ich (fast) immer abgesoffene Dezernate bekomme. (Bin ja noch jung!)
    Weshalb mein Betreuungsdezernat abgesoffen ist? Wegen Krankheit meiner Vorgängerin. Ob die Arbeit an dieser Erkrankung Schuld trägt, weiß ich nicht. Es war jedenfalls nicht die Grippe oder ein Beinbruch...

    Das Dezernat macht mir mittlerweile großen Spaß! Auch wenn ich zugeben muss, dass ich manchmal ganz froh bin, wenn der Betreuer die Million nicht in irgendwelche wilde Fonds oder Gesellschaftsanteile in Timbuktu anlegen möchte. Aber auch so etwas kommt vor.

    Um mal auf die Einrichtung von Betreuungen im allgemeinen einzugehen: Ich kenne einen Fall, da hat ein erwachsener Mann für sich selbst eine Betreuung angeregt. Grund war, dass er sich mit seiner angehenden Scheidung überfordert gefühlt hat und deshalb Hilfe benötigen würde. Das Gutachten war sehr interessant: Der gute Mann wäre emotional niedergedrückt oder so. Nicht mal eine Depression war diagnostiziert. Als seine Scheidung durch war, wurde die Betreuung aufgehoben, gegen seinen Protest! Der Richter hatte gewechselt.
    ->So ein Pech!! Für meine Steuererklärung 2013 hätt ich auch gut nen Betreuer gebrauchen können!! (Immer wenn ich an die denke fühle ich mich auch "emotional niedergedrückt!) ;)

  • Der Vorschlag von Voltair ist super! Mal bei einem Betreuungsrichter und Rechtspfleger mitzugehen, schafft sicher eine neue Perspektive und vielleicht ein (neues) Verständnis für das Betreuungsrecht.


    Dürfte aber nicht so einfach sein. Die Anhörungen im Betreuungsgericht sind nicht öffentlich. Wenn da tatächlich eine fremde Person anwesend sein möchte, müssen alle Beteiligten damit einverstanden sein. Selbst wenn ich einen Azubi von uns hatte, habe ich den nicht kommentarlos dabei sein lassen, sondern das den Leuten vorher erklärt.

  • ... Wie sieht es mit Horst Deinert aus? Er ist Mitautor der 2. Auflage des Handbuches Betreuungsrecht und hat selbst als Rechtspfleger und Betreuer gearbeitet.

    Das klingt nach einer guten Idee. Generell würde ich eher erfahrene Fachleute empfehlen, die direkt mit der Praxis der rechtlichen Betreuung in Berührung kommen. Warum nicht vielleicht auch den ein oder anderen Berufsbetreuer? Oder die Interessenvertretungen der Berufe wie zum Beispiel der Verband der Rechtspfleger, der Richterbund oder der Bund der Betreuer? Einen erfahrenen Rechtspfleger/In?
    (Ich bin ja eher ein bisschen medienscheu ... :flucht: )

  • Der Vorschlag von Voltair ist super! ... ;)

    :daumenrau

    Trotzdem vorher! bitte über die Grundzüge des Betreuungsrechts nachlesen.

    Wer nicht erkennt, dass das folgende geballter Unfug ist und unkommentiert wiedergibt, sollte zu dem Thema (noch) nichts schreiben, "Gisela Zenz meinte hier wie gesagt, dass Betreuungen oft für Menschen eingerichtet werden, wo ein Verfahrenspfleger ausreichen würde und dadurch das Arbeitspensum für Rechtspfleger steige."

    Der Sinngehalt ist etwa vergleichbar mit: Die Kfz-mechaniker haben durch die Wintervorbereitung der Pkw mehr Arbeit, obwohl man eine 2. Verkaufskraft in der Buchhaltung anstellen könnte. Dadurch kann es im Juli zu unnötigen Wartezeiten kommen.

    (Aber ich ahne schon, auch solche Sätze wird man in der Sendung hören.)

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Ich denk da auch an Diskussionen im Fernsehen zum Thema Betreuung/Generalvollmacht, die man als mit Betreuung Befasster besser nicht anschauen sollte. Ich frag mich da immer, wo das Fernsehen seine "Kenner der Szene" herbekommt.

  • Den zitierten Deutschlandfunk-Artikel habe ich nicht verfasst. Nur die Aussage eines darin zitierten Richters in einem Forenbeitrag hier verwendet. Also gemach. Und ja, die Sprache ist tendenziös.
    Ich versuche mir deshalb ein breites Bild vom Thema zu machen, indem ich zum Beispiel einen Berufsbetreuer einen Tag lang begleite oder einen Betreuungsrichter treffe oder hier im Rechtspflegerforum poste und Fragen stelle.

  • Es wird soviel Unfug über Betreuungen in den Medien veröffentlicht, sorry, wenn man da vorsichtig wird.
    Es gibt ein fundiertes und recht unterhaltsames Buch, das von einer Berufsbetreuerin geschrieben wurde: "Ihr Schicksal verwalte ich", Irmela Nagel. Das kann ich zur Recherche empfehlen.

    Als Untertitel hat der Verlag etwas reißerisch: "Rechtliche Betreuung im Zwielicht" gewählt, das wird dem Inhalt aber nicht gerecht.

    * Was schert´s die Eiche, wenn das Schwein sich an ihr reibt! *

  • Ich finde es gut, dass sich Journalisten mit diesem Thema beschäftigen.

    Irgendwie hat man oft aber den Eindruck, dass bei diesen Themengebieten selten Sachkompetenz seitens der Rechtspflegerschaft eingeladen wird oder zu Wort kommt.

    Deshalb schlage ich hiermit vor, dass mal beim Rechtspflegerverband ein Ansprechpartner gesucht wird.

  • Rechtlich kann ich heir nicht mitreden, weil ich andere Rechtsgebiete betreue. dennoch möchte auch ich ein bisschen etwas von meinem Senf dazugeben, weil die Belastung etwas Grundsätzliches bei der Justiz ist.

    Die Justiz wird von der Finanz in allen Bundesländern - auch in meinem ach so reichen Bayern - vergleichsweise kurz gehalten. Werden bei den Lehrer oder Polizisten oder Finanzbeamten Stellen gestrichen, gibt es einen Aufschrei. Bei uns ist bei dem schleichenden Ausbluten der Aufschrei ausgeblieben.

    Inzwischen mehren sich die Berichte, wonach geständige Vergewaltiger nach einem Jahr U-Haft auf freien Fuß gesetzt wurden, weil man ihnen nicht innerhalb eines Jahres den Prozess machen konnte. Auch sonst mehren sich die Justizschlampereien, die zu einem großen Teil auf fehlendes Personal zurückzuführen ist.

    Grundsätzlich freue ich mich daher über jeden Medienbericht, der diese Misere aufgreift. Mögen Details auch manchmal tendenziös oder falsch erscheinen, kann nur so die Öffentlichkeit aufgerüttelt werden, dass die Justiz besser ausgestattet sein muss. Erst auf Druck der Öffentlichkeit und der Medien werden doch seitens der Politiker Gelder freigegeben. Außerdem finde ich es lobenswert, wenn der Threadstarter sich um ein objektives Bild bemüht und hier daher im Forum nachfragt. Vielleicht lässt sich wirklic heine Hospitation ermöglichen - meine Hospitanten und Praktikanten erfahren bei mir auf der Rechtsantragstelle einen Gerichtsalltag, den sie sich auch nicht vorher vorgestellt hätten. Daher finde ich den Vorschlag von Voltaire sehr gut.

    Nun, überlasse ich den Fachleuten wieder den Thread...

  • Ich versuche mir deshalb ein breites Bild vom Thema zu machen, indem ich zum Beispiel einen Berufsbetreuer einen Tag lang begleite oder einen Betreuungsrichter treffe oder hier im Rechtspflegerforum poste und Fragen stelle.

    Und ich versuche daher sachliche und inhaltlich hilfreiche Antworten. Noch glaube ich schließlich an das Gute im Journalisten, äh - Menschen natürlich.

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • Rechtlich kann ich heir nicht mitreden, weil ich andere Rechtsgebiete betreue. dennoch möchte auch ich ein bisschen etwas von meinem Senf dazugeben, weil die Belastung etwas Grundsätzliches bei der Justiz ist.

    Die Justiz wird von der Finanz in allen Bundesländern - auch in meinem ach so reichen Bayern - vergleichsweise kurz gehalten. Werden bei den Lehrer oder Polizisten oder Finanzbeamten Stellen gestrichen, gibt es einen Aufschrei. Bei uns ist bei dem schleichenden Ausbluten der Aufschrei ausgeblieben.

    Inzwischen mehren sich die Berichte, wonach geständige Vergewaltiger nach einem Jahr U-Haft auf freien Fuß gesetzt wurden, weil man ihnen nicht innerhalb eines Jahres den Prozess machen konnte. Auch sonst mehren sich die Justizschlampereien, die zu einem großen Teil auf fehlendes Personal zurückzuführen ist.

    Grundsätzlich freue ich mich daher über jeden Medienbericht, der diese Misere aufgreift. Mögen Details auch manchmal tendenziös oder falsch erscheinen, kann nur so die Öffentlichkeit aufgerüttelt werden, dass die Justiz besser ausgestattet sein muss. Erst auf Druck der Öffentlichkeit und der Medien werden doch seitens der Politiker Gelder freigegeben. Außerdem finde ich es lobenswert, wenn der Threadstarter sich um ein objektives Bild bemüht und hier daher im Forum nachfragt. Vielleicht lässt sich wirklic heine Hospitation ermöglichen - meine Hospitanten und Praktikanten erfahren bei mir auf der Rechtsantragstelle einen Gerichtsalltag, den sie sich auch nicht vorher vorgestellt hätten. Daher finde ich den Vorschlag von Voltaire sehr gut.

    Nun, überlasse ich den Fachleuten wieder den Thread...


    :daumenrau:daumenrau:daumenrau

  • Ich halte eine Reportage mit dem Titel "Justiz im Zwielicht" für überfällig. Offensichtlich erkennen die eigentlich Beteiligten nicht, dass hier etwas in Schieflage geraten ist. Ein System wurde kreiert, an dem viele mitverdienen, das aber nichts erreicht. Kaum ein Betreuter kommt - außer er stirbt - aus dem Kreislauf der Betreuung wieder raus. Das will ja eigentlich auch keiner. Außerdem laufen die Kosten völlig aus dem Ruder. Der Staat sollte die Menschen lieber mit Arbeit und einer guten Gemeinschaft versorgen, als mit solchen Systemen.

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