Die Rolle des Rechtspflegers auf längere Sicht?

  • Überdies: Das FGG hatte Schwächen. So gravierende, dass es das Bundesverfassungsgericht für nötig befand zu intervenieren. "Die §§ 62 und 55 FGG sind mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar, soweit sie den in ihren Rechten Betroffenen jede Möglichkeit verwehren, Entscheidungen des Rechtspflegers der Prüfung durch den Richter zu unterziehen.
    ... Im Regelfall kann das rechtliche Gehör nicht durch denjenigen vermittelt werden, dessen Handeln, wie hier, im Genehmigungsverfahren überprüft werden soll."
    BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2000, 1 BvR 321/96

    Ob man wegen einzelner verfassungswidriger Normen gleich vom Unrechtsstaat redet, obliegt der eigenen Streitkultur.

  • Ob man wegen einzelner verfassungswidriger Normen gleich vom Unrechtsstaat redet, obliegt der eigenen Streitkultur.

    Zur Klarstellung des nachfolgenden Satzes in #77:

    "Wenn man den Kann-Beteiligten von Anfang an die Möglichkeit nimmt, sich in einem gerichtlichen Verfahren vor der Entscheidung zu äußern, hat das nichts mehr mit Rechtsstaatlichkeit zu tun."

    Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass die Verweigerung rechtlichen Gehörs im Einzelfall in der Gesamtbetrachtung zu so einem Ergebnis führen würde. War kein Vorwurf an den Gesetzgeber, sondern an den Entscheider im Einzelfall. :)

  • Hat wohl nur insofern was mit der Zukunft des Rechtspflegers zu tun, als wir uns wünschen, auch auf längere Sicht nur an Gesetz und Recht und nicht an die Meinung unseres Geschäftsleiters gebunden zu sein. Das mag nicht jedem "abendfüllend" erscheinen, ist aber aus meiner Sicht schon ein ehrgeiziges Ziel.

  • So krass würde ich das nicht ausdrücken. Mir ist nicht ein einziger Fall bekannt, bei dem der Geschäftsleiter entweder auf unzulässiger Weise in die sachliche Unabhängigkeit oder in irgendeiner anderen Form eingegriffen hat. Aus eigener Erfahrung ist bei unserer Geschäftsleitung eher das Gegenteil der Fall: Es wird auch in schwierigen Situationen die Unabhängigkeit in keiner Weise angetastet.

    Richtig ist aber, dass zu einer wirklichen Unabhängigkeit auch die persönliche gehört und das ist in der Tat ein sehr ehrgeiziges Ziel. Ich habe den subjektiven Eindruck, dass das von den Ebenen, die wirklich am Hebel sitzen und auf die es im Großen und Ganzen ankommt schon alleine aus Selbstschutz oder Standesdünkel nicht gewollt ist. Der richtergleiche absolut unabhängige Rechtspfleger wird glaube ich nicht gerne gesehen. Das ist jedenfalls mein Eindruck.

  • Hat wohl nur insofern was mit der Zukunft des Rechtspflegers zu tun, als wir uns wünschen, auch auf längere Sicht nur an Gesetz und Recht und nicht an die Meinung unseres Geschäftsleiters gebunden zu sein. Das mag nicht jedem "abendfüllend" erscheinen, ist aber aus meiner Sicht schon ein ehrgeiziges Ziel.


    Solange ich mich erinnern kann, sind meine Wünsche von allein nie in Erfüllung gegangen, immer musste ich selbst dazu beitragen. :confused: Aber was soll's, es ist ja bald Weihnachten ...

    Und was hat jetzt auf einmal der Geschäftsleiter damit zu tun? Glaubst Du im Ernst, der Finanzbeamte vom Finanzamt xy (ebenfalls Beamter des gehobenen Dienstes und an Recht und Gesetz gebunden!) würde einen Bescheid nach Meinung seines Verwaltungsleiters erlassen? :gruebel:

  • Jetzt enttäuschst Du mich aber. Wenn wir nach unseren Perspektiven fragen, müssen wir doch zuerst abklären, was uns erstrebenswert oder erhaltenswert erscheint.
    Was die Behördenleitungen angeht - frag mal bei den zentralen Grundbuchämtern in Baden-Württemberg, ob die Kollegen immer noch keinen (sanften oder deutlich spürbaren) Druck empfinden, bestimmte Verfahren eher als andere zu bearbeiten.

    Was die Behörden angeht: Mein Vater war im Staatlichen Amt für Landwirtschaft. Er sollte zu einem Antrag eines Sandalenherstellers Position beziehen. Aus landwirtschaftlicher Sicht war es unvertretbar, dass der beste Mutterboden ausgerechnet an eine lederverarbeitende Firma verschwendet werden sollte. Aber meinst Du, er hätte eine ablehnende Stellungnahme verfassen dürfen? Da kam dann der Abteilungsleiter höchstselbst und gab vor, wie die Stellungnahme so zu formulieren sei, dass dem Unternehmen nur ja keine Steine in den Weg gelegt werden.

    Die Unabhängigkeit meines Vaters erschöpfte sich in der künstlerischen Gestaltung der Akteninnenseite. Dort zitierte er aus der Dreigroschenoper:
    Und so kommt zum guten Ende
    Alles unter einen Hut.
    Ist das nöt'ge Geld vorhanden
    Ist das Ende meistens gut.

  • Jetzt enttäuschst Du mich aber. Wenn wir nach unseren Perspektiven fragen, müssen wir doch zuerst abklären, was uns erstrebenswert oder erhaltenswert erscheint.
    Was die Behördenleitungen angeht - frag mal bei den zentralen Grundbuchämtern in Baden-Württemberg, ob die Kollegen immer noch keinen (sanften oder deutlich spürbaren) Druck empfinden, bestimmte Verfahren eher als andere zu bearbeiten.

    Was die Behörden angeht: Mein Vater war im Staatlichen Amt für Landwirtschaft. Er sollte zu einem Antrag eines Sandalenherstellers Position beziehen. Aus landwirtschaftlicher Sicht war es unvertretbar, dass der beste Mutterboden ausgerechnet an eine lederverarbeitende Firma verschwendet werden sollte. Aber meinst Du, er hätte eine ablehnende Stellungnahme verfassen dürfen? Da kam dann der Abteilungsleiter höchstselbst und gab vor, wie die Stellungnahme so zu formulieren sei, dass dem Unternehmen nur ja keine Steine in den Weg gelegt werden.

    Die Unabhängigkeit meines Vaters erschöpfte sich in der künstlerischen Gestaltung der Akteninnenseite. Dort zitierte er aus der Dreigroschenoper:
    Und so kommt zum guten Ende
    Alles unter einen Hut.
    Ist das nöt'ge Geld vorhanden
    Ist das Ende meistens gut.

    Genial. Aber wohl nicht vergleichbar mit der sachlichen Unabhängigkeit der Rechtspfleger bei Gericht. Denn seien wir doch ehrlich: da redet uns absolut niemand rein.

  • Richtig ist aber, dass zu einer wirklichen Unabhängigkeit auch die persönliche gehört und das ist in der Tat ein sehr ehrgeiziges Ziel. Ich habe den subjektiven Eindruck, dass das von den Ebenen, die wirklich am Hebel sitzen und auf die es im Großen und Ganzen ankommt schon alleine aus Selbstschutz oder Standesdünkel nicht gewollt ist. Der richtergleiche absolut unabhängige Rechtspfleger wird glaube ich nicht gerne gesehen. Das ist jedenfalls mein Eindruck.


    Ich glaube Du unterschätzt die Wirkung der "persönlichen Unabhänigkeit". Der einzige wirkliche Unterschied in der Praxis ist doch, dass man kommen und gehen kann wann man will und dass man nicht gegen seinen Willen versetzt werden kann. Ersteres fände ich nicht wirklich einen Fortschritt zu mehr Bürgernähe. Zweiteres wird durch die diversen Regelungen des Beamtengesetzes ausreichend abgemildert.

  • Jetzt enttäuschst Du mich aber. Wenn wir nach unseren Perspektiven fragen, müssen wir doch zuerst abklären, was uns erstrebenswert oder erhaltenswert erscheint.
    Was die Behördenleitungen angeht - frag mal bei den zentralen Grundbuchämtern in Baden-Württemberg, ob die Kollegen immer noch keinen (sanften oder deutlich spürbaren) Druck empfinden, bestimmte Verfahren eher als andere zu bearbeiten.

    Was die Behörden angeht: Mein Vater war im Staatlichen Amt für Landwirtschaft. Er sollte zu einem Antrag eines Sandalenherstellers Position beziehen. Aus landwirtschaftlicher Sicht war es unvertretbar, dass der beste Mutterboden ausgerechnet an eine lederverarbeitende Firma verschwendet werden sollte. Aber meinst Du, er hätte eine ablehnende Stellungnahme verfassen dürfen? Da kam dann der Abteilungsleiter höchstselbst und gab vor, wie die Stellungnahme so zu formulieren sei, dass dem Unternehmen nur ja keine Steine in den Weg gelegt werden.

    Die Unabhängigkeit meines Vaters erschöpfte sich in der künstlerischen Gestaltung der Akteninnenseite. Dort zitierte er aus der Dreigroschenoper:
    Und so kommt zum guten Ende
    Alles unter einen Hut.
    Ist das nöt'ge Geld vorhanden
    Ist das Ende meistens gut.

    Genial. Aber wohl nicht vergleichbar mit der sachlichen Unabhängigkeit der Rechtspfleger bei Gericht. Denn seien wir doch ehrlich: da redet uns absolut niemand rein.

    Es ging dabei um die Einlassung in #87, in welcher behauptet wurde, auch anderen Beamten des gehobenen Dienstes würde in der Sache nicht hineingeredet (am Beispiel Finanzamt). Diese Fehlannahme beruht auf einiger Realitätsferne. Außerhalb der Justiz bestimmt der Ober, was der Unter zu tun hat und es demzufolge gibt auch entsprechende Anweisungen, etwa von den Ministerien, wie gewisse Dinge zu handhaben sind (Finanz-, Innen- Kultus usw.). Gerüchteweise sind auch Rechtspfleger, die in der Verwaltung tätig sind, Beamte des gehobenen Dienstes. Auch diese könnten nach der Einlassung in #87 also natürlich völlig frei entscheiden - falls sie überhaupt etwas zu entscheiden haben. Im Übrigen hat auch der höhere Dienst beim OLG nichts mitzureden, wenn eine entsprechende "Bearbeitungsrichtlinie" des Ministeriums vorliegt.

  • Gerüchteweise sind auch Rechtspfleger, die in der Verwaltung tätig sind, Beamte des gehobenen Dienstes. Auch diese könnten nach der Einlassung in #87 also natürlich völlig frei entscheiden - falls sie überhaupt etwas zu entscheiden haben.

    So ist es und das ist auch richtig so. Obwohl ich ein großer Freund der sachlichen Unabhängigkeit bin, kann das leider für die Verwaltung nicht gelten. Da unterschreibe ich im Namen des Präsidenten und es ist auch wichtig, dass das Haus eine Linie vertritt. Da ist es sinnvoll, dass nicht jeder Gruppenleiter für sich entscheidet, ob er z. B. Vertrauensarbeitszeit einführt.In der Rechtspflege steht mein Name darunter und wem die Entscheidung nicht passt, kann RM einlegen. Dennoch sind mir natürlich auch Sachen übertragen, in denen ich selbständig entscheide und schlusszeichne.Zum eigentlichen Thema: So düster sehe ich die Zukunft des Rpfl. nicht. Wir werden immer gebraucht werden, schon allein aus dem Grund, weil wir günstiger als ein Richter sind.Das teilweise schlechte Bild, das von den jungen Kollegen gezeichnet wird, kann ich auch nicht bestätigen. Die, die es sich einfach machen wollen, greifen zum Musterschreiben. Aber die früheren Papierformulare sind doch ähnlich gewesen.Die Gefahr, dass Copy + Paste dazu einladen, den Kopf auszuschalten, ist natürlich da, aber nicht nur in der Justiz. Ich habe mal etwas über Mediziner gelesen, die häufig Fehldiagnosen stellen, weil der Verdacht auf eine Krankheit besteht und dann zum am besten passenden Baustein gegriffen, dieser aber nicht angepasst wird auf die ganz konkrete Situation.

    Wir taumeln durch die Straßen, so als wären wir jung und schön.

  • Und was hat jetzt auf einmal der Geschäftsleiter damit zu tun? Glaubst Du im Ernst, der Finanzbeamte vom Finanzamt xy (ebenfalls Beamter des gehobenen Dienstes und an Recht und Gesetz gebunden!) würde einen Bescheid nach Meinung seines Verwaltungsleiters erlassen? :gruebel:

    Es ging dabei um die Einlassung in #87, in welcher behauptet wurde, auch anderen Beamten des gehobenen Dienstes würde in der Sache nicht hineingeredet (am Beispiel Finanzamt). Diese Fehlannahme beruht auf einiger Realitätsferne. Außerhalb der Justiz bestimmt der Ober, was der Unter zu tun hat und es demzufolge gibt auch entsprechende Anweisungen, etwa von den Ministerien, wie gewisse Dinge zu handhaben sind (Finanz-, Innen- Kultus usw.). Gerüchteweise sind auch Rechtspfleger, die in der Verwaltung tätig sind, Beamte des gehobenen Dienstes. Auch diese könnten nach der Einlassung in #87 also natürlich völlig frei entscheiden - falls sie überhaupt etwas zu entscheiden haben. Im Übrigen hat auch der höhere Dienst beim OLG nichts mitzureden, wenn eine entsprechende "Bearbeitungsrichtlinie" des Ministeriums vorliegt.

    Ich glaube, Ihr redet aneinander vorbei. Mitwisser hat völlig recht, dass der Geschäftsleiter (= Verwaltung) sich nicht in die Entscheidungen der Sachbearbeiter einmischen kann. Konkret darf in Finanzamt der Geschäftsleiter aufgrund des Steuergeheimnisses nicht mal über einzelne Steuerfälle informiert werden.

    Anders natürlich die Dienstvorgesetzten bzw. der Amtsleiter. Die dürfen sich selbstverständlich einmischen. In der Praxis läuft das nach meinen ganz persönlichen Erfahrungen aber anders rum: Nicht der Amtsleiter mischt sich von sich aus ein (idR weiß der auch so, wie er sich seinen Tag gestalten kann), sondern die Sachbearbeiter legen in brenzligen Fällen den Vorgesetzten die Fälle vor (und geben die Verantwortung ab). Damit kann man sich hübsch absichern.

    Und gehört man zu denjenigen, die einen kompetenten Vorgesetzten haben, kann die "Einmischung" durchaus auch als fruchtbare fachliche Unterstützung gesehen werden und die anschließende Entscheidung als Teamleistung. Der Teamgedanken - das gebe ich zu - beißt sich allerdings mit dem Anspruch, immer alles ganz alleine entscheiden zu wollen.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Kann mir jemand mal eine Kernaufgabe der Justiz (im Sinne von Judikative) nennen, die auf den Rechtspfleger übertragen ist? Vielleicht lässt sich das Ganze ja an einem Beispiel besser diskutieren.

    Ich bin im Übrigen leidenschaftlicher Rechtspfleger und stolz darauf! Aber man muss sich von Zeit zu Zeit eben auch mal so seine Gedanken über die Zukunft seines Berufes machen. Oder sollte der Threadstarter nur gewollt haben, dass wir uns als Rechtspfleger hier ein Denkmal bauen?

    Ps.: Gibt's eigentlich noch Hüttenschreiber? :gruebel:

  • Lustige Fragen.
    Zu a): Ich kenne keine derartige Kernkompetenzen. Ist mir auch wurscht, da ich meinen Beruf gerne gemacht habe, egal welche Kompetenzen er beinhaltet.
    Schnacks wie 2. Säule in der Justiz fand ich schon immer albern, so dass ich zu b): weder eine Säule noch ein Denkmal brauche. Ob der TO das anders sieht, weiß ich nicht. Eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse und offenere Arbeitsmodelle gepaart mit größerer Sozialkompetenz im gesamten öffentlichen Dienst würde ich mir wünschen. Das hätte dann wenigstens was solidarisches.
    Und schließlich c): Was sind Hüttenschreiber?

  • Lustige Fragen.
    Zu a): Ich kenne keine derartige Kernkompetenzen. Ist mir auch wurscht, da ich meinen Beruf gerne gemacht habe, egal welche Kompetenzen er beinhaltet.
    Schnacks wie 2. Säule in der Justiz fand ich schon immer albern, so dass ich zu b): weder eine Säule noch ein Denkmal brauche. Ob der TO das anders sieht, weiß ich nicht. Eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse und offenere Arbeitsmodelle gepaart mit größerer Sozialkompetenz im gesamten öffentlichen Dienst würde ich mir wünschen. Das hätte dann wenigstens was solidarisches.
    Und schließlich c): Was sind Hüttenschreiber?


    "Lustige Fragen" klingt schon ein bisschen nach dem Pfeifen im Wald. :teufel:

    zu a) Ich sprach von Kernaufgaben, nicht von Kernkompetenzen. Ohne die Diskussion über die Kernaufgaben der Justiz ist die Frage nach der Zukunft des Rechtspflegers nicht zu beantworten.
    zu b) Das eventuelle Denkmal für den Rechtspfleger hat nichts mit der zweiten Säule der dritten Gewalt zu tun.
    zu c) Vielleicht fragt man in 20 Jahren: Was sind Rechtspfleger? Obwohl ... :gruebel: Lies einfach mal nach.

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