§ 120 a ZPO Erfahrungen ?

  • ...

    Ich werde wohl aber nachträgliche Ratenzahlungen ab dem Zeitpunkt der Verbesserung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse anordnen. "Neuer Job seit 01/2015, aber Mitteilung vergessen? Super, also monatliche Raten in Höhe von ...€ beginnend ab 01/2015 - Übrigens ist der Gesamtbetrag der Forderung damit bereits fällig."

    - Kommt irgendwie der Aufhebung gleich.... :gruebel:

    So ähnlich hatte ich den Fall schon, habe aufgehoben und wurde vom OLG gehalten. Antrag auf Ratenherabsetzung auf Null wegen Verschlechterung, auf Nachfrage habe ich dann aus den Belegen ersehen können, dass sich auch Ausgaben nicht unerheblich verringert hatten, was ("natürlich") vergessen wurde.

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Ich finde die Sache mit der Anschriftenmitteilung auch nicht gut, grade bei mittellosen Personen: Viel Papier für letztendlich nichts.

    Aber ein Gesetz so unanwendbar zu machen ? Find ich auch nicht gut

    Das ist es, was mir im Moment auch gegen den Strich geht. Überspitzt gesagt: im Gesetz steht was von "unverzüglich" und "soll aufheben" und die gerichtliche Praxis macht daraus "es sei denn, es wurde nur vergessen, dann ist auch nicht schlimm".

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • Wenn man davon ausgehen soll, dass das neue Recht Sanktionscharakter beinhalten soll und durch die neue Entscheidung (einmal mehr) genau dieser Charakter völlig aufgeweicht wird, dann stellt sich die Frage, was überhaupt noch zu einer Aufhebung der PKH führen soll/darf. Angesichts der Tendenz der Rechtsprechung hätte man auf die Regelung der Anschriftenmitteilung etc. praktisch gleich verzichten können.

  • Mag ja für jeden Praktiker die Entscheidung der "Dolchstoß" schlechthin zu sein, Vorsatz oder grobe Nachlässigkeit aus dem meist Nichtgesagtem der Antragstellerpartei zur Aufhebung der PKH herzuleiten, die Begründung des BAG anhand der Historie zur Gesetzgebung finde ich dennoch nicht uninteressant. Warum schreibt der Gesetzgeber im Entwurf explizit diese eindeutige Formulierung rein und schwächt sie in der Endfassung auf das, was wir jetzt haben, ab:

    "Der ursprüngliche Entwurf eines "Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe" (BT-Drs. 17/1216) sah in Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung) unter Nr. 11 Buchst. c vor, dass § 124 ZPO dahin geändert wird, dass nach Nr. 3 die Nr. 3a eingefügt wird. Danach sollte die Prozesskostenhilfebewilligung aufgehoben werden, wenn "die Partei entgegen § 120 Absatz 4 Satz 4 Halbsatz 1 wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift dem Gericht nicht unverzüglich oder unrichtig mitgeteilt hat, es sei denn, dass sie ohne ihr Verschulden an der unverzüglichen oder richtigen Mitteilung gehindert war". Bereits nach diesem Entwurf sollte für die Fälle der unrichtigen und die der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung erkennbar ein und derselbe Verschuldensmaßstab gelten." (BAG, 8 AZB 16/16, Rn 16).

    Insoweit erscheint es schon nachvollziehbar, warum das BAG an dieser Stelle auf die "schwächere Form" der Sanktionierung nur bei Vorsatz oder grober Nachlässigkeit abstellt. "Tot" ist die Vorschrift m.E. dennoch nicht, nur gesetzgeberisch an der Praxis völlig vorbei.

  • Mag ja für jeden Praktiker die Entscheidung der "Dolchstoß" schlechthin zu sein, Vorsatz oder grobe Nachlässigkeit aus dem meist Nichtgesagtem der Antragstellerpartei zur Aufhebung der PKH herzuleiten, die Begründung des BAG anhand der Historie zur Gesetzgebung finde ich dennoch nicht uninteressant. Warum schreibt der Gesetzgeber im Entwurf explizit diese eindeutige Formulierung rein und schwächt sie in der Endfassung auf das, was wir jetzt haben, ab:

    "Der ursprüngliche Entwurf eines "Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe" (BT-Drs. 17/1216) sah in Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung) unter Nr. 11 Buchst. c vor, dass § 124 ZPO dahin geändert wird, dass nach Nr. 3 die Nr. 3a eingefügt wird. Danach sollte die Prozesskostenhilfebewilligung aufgehoben werden, wenn "die Partei entgegen § 120 Absatz 4 Satz 4 Halbsatz 1 wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift dem Gericht nicht unverzüglich oder unrichtig mitgeteilt hat, es sei denn, dass sie ohne ihr Verschulden an der unverzüglichen oder richtigen Mitteilung gehindert war". Bereits nach diesem Entwurf sollte für die Fälle der unrichtigen und die der unterlassenen unverzüglichen Mitteilung erkennbar ein und derselbe Verschuldensmaßstab gelten." (BAG, 8 AZB 16/16, Rn 16).

    Insoweit erscheint es schon nachvollziehbar, warum das BAG an dieser Stelle auf die "schwächere Form" der Sanktionierung nur bei Vorsatz oder grober Nachlässigkeit abstellt. "Tot" ist die Vorschrift m.E. dennoch nicht, nur gesetzgeberisch an der Praxis völlig vorbei.


    Fraglich finde ich aber der Verweis auf einen frühen Gesetzentwurf, der aber dann doch nicht Gesetz geworden ist. :(

    Kann man ja an anderer Stelle (z. B. im Zivilprozess) als Partei auch schlecht machen: "Ursprünglich sollte im § 123 als Voraussetzung für den Anspruch ja außerdem noch Folgendes stehen..."

  • ...zeigt aber das Dilemma, in dem sich das BAG offensichtlich befand, die Entscheidung des LAG Düsseldorf zu stützen.

    Wenn in der Gesetzgebungskompetenz bei der Umsetzung die "schwächere Formulierung" verabschiedet wird, kann nicht daraus dieselbe Intention der beabsichtigten Sanktionierung abgeleitet werden. Dass die Folge für die Praxis an diesem konkreten Beispiel verheerend ist, nämlich dass ich praktisch nur ein Sanktionshülle vorfinde, aber keinen eigentlichen Willen zur Sanktionierung fülle, ist m.E. nicht Sache der Rechtsprechung, sondern die der Gesetzgebung; aus diesem Grund ist die Entscheidung wenigstens vertretbar.

    Zum Glück muss man ja fast sagen, dass das LAG in die Lage versetzt wird, die Entscheidung des Rechtspflegers auf Rechtmäßigkeit noch einmal zu überprüfen, vielleicht findet man ja noch aus dem Wenigen doch den Vorsatz oder min. die grobe Nachlässigkeit der Antragstellerpartei.

  • Und den Rest der Zeit für die Tonne arbeiten ? Für mich war es das mit der Anschriftenmitteilung, mal gucken, was mit den 100,00 wird.

    Übrigens gut ein Viertel alller Verfahren wäre aufhebungsreif.

  • Mein LAG hat entschieden, dass der gleich Maßstab für die Mitteilung der Einkommensverbesserung anzulegen ist. Auch ein Irrtum über die Mitteilungspflicht ist demnach unerheblich.

    Ich lass daher die Finger von der Aufhebung der Verletzung der Mitwirkungspflicht, zumindest solange, bis ein anderes Obergericht mal anders entscheidet. :confused:

  • Aus einem Beschluss des OLG Celle vom 10.11.2016 (19 WF 188/16):

    „Allein die Verletzung der Mitteilungspflicht rechtfertigt die Aufhebung der Verfahrenskostenhilfe indes nicht. Denn nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO muss der Beteiligte darüber hinaus absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gehandelt haben. Ein solches Verhalten erforert einen darauf gerichteten Willen, durch die unterlassene Mitteilung eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen. Als grob fahrlässiges Verhalten ist es ausreichend, dass der Beteiligte diese Folge ohne weiteres erkennen konnte.“

    Dann werden die Hinweise im Formular beschrieben und weiter:

    „Im Hinblick auf diesen eindeutigen Hinweis musste der Antragstellerin bewusst gewesen sein, dass sich eine erhebliche Erhöhung ihrer Einkünfte auf die Bewilligungsentscheidung auswirken würde und dem Amtsgericht mitzuteilen war. (…) Rechtlich erhebliche Gründe, warum sie der Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist, hat die Antragstellerin nicht dargetan.“

  • Noja das ist doch mal wenigstens ein Ansatz mit dem sich arbeiten lässt, eine grobe Nachlässigkeit der Partei abzuleiten.

    Das SG Karlsruhe z.B. verbindet m.E. die beiden Auffassungen miteinander recht gut:

    "Zwar kann eine grobe Nachlässigkeit nicht allein daraus abgeleitet werden, dass der Kläger trotz ordnungsgemäßer Belehrung in dem Formular „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ die Mitteilung nicht von sich aus unverzüglich getätigt hat (vgl. Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, B.v. 21.01.2016 - 17 Ta 36/15 - juris). Der Kläger hat jedoch darüber hinaus trotz mehrfacher gerichtlicher Nachfrage, sich über eine Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse zu erklären, nicht reagiert.
    [Das Gericht forderte die Partei 4x auf, sich mitzuteilen, ohne zu reagieren]
    Dies macht deutlich, dass der Kläger seine Pflicht in besonders schwerwiegender Weise verletzt hat. Er ist nicht nur der Mitteilungspflicht, die er von sich aus - ohne gerichtliche Aufforderung - zu erfüllen gehabt hätte, nicht nachgekommen, sondern hat beharrlich gerichtliche Aufforderungen, die ihm die Pflicht nochmals vor Augen geführt haben, ignoriert. Er hat damit die im Prozesskostenhilfeverfahren erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlich groben Maße verletzt und dasjenige unbeachtet gelassen, was jeder Partei hätte einleuchten müssen."
    (SG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Juli 2016 – S 17 AS 829/16 (PKH) –, Rn. 17, 18, juris)

  • Ist/wird Celle veröffentlicht?
    Wäre sicher recht nützliches Futter für eigene Argumentationen.

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • Ist/wird Celle veröffentlicht?


    Keine Ahnung, ich wurde nur von der Bezirksrevisorin über die Entscheidung informiert.

    Dann lege ich es mir mal gedanklich auf Wiedervorlage, vielleicht kommt ja noch was. :)

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • Ist/wird Celle veröffentlicht?
    Wäre sicher recht nützliches Futter für eigene Argumentationen.

    Eine Veröffentlichung würde mich auch interessieren. Das OLG Celle veröffentlicht ja leider nur höchst selten.

  • Ist/wird Celle veröffentlicht?


    Keine Ahnung, ich wurde nur von der Bezirksrevisorin über die Entscheidung informiert.

    Dann lege ich es mir mal gedanklich auf Wiedervorlage, vielleicht kommt ja noch was. :)

    Sonst fordere die Entscheidung einfach in Celle ab, verbunden mit der Nachfrage nach einer Veröffentlichung. Je mehr das dann machen...

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

  • Ich glaube, es kommt einfach öfter vor, dass die Parteien im Nachgang eine neue Tätigkeit aufnehmen. Die Parteien kommen ja meist aus festen Arbeitsverhältnissen und die wenigsten bleiben dann dauerhaft auf staatliche Unterstützung angewiesen.

  • Ich glaube auch, dass es in der Natur der Sache liegt: Unsere Verfahren sind ja schnell abgeschlossen, so dass hier schon 14er und 15er Verfahren in der Nachprüfung sind.

    Und klar, die Klagen beim Arbeitsgericht, weil die ja grade ihre Stelle verloren oder kein Geld haben. Da tritt ja meist ne Änderung ein.

  • In der Sozialgerichtsbarkeit ist zumindest in LSA zu verzeichnen, dass es in vielen Fällen gerade nicht um die Änderung von Vermögensverhältnisse geht, sondern eher um die "Schlampigkeit" der Partei, Wohnortwechsel nicht anzuzeigen bzw. absichtlich die neue Adresse nach Umzug nicht mitteilen zu wollen, um einfach mit der "Sache" nichts mehr zu tun haben zu wollen.

    Im Zuge der Änderung des § 73a SGG mit Wirkung vom 01.01.2014 aufgrund PKHuBerHÄndG (BGBl. I 3533) zur Eröffnung der Nachprüfung auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen zu haben (vgl. § 73a Abs. 5 SGG), erscheint der "scharfe Hund" eher aus den Reihen des ehemals gehobenen Dienstes zu kommen, dem Sanktionscharakter des Gesetzes gewissermaßen mehr Nachdruck verleihen zu wollen, als es vllt. der richterliche Dienst für angemessen hält überhaupt nachzuprüfen. Warum die ordentliche Gerichtsbarkeit augenscheinlich in der Rechtssprechung hinterher hinkt, mag ich zu bezweifeln, als Entscheidungen hierzu vermutlich viel zu wenig veröffentlicht werden.

    Hinsichtlich der Veröffentlichung würde ich mich an der Stelle des Kollegen mal an den Bezi hängen, ob er es nicht selbst für veröffentlichungswürdig hält, sodass auch seitens der Vertretung der Landeskasse ggf. Hebel zur Veröffentlichung in Bewegung gesetzt werden. Schließlich fand er es anscheinend bereits wichtig darüber intern zu informieren.

  • Und noch eine Entscheidung, die das Überprüfungsverfahren "einfach" macht (viel Spaß beim Beurteilen Nachlässigkeit/grobe Nachlässigkeit): :teufel:

    Zitat

    Eine Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO kommt nicht bereits dann in Betracht, wenn die Partei wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat, ohne dass der Partei der Vorwurf der groben Nachlässigkeit oder der Absicht zu machen wäre.

    BAG, Beschl. v. 19.10.2016 – 8 AZB 23/16

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