Zukunftsängste?

  • .. einer unserer Dozenten redete von der "gesicherten Armut"
    In der freien Wirtschaft könnte man mit dem Wissen, dass man sich während des Studium aneignen sollte, wesentlich mehr verdienen.

    Ich habe mich auch unmittelbar nach dem Abi in die Rpfl-Ausbildung begeben und konnte besonders am Anfang nicht wirklich viel mit dem, was uns da erzählt wurde, anfangen.
    Die Praxis hat es rausgerissen..

    Und jetzt (ganz besonders jetzt) kann ich beruhigt sein, dass ich mir keinerlei Sorgen um meinen Job machen muss. Auch wenn ich wegen Schul- oder KiGaschließungen zu Hause bleiben muss, dann ist das halt so.

    Es lebt sich meiner Meinung nach ruhiger und mit den richtigen Kollegen kann man auch in einem Gericht eine Menge Spaß haben (auch in den bescheidensten Abteilungen) ;)

  • Vor Ort ist das Klima sicher unterschiedlich, und man darf nicht vergessen: Man ist auch immer selber für das Klima (mit)verantwortlich.

    Und mit schlechter Bezahlung meine ich nicht den Vergleich mit der freien Wirtschaft, sondern mit dem öD: Es sind hier im letzten Jahr drei Kollegen gegangen, die alle bessere Beförderungsmöglichkeiten haben (hier ist bei 11 Feierabend) und die teilweise auch schon befördert worden sind.

    Eine Kollegin, auch hier vertreten, hat Bundesland und Fachbereich gewechselt und ist auch befördert worden. Hier wäre das undenkbar gewesen.

    Ein Tarifbeschäftiger, einfacher Dienst, ist als Vollstreckungsbeamter einer Kommune tätig: A 11...

    Also: Zumindest in NRW ist die Justiz alles andere als finanziell attraktiv.

    Klar, haben wir einen sicheren Arbeitsplatz, es gibt aber Leute (zu denen ich nicht gehöre), die haben dafür mit der Arbeit unter Pandemiebedingungen ihre Probleme, kann man hier so nachlesen.

    Hat alles seine zwei Seiten: Stünde ich heute nochmal vor der Entscheidung: Schlosser...

  • Die Vorteile eines dualen Studiums liegen für mich auf der Hand, man merkt in den einzelnen Phasen relativ gut, ob man diesen Weg weiter beschreiten möchte. Studium 1 ging gefühlt rum wie nix und die Praxis hat mich dann restlos überzeugt. Diese Chance würde ich dem ganzen zumindest geben.

    Und ein Nein zum Rechtspfleger heißt ja noch nicht hallo freie Wirtschaft. Es gibt sooooo viele Behörden. Wer Wert auf Besoldung und Aufstiegschancen legt, sollte sich vielleicht die Bundesebene mal anschauen.

  • Nein, es ist zumindest bei mir weder ironisch noch witzig gemeint.

    Ich habe 1988 angefangen:

    13. Gehalt
    2 AZV-Tage
    Urlaubsgeld 600 (?) DM
    38,5 Stundenwoche
    kein Selbstbehalt bei der KV
    Stufenaufstieg alle 2 Jahre
    A12 zumindest möglich

    2021:

    kein 13. Gehalt
    keine 2 AZV-Tage
    kein Urlaubsgeld
    41 Stundenwoche
    200 (?) Selbstbehalt
    Stufenaufstieg alle 3 Jahre
    A11 Endamt

    Dafür das Angebot, Vertrauensarbeitszeit bei Präsenzpflicht zu machen.

    Dafür ist die Arbeitsbelastung ziemlich gestiegen, ein Beschaffungsvorgang war früher 3 Seiten, heute 14 nur um mal ein Beispiel zu nennen.

    Ich finde das alles nicht zum Lachen.

    Ja, ich bin trotzdem gerne Geschäftsleiter, aber nicht nochmal. Sollte ich woanders eine schicke Stelle finden, werde ich mich bewerben, auch wenn meine Chancen als alter Krüppel nicht gut stehen. Ansonsten bleibt mir, die Tage bis zur Pension zu zählen.

  • Das ist ja ein Thema, das hier immer Mal wieder hochkocht. Ich war früher mehrere Jahre Rechtspfleger und bin jetzt Anwalt. Meine Eindrücke: Die Arbeitszeiten als Anwalt sind deutlich höher (zwischen 45 und 55 Stunden pro Woche, je nachdem, wie viel gerade zu tun ist) und auch der Druck während dieser Arbeitszeit ist gefühlt deutlich höher, da das Tätigkeitsspektrum breiter ist. Im jetzigen Vergleich würde ich sagen, dass das Dasein als Rechtspfleger tatsächlich ein guter Deal ist, wenn man auf eher wenig Arbeit, Sicherheit- und Planbarkeit und eine gute Work-Life-Balance Wert legt. Andererseits können die Beamtenstrukturen natürlich auch wie ein Korsett wirken und reich wird man als Rechtspfleger (oder Richter) auch nicht unbedingt.

    -Vanitas vanitatum et omnia vanitas -



  • Persönlich kann ich sagen, dass mein Spektrum schon ziemlich weit ist: Es reicht von der Vertretung des Wachtmeisters, hin zu Personalverwaltung, Haushalt, Beschaffung, Gebäudebewirtschaftung hin zu Rechtsantragstelle und meinen Rechtssachen.

    Das ist sich bei größeren Gerichten und bei der ordentlichen Justiz anders.

    Und hier sind mehrere Richter, die wegen der Arbeitszeiten und der Belastung den Anwaltsjob an den Nagel gehangen haben.

    Deshalb ja auch nicht Anwalt, sondern Schlosser.

  • Naja, mein Vater war Schlosser. Ihm war es wichtig, dass seine Kinder es mal besser haben als er. Er hat mir nachdrücklich dazu geraten, Beamtin zu werden. Seine Arbeitskleidung bezeichnete er übrigens immer als "das Karnevalskostüm".

  • Ein sehr ehrenwerter Beruf. Mann sieht, was man geschafft hat, macht sinnvolle Arbeit und hat im besten Fall nix mit der Justiz zu tun.

    Ich hatte heute schon wieder ein Telefonat mit meiner vorgesetzten Dienststelle: Einfach unglaublich (Nein, keine Details). Da ist von Wertschätzung aber gar nichts zu spüren und es kommt ein gewisser Zynismus gegenüber Kollegen (nicht gegenüber mir) zum Ausdruck. Unglaublich....

    Aber: 4.271 Tage, 5 Stunden und 52 Minuten noch.

  • Schon Schafe, Kühe und Pferde wissen: Beim Nachbarn ist das Gras immer am grünsten!


    Blöd nur: Wenn sie dann auf Nachbars Weide stehen, und zurück über den Zaun blicken, ist auf einmal das Gras dort grüner. Verflixte Zwickmühle ... :teufel:

    Ist halt schon schwer, die richtige Entscheidung zu treffen. Es gibt Menschen, die lieben ihren Beruf über Alles und es ist wirklich "Berufung", und dann sind auch 50 Stunden/Woche kein Problem, weil es Spaß macht. Dann braucht man auch nicht mehr so viel Freizeit, weil man das Hobby ja schon zum Beruf gemacht hat. Beneidenswert sind diejenigen, die sowas gefunden haben und damit auch noch genug Geld verdienen.
    Wenn man sich aber so gar nicht wohlfühlt und auch keine Perspektive hat, dann sind schon 40 Stunden/Woche eigentlich viel zu lange.
    Frustmomente wie von Störtebecker geschildert gibt es immer (selbst beim geliebten Hobby), aber wenn diese halt überhand nehmen, muss man sich was überlegen.

    Es stand alles in Büchern, die Alten lebten noch
    Wir haben nicht gelesen, nicht gesprochen, weggeschaut, uns verkrochen ...
    No!

  • Wie schon gesagt: Ich mache meinen Job an und für sich gerne und er macht mir Spaß, ich bin auch am WE hier, falls erforderlich.

    Aber, und das ist der Kern für mich: Die Bedingungen, sind nicht gut und sie werden nicht besser.

    Ich sage keinesfalls, dass Rechtspfleger ein schlechter Beruf ist. Die Rahmenbedingungen sind halt schlecht und werden leider nicht besser.

    Man mag mir zurecht persönlichen Frust und ganz besonders tolle Vorgesetzte vorwerfen: Aber die Abbrecherzahlen und die geringen Bewerberzahlen sprechen da m.E. Bände, weiterhin, dass reichlich Kollegen abwandern. Ich denke, dass sind Fakten, die nix mit meiner persönlichen Lage zu tun haben.

    Ich höre in meinem Umfeld von zahlreichen frustrierten Kollegen, die alle mal jung und motiviert angefangen haben.

    Das sich generell was ändert? Wag ich zu bezweifeln, wir haben einfach keine Lobby und dann werden so Nummern wie die Vertrauensarbeitszeit mit Anwesenheitspflicht wie in NRW als Erfolg verkauft.

    Da ich über keinen Zaun mehr rüberkomme, werde ich wohl auf meiner Weide bleiben müssen, aber glücklich drüber bin ich nicht.

    Und daher ist der Beruf des Rechtspflegers für mich ganz klar keine Empfehlung.

    Meine Kinder werden mit Sicherheit keine Rechtspfleger, sie sollen es mal besser haben.

  • Mangelnde Wertschätzung ist nicht nur ein Problem des öffentlichen Dienstes.
    Solange es Branchen gibt, in denen es mehr Bewerber als angebotene Arbeitsplätze gibt :eek:, wird es auch mangelnde Wertschätzung des Mitarbeiters und seiner Arbeitsleistung geben.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Ich suche keine Freunde auf der Arbeit (Kunststück: bin ja auch Finanzbeamter). Ich brauche auch keine Anerkennung oder Wertschätzung durch andere, da ich in mir selbst ruhe. Es genügt mir völlig, wenn ich das was ich tue vor mir rechtfertigen und verantworten kann.

    Zufriedenheit, Glück und Anerkennung findet bei mir nach 16.00 Uhr statt. Es ist nicht Aufgabe des Dienstherren, dafür zu sorgen.

    Ich halte das für eine gesunde Einstellung.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Drei weitere wesentliche Vorteile des Rechtspflegerberufs sind :

    1. Man erhält eine (ordentliche) Pension. Als Schlosser sieht es da sehr dunkel aus...

    2. Man kann extrem viel entscheiden und ist praktisch ein Richter "light". In der Praxis kann man dann Notare korrigieren und ist ausgesprochen unabhängig.

    3. Und jeder, der das Studium abschließt, bekommt einen guten Job. Das ist bei Jura ganz anders : Viele meiner Freunde wären gerne Richter geworden, aber wenn die Noten nicht reichen, dann muss man eben Anwalt machen, was alles andere als toll sein kann.

    Außerdem kann man als Rechtspfleger auch sehr gut verdienen, wenn man in ein Notariat wechselt. Bei uns im Büro sind zb zwei Rechtspfleger und die verdienen mehr als viele Volljuristen...

  • Hallo zusammen, als langjähriger stiller Mitleser nun auch mein Senf zum Thema:

    Auch ich habe Rechtspflege studiert und mehrere Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Mittlerweile habe ich die Justiz verlassen - wie viele meiner früheren Studienkollegen.
    Ich fand das Studium gut machbar, aber man darf von seinen Erwartungen nicht von den Noten im Abi ausgehen. Das entmutigt manche. Auch weiß ich, dass einige im Studium sehr unter dem Druck gelitten haben. Darauf muss man sich einstellen, denn die Möglichkeit, Prüfungen zu verschieben (wie in anderen Studiengängen) gibt es nicht.

    Es gab verschiedene Gründe, weshalb ich gegangen bin. Sie alle fallen aber in den großen Dunstkreis "Justiz". Das Gehalt, die Arbeitszeit, da wusste ich, worauf ich mich eingelassen hatte, ich war auch gern Beamtin. Dass man uns ungerechtfertigter Weise die Eingangsbesoldung gekürzt hatte, geschenkt. Aber die Strukturen, die Personen, die an entscheidenden Stellen sitzen, die Erwartungshaltung ohne im Gegenzug notwendigen Rückhalt zu geben - das alles war so unendlich frustrierend.

    Mit unserem Abschluss ist es - so zumindest meine Erfahrung - gut möglich, auch in der freien Wirtschaft einen guten, sicheren Arbeitsplatz zu bekommen, gesammelte Arbeitserfahrung hilft natürlich. Ich erfahre nun Wertschätzung, einen modernen Arbeitsplatz und Sicherheit. So etwas gibt es sicher auch im öD.

    Daher, lieber Threadstarter: Lass dich nicht entmutigen, versuche es. Hier hat jede/r eigene Erfahrungen in dem Beruf gesammelt. Auch ich wäre gerne Rechtspfleger geblieben. Aber ich habe eine gute Alternative gefunden, und profitiere jeden Tag von dem Gelernten. Viel Erfolg im Studium.

  • Zufriedenheit, Glück und Anerkennung findet bei mir nach 16.00 Uhr statt. Es ist nicht Aufgabe des Dienstherren, dafür zu sorgen.

    Ich halte das für eine gesunde Einstellung.

    Das versuche ich auch so zu halten, klappt (fast immer) recht gut. Wenn ich die Sachen zum Thema Führung, Gesundheitsmanagement durchlese, sollte es aber nicht so sein. Ich versuche hier gegenüber meinen Beschäftigten auch für Anerkennung und Zufriedenheit und einem gewissen Spaß am Arbeiten zu sorgen. Damit läuft der Laden einfach für alle besser.


    Aber hier geht es darum, ob der Job die Mühen wert ist. Und da sage ich: Nein.

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